Gemälde

Galante Konversation

Eine der charakteristischsten Fähigkeiten des niederländischen Malers Gerard ter Borch liegt in der subtilen Behandlung seiner Sujets und dem bewusst gewählten, oftmals uneindeutigen Moment des Sujets. So ist es nicht nur die herausragende, verfeinerte Maltechnik ter Borchs, die die besondere Qualität seiner Werke auszeichnet, sondern darüber hinaus auch die Vieldeutigkeit seiner Darstellungen. Dies trifft auch auf das Berliner Gemälde zu, das 1765 in einem Reproduktionsstich von J. G. Wille den Titel »Instruction Paternelle« (Die väterliche Ermahnung) erhielt. Unter diesem Namen wurde das Bild, bei dem sich um das bekannteste Werk von Gerard ter Borch handeln dürfte, berühmt. Allerdings fragt sich, wie berechtigt diese Umschreibung des Bildes tatsächlich ist. So widerspricht das jugendliche Alter der Dargestellten, als auch die gespreizte Haltung des sitzenden Kavaliers, der mit federgeschmücktem Hut und Degen als Militär zu identifizieren ist, einer Deutung als Familienszene. Auch offenbart sich in seiner erhobenen Rechten sicherlich kein erzieherischer Gestus. Stattdessen meinte man nun in der Hand des Mannes eine Münze erkennen zu können. Mit dieser Feststellung wandelte sich die Interpretation des Bildes in eine Bordell-Szene mit leichtlebigem Kavalier, der versucht, sich bei der jungen, in Rückenansicht gezeigten Frau Liebesdienste zu erkaufen. Tatsächlich lässt sich jedoch weder auf dem Berliner Gemälde noch auf dem genannten Stich eine derartige Münze nachweisen.Dennoch spricht einiges dafür, dass es sich hierbei um die Darstellung um eine amouröse Verführung mit gesellschaftlichen Folgen handelt. Der selbstsichere, ja geradezu selbstgefällige Ausdruck des galanten Kavaliers, der etwas zu eindringlich auf die junge Frau einredet, deutet auf die Anbahnung einer Liebesaffäre. Im Gegensatz dazu präsentiert ter Borch dem Betrachter in der wundervoll angelegten Rückenfigur, die – wie Goethe es formulierte- „herrliche Gestalt im faltenreichen, weißen Atlaskleid«, das beispielhafte Abbild einer zurückhaltenden, jungen Dame. Kostbar gekleidet, mit der vornehm kontrollierten Haltung einer unverheirateten Dame von Stand ist sie den Avancen des erfahrenen Mannes ausgesetzt. Da ihr Gesicht nicht zu erkennen ist, bleibt offen, wie Ihre Reaktion ausfallen wird. Der Handlungsort mit dem durch Vorhänge verschlossenen Himmelbett und dem Toilettentisch der jungen Dame verweisen jedoch bereits auf den vermutlich amourösen Ausgang des Geschehens. Die zweite, anwesende Frau, vermutlich eine Art von Kupplerin, entzieht sich der Situation indem sie mit niedergeschlagenen Augen, versunken aus einem Weinglas trinkt. Wie grenzwertig die dargestellte Situation ist, verkörpert die Figur auf einer etwas früher entstandenen Fassung des Gemäldes im Amsterdamer Rijksmuseum, auf der die Szene als Querformat widergegeben ist. Hier ist in dem nach rechts hin breiteren Bildausschnitt das Motiv eines Hundes hinzugefügt, der mit eingezogenem Schwanz und in geduckter Haltung ängstlich aus dem Bild schaut. Indem ter Borch den Betrachter in spannungsvoller Ungewissheit lässt über die Erwiderung der jungen Frau, bleibt der Ausgang des Geschehens und unbestimmt und Neugierde erweckend. Das Thema der Verführung einer jungen, noch unbedarften Frau hat ter Borch mehrfach aufgegriffen, etwa um 1662 in Die Aufwartung eines jungen Offiziers (Polesden Lacey, The McEwan Collection) oder beim Jungen Paar beim Wein (Berlin, Gemäldegalerie, bzw. London, Buckingham Palace). Alle Bilder präsentieren das amouröse Geschehen auf die Hauptakteure konzentriert, in den Darstellungen zurückhaltend und mit vielschichtigen Andeutungen und Gesten versehen.Eine zeitliche Einordnung des Berliner Bildes um kurz vor 1655 ermöglicht eine datierte Kopie des ter Borch-Schülers Caspar Netscher, welche sich im Museum zu Gotha befindet. Insgesamt lassen sich nicht weniger als 24 Wiederholungen, Teilkopien und Nachahmungen anführen, die von der außerordentlichen Beliebtheit des Berliner Bildes zeugen.