Archivale

(Rechtsgutachten)

Regest: Bürgermeister und Rat haben dem Verfasser des Schriftstücks vor kurzer Zeit die leidige Sache, die sich zwischen Onoffrius Lieber und seiner Hausfrau zugetragen hat, durch Bürgermeister Ludwig Deckher und Schultheiss Johann Rockenstil übergeben und um sein ratsames Bedenken (= Gutachten) gebeten, was vermög der Rechte (= nach den Gesetzen) mit den beiden vorzunehmen sich gebührt. Er hat aus den ihm übergebenen Schriftstücken und mündlichen Berichten der Herren entnommen, dass Onoffrius Lieber und seine Hausfrau nunmehr lange Zeit in grossem Unfrieden und Widerwillen miteinander gelebt haben, so dass sie ihn täglich vor jedermann einen Bösewicht, Dieb und Ketzer (= Sodomiter) gescholten und mit der unmenschlichen, schrecklichen Bezichtigung verleumdet hat, er habe mit Katzen, Hennen, Pelz und Pelz-Lieblin (= Leibchen, Mieder) zu schaffen gehabt. Weil dieser Zank etliche Jahre her unablässig gewährt hat und bei jedermann ruchbar geworden ist, hat der Rat beide Ehegemächte (= Ehegatten) gefänglich einziehen und hernach die Frau durch 2 Ratsfreunde ernstlich fragen lassen, ob sie bei ihren bisherigen Aussagen über ihren Hauswirt bleibe. Sie soll alsdann von allen oben genannten Bezichtigungen abgestanden sein und nur behauptet haben, dass er mit ihrem Pelz und dem Leiblein der Magd zu tun gehabt habe Onoffrius soll im Gefängnis vornehmlich 2 Aussagen machen. Erstens i wiewohl er von seiner Hausfrau oft aufs greulichste geschmäht worden sei, habe er doch ohne sie auf die Länge nicht sein können oder mögen. Als Ursache könne er sich nur denken, dass sie ihn vielleicht verzaubere, wie sie denn mehrmals mit allerlei verdächtigen Sachen, mit Koselmilch (= Milch von Mutterschweinen) und anderem, umgegangen sei. Seine Hausfrau habe auch oft zwischen ihm und andern, besonders Bartlin Mimmeller, Mein (= Betrug, Frevel) und Mord anzurichten beabsichtigt, wie aus einem schamlosen, in einer Scheuer gefundenen Brief leicht entnommen werden könne. Aus diesen Geschichten werden hauptsächlich 2 Fragen gezogen: Erstens: Ob beide Ehegatten wegen dieser schrecklichen Bezichtigungen peinlich befragt und gestraft werden können oder nicht.
Zweitens: Falls weder peinliche Frage noch Strafe Statt hätten, ob nicht beide dennoch bürgerlich an Geld zu strafen seien.
Zur 1. Frage hält der Verfasser dafür, dass weder Onoffrius Lieber noch seine Hausfrau Anna allein wegen der Anschuldigung des Hexenwerks peinlich gefragt und gestraft werden kann gemäss den allgemeinen kaiserlichen Gesetzen und der Halsgerichtsordnung, wie aus der dem Rat zu Ulm übergebenen Supplication der Freundschaft des Onoffrius zu ersehen ist, dass niemand ohne redliche Wahrzeichen und Vermutungen gefoltert werden soll.
(Nun werden die entsprechenden Ausführungen der Ulmer Supplication kurz wiedergegeben.)
Ebenso kann auch die Frau aus gleichem Rechtsgrund wegen des Hexenwerks nicht peinlich gefragt noch gestraft werden. Denn dafür, dass sie eine Hexe sei oder Mord anzustiften vorgehabt habe, findet der Verfasser dieses Schriftstücks ausser der Aussage ihres eignen Hauswirts und etlicher Zeugen, von denen gleich nachher die Rede sein soll, keine rechtmässige. Dagegen spricht nicht wenig für ihre Unschuld. Sie ist von ehrlichen Eltern und auferzogen. Zuvor sind ihr von niemand, auch nicht von ihrem Hauswirt dergleichen schreckliche Sachen nachgesagt noch bewiesen worden. Vielmehr bekennt Onoffrius in seiner Verschreibung vom 9. November (15)59 aus freiem Willen, dass seine Hausfrau sich bisher wohl gehalten habe. Zudem wird auch jede Person laut der Rechte so lang für fromm (= rechtschaffen) und bieder gehalten, bis das Widerspiel (= Gegenteil) erwiesen wird, bevorab (= zumal)wenn gute Vermutungen ihrer Unschuld vorhanden sind. Das Zeugnis des Onoffrius ist ganz und gar nichtig, weil er ihr Ehemann, in dieser Sache parteiisch, ihr Todfeind und in seiner eignen Sache zugleich Kläger und Zeuge ist. Wenn man die Aussagen der 3 anderen Zeugen, die wegen des Hexenwerks gefragt wurden, mit gebührendem Fleiss ansieht, so findet sich, dass diese Aussagen mehr für sie als gegen sie sind. Die Zeugin Agata Messerschmid sagt gar nichts von der Milch noch von andern verdächtigen Sachen, sondern nur, dass die Frau ihren Mann einen Bösewicht und Ketzer gescholten habe. Obwohl der 2. Zeuge, Marte Pfullinger angibt, dass Anna Fries +) von seiner Hausfrau mehr als einmal Koselmilch begehrte, kann er doch gar nicht angeben, ob die Anna damals den Lieber hatte und wozu sie es (die Milch)brauchen wollte. Die 3. Zeugin namens Seisser gibt mit klaren Worten an, wozu die Frau die Milch habe brauchen wollen, nämlich das kranke Knäblein damit zu heilen.
