Bestand

Stammbücher (Bestand)

Vorwort: Ulmer Stamm- und Freundschaftsbücher

Im protestantischen, studentischen Milieu begann man im 16. Jahrhundert mit dem Sammeln von Unterschriften berühmter Lehrer und Theologen, die oftmals noch mit Sinn- und Denksprüchen erweitert wurden. Dazu kamen Einträge von Kommilitonen, Freunden und Bekannten sowie Verwandten, die sich der gegenseitigen Freundschaft und Wertschätzung widmeten und oft durch gemalte Wappen, Allegorien, Städteansichten und Landschaften sowie durch Stiche oder Drucke illustriert und vereinzelt mit Registern versehen wurden. Die so entstanden Stamm- oder Freundschaftsbücher (album amicorum) erfreuten sich großer Beliebtheit im studentischen, adeligen wie bürgerlichen Kontext. Sie veränderten Ihre Form und ihr Aussehen im ausgehenden 18. und dann vor allem im 19. Jahrhundert hin zu den uns noch bekannten Poesie-Alben, bevor auch diese im digitalen Zeitalter durch neue Medien abgelöst werden.

Auch von Ulmer Persönlichkeiten, Männern wie Frauen, wurden solche Freundschaftsbücher seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert angelegt. Viele sind noch erhalten. Aber auch zahlreiche Exemplare auswärtiger Stammbuchbesitzerinnen und -besitzer fanden neben den Exemplaren ulmischer Provenienz ihre Sammler in der Donaustadt. So konnte der Ulmer Buchdruckers Christian Ulrich Wagner (1722-1804) eine Sammlung von 275 Stammbüchern überwiegend aus patrizischer und bürgerlicher Ulmer Provenienz sein Eigen nennen, die er nach eigenen Angaben mit großer Leidenschaft in fünfzig Jahren zusammengetragen hatte. Ein Jahr nach Wagners Tod wurde die Sammlung allerdings verkauft: Johann Wolfgang Goethe veranlasste in seiner Funktion als Bibliothekar der herzoglichen Bibliothek am Weimarer Hof den Ankauf. Bis heute befinden sich diese 275 Stammbücher in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar.

Dennoch haben sich einige Freundschaftsbücher aber auch in Ulm selbst erhalten. Insgesamt sind es über 65 Exemplare, die in Stadtarchiv, Stadtbibliothek und Museum Ulm verwahrt werden. Die größte Anzahl findet sich im Bestand F 7 des Stadtarchivs Ulm mit 50 Freundschaftsbüchern vom 16. bis 20. Jahrhundert, die vornehmlich aus Geschenken und einzelnen Ankäufen stammen. Die Sammlung enthält fünf Stammbücher bzw. Stammbuchfragmente aus dem 16. Jahrhundert mit Einträgen, die in einigen Fällen bis in die Mitte des 17. Jahrhundert reichen. Ältestes Stammbuch mit Einträgen aus den Jahren 1585-1586 ist das Exemplar des Peter Hydrodemander, seit 1576 Spitalpfarrer in Ulm (Stadtarchiv Ulm, F 7 Nr. 37). Neun Freundschaftsbücher sind aus dem 17. Jahrhundert überliefert, allesamt von männlichen Besitzern, neben den sechs Männern aus bürgerlichen Kreisen auch vo drei Ulmer Patriziern (Erhard Schad, Christoph Erhard Schad, Anton Schermar). Aus dem 18. Jahrhundert sind 15 Exemplare erhalten, deren Einträge bis ins frühe 19. Jahrhundert reichen. Darunter findet sich etwa das Album amicorum des Ulmer Theologiestudenten Johannes Michael Frick mit der Laufzeit 1773-1787 und Malereien des Ulmer Künstlers Nikolaus Kleemann (Stadtarchiv Ulm, F 7 Nr. 28) oder mit dem Freundschaftsbuch der Johanna Maria Louise Rosalie Mündler das erste Stammbuch einer Frau. Bei den 17 Freundschaftsbüchern bzw. Poesiealben aus dem 19. Jahrhundert hält sich der Anteil von Männern und Frauen noch die Waage. Für die Exemplare aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind Blumendarstellungen, Klebebildchen und gedruckte Freundschaftszeichen unterschiedlicher Motive charakteristisch. Die sechs Poesie-Alben aus dem 20. Jahrhundert stammen allesamt von Frauen.

Neben diesem eigenen Stammbuch-Bestand finden sich noch weitere Freundschaftsbücher und Stammbuchfragmente im Ulmer Stadtarchiv in den Privatarchiven (Bestand E) und in den Nachlässen (Bestand H):
- E AV (Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben) Akten, Nr. 154: Stammbuch des Ulmer Studenten Johann David Schneider, 1759-1764
- E AV Akten, Nr. 155: Stammbuch von Johann Jakob Wagner aus seiner Jenaer Studienzeit, 1795-1798
- E AV Akten, Nr. 253: Stammbuchfragment mit Abbildung von Hz. Friedrich I. von Württemberg 1627 sowie Einträgen von Ludwig Kasimir von Pfalz-Simmern und Ludwig Heinrich Moritz von Pfalz-Simmern, 1651
- E Nübling Familienarchiv, Nr. 114: Poesiealbum von Martha Schaeffer, 1869-1874
- H Bucher, Anna, Nr. 5: Poesiealbum, 1927-1929
- H Palm I, Nr. 40: Denkmal der Freundschaft, Johannes Palm gewidmet, 1813-1814
- H Palm I, Nr. 41: Buch der Freundschaft, Julie von Besserer gewidmet, 1830
- H Palm I, Nr. 42: Poesiealbum mit Gedichten, Familie Palm gewidmet, 1873-1884
- H Palmer, Maria, Nr. 2: Poesiealbum, 1776-1794
- H Schad von Mittelbiberach, Irmengard, Nr. 1: Album, Wilhelm Graf von Sontheim gewidmet, 1847
- H Schad von Mittelbiberach, Irmengard, Nr. 2: Album von Pauline Gräfin von Sontheim, 1840-1856
- H Schad von Mittelbiberach, Irmengard, Nr. 3 - 5: Alben von Charlotte Gräfin von Sontheim, 1840-1852
- H Schad von Mittelbiberach, Irmengard, Nr. 6: Album von Eitel-Albrecht Schad von Mittelbiberach, 1911-1913

