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Die Paradoxie der Zeugenschaft: Lebensgeschichte als Konstruktionselement der Interaktionspraxis in Gerichtsverhandlungen

Es gibt keine zufälligen Zeugen, sondern nur Personenkonstellationen, die sich offenkundig aufgrund spezifischer Umstände so ergeben mussten, wie sie sich ergeben haben. Diese Umstände werden jedoch nicht durch die Rekonstruktion des Tathergangs ersichtlich. Vielmehr macht erst der Nachvollzug von Lebensverläufen die konkreten Beziehungen der Tatbeteiligten zueinander plastisch. Genau dies unterscheidet das naturwissenschaftliche Sachverständigengutachten von der soziologischen Analyse: Anstelle der Schlussfolgerung vom Beweis auf die Umstände, die den Beweis "faktisch" zum Beweis gemacht haben (das meint die "materiellen" Umstände einer Straftat), steht die spezifische Figuration der Akteure (idealtypisch: von Täter, Opfer, Zeugen) zueinander. Sie kann von entscheidender Wichtigkeit für das Urteil sein. Deshalb gehört es zu den Binsenweisheiten der Kriminalistik, im Zuge der Aufdeckung einer Straftat nahe liegende Verbindungslinien (insbesondere Familienverhältnisse) zu kontrollieren - eine Spurensuche in der Biographie von Tätern und Opfern, die letztlich ebenfalls der Rekonstruktion des Tatgeschehens dient. Nicht ohne Grund haftet auch jenen Nachforschungen, die Biografen vornehmen, auf dass der Lebensverlauf ihrer "Zielperson" sich sukzessive enthüllen möge, ab einem gewissen Punkt der Recherche (spätestens dann, wenn es um die feinsten Einzelheiten und die verstreutesten Belege geht) die Aura einer quasi-kriminalistischen Feinarbeit an, die umgangssprachlich oft mit dem Fahndungsgespür von Kriminalbeamten und Detektiven verglichen wird - und diesem Berufshabitus wohl auch gar nicht so fern steht. (ICF2)

Die Paradoxie der Zeugenschaft: Lebensgeschichte als Konstruktionselement der Interaktionspraxis in Gerichtsverhandlungen

Urheber*in: Benkel, Thorsten

Attribution - ShareAlike 4.0 International

Alternative title
The paradox of testimony: life history as a construction element in interaction practice in court proceedings
ISSN
0933-5315
Extent
Seite(n): 6-27
Language
Deutsch
Notes
Status: Veröffentlichungsversion; begutachtet (peer reviewed)

Bibliographic citation
BIOS - Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 23(1)

Subject
Sozialwissenschaften, Soziologie
Soziologie, Anthropologie
Kriminalsoziologie, Rechtssoziologie, Kriminologie
Erhebungstechniken und Analysetechniken der Sozialwissenschaften
Lebenslauf
Interaktion
Zeuge
Gericht
Gerichtsverhandlung
Biographie
Konstruktion
Narration
Deutung
Kommunikation
Erinnerung
Identifikation
Positivismus
anwendungsorientiert
deskriptive Studie
empirisch
empirisch-qualitativ
Theorieanwendung

Event
Geistige Schöpfung
(who)
Benkel, Thorsten
Event
Veröffentlichung
(where)
Deutschland
(when)
2010

URN
urn:nbn:de:0168-ssoar-354281
Rights
GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Bibliothek Köln
Last update
21.06.2024, 4:27 PM CEST

Data provider

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Object type

  • Zeitschriftenartikel

Associated

  • Benkel, Thorsten

Time of origin

  • 2010

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