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Urgichten

Regest: Bürgermeister und Rat der Reichsstadt Reutlingen haben nach reifem Rat (= reiflicher Beratung) die 4 armen Sünderinnen Agnes, Witib des Ulrich Lampparter und ihre 2 Töchter, Elisabetha, Ludwig Dieringers, und Anna, Ludwig Bidermanns Eheweiber, sowie Catharina, Witib des Jerg Vodin, verhaften und wegen des überzeugten (= überführten) hochsträflichen Verbrechens der Zauberei und des Hetzenwesens (= Hexenwesens) durch deputierte Commissarii des Rats befragen lassen. Nach peinlicher und gütlicher Befragung haben sie bekannt, wie folgt.

I. Agnesa Lampartter.
1) Als sie vor ungefähr 30 Jahren eines Tags in der obern Mühle hier gemahlen und gegen Abend sich verspätet hatte, sei sie an einem Rain bei dem Wäschhäusle vor dem obern Mühltörlein gefallen, habe nicht gleich wieder aufstehen können, Gottes vergessen und sei [in die Worte?] ausgebrochen: "Wohlauf, in Teufels Namen!" Alsbald sei der Teufel in Gestalt eines schwarzen Mannes erschienen, habe ihr aufgeholfen, auch in die Stadt hinein, die schon versperrt war, ihr zu helfen versprochen, aber nicht ins Werk gesetzt.
2) Sie hab sich ihm damals ergeben, Gott und der heiligen Dreifaltigkeit absagen und Menschen und Vieh mit einer Salbe, die sie zugleich von ihm empfing, anzugreifen, zu verderben und umzubringen versprechen müssen.
3) Dieser Geist habe sie auch gleich, nicht allein damals, sondern auch hernach auf dem Feld und in ihrem Haus verschiedene Male beschlafen, ihr Salben gebracht und Vieh und Leuten damit Schaden zu tun befohlen.
4) Ihr Buhle heisse Caspar, sei immer ganz schwarz (= in schwarzer Kleidung) zu ihr gekommen und gar kalt gewesen.
5) Als sie einmal mit der Salbe den Leuten keinen Schaden tun wollte, sondern Erbarmen mit ihnen hatte, habe ihr Geist sie einen alten Wolf geheissen und gezwungen, sich selbst an ihrem Leib anzugreifen. Daher habe sie noch einen offenen Schenkel.
6) Sie habe mit der Salbe auch ihre eigne Kuh bestrichen, dass sie über Nacht wegstarb.
7) Über (= Ausser) solche Salbe habe ihr Buhle Caspar ihr in der Rappenhalde in einem eichenen Büchslein Pulver zugestellt, um den Menschen damit zu vergeben (= sie zu vergiften).
8) Gestaltsam (= so) habe sie ihrer Gegenschwieger Agnes, Weib des Michel Dieringer, bei einer Megtzer (= Metzger-, Metzel)-Suppe in ihrem eignen Haus von ihrem Pulver und Salbe in ein besonderes Süpplein, weil sie etwas später kam, getan, so dass sie aussiechte (= dahinsiechte) und starb.
9) Dem Matthes Ackhermann hab sie ein Züsentlin (= stark gewürzte, süsse Brühe) gekocht, in sein Haus gebracht, von ihrer Salbe darein geschmiert. Davon sei er, nachdem er's gegessen, krank geworden, dahingesiecht und gestorben.
10) Dem Klobenmacher Friedrich Schreckh hab sie aus Feindschaft, weil er dem Sohn ihrer Tochter seine Buhle (= Geliebte) absetzen (= ausspannen, abspenstig machen) wollte, etliche Äpfel mit ihrer Salbe beschmiert und zugestellt und von ihrem Pulver in das Angesicht geblasen und ihm dadurch seine abscheuliche Krankheit verursacht.
11) Dem Conrad Missel hab sie einmal mit der Hand, die mit ihrer Salbe beschmiert war, auf die Achsel geschlagen, weil er ihre Tochter bezichtigen wollte, sie habe mit einem in Unehren zugehalten (= geschlechtlichen Umgang gehabt). Davon habe er einen Schaden am Arm bekommen.
12) Der Maria, Caspar Dieringers Weib, hab sie vor 5 Jahren von ihrem Pulver und Salbe in ein Glas mit Wein getan. Davon sei sie sehr krank geworden und habe sie, Agnes, 3mal ihr um Gottes Willen ihr zu helfen gebeten. Sie sei der Maria 3mal mit der Hand über den Bauch hinabgefahren und habe gesagt: "Es ist Kot, es vergeht."
13) Dem jungen Knaben des Thoma Weiss sei sie mit ihrer beschmierten Hand über das Bäuchlein hinabgefahren, dass er davon krank wurde und bald starb.
14) Dem Töchterlein der Witib des Eberhard Kleyber hab sie unlängst in einer Milch von ihrem Pulver zu essen gegeben. Davon sei es krank geworden.
15) Das Weib des Schlossers Leonhard Frickh hab sie, als man die Unholden (= Hexen) von Ohmenhausen neulich justificierte (= hinrichtete), mit ihrer geschmierten Hand auf den Arm geschlagen und den geklagten Schaden zugefügt.
16) Ebenso hab sie dem Schuhmacher Hans Heerenman unlängst auf dem Rathaus mit ihrer Hand auf die Achsel geklopft und ihm den vorgegebenen Schaden zugefügt.
(17) Zuletzt hat sie bekannt, dass ihre Tochter Anna vor 1 1/2 Jahren ihr geklagt habe, sie sei von dem leidigen Teufel verführt worden und hinter das Hexenwerk (= in das Hexenwerk hinein) gekommen.