Der Bestand des Stadtarchivs wurde vornehmlich aus Geschenken und einzelnen Ankäufen gebildet. Mehrheitlich handelt es sich um gebundene Alben, meist in braunem Leder, vielfach mit Goldprägung, vereinzelt auch mit Goldschnitt und vorwiegend im Quer - Oktavformat. Drei Stammbücher sind als lose Einzelblattfolge angelegt und in einer geschlossenen Kassetten bzw. in einem Schuber überliefert. Der Erhaltungszustand ist im allgemeinen gut.
Die Sprache der Einträge: im 16. Jahrhundert ausschließlich und im 17. Jahrhundert noch mehrheitlich Latein, durchmischt mit Griechisch und Hebräisch, aufenthaltsbedingt auch Französisch und Italienisch, im 18./19. Jahrhundert vorwiegend Deutsch, gelegentlich Französisch.
Über den Bestand des Stadtarchivs hinaus verwahrt die Stadtbibliothek noch zwei Stammbücher, und zwar das Exemplar des Ulmer Patriziers Erhardt Schad, 1621-1623 (Sign. U 8581) und das Büchlein von H. Jakob Miller (AV 874).
Und im Museum Ulm befinden sich das Stammbuch des Johann Georg Kraemer, 1632-1660 (Inv. Nr. 5467) mit Einträgen des berühmten Ulmer Stadtarztes Johann Scultetus und Johannes Jakob Schad (S. 259) sowie 19 Einzelblätter aus dem aufgelösten Stammbuch des Hans Joachim Scheler (Inv.-Nr. 1943.2445-2464) und sechs Einzelblätter aus verschiedenen Stammbüchern des 17. Jahrhunderts, deren Halter nicht immer identifizierbar sind.

Auch in öffentlichen und privaten Sammlungen über Ulm hinaus stößt man immer wieder auf Freundschaftsbücher mit Ulmer Provienz. Die größte dieser Sammlung findet sich in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, einzelne Exemplare sind aus der Nationalbibliothek in Paris, der National- und Universitätsbibliothek in Straßburg und in der Königlichen Bibliothek in Den Haag bekannt. Der Anteil der sich in Privatbesitz befindlichen Freundschaftsbüchern dürfte erheblich sein.
Weitere Institutionen, die Stammbücher Ulmer Provenienz verwahren, sind:
- HAAB Weimar, deren Stammbuchbestände durch einen Katalog erfasst (http://www.inka.uni-tuebingen.de/texte/staminfo.htm und http://www.inka.uni-tuebingen.de/stamkopf.php ) und digital zugänglich sind (http://ora-web.swkk.de/digimo_online/digimo.entry)
- Bibliothèque Nationale Paris: Album amicorum des Theologiestudenten Caspar Held, 1564 (https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b103036894#dcId=1546698545093&p=1 )
- Bibliothèque nationale de France Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg. MS.2.142: Stammbuch des Johann Peter Miller aus Ulm, 1746-1749 (https://www.europeana.eu/portal/de/record/9200519/ark__12148_btv1b10235013m.html?q=Ulm )
- Den Haag, Koninklijke Bibliotheek, 134 C 50: Album amicorum des Georg Heinrich Moser aus Ulm, 1809/10-1921 (http://opc4.kb.nl/DB=1/PPN?PPN=310920434#dcId=1546698545093&p=1 )
- Privatbesitz.


Literatur:
Like me! Ulmer Freundschaftsbücher aus vier Jahrhunderten, hg. vom Museum Ulm, Eva Leistenschneider, Ulm 2019 (Katalog zur Ausstellung im Museum Ulm vom 26.1.-28.4.2019).
"In ewiger Freundschaft". Stammbücher aus Weimar und Tübingen, hg. von Nicole Domka, Eva Raffel, Volker Schäfer und Karlheinz Wiegmann, Tübingen 2009 (Tübinger Kataloge 83).
Galilei, Goethe und Co. Freundschaftsbücher der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, hg. von Eva Raffel i. A. der Klassik Stiftung/Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Berlin 2012.
Wolfgang Klose: Corpus alborum amicorum. Beschreibendes Verzeichnis der Stammbücher des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1988 (Hiersemanns bibliographische Handbücher 8)
Wilhelm von König-Warthausen: Das Stammbuch des Ulmer Handelsherrn Lorenz Strauß (1622-1634), in: Ulm und Oberschwaben 35 (1958), S. 201-209. [Bibliothek Schloss Warthausen].
Seibold, Gerhard: Hainhofers Freund (stab 6182).

(Dr. Gudrun Litz, Stand: 14.08.2019)

Reference number of holding
F 7

Context
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Date of creation of holding
1582/1967

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Last update
03.04.2025, 12:43 PM CEST

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  • Bestand

Time of origin

  • 1582/1967

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