Archivale
Untervogt, Bürgermeister und Gericht zu Urach an Herzog Friedrich
Regest: Peter Knapp, Papierer zu Reuttlingen, hat vor ungefähr 2 Jahren, als er sich zu Urach als Lehrjunge aufhielt, seines Lehrmeisters Dienstmagd Martha, hinterlassener Tochter des weiland Michel Mader, Bürgers zu Urach, ein Kind anbefohlen +), welches sie auf die Welt gebracht hat. Er wollte es aber nicht als Vater agnoscieren und zu väterlicher Unterhaltung und Disciplin aufnehmen, sondern es ist darüber mit der Mutter Streit und solche Weitläufigkeit erwachsen, dass die Sache an den Untervogt klagweise gebracht und soweit abgehandelt wurde, dass Knapp dem Untervogt an Eidesstatt versprach, mit gedachter Martha der zugefügten Schwängerung und des Kindes halber rechtlich oder gütlich in Urach auszukommen (= sich zu vertragen). Er hat sich vor dem Untervogt in Rechtfertigung (= Rechtsverfahren) mit ihr eingelassen. Im Endurteil wurde ihm als dem rechten Vater das Kind zuerkannt und heimgesprochen. Knapp hat gegen dieses Urteil nicht appelliert, sondern es seine Wirkung erreichen (= in Kraftreten) lassen und dem Untervogt mit Handtreu versprochen, dem Urteil in seinem ganzen Inhalt Folge zu leisten. Er hat das jedoch nicht im geringsten getan, sondern ist, um der Execution zu entfliehen, nach Reuttlingen zu seiner Mutter gezogen. Dort hat man ihn weder gütlich noch durch Anhalten bei der Obrigkeit der Stadt Reuttlingen zu Vollziehung des Urteils bringen können, obwohl man etliche Male um Handbietung zur Execution ersucht hat, sondern man ist schimpflich und mit Spott abgewiesen worden, indem die Schwester der geschwängerten Magd, die Untervogt und Gericht zu Urach zur Überantwortung des Kindes mit demselben nach Reuttlingen abgeordnet hatten, auf Befehl der dortigen Obrigkeit im Wirtshaus durch den Stadtknecht verwahrt, endlich mit dem Kind zur Stadt wieder hinausgeführt und mit etlichen zugeordneten Personen bis gen Eningen zu Anfang des Uracher Gebiets wie eine Übeltäterin begleitet wurde. Dies wurde von Urach dem Herzog am 30. August gemeldet. Der Herzog hat den Rat der Stadt um schleunige Executionshilfe zu Annehmung des Kindes schriftlich ersuchen lassen. Daraufhin hat der Rat zu Reuttlingen den Peter Knapp dahin gehalten, dass er sein Kind an- und aufgenommen hat. Deswegen hat man in Urach ferner keine Klage. Doch ist den Urachern bei Verhandlung dieser Kindssache eine so beschwerliche Widerwärtigkeit begegnet, dass sie sich deswegen an den Herzog wenden.
Als die Uracher bei Peter Knapp die von ihm versprochene Befolgung des Urteils nicht erreichten und auch vom Rat der Stadt hilflos gelassen wurden, mussten sie auf andere zulässige Mittel, um das Verderben des verlassenen Kindes zu verhüten, bedacht sein. Da Peter Knapp zu den Reuttlinger Papierern gehört und diese mit dem Uracher Papierhandwerk verbrüdert sind, haben sie die Uracher Papierer vor Gericht beschieden und ihnen den bisherigen Verlauf der Sache mitgeteilt und erklärt, dass Untervogt und Gericht den Peter Knapp wegen seines Verhaltens nicht für einen ehrlichen Gesellen oder Biedermann halten könnten noch wollten, solange, bis er seinem Versprechen gemäss dem Urteil mit Annehmung des Kindes nachgekommen sei. Ihr Vorgehen war nicht darauf gerichtet, ihn dadurch an seiner Ehre anzutasten, sondern nur das Kind bei ihm als dem Vater unterzubringen. Die Reuttlinger Papierer wurden dann von den Uracher Papierern, die mit ihnen zur Bruderschaft verbunden sind, unterrichtet. Die Reuttlinger Papierer haben den Knapp dann mit Ernst aufgefordert, pflichtgemäss seine Sache in Urach richtig zu machen. Nicht eher wollten sie ihm auf ihrem Handwerk Beförderung erzeigen. Dies wurde von ihm aber gleichfalls in den Wind geschlagen, bis die Uracher sich bei ihrem Herzog wider den Rat zu Reuttlingen wegen versagter Amtshilfe beklagt haben, worauf dann die Intercession des Herzogs geschah und Erfolg hatte.