II. Ihre Tochter Elisabetha hat bekannt,
1) dass vor ungefähr 8 Jahren der böse Geist in Gestalt eines Soldaten in ihrem Weingarten in der Hegwiese zu ihr gekommen sei, sich Johannes genannt und sie beschlafen habe.
2) Sie habe sich ihm leibeigen ergeben und Gott absagen müssen.
3) Dieser ihr Buhle habe ihr auch Pulver und Salben zugestellt, Leut und Vieh damit anzugreifen, zu beschädigen und umzubringen.
4) So habe sie dann ihre 2 eignen Kühe mit der Salbe beschmiert und umgebracht.
5) Sie habe ihren eigenen Mann Ludwig Dieringer am rechten Schenkel mit der Teufels-Salbe beschmiert. Davon habe er eine unheilbare Krankheit bekommen und habe daran gleichsam einen täglichen Kalender.
6) Der Agnes, Weib ihres Sohnes Michel, hab sie vor 3 Jahren ein Kind, das ungetauft gestorben, aus einem Lädlein, worin man es begraben wollte, genommen, dem bösen Geist gegeben, daraus Pulver zu machen, und dafür einen Stein in das Lädlein gelegt, den man anstatt des Kinds vergraben habe.
7) Vor 5/4 Jahren an dem Bürgermeister-Tag hab sie auf starkes Antreiben des leidigen Teufels ihrem eignen 8jährigen Kind von dem Pulver in eine Suppe getan. Davon sei es nach 3 Tagen gestorben.
8) Dem Klotzbeck hab sie auch eine Kuh mit ihrem gesalbten Stecken geschlagen. Davon sei sie gestorben.
9) Der Magd des Weissgerbers Jacob Kurtz hab sie im vergangenen Sommer etliche Birnen verehrt, Pulver darein getan, von welchen sie, nachdem sie sie gegessen, krank wurde.
10) Mit ihrem Buhlen, dem leidigen Satan, hab sie 8mal teuflische Unzucht getrieben.
11) Sie sei auf einem Stecken zu einem Unholden-Tanz in Ringelbach hinausgefahren. Dabei seien ihre Schwester Anna und des Güpfelins Katharina, auch der Spielmann, ein Pfeifer von Eningen, gewesen.
12) Dergleichen Tänzen haben sie auch auf der Hegwies, dem Steinenberg und dem Säumarkt in der Stadt beigewohnt.
13) Die Maria, Caspar Dieringers Weib, hab sie unlängst mit der Ofengabel auf die Hand geschlagen, dass selbige davon geschwollen sei.

