Bestand
OKW / Sonderbeauftragter für Überprüfung des zweckmäßigen Kriegseinsatzes (OKW/Stab z.b.V.) (Bestand)
Geschichte des
Bestandsbildners: Angesichts der hohen Verluste an der Ostfront
und des immer schwieriger werdenden Personalersatzes für die
kämpfende Truppe, insbesondere nach dem Scheitern der deutschen
Offensive vor Moskau im Winter 1941/42 und der Notwendigkeit für
die geplante Sommeroffensive 1942, neue Divisionen aufzustellen,
verschärfte sich der Druck auf die Wehrmacht, durch eine
Auskämmung der rückwärtigen Wehrmachtdienststellen die an der
Front entstandenen Lücken aufzufüllen. Hinzu kam das generelle
Bestreben Hitlers und der nationalsozialistischen Führung,
Etappenerscheinungen, die nach ihrer Überzeugung entscheidend
zur deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg beigetragen hatten,
um jeden Preis zu verhindern.
Auf
Initiative des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht,
Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, ernannte Hitler am 4. Mai
1942 den General der Infanterie Walter von Unruh zum Kommandeur
eines OKW-Stabes z.b.V. und zu seinem Sonderbeauftragten in den
Reichskommissariaten Ostland und Ukraine. Damit hatte Keitel,
dem es vor allem darum ging, die Autonomie der Wehrmachtteile
bei der Personalbewirtschaftung zugunsten des OKW
einzuschränken, erreicht, dass von Unruh als unmittelbarer
Beauftragter des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht dem
Einfluss der Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile entzogen war,
von Unruh ihm aber gleichzeitig als Kommandeur eines OKW-Stabes
unterstellt blieb. Der Stab bestand neben General von Unruh mit
einem Adjutanten und einem Ordonnanzoffizier aus Vertretern von
NSDAP und SS, zwei Schreibern und fünf Fahrern.
Von Unruh, ein hochdekorierter Offizier des
Ersten Weltkriegs, war 1927 im Range eines Generalmajors
zunächst aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Nach seiner
Reaktivierung 1938 und Ernennung zum Generalleutnant war er als
Kommandant des rückwärtigen Armeegebiets 559 der 4. Armee im
Bereich der Heeresgruppe Mitte eingesetzt. Seine Tätigkeit als
Auskämmkommissar, die ihm den Beinamen "General Heldenklau"
einbrachte, begann er im Mai 1942 in Riga. Nachdem er bis Anfang
Juli 1942 die Auskämmaktion in den beiden Reichskommissariaten
erfolgreich abgeschlossen hatte, erteilte ihm Hitler am 11. Juli
den Auftrag zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit im
Generalgouvernement. Gleichzeitig wurde er zum General der
Infanterie befördert.
Als im Herbst 1942
die deutschen Truppen zunehmend in die strategische Defensive
gedrängt wurden und die Zahl der Fehlstellen beim Ostheer
dramatisch anstieg, entschied Hitler, den Wirkungskreis des
Generals von Unruh, dessen Tätigkeit sich zwischenzeitlich auf
die gesamten besetzten Gebiete und die Territorien der
Verbündeten im Osten und Südosten ausgedehnt hatte, erheblich zu
erweitern. Es sollte nun auch das Heimatkriegsgebiet in eine
umfassende Überprüfung mit einbezogen werden, bei der nicht nur
Einrichtungen der Wehrmacht, sondern auch Dienststellen von
Verwaltung und Wirtschaft auf etwaige personelle Überbesetzungen
hin untersucht werden sollten.
Die unter
Federführung der Reichskanzlei ausgearbeitete Generalvollmacht
für General von Unruh wurde von Hitler am 22. November 1942, dem
Tag der Einschließung der 6. Armee in Stalingrad, in Kraft
gesetzt. Sowohl die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtteile als
auch die Vertreter von Bürokratie und Partei hatten sich für die
von dem "Sonderbeauftragten für die Überprüfung des zweckmäßigen
Kriegseinsatzes" auszuarbeitenden Maßnahmen ein direktes
Einspruchsrecht bei Hitler gesichert. Die Zahl der ständigen
Mitglieder des OKW-Stabs z.b.V. wuchs von 13 auf 24. Zur
Jahreswende 1942/43 war er folgendermaßen zusammen
gesetzt:
o General der Infanterie Walter
von Unruh als Kommandeur
o Oberst Kurt
Kappis als Adjutant
o Generalleutnant
Hans Hoffmann als Vertreter
o Oberst Dr.
