Archivale

Martin Luther verbrennt die Bannbulle

Darin: Das Bild stammt aus dem Nachlass eines Speyerer Pfarrers, der im Landeskirchenrat tätig war (Oberkirchenrat?). Mit der Diakonissen Lydia Hünerfauth räumte Herr Heraucourt Ende der 1970er Jahre das Haus und erhielt dieses Bild als Geschenk. Der Stuckrahmen war seinerzeit defekt, so dass Familie Heraucourt diesen durch einen goldfarbenen Holzrahmen ersetzte. Bei der Neurahmung entdeckte man Zeitungen im Rahmen, die aus dem Jahr 1924 stammten. In dieses Jahr dürfte damit der Erwerb des Stiches in der Familie des Speyerer Theologen fallen.
Das Bild hing im Wohnzimmer der Familie Heraucourt.

Enthält: Stich in goldfarbenem Holzrahmen unter Glas; Stich (1861) von Tamme Weyerd Theodor Janssen (1816-1894) nach Carl Friedrich Lessings Gemälde "Luther verbrennt die Bannbulle", 1853.
Links unten auf dem Druck: C. F. L. 1853; unter dem Druck links außen: C. F. Lessing gem[alt]; unter dem Druck rechts außen: T. W. Th. Janssen gest[ochen].
Text unter dem Druck (Großschreibung) jeweils in einer getrennten Zeile: Luther verbrennt die paepstliche Bann-Bulle. Eigentum des Hauptvereins der Evangelischen Gustav-Adolf-Stiftung in der Rheinprovinz. Commissionsverlag von Hermann Michels in Düsseldorf. Druck von Hartmann & Beck Düsseldorf.
Abgedruckt in: Rogge (vgl. lfd. Nr. 103) zw. S. 104/105.