III. Anna, Das Weib des Ludwig Bidermann, ist urgichtig (= geständig) gewesen,
1) dass sie vor 2 Jahren in der Ernt vom Teufel auf ihrem Acker bei der Armenwiese in Gestalt eines Manns in weissen Hosen und schwarzem Wams, der sich Michel nannte, leider verführt wurde.
2) Sie habe mit ihm gleich damals in dem Hohlweg schändliche Unzucht getrieben, weil er ihr hingegen (= dafür) versprochen habe, ihr von ihrer damaligen Krankheit zu helfen.
3) Sie hab sich ihm ergeben, Gott und der heiligen Dreifaltigkeit abgesagt.
4) Gleichfalls habe sie Salben in einem Büchslein und Pulver in einer Guckhausen (= Gucke, Tüte) von ihrem Buhlen empfangen, den Leuten damit zu vergeben und Schaden zuzufügen.
5) So habe sie unlängst ihrer Nachbarin, dem Weib des Becken Jacob Schäffer, ein wenig solchen Pulvers im Beisein ihres Bubs in ein gebranntes Breilein getan, wovon sie'diese erschreckliche Krankheit bekam.
6) Dem Töchterlein des Endres Weiss hab sie um vergangene Fasnacht im Haus des Jacob Weiss bei dem Karz etliche Schnitz gegeben, die mit ihrer Salbe geschmiert (= bestrichen) waren. Davon bekam das Kind eine abscheuliche Krankheit.
7) Ihr Buhle Michel sei wiederholt zu ihr in ihr Haus gekommen und habe Unzucht mit ihr getrieben. Das sei besonders nach den Tänzen auf dem Säumarkt geschehen.
8) Ferndig Jahrs (= Im vorigen Jahr) um die Ernt habe sie neben ihrer Schwester Elisabetha und des Güpffelins Katharina auf dem Säumarkt bei Nacht einem Unholden-Tanz beigewohnt.
9) Endlich haben sie und ihre Buhlen samt ihren Gespielen (= Genossinnen) auch im Ringelbach beim Ummacherlin +) einen Tanz gehalten und nach Vollendung des Tanzes miteinander gegessen und getrunken. Den Wein hab ihr Buhle aus ihrem und ihrer Schwester Elisabetha Keller geholt.

IV. Schliesslich hat das Weib des Jerg Vodin, genannt die Güpffelins Katharina, bekannt:
1) Vor ungefähr 6 Jahren sei der böse Geist in dem Wäschhaus, als sie voll Unmuts war, zu ihr gekommen und habe ihr zugemutet, sie solle sich ihm ergeben, dafür wolle er ihr von dem Kreuz und der Last, die sie wegen des zehrhaften Wesens und Lebens ihres Mannes gehabt habe, auch sonst so hart schaffen und sich übel habe nähren müssen, abhelfen.
2) Dem habe sie sich dann leider ergeben und Gott abgesagt.
3) Sie habe mit ihrem Buhlen, der Gräslen hiess, Unzucht getrieben.
4) Von ihm darauf Salben und Pulver empfangen, um Leuten und Vieh Schaden zu tun und sie umzubringen.
5) Das habe sie auch treulich befolgt und bald darauf ihrem Mann Peter Ammer von dem Pulver in eine Suppe getan, dass er davon 3 Jahr siechte und schliesslich starb.
6) Ihrem 2. Mann hab sie gleicherweise mit dem Pulver vergeben, dass er davon hinsiechte.
7) Den Lorenz Herdtwick habe sie vor kurzem mit ihrer Salbe so angegriffen, dass er wenig Tage hernach elendiglich starb.
8) Sie sei auf einem mit ihrer Salbe geschmierten Stecken bei Nacht zu den Unholden-Tänzen gefahren und habe diesen neben ihren beiden Mitverhafteten Elisabetha und Anna beigewohnt.

Aus dem allem erhellt übergenugsam, dass die 4 armen Sünderinnen schreckliche Übeltaten begangen haben. Obwohl solche Missetaten so beschaffen sind, dass sie billig (= mit Recht) streng gestraft werden sollen, so haben Bürgermeister und Rat der Reichsstadt Reuttlingen aus allerhand beweglichen Ursachen die Milde der Strenge vorgezogen und darauf mit Urteil zu Recht erkannt, dass die 4 Sünderinnen von dem Scharfrichter zum Tor gegen das Hochgericht hinausgeführt, dort mit dem Schwert ihre Häupter abgeschlagen, sie vom Leben zum Tod gebracht und dann ihre Körper mit Feuer zu Pulver und Asche verbrannt werden sollen, ihnen zu wohlverdienter Straf, andern aber zu abscheulichem (= abschreckendem) Exempel - alles nach der peinlichen Halsgerichtsordnung, kaiserlichem und des Reichs Recht.

Archivaliensignatur
A 2 f (Hexenprozesse) Nr. A 2 f (Hexenprozesse) Nr. 7763
Umfang
9 S.
Formalbeschreibung
Beschreibstoff: Pap.
Sonstige Erschließungsangaben
Bemerkungen: +) Ummacherle = Gespenst zwischen Reutlingen und Gaisbühl, wo 5 Wege zusammentreffen
vgl. OABeschr. Reutlingen I S. 161

Genetisches Stadium: Or.

Kontext
Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 23-25) >> Bd. 23 Hexenprozesse
Bestand
A 2 f (Hexenprozesse) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 23-25)

Laufzeit
1633 Oktober 18

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Letzte Aktualisierung
20.03.2025, 11:14 MEZ

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Entstanden

  • 1633 Oktober 18

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