Christian Krull als Vertreter des OKW/Wehrwirtschaftsamt
o Staatssekretär a.D., Vizepräsident des
Rechnungshofes Fritz Mussehl für die Reichskanzlei
o Ministerialrat Carl Schnell für das
Reichsministerium für Bewaffnung und Munition und die OT
o SS-Standartenführer Harro With als Vertreter
des Reichsführers-SS
o
NSDAP-Bereichsleiter Otto Iffland für die Parteikanzlei
o Major Kurt Trommer als Vertreter des
Heerespersonalamts
o Regierungspräsident
a.D. Oberleutnant d.R. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg
als Vertreter des Generalbevollmächtigten für die
Reichsverwaltung (GBV)/Reichsministerium des Innern
o 14 Mann Hilfspersonal
Nachdem die Unruh-Kommission im Dezember 1942 zunächst die
Heeresfeldzeugämter in der Heimat nach "schwarzen Beständen" an
Waffen und Material, die der Ostfront zugeführt werden sollten,
durchforstet hatte, begann Anfang Januar 1943 mit der
Dienststelle des Chefs der Heeresrüstung die Überprüfung der
Obersten Reichsbehörden im Raum Berlin. Mussehl und von der
Schulenburg, die die Überprüfung maßgeblich durchführten,
stießen bei der Mehrzahl der Reichsministerien, wie etwa dem
Reichsministerium des Innern, dem Reichsjustizministerium oder
dem Reichsfinanzministerium, auf hinhaltenden Widerstand oder
sie mussten sich von vornherein, wie etwa beim Reichsministerium
für Bewaffnung und Munition, auf Kompromisse einlassen, um
überhaupt eine Überprüfung durchführen zu können. Lediglich bei
den schwächsten zivilen Stellen, wie etwa dem
Reichspostministerium, konnte die Kommission nennenswerte
Erfolge erzielen. Insgesamt war der zahlenmäßige Ertrag der
Aktion allerdings "nicht überwältigend", wie Mussehl eingestand.
In der gesamten Reichsverwaltung und ihren nachgeordneten
Behörden ließen sich bis Mai 1943 knapp 40.000 Personen
ausfindig machen, die der Wehrmacht hätten zugeführt werden
können. Schließlich wurde aber auch von diesen nur ein Teil
tatsächlich eingezogen.
Da die Tätigkeit
von Unruhs immer häufiger zu Klagen derjenigen geführt hatten,
die unmittelbaren Zugang zu Hitler hatten, wurde die
Unruh-Kommission den Weisungen des durch "Führerbefehl" vom 13.
Januar 1943 errichteten "Dreimännergremiums", und hier vor allem
Keitel unterstellt. Goebbels, der bei der Errichtung des
"Dreimännergremiums" übergangen worden war, versuchte, die
Unruh-Kommission für seine Zwecke zu instrumentalisieren und
über sie Einfluss auf die Mobilisierungsmaßnahmen zu nehmen. Als
von Unruh jedoch im Februar die Überprüfung des
Propagandaministeriums in Angriff nahm, geriet er mit seinem
Protektor aneinander. Nachdem der General daraufhin die weitere
Überprüfung der Berliner Behörden seinen Verwaltungsfachleuten
Mussehl und von der Schulenburg überlassen und sich selbst den
Wehrmachtdienststellen in Süddeutschland gewidmet hatte, erhielt
er mit "Führerbefehl" vom 10. Mai 1943 den Auftrag, die
Militärverwaltungen und Feldkommandanturen in den besetzten
Gebieten im Westen und Nordwesten zu überprüfen. Treibende Kraft
bei dieser Entscheidung Hitlers war offensichtlich wiederum
Goebbels gewesen, der sicherstellen wollte, dass die
Unruh-Kommission in der Heimat vorerst nicht mehr in Erscheinung
trat.
Im besetzten Frankreich führte das
unüberschaubare Kompetenzwirrwarr der konkurrierenden
Dienststellen zu einem weitgehenden Scheitern der Auskämmaktion.
