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Agnes Bernauer

Agnes Bernauer

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Location
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen
Extent
6
Notes
Weimarische Zeitung, Nr. 76, 22.09.1852, S. 754f.: „Welche unglückselige Anziehungskraft diese Bernauer auf unsre dramatischen Poeten übt. In fünf oder sechs verschiedenen Tragödien liegt nun ihre Geschichte dem deutschen Publikum vor und wer weiß, wie viel andere Bearbeitungen noch in der Stille verschlossener Pulte schlummern. Es ist schwer zu sagen, wer bei diesem Eifer, die schöne Augsburgerin zu feiern, am schlimmsten fährt, ob sie selbst, ob die Dichter, oder das Publicum. Gewonnen haben wenigstens alle drei noch nicht dabei, denn einen ungeeignetern Stoff für ein Trauerspiel kann es schwerlich geben, als diese vielgeliebte Agnes. Höchstens in einer Auffassung läßt sich die Wahl dieses Stoffes allenfalls rechtfertigen, wenn man nämlich die Agnes als eine Bekennerin des exclusivsten Legitimismus hinstellt, die ihre Liebe zu einem Fürsten als Schuld empfindet und daran zu Grunde geht. Wir bezweifeln, ob eine derartige Auffassung bei unserm heutigen Publicum Anklang finden möchte. Auch Hr. Hebbel hat die Schwierigkeiten, die ihm der Stoff darbot, nicht überwunden. Das Stück, sagen wir es offen, ist als Ganzes ein vollständig verunglücktes. Denn in der That, was sehn wir? Die Hinrichtung eines armen Weibes, das nicht die geringste Schuld trägt, und an ihrem offnen Grabe die Versöhnung zwischen Dem, aus Liebe zu dem sie in den Tod gegangen, und ihrem Mörder, der bereits eine andere Frau für Jenen an der Hand hält, eine Versöhnung, die noch dazu auf das heuchlerische Motiv eines prunkenen Grabsteins für die schnöde Geopferte gegründet wird. Wie man an einer solchen Geschichte einen ästhetischen Genuß finden soll, das ist schwer zu begreifen. Das gesunde Gefühl kann sich nur verletzt fühlen durch eine solche Lösung der Verwickelung, und selbst das Mitleid mit der unglücklichen Agnes muß sich vermindern, wenn man am Schlusse sieht, daß ihr Geliebter doch eigentlich nur ein armseliger Bursche ist. So wie die Sachen dargestellt sind, müssen wir die Hinrichtung der Agnes als eine Schuld empfinden, die Herzog Ernst auf sich ladet, und so gewichtige Gründe ihn dabei leiten mögen, so fordern wir doch, daß er dafür büße. Hier wäre der Gegenstand für eine tragische Entwickelung gegeben gewesen. Statt dessen gehen ihm alle seine Pläne glücklich aus und das Publicum hat die Perspective einer höchst philisterhaften Ehe zwischen dem von einer Agnes geliebten Albrecht und der braunschweigischen Prinzessin, die nicht verfehlen wird, ihn mit zahlreicher Nachkommenschaft zu beschenken. Dazu lohnt es wahrlich nicht der Mühe, noch die ganze Schlußscene anzusehen. […] Die Ausführung des Trauerspiels konnte leider nur den peinlichen Eindruck machen, den wir allemal empfinden, wenn wir Fleiß und Mühe auf eine Aufgabe verwendet sehen, für welche die zu Gebote stehenden Mittel in keiner Weise ausreichen. Die Rolle der Agnes erfordert eine Schauspielerin ersten Ranges und übersteigt die Befähigung der Frau Stör um eine Bedeutendes. Herr Pätsch als Albrecht gab sich viele Mühe, allein der poetisch romantische Duft, der diese Rolle allein erträglich macht, ist ihm nun einmal versagt. Herr Genast, Herzog Ernst – gab eine anerkennungswerthe, in einzelnen Momenten sogar vortreffliche Leistung. Wenn er uns nur die gleichgültigeren Theile seiner Rolle mit etwas weniger Pathos und weniger gedehnt vortragen wollte. – Die Art und Weise, in welcher Hr. Franke den Preising spielte oder vielmehr nicht spielte, können wir uns nur daraus erklären, daß der sonst so schätzenswerthe Schauspieler von einem momentanen Unwohlsein befallen war. Die kleinern Rollen des Caspar Bernauer, des Knipperdollinger, des Castellans in Vohburg und der Barbara wurden von den Herren Jaffé, Hettstedt, Grambach und Frau Pätsch zufriedenstellend ausgefüllt. Ein Gleiches läßt sich von der ritterlichen Umgebung der beiden Herzöge nicht sagen, die theilweise geradezu einen lächerlichen Eindruck machte. Graf Törring scheint ein originell erfundener und sehr dankbarer Part zu sein. Hr. Grans wußte demselben nicht gerecht zu werden; er machte uns auf seine Darstellung moderner Gardeleutnants neugierig. Hr. Porth – Theobald – zeigte besonders im ersten Theile seiner Rolle ein beachtungswerthes Talent, von dem sich bei einer fleißigen Ausbildung viel Gutes erwarten läßt. Aufmerksam wollen wir ihn darauf machen, daß der Theobald des vierten Actes ein anderer, gereifterer ist, als der Jüngling der beiden ersten Acte, und daß dies in Haltung und Maske hervorgehoben werden muß. – Die Aufführung in ihrer Gesammtheit zeigte bereits unverkennbar die wohlthätig eingreifende Wirksamkeit einer energischen und umsichtigen Regie. Die Turnirscene, die dem Arrangement besondere Schwierigkeiten bietet, war vortrefflich angeordnet. Zu wünschen haben wir, daß die Regie auch dem Aufbehalten und Abnehmen der Kopfbedeckungen auf der Bühne ihre Aufmerksamkeit widmen möge. Wir haben schließlich über die Einstudirung des Stückes überhaupt noch einige Worte zu sagen. Nachdem wir dasselbe als im Ganzen mißlungen und dabei die Kräfte unserer Bühne übersteigend haben bezeichnen müssen, könnte es scheinen, als müßten wir von vorn herein die Wahl der Theaterverwaltung verdammen, welche dasselbe zur Aufführung brachte. Dieß ist jedoch unsre Ansicht nicht. Hebbel ist ein so bedeutendes Talent, daß es eine Ehrensache für unser Kunstinstitut war, einmal eines seiner Werke dem hiesigen Publikum vorzuführen, und dieß um so mehr, als in dieser sich wieder vorzugsweise der Epik zuwendenden Zeit die Zahl der wirklich poetischen Kräfte, die für unsere Bühne arbeiten, keine eben große ist. Stellen wir uns aber einmal auf diesen Standpunct, so müssen wir zugestehen, daß unter den Hebbelschen Dramen füglich keine andere Wahl blieb, als diese Bernauer. Dieselbe empfahl sich zudem im Interesse des Dichters selbst, der sich hier zum ersten Male entschlossen hat, den practischen Anforderungen der Bühne gerecht zu werden, ein Entschluß, über den man sich nur freuen kann, dessen weitere Verfolgung aber dem Dichter nur dadurch erleichtert werden kann, daß man ihm die Erfahrung einer wirklichen Aufführung seines Werkes an verschiedenen Orten verschafft. Aus diesen Gründen halten wir die Einstudirung für gerechtfertigt und glauben, daß die Intendanz damit den Dank des Publikums sich verdient hat.“

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1852-09-18

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21.04.2023, 10:52 AM CEST

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  • 1852-09-18

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