Was nun den schamlosen, in die Scheuer gelegten Brief betrifft, so sagen etliche Ratsfreunde, dass die Frau, von ihnen befragt, weder bekennen noch ganz beharrlich leugnen will, dass sie den Brief selber geschrieben und in die Scheuer gelegt habe, dass sie sich also darin etwas verdächtig zeigt. Jedoch ohne alle weiteren Vermutungen deswegen mit der Frau stracks zu einer peinlichen Frag zu schreiten, könnte der Verfasser zur Zeit noch nicht raten, da noch andere Mittel und Wege vorhanden sind, zu der Waret (= Wahrheit) zu kommen, welche zuvor vorgenommen werden sollen. Man kann sie nochmals gütlich fragen oder aber diesen Brief mit anderen von ihr geschriebenen Briefen vergleichen. Wenn sich ergeben sollte, dass die Anna diesen Brief tatsächlich geschrieben und in die Scheuer gelegt hat, so kann der Verfasser zu einer peinlichen Strafe doch zur Zeit mit nichten raten. Denn es ist ganz und gar ungewiss, in welcher Absicht die Brau den Brief geschrieben hat, ob sie dadurch einen Totschlag verursachen wollte. Es ist mehr zu glauben, dass sie ihn als eine törichte Brau aus Unverstand geschrieben hat oder hat schreiben lassen. Nun wollen aber die Rechte, dass jede Sache so angesehen werden soll, in welcher Absicht sie geschieht. Gesetzt, die Brau hätte den Brief geschrieben, um damit Mein und Mord anzurichten, es wäre aber nichts dergleichen daraus erfolgt, so könnte sie doch nicht gestraft werden, als wäre die Tat schon vollbracht. Das ist die von der Mehrzahl der Rechtsgelehrten anerkannte Regel. Ferner haben zur Zeit weder Bartle Memmeller noch seine Hausfrau gegen die Anna Fries +) eine bürgerliche oder peinliche Klage angestellt. Auch hat Onoffrius selber bisher nicht ausgesagt, dass seine Hausfrau diesen Brief geschrieben habe.
So ist auf die Frage, ob beide Ehegemächte (= Ehegatten) bürgerlich an Geld gestraft werden können, leicht zu antworten. Wie Onoffrius zur Zeit noch keineswegs, so kann seine Hausfrau mit gutem Fug auch nicht peinlich gefragt oder gestraft werden. Sie können aber nach Ermessen des Rats an Geld und Gut gestraft werden, vornehmlich die Frau wegen der hochsträflichen Bezichtigung ihres Ehemanns, für die sie doch nicht das geringste beigebracht hat, sowie wegen des schamlosen Briefes, falls sie ihn in die Scheuer gelegt hat oder legen liess. Denn ihn zu schreiben, steht einer ehrliebenden, schamhaften Frau sehr übel an, auch wenn es die Wahrheit wäre. Auch dem Lieber kann eine ziemliche (= angemessene) und geringere Geldstraf auferlegt werden, weil er gegen seine Hausfrau auch etliche ungebührliche Beschuldigungen vorgebracht und nicht genugsam erwiesen hat. Ausserdem ist er gegen des Rats Verbot und sein gegebenes Wort unbedacht verritten. Nach Erwägung aller Umstände wird der Rat aus eigenem Verstand, womit ihn Gott der Allmächtige begabt hat, sich in dieser Sache zu verhalten wissen.

Archivaliensignatur
A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. 7467
Formalbeschreibung
Beschreibstoff: Pap.
Sonstige Erschließungsangaben
Bemerkungen: +) Wieso Anna Fries? Sie heisst doch sonst Anna Schenkel.
Das Schriftstück trägt weder Datum noch Anrede noch Unterschrift, ist also ohne Zweifel eine Abschrift.

Genetisches Stadium: Kop.

Kontext
Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26) >> Bd. 21 Urgichten
Bestand
A 2 e (Urfehden u.a.) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26)

Laufzeit
Wohl 1562 Juni (ohne Datum)

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Letzte Aktualisierung
20.03.2025, 11:14 MEZ

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  • Archivale

Entstanden

  • Wohl 1562 Juni (ohne Datum)

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