Anfang August 1943 kehrte der Stab nach Berlin zurück. Nachdem
von Unruh mit Goebbels die letzte große Stütze in der
Führungsriege der Nationalsozialisten verloren hatte, hatte sich
eine zunehmende Lähmung des Stabes bemerkbar gemacht. Spätestens
seit der Sitzung des "Dreimännergremiums" vom 20. August 1943
war allen Mitgliedern klar, dass die Unruh-Kommission ihrem Ende
entgegen ging. Vom Herbst 1943 an begannen einige Mitglieder,
sich von dem Stab in ihre alten Dienststellen abzusetzen.
Trotz der ungünstigen Voraussetzungen setzte
die Unruh-Kommission im Februar 1944 ihre Arbeit im besetzten
Norditalien fort, wo sie sich wiederum mit dem
personalintensiven Kompetenzüberschneidungen der verschiedenen
Dienststellen konfrontiert sah. Mitte Februar wurde von Unruh
von Generalfeldmarschall Keitel nach Berlin zurückbeordert und
mit der Überprüfung des Ersatzheeres beauftragt. Von Unruh, der
damit endgültig vom Sonderbeauftragten des "Führers" zum
einfachen Beauftragten des OKW abgesunken war und der die
Sinnlosigkeit dieses Unternehmens klar erkannte, bat um seinen
Abschied. Bis Ende Juni 1944 musste er jedoch seine Reisen durch
die Wehrkreise fortsetzen, ehe schließlich am 28. August 1944
die Anordnung Hitlers vom 22. November 1942 förmlich
zurückgenommen und von Unruh in den Ruhestand versetzt
wurde.
Bearbeitungshinweis: Der
Bestand wurde erschlossen, in die Datenbank BASYS-S eingegeben
und mit einer Klassifikation versehen. Sowohl bei den Akten als
auch bei den Personenindizes wurde als Akten- bzw.
Bandfolgentitel der jeweilige Geschäftsbereich gewählt. Um ein
leichteres Auffinden der Vielzahl der überprüften Behörden,
Dienststellen und Institutionen zu gewährleisten, erfolgte eine
tiefere Erschließung anhand von Enthält-Vermerken. Über Hinweise
in den Bemerkungsfeldern wird auf den zu einer Akte jeweils
zugehörigen Personenindex bzw. auf die zu einem Personenindex
gehörenden Akten verwiesen.
Es wurden
keine Kassationen vorgenommen.
Eine im
Bestand fehlende Akte zum Geschäftsbereich des
Reichsverkehrsministeriums (RW 42/81) konnte teilweise durch
eine Kopie aus dem Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, das
die Unterlagen in Auswahl im Geheimen Staatsarchiv verfilmt
hatte, ersetzt werden.
Bestandsbeschreibung: Die
Akten wurden am 6. Juni 1946 aus dem Gebäude Potsdamer Straße 24
(Bezirk Tiergarten), dem Dienstsitz der Unruh-Kommission in
Berlin, geborgen. Sie gelangten zunächst in das Geheime
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem und
wurden dort als Bestand Rep. 312, Sonderbeauftragter zur
Ermittlung des Wehrmachtersatzes, geführt. Im Geheimen
Staatsarchiv wurde der überwiegende Teil der Akten durch die
oben genannten Personenindizes erschlossen.
Im Zuge der archivalischen "Flurbereinigung" wurde der
Bestand 1969 an das Bundesarchiv-Militärarchiv in Feiburg i. Br.
übergeben und erhielt dort die Signatur RW 42,
Sonderbeauftragter für die Überprüfung des zweckmäßigen
Kriegseinsatzes (OKW Stab z.b.V.). Anschließend wurden die
Unterlagen als Dauerleihgabe dem Bundesarchiv in Koblenz
überlassen, wo die so genannte "Sammlung Unruh" als
archivalisches Hilfsmittel wegen der enthaltenen
Geschäftsverteilungspläne im Findmittelraum deponiert wurde.
Gemeinsam mit der Abteilung Deutsches Reich gelangte der Bestand
Anfang der 90er Jahre zunächst nach Potsdam und anschließend
1996 nach Berlin-Lichterfelde, wo er wiederum im Findmittelraum
verwahrt wurde. 2002 wurde er schließlich an das
Bundesarchiv-Militärarchiv zurückgegeben.
Inhaltliche
Charakterisierung: Der Bestand setzt sich aus 47 Akten und 34
Karteikästen zusammen.
