Archivale

Beendigung der Vormundschaft Gottlieb von Tuchers

Enthält:
1831 November 21: Schreiben des Grafen (Philipp Heinrich) Stanhope aus Ansbach an das Kreis- und Stadtgericht Nürnberg.
Schreiber will für Kaspar Hauser sorgen, weil er glaubt, bei dessen bisherigem Vormund, Herrn (Gottlieb) von Tucher, sei eine passende Ausbildung nicht garantiert. Auch sei das Verhältnis zwischen Tucher und Hauser gestört, was sich auf das Gemüt des Jünglings nachteilig auswirken dürfte. Daher möge man Hauser provisorisch dem Bürgermeister (Jakob Friedrich) Binder überstellen.

1831 November 24: Schreiben (Entwurf Tuchers) an das Kreis- und Stadtgericht.
Hausers Entwicklung ist nach einigen Anfangserfolgen in Schwierigkeiten geraten, woran auch Graf Stanhope seinen Anteil zu verantworten hat. So redete er Hauser ein, er sei der Sohn eines ungarischen Magnaten usf. Seine Vermögensverhältnisse gibt der Graf, wie folgt, an: Er habe jährliche Einkünfte in Höhe von 20.000 Pfund Sterling, was etwas 300.000 Gulden entspräche. In finanzieller Hinsicht und bezüglich der ehrenhaften Gesinnung des Grafen ist gegen dessen Gesuch nichts einzuwenden. Der moralische Einfluss des Grafen auf Hauses ist hingegen als eher schädlich einzuschätzen. Er hat schon gezeigt, dass er die Individualität Hausers durchaus nicht zu behandeln versteht.

1831 November 24: Protokoll der Aussage Kaspar Hausers vor dem Kreis- und Stadtgericht.
Hauser sagt unter Tränen aus: Tucher sei in letzter Zeit nicht mehr aufrichtig gegen ihn, Hauser, gewesen, weswegen er, Hauser, gegen Tucher auch nicht mehr aufrichtig gewesen sei. Die von Stanhope zur Belohnung für die Entdeckung der Gefangenschaft Hausers ausgesetzten 500 Gulden hat er auch verschwiegen. Der Herr Baron v. Tucher besteht beharrlich darauf, daß ich die BuchbindersProfeßion erlernen soll, obwohl ich ihn [!] schon öfters erklärt habe, daß ich lieber ein Uhrmacher oder Kaufman werden wolle. Hauser will daher gerne zu Bürgermeister Binder ziehen, bis über seine Erziehung beim Grafen Stanhope entschieden wird.

1831 November 26: Das Kreis- und Stadtgericht teilt Tucher und Binder mit, dass Stanhope die Erziehung Hausers für den Fall übertragen werden wird, dass er sich urkundlich zur Versorgung Hausers verpflichtet. Mit Zustimmung des Vormunds kann Hauser bis zur endgültigen Entscheidung zu Binder ziehen.

1831 Dezember 2: Entscheidung des Kreis- und Stadtgerichts:
Da Stanhope die erforderliche Erklärung abgegeben hat, für Hauser auch über seinen, Stanhope's, Tod hinaus zu sorgen, wird ihm Hauser übergeben. Er kann ihn bei Binder, wo er inzwischen provisorisch untergebracht ist, abholen. Bis Hauser ein neues Domizil erhält, bleibt die Kuratel (Tuchers) über ihn bestehen. Stanhope soll etwa vierteljährlich Bericht über die Erziehung Hausers erstatten.

1831 Dezember 5: Tucher an des Kreis- und Stadtgericht (Entwurf).
Der Entscheidung vom 2. d.M. kann nicht Folge geleistet werden, da die Fortführung der Vormundschaft angesichts der Haltung Stanhope's bzw. Hausers zu Schreiber dies nicht zulässt. Daher die Bitte um Entlassung aus der Verpflichtung als Vormund.

1831 Dezember 7: Beschluss (des Kreis- und Stadtgerichts, Abschrift):
Tucher ist der Vormundschaft zu entheben, an seine Stelle tritt Bürgermeister Binder. - Wiedervorlage der Akten in 4 Wochen.

1831 Dezember 10: Kreis- und Stadtgericht:
In Anlage an Herrn v. Tucher das Original eines Schreibens Stanhope's (hier nicht vorhanden, s.u.) wegen Übergabe der für Hauser deponierten Gelder. Tucher möge sich binnen 3 Tagen hierzu erklären.