| 200 Meisterwerke der europäischen Malerei - Gemäldegalerie Berlin, 2019____________________________________________________One of the most characteristic talents of the Dutch artist Gerard ter Borch lies in his subtle handling of themes and the consciously chosen, often ambiguous significance of the subject. Thus it is not only ter Borch’s outstanding, refined painting technique that marks the particular quality of his works, but beyond that the multiple meanings of his depictions. This applies to the painting in Berlin that was given the title Instruction Paternelle (The Paternal Admonition) in 1765 when reproduced in an engraving by J.G. Wille. Under this name, the work, which is probably the bestknown by Gerard ter Borch, became famous. The justification for this description of the painting is questionable, however. The youthfulness of the persons portrayed and the crossed leg of the seated cavalier, whose feathered hat and sword identify him as a soldier, argue against interpreting it as a family scene. The raised righthand is certainly not to be seen as a gesture of instruction. Instead, it was believed that a coin can be discerned in the man’s hand. This realisation transformed the interpretation of the scene to make it a brothel with a free-and-easy cavalier, who is trying to buy the erotic services of the young woman shown from the rear. In fact, it cannot be demonstrated that there is such a coin either on the Berlin painting or on the above-mentioned engraving.Nevertheless, there are good reasons to think that this is a depiction of seduction with social consequences. The self-assured, even smug expression of the gallant, who is speaking to the young woman a little too urgently, suggests that a love affair is being initiated. In contrast to this, ter Borch presents to the beholder in a wonderfully formed view from the rear, as Goethe expressed it, “a superb figure in a white dress of satin with many folds”, an exemplary portrayal of a reserved young lady. Expensively dressed, with the genteelly controlled posture of an unmarried lady of rank, she is exposed to the advances of an experienced man. As her face cannot be seen, it remains entirely unclear what her reaction will be. The location of these events with a four-poster bed closed off by curtains and the table for the young lady’s toilette, however, already point to the probably amorous conclusion to the scene. The second woman in the picture, presumably some kind of procuress, withdraws from the situation by drinking from a glass of wine with lowered eyes. The dubious nature of the situation depicted here is embodied by the figure on a somewhat earlier version of the painting in the Rijksmuseum in Amsterdam, where the scene is presented in a broad format. Here, in an extension of the picture to the right, a dog has been added, looking fearfully out of the scene with its tail betweenits legs and its head bowed. By leaving the viewer in a state of suspense and uncertainty about the young woman’s response, ter Borch makes the outcome of the events undetermined and arouses curiosity. Ter Borch took up the theme of the seduction of a young, inexperienced woman several times, for example in 1662 in The Introduction (Polesden Lacey, The McEwan Collection) and A Young Couple Drinking Wine (Berlin, Gemäldegalerie and London, Buckingham Palace). In all of these paintings, the amorous events are presented with a focus on the main protagonists, with a restrained manner of depiction and ambiguous references and gestures.A chronological context for the Berlin painting shortly before 1655 is possible thanks to a dated copy by ter Borch’s pupil Caspar Netscher, now in the Museum zu Gotha. In total no fewer than 24 repetitions, part-copies and imitations can be identified, testifying to the extraordinary popularity of the Berlin work.| 200 Masterpieces of European Painting - Gemäldegalerie Berlin, 2019

Gesamtansicht, freigestellt | Fotograf*in: Christoph Schmidt

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technik
Leinwand
Maße
Bildmaß: 71,4 x 61 cm
Rahmenaußenmaß: 85,8 x 76 x 10 cm
Standort
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
791

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
1815 Ankauf aus der Kunsthandlung Bonnemaison, Paris
Ereignis
Herstellung
(wo)
Delft
(wann)
1654/1655

Letzte Aktualisierung
02.05.2023, 11:24 MESZ

Objekttyp


  • Gemälde

Beteiligte


Entstanden


  • 1654/1655

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