Arbeitspapier | Working paper

Contentious Food Politics: sozialer Protest, Märkte und Zivilgesellschaft (18.-20. Jahrhundert)

"Subsistenzproteste (food riots, Lebensmittelunruhen) sind eine historisch wie aktuell ubiquitäre Variante sozialen Konflikts. Sie sind Bestandteil einer weithin noch ungeschriebenen Sozial- und Mentalitätengeschichte von Märkten. Hier in einem weitergefassten Sinn als contentious food politics thematisiert, werden darunter strittige Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen, sowohl unmittelbar gegeneinander wie auch mit dem Staat, um Zugang bzw. Verfügung über lebenswichtige Grundnahrungsmittel verstanden. Letzthin umschreibt das Konzept ein weitgespanntes Repertoire sozialer Konfrontationen und Kämpfe um Existenz und auskömmliches Leben. Das vorliegende Discussion Paper skizziert die historische Verbreitung und Relevanz dieser Konflikte von klassischen alteuropäischen Ausprägungen des 18. und 19. Jahrhunderts in England, Frankreich und Deutschland über einschlägige Konflikte der Weltkriegs- und Zwischenkriegszeit bis hin zu ähnlich gearteten Antiglobalisierungsprotesten (austerity riots) der Gegenwart und fragt nach den jeweiligen Relationen zwischen diesen Sozialkonfliktfeldern und Zivilgesellschaften. Betont wird die ambivalente, im Ganzen eher schwierige Beziehungsgeschichte zwischen beiden konträren 'Lebenswelten', generell zwischen dem Sozialen und dem Zivilen. Gewiss gab es temporäre Annäherungen und gemeinsame Schnittmengen, etwa im Verlauf des späteren 19. Jahrhunderts im Kontext einer Transformation solcher Ressourcenkonflikte und Tendenzen einer Selbstzivilisierung der Protestakteure (Respektabilitätsdiskurse) im Umkreis der Arbeiterbewegungen. Zeitgenössische Protestaktionen unter Parolen wie 'Selbsthilfe' konnten an zivilgesellschaftliche Wertüberzeugungen durchaus anknüpfen und zu dauerhaften Assoziationen, Vernetzungen etc. führen. Sehr häufig jedoch - besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - repräsentierten sie eher destruktive Auflösungstendenzen von Gesellschaften, die völlig aus den Fugen zu geraten drohten und teilweise ins Totalitäre abglitten. Zugleich verweist die Fortdauer der Proteste im 20. Jahrhundert auf anhaltende Vermittlungsprobleme mit zivilgesellschaftlichen Projekten: 'direkte Aktion' und hohe Gewaltneigungen, sozialegalitäre Ansprüche auf Umverteilung sowie hartnäckige Versorgungsmentalitäten schlossen Allianzen/ Vereinbarungen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und deren Normen eher aus. Auf zivilgesellschaftlicher Seite korrespondierte damit eine relative Sprachlosigkeit hinsichtlich der sozialen Erwartungshaltungen der Protestakteure. Zivilgesellschaftliche Projekte bleiben, entsprechend ihrer Gemeinwohlziele, darauf verwiesen, soziale Programme zu formulieren, wollen sie erfolgreicher zukünftige gesellschaftliche 'Entgleisungen' verhindern, eine historische Aufgabe, die sie im frühen 20. Jahrhundert leider gründlich versäumt haben." (Autorenreferat)

Contentious Food Politics: sozialer Protest, Märkte und Zivilgesellschaft (18.-20. Jahrhundert)

Urheber*in: Gailus, Manfred

Rechte vorbehalten - Freier Zugang

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Weitere Titel
Contentious Food Politics: social protest, markets and civil society (18th to 20th century)
ISSN
1612-1643
Umfang
Seite(n): 75
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Status: Veröffentlichungsversion

Erschienen in
Discussion Papers / Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Forschungsschwerpunkt Zivilgesellschaft, Konflikte und Demokratie, Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft: historisch-sozialwissenschaftliche Perspektiven (2004-504)

Thema
Politikwissenschaft
Geschichte
Sozialgeschichte, historische Sozialforschung
politische Willensbildung, politische Soziologie, politische Kultur
Deutsches Reich
20. Jahrhundert
historische Entwicklung
Protest
sozialer Konflikt
Markt
Bedarf
19. Jahrhundert
Bedürfnis
Zwischenkriegszeit
Deutschland
Lebensmittel
Gewalt
Erster Weltkrieg
Großbritannien
Frankreich
Ernährung
18. Jahrhundert
Zivilgesellschaft
Sozialpolitik
deskriptive Studie
historisch

Ereignis
Geistige Schöpfung
(wer)
Gailus, Manfred
Ereignis
Veröffentlichung
(wer)
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH
(wo)
Deutschland, Berlin
(wann)
2004

URN
urn:nbn:de:0168-ssoar-118314
Rechteinformation
GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Bibliothek Köln
Letzte Aktualisierung
21.06.2024, 16:27 MESZ

Datenpartner

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Objekttyp

  • Arbeitspapier

Beteiligte

  • Gailus, Manfred
  • Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH

Entstanden

  • 2004

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