1831 Dezember 20: Tucher zu Protokoll des Kreis- und Stadtgerichts (Entwurf).
Verweis auf den Befehl vom 10. d.M., hier eingegangen am 19. (!!). Unter Rückgabe des Schreibens Stanhope's (!) wird Folgendes erklärt: Die vom Grafen zur Entdeckung des an Hauser verübten Verbrechens ausgesetzten 500 Gulden sollen nach 2 Jahren, falls kein Ergebnis erzielt wird, Hauser gehören. Bis dahin hat jedoch weder Hauser noch Stanhope Anspruch auf dieses deponierte Geld. Die übrigen Gelder können gefahrlos ausgehändigt werden. Besonderheiten bei den Ausgaben: Die Kosten für die Somnambule des Dr. (Philipp Ignaz) Hensler von Würzburg (s. Nr. 2817, 2850). Kosten in Zusammenhang mit dem Schauspiel "Der Wahn und seine Schreken" des hiesigen Schauspielers (Carl) Hahn (s. Nr. 2822). Außerdem Stempel- und Taxgebühren. Daher bittet Schreiber um Auszahlung von insgesamt 45 Gulden 45 Kreuzer. - Bezüglich des Betts Kaspar Hausers erfuhr Schreiber unlängst, der Armenpflegschaftsrat betrachte dieses als sein Eigentum, wohingegen Schreiber immer der Meinung war, das Bett gehöre Hauser. Übrigens hat das Bett 77 Gulden 20 1/2 Kreuzer gekostet, während Schreiber nur 55 Gulden erhalten hat (s. Nrn. 2819 und 2820).

1831 Dezember 31: Kreis- und Stadtgericht.
Tucher erhält die 45 Gulden 45 Kreuzer unter Vorbehalt etwaigen Einspruchs Stanhope's.

Reference number
Stadtarchiv Nürnberg, E 29/II Nr. 2823
Extent
Umfang/Beschreibung: 10 Prod
Further information
Bemerkungen: Acc.Nr. D 1/2014

Bemerkungen: Der provisorische Wohnort Hausers bei Binder laut Adressbuch 1829: L 75

Bemerkungen: Der Obigem unmittelbar vorausgehende Zeitraum jetzt in Nr. 2885

Bemerkungen: Prod. 1 in Mayer: Lord Stanhope - Der Gegenspieler Kaspar Hausers, Stuttgart 1988, S. 376 f und vollständig als Abb. 136

Bemerkungen: Prod. 2 in Mayer, a.a.O., S. 380 f und vollständig als Abb. 137

Indexbegriff Person: Binder, Jakob Friedrich

Indexbegriff Person: Hahn, Carl

Indexbegriff Person: Hauser, Kaspar

Indexbegriff Person: Hensler, Philipp Ignaz Dr (Würzburg)

Indexbegriff Person: Stanhope, Philipp Heinrich

Indexbegriff Person: Tucher, Christoph Karl Gottlieb Sigmund

Indexbegriff Person: Tucher, Gottlieb (= Christoph Karl Gottlieb Sigmund)

Indexbegriff Sache: Klassifikation E/F-Bestände: Hauseriana (Quellen und Forschungen zu Kaspar Hauser)

Indexbegriff Sache: Klassifikation E/F-Bestände: Vormundschaften

Context
Tucher/Gesamtgeschlecht und Jüngere Linie/Akten und Rechnungen
Holding
E 29/II Tucher/Gesamtgeschlecht und Jüngere Linie/Akten und Rechnungen

Indexbegriff subject
Vormund
Graf
Kreis- und Stadtgericht Nürnberg
Bürgermeister
Antrag
Vormundschaft Änderung
Verhältnis, persönliches
Provisorium
Magnat, ungarischer
Vermögen
Pfund Sterling
Beeinflussung
Protokoll
Tränen
Auslobung
Belohnung
Buchbinder
Uhrmacher
Kaufmann
Urkunde
Verpflichtung
Unterhalt
Erziehung
Vormundschaft Beendigung
Beschluss
Wiedervorlage
Akten
Deposit
Kuratelmasse Abwicklung
Somnambule
Ausgaben
Sonderausgaben
Der Wahn und seine Schrecken (Theaterstück)
Theaterstück "Der Wahn und seine Schrecken"
Theaterstück über Kaspar Hauser
Schauspieler
Stempelgebühren
Taxgebühren
Bett
Armenpflegschaftsrat
Kostenerstattung
Vorbehalt
Indexentry place
Ansbach
L 75
Würzburg

Date of creation
21.11.1831 - 21.12.1831

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Rights
Last update
12.02.2024, 8:48 AM CET

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Object type

  • Archivale

Time of origin

  • 21.11.1831 - 21.12.1831

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