Archivbestand

MWF Reaktorbau NW 0176 (Bestand)

Reaktorbau (Organisation und Reaktorbau, Reaktor DIDO, Reaktor MERLIN, Zeichnungen und Pläne)

Form und Inhalt: Vorbemerkung

Die Gruppe Reaktorbau
Die Geschichte der Kernforschungsanlage Jülich (KFA) geht auf das Jahr 1955 zurück. Der Abschluß der Pariser Verträge und die UNO-Konferenz für friedliche Anwendung der Atomenergie in Genf eröffneten der deutschen Atomforschung die beschränkte Möglichkeit eines Neuanfangs. Treibende Kraft war Leo Brandt (1908-1971), seit 1953 Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft und Verkehr sowie seit 1961 Leiter des Landesamts für Forschung, der zugleich den Vorsitz der 1953 gegründeten Gesellschaft zur Förderung der kernphysikalischen Forschung e.V. (GFKF) innehatte. Angeregt durch seine Initiative schuf die Landesregierung 1955 einen Arbeitskreis für Forschung, in dem die Möglichkeiten der Kernforschung und -technik unter Beteiligung der Landesuniversitäten und des Bundesministeriums für Atomernergie erörtert wurden. 1956 wurde dem Ministerium für Wirtschaft und Verkehr der Auftrag erteilt, eine Konzeption für die erforderlichen Anlagen und ihren Umfang aufzustellen. Im Dezember 1956 beschloß der Landtag auf Grund eines von allen Parteien gemeinsam eingebrachten Dringlichkeitsantrages die Errichtung einer Atomforschungsanlage des Landes Nordrhein-Westfalen. Für die Errichtung der Anlage war das atomrechtliche Genehmigungsverfahren erforderlich, das auch das konventionelle Bauaufsichtsverfahren für die Nebengebäude einschloß. Zunächst unterlag alle Betätigung auf dem Gebiet der Atomenergie in Deutschland noch den Vorschriften des aus der Besatzungszeit stammenden Gesetzes Nr. 23 der Alliierten Hohen Kommission (Überwachung von Stoffen, Einrichtungen und Ausrüstungen auf dem Gebiet der Kernenergie).
Am 13. Februar 1958 trat das Landesgesetz zur vorläufigen Regelung der Errichtung und des Betriebes von Atomanlagen in Kraft, das dem Land den Bau von Forschungsreaktoren gestattete. Die Bauführung hatte sich nach einem gesetzlich geregelten behördlichen Verfahren, dem sogenannten Befreiungsverfahren, zurichten.
Dieses Landesgesetz wurde von dem am 31.12.1959 verkündeten Bundesatomgesetz abgelöst.
Im Jahr 1958 war die Planung für den Materialprüfreaktor DIDO und den Forschungsreaktor MERLIN bis zum Stadium der Baudurchführung gediehen. Der Stetternicher Forst bei Jülich wurde zum Standort bestimmt. Da das Land keine geeigneten Fachkräfte zum Aufbau von Kernreaktoren besaß, trat es im Frühjahr 1958 mit der Bitte um Amtshilfe an die Stadtwerke Düsseldorf heran, die sich bereits mit Fragen der Kernenergie befaßt hatten. Am 1. Mai 1958 wurde eine Sondergruppe der Stadtwerke Düsseldorf als "Arbeitsgruppe Reaktorbau" des Landes gebildet. Ihr oblag die Durchführung des Bauvorhabens mit allen Rechten und Pflichten als Bauherr.
Während ihres Bestehens war die Arbeitsgruppe Reaktorbau verschiedenen Ministerien unterstellt:
1.5.- 2.12.1958 Minister für Wirtschaft und Verkehr III RB
3.12.-28. 2.1959 Kultusminister I RB
1.3.- 9. 7.1959 Kultusminister IV R
10.7.-30.11.1959 Kultusminister I/1 R
1.12.59-31.3.61 Kultusminister IV-R
1.4.61-22.10.63 Ministerpräsident IV R