Die Anzeige bei dem Papierhandwerk ist nicht im geringsten in schmähhaftiger Meinung (= beleidigender Absicht) und dem Peter Knapp zu Unehren geschehen, sondern allein von Amts wegen zur Erlangung der Gerechtigkeit. Untervogt und Gericht haben dem Peter Knapp von der Zeit an, da er sein Kind angenommen hatte, etlichemal anzeigen lassen, wofern er mit Erlegung der Unkosten, die die arme Mutter mit Auferziehung des Kindes wegen seiner unziemlichen Verweigerung tragen musste, seinem Versprechen nachkommen würde, wären sie bereit, ihm eine Urkunde mitzuteilen, dass er bei ihnen völlig ausgesöhnt sei und nunmehr befördert werde. Knapp hat diese von ihnen dem Uracher Papierhandwerk gemachte Anzeige für schmählich aufgenommen, etliche Wochen darnach wider sie eine nichtige, hochschmähliche Retorsion angestellt, indem er vor dem ganzen Rat der Stadt Reuttlingen im Beisein aller dem Papierhandwerk Verwandten, also vor mehr als 50 Personen, durch seinen Vetter Ludwig Vogelwaidt, seinen Ratgeber und alleinigen Ursacher dieser Sache, ohne alle Scheu vorbringen liess, dass alle die, die ihn für unredlich gescholten oder geachtet haben, selbst unredliche und untüchtige Leute sein und bleiben müssen, wobei er den unterzeichneten Vogt speziell nannte und mit noch mehr hochlästerlichen Worten antastete. Solches ist durch glaubwürdige Personen in 3 verschiedenen Schreiben kundgetan. Sie wollen die unter dem Schein einer Retorsion ihnen zugefügte Schmach nicht auf sich sitzen lassen, sondern ihre Ehre gegen den Ehrenschänder verteidigen. Es steht ihnen hiefür zwar der ordentliche Rechtsweg offen, aber es will ihnen bedenklich fallen, sich in einer Beleidigungssache mit einer tam vili persona (= so geringen Person) zumal unter fremder Obrigkeit in das Recht (= in einen Prozess) einzulassen. Sie bitten daher den Herzog, ihnen auf andern, bequemeren Wegen gegen den leichtfertigen Ehrenschänder Hilfe zu erzeigen und den Rat des heil. Reichs Stadt Reuttlingen zu ersuchen, den Peter Knapp und seinen Ratgaber wegen der gegen die Unterzeichneten unter dem Schein einer zulässigen Retorsion ausgegossenen Schmachreden mit allem Ernst zu strafen, sowie sie anzuhalten, dass sie im Beisein aller derer, vor denen sie solche injurias (= Beleidigungen) ausgeschüttet haben, gegen die Unterzeichneten solche Erklärungen tun, dass sie nach ihrer Ehre Notdurft zufrieden sein können. Dagegen sind die Unterzeichneten erbietig, wofern Knapp der Mutter die versprochenen Unkosten, die post latam sententiam (= nach ergangenem Urteil) auf das Kind gegangen sind, erstatten wird, ihm eine zur Beförderung dienliche Urkunde zu erteilen.
Untervogt, Bürgermeister und Gericht zu Urach.
- Archivaliensignatur
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A 2 c (Zünfte) Nr. A 2 c (Zünfte) Nr. 3189
- Formalbeschreibung
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Beschreibstoff: Pap.
- Sonstige Erschließungsangaben
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Bemerkungen: +) Fischer: Schw. WB: einer ein Kind anbefehlen = ein Kind mit ihr erzeugen. Aber nur von illegitimen Beziehungen.
Genetisches Stadium: Kopie
- Kontext
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Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 8-11 u. 18) >> Bd. 9 Zünfte Papierer
- Bestand
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A 2 c (Zünfte) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 8-11 u. 18)
- Laufzeit
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1594 Januar 27
- Weitere Objektseiten
- Letzte Aktualisierung
-
20.03.2025, 11:14 MEZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Archivale
Entstanden
- 1594 Januar 27