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Sehr geehrter Herr Doktor! Obwohl ich weiß, daß Sie sich der Masse...

Transkription: Dr.Gottfried B e n n -Berlin 22.10.33 Sehr geehrter Herr Doktor! Obwohl ich weiß,daß Sie sich der Masse der Zuschriften kaum wereden erwehren können,drängt es mich dennoch,Ihnen zur Sache des bildenden Kunst zu schreiben,veranlaßt durch die Lektüre ihres Buches"Der neue Staat und die Intelektuellen". Sie schreiben als Schriftsteller und an die literarischen Emigranten und erörtern insbesondere die Sache der Intektuellen. D i e s e s Teilgebiet des Kulturellen scheint ja nun besonders rasch bereingit worden zu sein: die Akademie der Dichtkunst war die erste,die sich neu kontituierte.Verhältnismäßig eindeutig kam die "schwarze Liste" zustande mit dem Höhepunkt der offiziellen Bücherverbrennung.-Es kamen dann die Glaubenskämpfe,sicherlich tiefgreifende,da religiöse Innerlichkeit auf dem Spiel stand,doch nunmehr auch "bereinigt". Ungeklärt bis heute.wiewohl vom Kultusminister wiederholt angekündigt,ist die Sache der Musik- soweit es sich nicht um die schon immer anerkennten Würdenträger handelt,sondern um die Vertreter des Neuen,Zukünftigen- und ganz besonders unklar ist die Sache der bildenden Kunst.-Warum wohl? Ich habe die Kundgebung der nationalsozialistischen Studenten in der Universität diesen Sommer erlebt,welche in einer begeistert aufgenommenen Absage an die Reaktion gipfelte,Absage an Biedermeierei in Kunst und Architektur,Absage an die "Rauschebärte,Gartenläubler,Kulturbündler".Dazu die Ankündigung von drei Punkten ihres Programs: Eine Ausstellung von 30 deutschen Künstlern,die sie anerkennen in der Galerie Möller (Diese Ausstellung,die zunächst sie selbst bestritten,dazu einige schon immer anerkannte "alte" Moderne wie Christian Rolfs,Nolde,Barlach u.A.-Die Ausstellung,die 3 Wochen lang nicht eröffnet wurden durfte,zeigte von Seiten der Jungen noch recht wenig von dem idealistischen Schwung und der revolutionären Kühnheit,die in der Kundgebung zum Ausdruck kam). Punkt 2: eine Kitschausstellung,"in der vielleicht Mancher,der sich heute als Kunstdiktator aufspiele,wiederfinden werde" und dann Punkt 3: es solle Allen denen,die sich bis heute unterdrückt fühlten,die sich beklagen,nicht zu Worte zu kommen,in sechs hellen Räumen in bester Gegend der Stadt, Gelegenheit gegeben werden,sich auszubreiten. Die beiden letzteren Ausstellungen,wobei besonders die letztgenannte höchst aufschlussreich hätte werden können, unterblieben bis heute. Man vermutet,daß sie auch nie zustandekommen werden. Kurz darauf,auf jene Kundgebung in der Universität,folgte der Vortrag des Dr.Schardt in der Kunstbibliothek,des neuen Leiters der Nationalgalerie und des Kronprinzenpalais. Ich habe selten einen von solch frenetischem Beifall begleiteten Vortrag erlebt! Als Schardt z.B. ein Werk von Barlach zeigte und dazu bemerkte:"Das ist nicht Bolschewismus,sondern Gläubigkeit!" raste das Publikum und der Saal war überfüllt von Kunstinteressierten aus allen Lagern, viel Jugend und viel SA.- Dr.Schardts erste Tat,die Neugliederung des Kronprinzenpalais,sollte anfang September vollendet sein. Die Künstlerwelt ist aufs äußerste gespannt.Wird doch hier dokumentiert werde,was künftig gelten soll. Es ist bald Mitte Oktober;das Palais bleibt geschlossen. Ich glaube,es werden Wetten abgeschlossen: bleibt Schardt? Fällt Schardt?- Dritte Veranstaltung des Sommers,diese im Zeichen des Kampfbunds für deutsche Kultur,Thema: "Tradition und neue Kunst". Redner: Rosenberg,Schmitthenner,Hinkel.-Das Interesse war ausserordentlich.Der Bachsaal überfüllt mit großenteils den Zuhöreren der beiden voraufgegangenen Vorträgen. Rosenberg,sehr sympathisch, sprach versöhnlich,begrüßte das lebhafte Interesse an der Sache der Kunst und den Zusammenprall der Meinungen und Richtungen als Voraussetzung für das Lebendige. Der Architekt Schmidthenner sprach nicht zum dem mit Spannung erwarteten Thema,sondern erzählte sozusagen Intimitäten aus Stuttgarter Architektenkreisen,versuchte mit schlechtesten Lichtbildern die Bemühungen der modernen Architekten um das Wohn-und

Sammlung
Archiv Oskar Schlemmer
Inventarnummer
AOS 2015/1773
Material/Technik
Papier; maschinenschriftlich

Ereignis
Herstellung
(wer)
Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Gottfried Benn (22.05.1886 - 07.07.1956)
Provenienz
Abschrift vorhanden; Ordner 1927-1933

Rechteinformation
Staatsgalerie Stuttgart
Letzte Aktualisierung
28.03.2025, 12:10 MEZ

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