Auszug aus der Dissertation von Henrike Holsing:
Sieben Jahre lang [1848-1855] hat Lessing sich immer wieder mit dem Thema der Bannbullenverbrennung auseinandergesetzt. Für ihn, den engagierten Hus- und Reformationsmaler, scheint gerade dieses Thema von Bedeutung gewesen zu sein; gerade die "Bannbullenverbrennung" steht für Luthers Kampf für Geistesfreiheit, seinen Mut, überholten Autoritäten den Gehorsam aufzukündigen. Es ist bezeichnend, dass Lessing niemals einen Stoff aus Luthers Leben thematisierte, der nach dieser Verbrennung der Bannandrohungsbulle lag, auch in seinen Zeichnungen nicht.
1853 stellte Lessing ohne Auftrag ein mehr als zwei Meter breites Gemälde zum Thema fertig. Das mag im Angesicht der Restauration als ein Bekenntnis zu gleichbleibend liberalen Grundideen gewertet werden, das mag auch eine Form von künstlerischem Protest gegen die Unterdrückung von bürgerrechtlichen und nationalen Bestrebungen nach dem Scheitern der Revolution gewesen sein. Das 1853 vollendete Gemälde wurde in Deutschland nur vom 6.-12. Juni [dieses Jahres] in Düsseldorf ausgestellt und ging danach gleich an einen Rotterdamer Käufer. Es ist heute verschollen, aber immerhin durch einen detailliert ausgearbeiteten Kupferstich T. W. Th. Janssens überliefert (zur genauen Beschreibung des Bildes vgl. ebd.).
Die Identität der abgebildeten Figuren warf immer schon Fragen auf. Henrike Holsing schreibt dazu unter Verwendung von verschiedenen Autoren:
Auf den ersten Blick hat Lessing im Vergleich zu der Zeichnung und dem Karton von 1852 nur noch wenig verändert, am auffälligsten ist vielleicht, dass die Stadtkulisse Nürnbergs nun doch der Wittenbergs mit den beiden charakteristischen Türmen der Stadtkirche gewichen ist. Insgesamt hat Lessing der Stadtkulisse hier wesentlich weniger Raum eingeräumt als vorher, Jenderko-Sichelschmidt vermutet, "weil die Wittenberger Silhouette weniger dekorativ und geschlossen wirkt als die Nürnberger". Das scheint mir nicht der einzige Grund zu sein.
Zwar ist die Wittenberger Stadtkulisse sicher weniger imposant, doch hätte Lessing auch hier zumindest mit dem Turm der Schlosskirche noch einen weiteren markanten Punkt bringen können. Stattdessen hat er die Stadtkirche als einzig herausragendes Bauwerk sehr zentral und direkt über dem brennenden Feuer ins Bild gesetzt und so das Hauptgeschehen noch einmal betont und ihm eine weitere Bedeutungsdimension hinzugefügt: Wie bei Catel deutet auch hier die Kirche an, dass, was hier geschieht, göttlichen Zuspruch findet. Durch das Weglassen der vielen Türmchen, die im Karton noch so eine große Rolle spielten, klärt Lessing die ganze Komposition. Aus diesem Grund hat er wohl auch den winterlich kahlen Baum am linken Bildrand weggelassen. Stattdessen lässt er den ganzen oberen Bildteil von einem dramatisch gestalteten Himmel dominieren: Dunkle Wolken verdüstern vor allem die rechte Bildhälfte und liegen mit weißen im Kampf, vielleicht auch sinnbildlich zu sehen für den Kampf Luthers gegen die dunklen Wolken des Papsttums; sicher nicht zufällig ballen sich die schwarzen Wolken vor allem am rechten Bildrand, dort, wo die Skeptiker sich versammelt haben, über Luther und der Verbrennungsaktion aber ist der Himmel hell, ebenso über seinen Anhängern auf der linken Seite. Der dramatisch bewegte Himmel ergänzt viel wirkungsvoller, als es jede Stadtkulisse vermocht hätte, die Aussage des Bildes. Die Reduktion der Bebauung im Hintergrund verhilft aber auch zu einer Klärung der Komposition, die Lessing auch in den Figurenkonstellationen weitergeführt hat: Die rechte Gruppe von Zuschauern befindet sich nun genau gegenüber der linken, sie bilden eine bildparallele Linie, und die Männer im Hintergrund, hinter dem Scheiterhaufen, sind dichter zusammengerückt. Den linken Komtur hat Lessing durch den aufrecht Stehenden mit dem lässig übergeworfenen Mantel und dem Spitzbärtchen abgeschlossen, wo vorher noch die unruhige Gruppe zweier Männer und eines Kindes den Rand etwas ausfranste. Das Kind ist nun zwischen den eben genannten Mann und den vordersten der Magister gerückt, wie dieser beugt es sich neugierig vor, und auch auf der rechten Seite des Bildes nimmt noch ein weiterer Mann die Bewegung des Vorbeugens auf, die gesamte Bildbewegung zur Mitte hin lenkend.
Luther selbst hält jetzt wieder nur die Bulle in beiden Händen, auch dies eine Konzentration
auf das Wesentliche. Im Vergleich zu den vorherigen Entwürfen ist er imposanter gegeben,
breiter, auch den Cranach'schen Porträtkopf hat Lessing etwas aufgeschwemmt, vielleicht im
Versuch, ihn dem bekannten, älteren Lutherkopf etwas anzunähern. Die Haltung Luthers ist
wieder die gleiche wie in der ersten Entwurfszeichnung von 1848: Den linken Fuß leicht
vorgestellt, die Bulle an beiden Rändern über das Feuer haltend und den Kopf nach links oben
gewendet. Das kräftigere Ausschreiten der Entwürfe von 1852, das ungestüme
Zusammenknüllen des Papiers ist wieder dem ruhigeren Moment des Innehaltens gewichen.
Dieses transitorische Moment - er tut es noch nicht, aber er wird es gleich tun - war von
Lessing möglicherweise zur Spannungssteigerung gedacht, erklärt vielleicht auch die
spannungsgeladenen Mienen der Zuschauer, ihr erwartungsvolles Sich-Vorbeugen besser,
nimmt aber auch - und das war von Lessing sicher so beabsichtigt - die dramatische Wirkung
zurück.
Wie so oft bei Lessing sind es vor allem die Mienen der Umstehenden, die von der Bedeutung
des Geschehens eine Ahnung geben: Hier geht etwas vor, was die Geister scheidet. Doch hält