Die Akten sind in
der ersten Hälfte des Jahres 1943 im Zusammenhang mit der
Überprüfung der Behörden im Berliner Raum entstanden. Die
Unterlagen enthalten vor allem Geschäftsverteilungspläne und
Personallisten der überprüften Ministerien, Behörden,
Dienststellen, Verbände und Unternehmen. In geringerem Umfang
finden sich auch Schriftwechsel zu Einzelfallprüfungen, Gesuche
um Einziehung zum Wehrdienst, Vorschläge zur Personaleinsparung
u. ä.
Die Unterlagen dokumentieren vor
allem die Arbeitsweise und den Wirkungskreis der
Unruh-Kommission. Darüber hinaus können sie als
Ersatzüberlieferung für fehlende Organisationsunterlagen
herangezogen werden. Allerdings sind hierbei aufgrund des
Entstehungszusammenhangs (schwindender Einfluss von Unruhs,
Interessengegensätze zwischen überprüften Dienststellen und
Unruh-Kommission, passiver Widerstand der Reichsministerien)
strenge quellenkritische Maßstäbe anzulegen.
Bei den Karteikästen handelt es sich um Personenindizes zu
dem Großteil der einzelnen Geschäftsbereiche. Sie sind nach dem
Krieg im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
archivisch erstellt worden.
Erschließungszustand:
Online-Findbuch
Zitierweise: BArch RW
42/...
- Reference number of holding
-
Bundesarchiv, BArch RW 42
- Extent
-
81 Aufbewahrungseinheiten; 3,5 laufende Meter
- Language of the material
-
deutsch
- Context
-
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (1867/1871-1945) >> Militär >> Reichswehr und Wehrmacht 1919 bis 1945/1946 >> Zentrale Einrichtungen der Reichswehr und der Wehrmacht >> Weitere nachgeordnete Einrichtungen
- Related materials
-
Verwandtes Archivgut im Bundesarchiv: R 43 II Reichskanzlei, 1919-1945
NS 6 Partei-Kanzlei der NSDAP, 1924-1945
NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer-SS, 1925-1945
R 35/252 Wehrüberwachung der Gefolgschaftsmitglieder; Überprüfung der Dienststelle durch die Kommission Unruh wegen Zurverfügungstellung von Kräften, 1941-1944
R 63/3 Überprüfung der Südosteuropa-Gesellschaft e.V. in Wien (SOEG) durch den Sonderbeauftragten zur Ermittlung des Wehrmachtersatzes General von Unruh, April 1943
RW 10/11 Liste der Erkennungszeichen der Mitglieder des OKW Stabes z.b.V. General von Unruh, 1942-1943
RM 6/384 Erlass wegen Überprüfung der Dienststellen des OKM durch General von Unruh, 18. Dezember 1942
RM 7/96 fol. 225 Anweisung an den OKW Stab z.b.V. General von Unruh wegen Überprüfung der Werftbetriebe der Kriegsmarine, 8. Oktober 1942
Literatur: Absolon, Rudolf: Die Wehrmacht im Dritten Reich. Bd. 6. Boppard am Rhein 1995. S. 321-331
Kroener, Bernhard R.: "General Heldenklau". Die "Unruh-Kommission" im Strudel polykratischer Desorganisation (1942-1944). In: Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Festschrift für Klaus-Jürgen Müller. Hrsg. v. Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber, Bernd Wegner. München 1995. S. 269-285
Kroener, Bernhard R.: Die personellen Ressourcen des Dritten Reiches im Spannungsfeld zwischen Wehrmacht, Bürokratie und Kriegswirtschaft 1939-1942. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Hrsg. v. MGFA. Bd. 5/1. Stuttgart 1988. S. 693-1001
Kroener, Bernhard R.: "Menschenbewirtschaftung", Bevölkerungsverteilung und personelle Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (1942-1944). In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Hrsg. v. MGFA. Bd. 5/2. Stuttgart 1999. S. 777-1001
Rebentisch, Dieter: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945. Stuttgart 1989. Vor allem S. 470-476
- Provenance
-
Sonderbeauftragter für Überprüfung des zweckmäßigen Kriegseinsatz (OKW Stab z.b.V.), 1942-1944
- Date of creation of holding
-
1942 - 1944
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
16.01.2024, 8:43 AM CET
Data provider
Bundesarchiv. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Associated
- Sonderbeauftragter für Überprüfung des zweckmäßigen Kriegseinsatz (OKW Stab z.b.V.), 1942-1944
Time of origin
- 1942 - 1944