Grafik
Pyramus und Thisbe
Vor einer weitläufigen Landschaft spielt sich ein erregendes Geschehen ab: Durch einen Schwertstoß in die Brust niedergestreckt liegt rechts ein junger Mann. Links vor ihm, in die Knie gebrochen, eine Frau. Sie reckt klagend die gespreizten Arme empor; auch ihr trauerndes Antlitz ist gen Himmel gewandt. Der Baum hinter ihr wiederholt mit Stamm und Geäst ihre Haltung und Gebärde. - Die Unterschrift erläutert das Geschehen: Es handelt sich um den Anfang vom Ende der Geschichte von Pyramus und Thisbe, einem sagenhaften babylonischen Liebespaar. Ovid erzählt sie im vierten Buch seiner Metamorphosen (*): Die Väter wollen die Verbindung der beiden Liebenden verhindern. Pyramus und Thisbe verabreden daraufhin ein Treffen an einem Brunnen vor den Toren der links im Hintergrund liegenden Stadt. Thisbe trifft zuerst ein, muß aber vor einem Löwen fliehen, der den von Thisbe verlorenen Schleier zerreißt, das Maul noch blutig von einem zuvor gerissenen Rind. Als Pyramus eintrifft und Thisbe nicht findet, wohl aber deren von Blut roten Schleier in den Fängen des Löwen, wähnt er sie tot und ersticht sich aus Verzweiflung. Thisbe, zurückgekehrt, findet den sterbenden Geliebten und folgt ihm in den Tod. - Dolendo hat die antike Erzählung in eine mitteleuropäische Hügellandschaft versetzt und die reiche Kleidung der Liebenden der Mode des frühen 16. Jahrhunderts angeglichen. Auch das an einem Ast des linken Baumes hängende Täfelchen mit Monogramm und Datum wirkt altertümlich. Die Geschichte selbst war zu seiner Zeit außerordentlich lebendig und beliebt. Das Thema von Liebe, Treue und Tod hat zu zahlreichen literarischen und künstlerischen Bearbeitungen geführt. Während die bildlichen Darstellungen sich zumeist auf die Totenklage der Thisbe beschränken , malen die Literaten den Stoff aus: Bereits die siebenjährigen Kinder hätten einander geliebt, Pyramus habe den Löwen getötet, Thisbe sei eine Königstochter und so fort. - Die „Überspannung des sentimentalen Elements“ dieser rührenden Geschichte findet in Dolendos Stich einen Höhepunkt. Denn hier drückt nicht nur die pathetische Gebärde der Thisbe Trauer aus; vielmehr artikuliert die gleichartige des Baumes „compassio“, das heißt Mitleiden: Selbst die Natur trauert über den Tod des Pyramus. Eben diese „Überspannung“ führte dazu, dass diese Geschichte vorbildlicher Liebe und Treue ins Groteske umschlagen konnte. Wenige Jahre vor Dolendos Stich, 1594/95, verspottete Shakespeare im Sommernachtstraum am Beispiel von Pyramus und Thisbe die pathetischen und bombastischen Wiedergaben des Stoffes auf dem Theater. Etwas von diesem Theaterdonner vermittelt auch Dolendos Stich.
- Standort
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Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der Universität, Göttingen
- Inventarnummer
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D 3587
- Maße
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Höhe: 200 mm (Blattmaß)
Breite: 245 mm (Blattmaß)
- Material/Technik
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Papier; Kupferstich
- Inschrift/Beschriftung
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Aufschrift: Pyrame, non Thisbe...et illa vacet. (Bildunterschrift )
Marke: Göttinger Bibliotheksstempel
Aufschrift: BDO (ligiert)/ 1600 (Linke Bildhälfte, im aufgehangenen Schild. Monogramm des Künstlers und Datierung der Platte)
- Verwandtes Objekt und Literatur
- Klassifikation
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Zeichnung/Grafik (Hessische Systematik)
Kupferstich (Oberbegriffsdatei)
- Bezug (was)
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Trauer
Löwe
Brunnen
Selbstmord
Hügelland
die Geschichte von Pyramus und Thisbe
die vormals weißen Maulbeeren werden rot, weil sie durch das Blut von Pyramus und Thisbe gefärbt worden sind (Ovid, Metamorphosen IV 158)
- Ereignis
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Entstehung
- (wann)
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1600 (Datierung der Platte)
- Ereignis
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Herstellung
- Förderung
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Die Digitalisierung wurde gefördert durch die Deutsche Digitale Bibliothek aus Mitteln des Programms „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
- Letzte Aktualisierung
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24.04.2025, 12:58 MESZ
Datenpartner
Kunstsammlung der Universität Göttingen. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Grafik
Beteiligte
Entstanden
- 1600 (Datierung der Platte)