Feldpostbrief

Rudolf Emmerich an seine Eltern(?) am 15.09.1915 (3.2011.3532)

(nach Meinigen) Im Graben 15.9. Eine Stunde vor dem Abrücken in den Graben kam die stattliche Knackwurst an, also gerade zur rechten Zeit. Ich leiste mir jeden Tag ein Stück und denke dann beim Rauch einer duftigen Zigarette, mich lang ausstreckend auf der Holzwolle unsers Unterstandes, der vergangenen Zeiten. Die letzten Wochen in Meiningen. Und dann zieht meine ganze „Jugend“ an mir vorüber. Die Schule mit ihrem Lehrern, die Wintersonntage in Oberhof, die Frühlingstage in unsern Wäldern. O, wie sehne ich mich danach! Man hat nämlich zu viel freie Zeit u. dadurch zu viel Zeit an die Heimat zu denken. Als Muschkote in Rußland mußte ich alle paar Stunden Posten stehen, die übrige Zeit schlief, aß oder schrieb man. Hier als Vize habe ich nun gar nichts zu tun, u. selbst das ewige Lesen bringt einen nicht über die Heimatgedanken weg. Die Zeitung ist schnell gelesen; u. dann habe ich schon alle Hintertruppen – und Verbrecherromane geschmöckert, die ich in de n Unterständen auffinde. Dann tausche ich mit dem Unteroffizier, mit dem ich zusammen liege, Heimatsgedanken aus, u. die rührselige Stimmung ist fertig. Der Utoff. Ist ein echter Sozialdemokrat, u. wir krampeln uns gerne ein bischen. Es schimpft immer: da faullenzt man nun hier rum u. stiehlt dem lieben Gott die Zeit, u. zu Hause könnte man so schön arbeiten. Da hat er ja recht; das liegt aber daran, daß unsre Stellung vollständig ausgebaut ist. Wir haben 3 Gräben hinter einander. Zwischen dem 2. u. 3 eine kleine Bahn, auf der mit Loren Bretter, Eisenbahnschwellen u. alles Notwendige rangefahren wird. Die ganzen Unterstände werden hinten zusammen gesetzt, u. fertig ist die Laube. Unsrer jetzt ist sogar mit Tuch ausgeschlagen, eine Schiebetür dran. Lichter kann man sich in Menge in der Kantine kaufen. Also ganz luxuriös. Bei schönem Wetter steigt man hinten aus dem Graben u. legt sich in die Sonne, während oben im blauen Äther ein paar Flieger Kunstflüge machen, um den um sie herumplatzenden Schrapnells auszuweichen. Wir liegen bei Nacht im 2. Graben, bei Tage im 3. Während der vorderste Graben kein Artilleriefeuer bekommt, schicken sie uns immer mal dann u. wann ein paar „Möbelwawagen“ u. „Musterkoffer“ rüber, wie hier die „Schweren“ genannt werden. Vorhin waren unter 5 Schüssen 2 Blindgänger, da haben wir uns aber eins gelacht. Herzl. Gr. Rudi

Urheber*in: Emmerich, Rudolf / Rechtewahrnehmung: Museumsstiftung Post und Telekommunikation | Digitalisierung: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

In copyright

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Location
Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Inventory number
3.2011.3532
Material/Technique
Papier

Related object and literature
Online-Präsentation zum Schreiben in Kriegsgefangenschaft
Teil von Collection ID3.2011.3532: Rudolf Emmerich - 22 Briefe - August 1914 bis August 1916 - 3.2011.3532

Subject (what)
FELDPOST

Event
Herstellung
(who)
Rudolf Emmerich
(where)
Unbekannter Ort (Westfront)
(when)
15.09.1915

Rights
Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Last update
15.04.2025, 1:55 PM CEST

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Object type

  • Feldpostbrief

Associated

  • Rudolf Emmerich

Time of origin

  • 15.09.1915

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