Aufgaben der Arbeitsgruppe Reaktorbau
1. Die technische Beurteilung und Prüfung von Angeboten und Aufträgen, sowie deren Durchführung.
2. Beschaffung der für das Befreiungsverfahren nötigen Unterlagen.
3. Die rechnerische und abrechnericch-technische Überwachung der Aufträge.
Bei der Durchführung dieser Aufgaben standen Fachberater der AEG zur Verfügung, die hauptsächlich die Aufgaben der Stadtwerke übernahmen und in beratender Funktion neben die Sachbearbeiter traten. Die Oberbauleitung der AEG in Frankfurt richtete zu diesem Zweck eine örtliche Bauleitung in Jülich ein. Mit der Übernahme durch den Kultusminister (1958) wurde der Gruppe auch das An- und Hochfahren der Reaktoren übertragen. Die GFKF ordnete daher zum Zweck der Ausbildung vom 1.12.1958 bis zur Übergabe der Reaktoren am 22.10.1963 Mitarbeiter der Betriebsgruppe zur Dienstleistung bei der Gruppe Reaktorbau ab.
Die Leitung der Betriebsgruppe war Dr. Fassbender (technische Leitung) und Dr. Porschen (wissenschaftliche Leitung) anvertraut worden. In dieser Zeit der Zugehörigkeit zur Gruppe Reaktorbau wuchs die Betriebsgruppe von 15 auf 160 Kräfte an, doch hat sie nur in sehr geringem Umfang Akten produziert (Az. 4000). Dokumentiert wurden allein die Reiseberichte der Betriebsgruppe (Nrr. 307-311).

Personelle.Besetzung der Arbeitsgruppe Reaktorbau
Die Gruppe war aus technischen und kaufmännischen Mitarbeitern der Stadtwerke Düsseldorf und einigen Angehörigen von AVR-Mitgliedsunternehmen gebildet worden. Sie wurde von nebenamtlichen Fachberatern der Stadtwerke Düsseldorf unterstützt.
Leitung:
Generaldirektor: Dr. Engel, 1. Vertr.: Direktor Dr. Cautius, 2. Vertr.: Betriebsdirektor von Weihe
Mittelbewirtschaftung: 1. Direktor: Dr. Kleefisch, 2. Stellvertretender Direktor: Klinger
Technisches Sachgebiet: Sachbearbeiter: Willenrath, Vertreter: Nebgen
Befreiungsverfahren: Sachbearbeiter: Dr. Heimann, Vertreter: Schmidt
Zur Unterstützung der Arbeitsgruppe ist Dr. Marnet (Stadtwerke Düsseldorf) eingesetzt worden. Ihm oblag im Auftrag der Leitung die Bearbeitung sämtlicher Organisationsfragen und die Koordinierung aller an die Arbeitsgruppe herangetragenen Vorgänge. Alle Postein- und -ausgänge waren ihm zur Kenntnisnahme und Abzeichnung vorzulegen.
Der Personalstand der Gruppe Reaktorbau hatte in den verschiedenen Phasen folgende Entwicklung:
1958: 12 Mitarbeiter
1959: 17 Mitarbeiter
1960: 18 Mitarbeiter
1961: 17 Mitarbeiter
1962: 17 Mitarbeiter
1963: 14 Mitarbeiter
Die Aufgabe der Gruppe Reaktorbau war mit dem Anfahren und der vollen Inbetriebnahme der Anlage abgeschlossen. Das Anfahren des Reaktors MERLIN erfolgte in alleiniger Verantwortung der englischen Firma AEI - John Thompson Nuclear Energy Company Limited, Knutsford (danach The Nuclear Power Group - TNPG), die den Reaktor entwickelt und den gesamten Primärteil geliefert hatte. Von deutscher Seite wurde Dr. Porschen von der Gruppe Reaktorbetrieb beteiligt. Die Inbetriebnahme von DIDO erfolgte ohne englische Beteiligung unter der Leitung von Dr. Engel und Dr. Fassbender.
An 22. Okt. 1963 wurde die Anlage an die Kernforschungsanlage Jülich (KFA) e.V. übergeben. Nach Abwicklung aller danach noch anfallenden Verwaltungsarbeiten wurden die Akten der nunmehr aufgelösten Gruppe Reaktorbau am 16.1.1969 aus dem Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten an das Landesamt für Forschung abgegeben. Seit dessen Eingliederung in das Ministerium für Wissenschaft und Forschung (28.7.1970) sind die Akten dort bis zur Abgabe an das Hauptstaatsarchiv bei der Abteilung IV geführt worden. Am 19.1.1973 ist der Bestand in 772 Stehordnern an das Hauptstaatsarchiv abgegeben
und hier unter der Acc.-Nr. III 4/73 akzessioniert worden.