sich Lessing weise vor Gefühlsausfällen zurück, wie sie die Wittenberger Bevölkerung bei
Manasse Unger an den Tag legte. Stattdessen erwartungsvolle Spannung in den Gesichtern
der Freunde Luthers unter den Universitätsangehörigen links, Erschrecken und Skepsis bei
den beiden Figuren aus dem Volk ganz rechts, ein Hauch von Feindseligkeit in dem Mönch
mit der Kapuze, dessen Kopf zwischen denen der beiden neugierigen Männer auf der rechten
Seite hervorschaut.
Lessing hat übrigens auch für dieses Gemälde viele antiquarische Studien betrieben: Er
berichtete seinem Bruder von einer Reise nach Köln,1724 und im Juli 1853 schrieb er seiner
Frau, dass er plane, nach Wittenberg zu fahren;1725 im September berichtete er dem Bruder
Robert von dem Ergebnis: "In Wittenberg habe ich ziemlich das erreicht, was ich gewollt; nur
ein Portrait Carlstadt's war nicht aufzutreiben." Er habe aber "nach der Reise diese Figur
kassiert und werde aus gutem Grund einen Studenten dafür hinstellen."
Auch in der Presse berichtete man von Lessings Studien, und im "Deutschen Kunstblatt" wurde das Gemälde schon 1852 angekündigt mit der Bemerkung: "Portraits von Luther, Bugenhagen, L. Cranach und anderen Zeitgenossen kommen darin vor." Möglicherweise liegt es an der Radierung, aber diese Köpfe sind nicht ohne weiteres in Lessings Bild zu identifizieren. Jenderko-Sichelschmidt meinte, in dem vordersten der Universitätslehrer, der uns das volle Profil zukehrt, Melanchthon zu entdecken. Das ist durchaus möglich, auch wenn der Künstler die charakteristische Hakennase, die besonders Dürers Melanchthon-Porträt zeigt, sehr beschönigt hat. Das genaue Vorbild ist aber kaum auszumachen. Lucas Cranach erkennt Jenderko-Sichelschmidt richtig in dem vollbärtigen Mann, der den Mittelpunkt der Hintergrundgruppe einnimmt und die Hände vor dem Bauch gefaltet hält. Cranach als berühmter Vertreter der Wittenberger Bürgerschaft, der gleichzeitig auch noch der gleichen 'Zunft' angehörte wie die Künstler des 19. Jahrhunderts, wurde mit Vorliebe in die Lutherbilder eingebracht, und die "Verbrennung der Bannbulle", in der die Gemälde die Bürgerschaft versammeln - auch wenn in der Realität wohl vor allem Universitätsangehörige daran teilnahmen - bot hierfür eine ideale Gelegenheit.
Müller von Königswinter berichtete, man könne außer Melanchthon auch "Forster, Bernhardi, Bugenhagen und Andere gewahren". Davon ist nur Bugenhagen auszumachen: Er ist mit ziemlicher Sicherheit der junge Mann, dessen Kopf zwischen dem hochaufgerichteten Mann am linken Bildrand und Melanchthon zu sehen ist, zu erkennen ist er an der gebogenen Nase und den weichen Gesichtsformen. Der bärtige
Mann in der ersten Reihe rechts von Melanchthon dagegen, mit der scharfen Nase, dem etwas vorspringenden Kinn und dem spitzen Bart scheint Caspar Cruciger zu sein, wie ein Vergleich mit dem Porträt Crucigers von Lucas Cranach z. B. auf dem Dessauer Altar nahelegt. Sowohl Cruciger als auch Bugenhagen waren 1520 noch gar nicht in Wittenberg: Wie Manasse Unger auch, versuchte Lessing in seiner "Verbrennung der Bannbulle" durch diese unhistorische Ausweitung des Figurenpersonals, ein Bild der Reformation zu geben, das über den einzelnen, kurzen Moment hinausgeht; aus diesem Grunde mag er auch Luther so massig gegeben haben, aus diesem Grund auch hat er sich vielleicht für eine weniger dramatische, ruhigere und denkmalhaftere Gestaltung der Komposition entschieden. Bei aller Individualität in der Gestaltung der Umstehenden gibt Lessing doch ein Idealbild, und deswegen hielt Max Schasler, der gestrenge, eher idealistisch orientierte Kunstrichter der "Dioskuren", das Gemälde auch für "eine der historisch bedeutsamsten und in der Form am meisten stilisirten Kompositionen Lessing's", aus dem gleichen Grund aber wünschte sich Müller von Königswinter "mehr begeisterten Schwung". Dem Kritiker des "Deutschen Kunstblattes" gefiel vor allem die Gestalt Luthers; sie sei "wahrhaft imposant. Noch in der Fülle der Jugendkraft, aber im reifsten Bewusstsein seines Unternehmens, scheint seine Brust auf gleiche Weise geschwellt von der Gluth des eignen innern Dranges und der Wärme des göttlichen Geistes, der mit neuer Gewalt in sie einzieht; sein Mund festigt sich zu kräftigstem Trotze, ohne von seiner Lieblichkeit etwas zu verlieren, sein erhabenes Auge nimmt das wiedererrungene Licht zugleich in sich
auf und strahlt es von sich." "Im reifsten Bewußtsein seines Unternehmens", das ist es sicher, was Lessing mit diesem Luther, dem Innehaltenden, Aufblickenden, vermitteln wollte. Dafür erschien der Luther des ersten Entwurfs von 1848 zu jung, der der folgenden Entwürfe zu zornig.

Archivaliensignatur
3175
Alt-/Vorsignatur
Registratursignatur: Versicherungswert: 800,00 €
Umfang
sw
Sonstige Erschließungsangaben
Erhaltungszustand: Feuchtigkeitsflecken unten; rechts außen leichte Beschädigung auf dem Passepartout; restauriert, neues Passepartout, durch Firma Weiß, Römerberg, Februar 2019 (145,00 €).

Größe/Format: 81 cm x 97 cm (Außenmaß); 81 cm x 66,5 cm (Innenmaß)

Künstler/Künstlerin: Carl Friedrich Lessing (1808-1880); Tamme Weyerd Theodor Janssen (1816-1894)

Kontext
Volksfrömmigkeit >> 02. Religiöser Wandschmuck >> 02.07. Martin Luther
Bestand
173. Volksfrömmigkeit

Laufzeit
o. D. [1870 - 1890]

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Rechteinformation
Rechteinformation beim Datengeber zu klären.
Letzte Aktualisierung
04.06.2025, 10:05 MESZ

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Objekttyp

  • Archivale

Entstanden

  • o. D. [1870 - 1890]

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