Bestandsbeschreibung
Der verzeichnete Bestand umfaßt 398 Archiveinheiten aus den Jahren 1955 - 1968, mit Schwerpunkt in der Zeit 1958 - 1963, also der eigentlichen Bauzeit. Erfaßt sind neben der Organisation der Gruppe Reaktorbau die Planung und der Bau der Anlage sowie der Reaktoren. Die Bauakten für DIDO sind umfangreicher, da für ihn nur die Zeichnungsunterlagen und die Dienste der HWP gekauft, der Reaktor selbst und seine Einzelteile aber von deutschen Firmen gefertigt wurden. Zum Reaktor MERLIN sind weniger Akten angefallen, da er geschlossen bei AEI John Thompson in England gekauft wurde. Nur der Sekundärkreis und die Nebenanlagen sind von deutschen Firmen geliefert worden.
Baupläne und Detailzeichnungen sind grundsätzlich bei den Sachakten geblieben. Zur Durchführung des Befreiungsverfahrens war außerdem eine umfangreiche Sammlung von Plänen entstanden, die bei dem Bestand geblieben ist. Zur Erschließung dienen die meist englischsprachigen Verzeichnisse, die den Archiveinheiten entnommen und in dem Band NW 176 - 313 vereinigt worden sind. Auf eine nähere Beschreibung konnte bei der Verzeichnung daher verzichtet werden. In der rechten freien Spalte jedes Verzeichnisses wurde mit Rot die gültige Archivsignatur vermerkt; alle rot abgehakten Nummern sind vorhanden, die übrigen Zeichnungen fehlen. Bei der Kassationsentscheidung galten folgende Gesichtspunkte: Der Bau und die technische Einrichtung wurden dokumentiert, ebenso wie der Beginn der wissenschaftlichen Arbeit. Kassiert wurden - neben Dubletten - Akten zum Unterhalt des Baus, zu Lohnkosten, Kehrkosten beauftragter Firmen, TÜV-Berichte (nicht die Korrespondenz) sowie Angebote nicht berücksichtigter Firmen.
Innerhalb der Überlieferung aus den Landesministerien und -behörden kann mit einer z.T. erheblichen Doppelüberlieferung gerechnet werden. Die Gruppe Reaktorbau mußte die Unterlagen für jeden Anlageteil in 15-facherAusfertigung an den Minister für Arbeit und Soziales einreichen. Dieser beteiligte folgende Ressorts: Inneres, Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft sowie Wiederaufbau mit jeweils nachgeordneten Behörden. Ferner waren der Regierungspräsident Aachen und die Kreisbehörden beteiligt, die sich z.T. außenstehender Gutachter und staatlich anerkannter Prüfer bedienten.
Neben den zu erwartenden Betreffen in diesen Überlieferungen ist namentlich auf den Bestand NW 245 "Kernforschungsanlage Jülich" vom Ministerium für Wohnungsbau und öffentliche Arbeiten (Findbuch 380.05) hinzuweisen, sowie auf den - allerdings noch z.T. gesperrten - Nachlaß Leo Brandt (Findbuch 450.00).
Der Bestand wurde von Januar - Juni 1984 von Staatsarchivrat Dr. Renger verzeichnet. Das Findbuch schrieb Frau Reefschläger.
Nr. 52, Nr. 75 und Nr. 318 sind nicht belegt.

Literatur:
Jürgen Brautmeier, Forschungspolitik in Nordrhein-Westfalen 1945-1961. Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens Band 10, Düsseldorf 1983 (dort ältere Literatur)
Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945-1975. Hamburg 1983.

Bestandssignatur
NW 0176 335.04.00
Umfang
395 Einheiten; 57 Kartons
Sprache der Unterlagen
German

Kontext
Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland (Archivtektonik) >> 4. Oberste und obere Landesbehörden NRW >> 4.2. Oberste Landesbehörden >> 4.2.58. Ministerium für Wissenschaft und Forschung >> 4.2.58.10. Kernforschung

Bestandslaufzeit
1955-1968

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Letzte Aktualisierung
17.09.2025, 13:26 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1955-1968

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