Artikel

Das Sequenzing-Problem der Systemtransformation in Mittel- und Osteuropa

Das Sequenzing-Problem der Systemtransformation in Mittel- und Osteuropa Warum weicht die wirtschaftliche Transformation der ehemals sozialistischen Länder Mittel- und Osteuropas so entschieden von den Vorstellungen vom relativ einfachen Transformationsprozeß ab, die wir noch vor zwei Jahren hatten? Wurden Probleme unterschätzt oder Regierungen falsch beraten? Sechs der besonders wichtigen binnenwirtschaftlichen Problembereiche werden in dem vorliegenden Aufsatz berücksichtigt. Es handelt sich um: (1) Die vorhandenen Gesetze sind grundverschieden von denen der Rechtsordnung einer individualistisch orientierten Marktwirtschaft. (2) Soziale Dienste und Verantwortung müssen von überbemannten, unproduktiven Arbeitsplätzen auf neue Ämter und Versicherungen übertragen werden. (3) Die oft überdimensionierten Betriebe und Handelsorganisationen müssen auf eine ökonomisch sinnvolle Weise so reorganisiert werden, daß Investitionsentscheidungen zukünftig von Unternehmen gefaßt werden, die unabhängig handeln und – soweit es praktisch möglich ist – keine Monopolmacht ausüben. (4) Der öffentliche Sektor erhält neue Aufgaben, muß entsprechend reorganisiert werden und braucht Steuereinnahmen, um die Aufgaben zu bewältigen, ohne die Notenpresse zu betätigen. (5) Die Institutionen des Kreditwesens (Zentralbank, Banken, Kapitalmarkt) müssen unter äußerst ungünstigen Umständen entwickelt werden; neue Unternehmen stellen als Schulden hohe Risiken dar, während alte Betriebe, die in der Vergangenheit (mit "weicher" Budgetrestriktion) hohe Schulden akkumulieren, unter den Bedingungen einer Depression lernen müssen, mit beschränkten finanziellen Mitteln ("harter" Budgetrestriktion) zu arbeiten. (6) Eine Inflation muß in Verbindung mit dem Abbau des Kaufkraftüberhangs aus der Zeit der Planwirtschaft gestoppt werden. Diese Probleme werden dargelegt. Dabei kommen Interdependenzen der Problemlösungen zum Vorschein, die im Hinblick auf die folgende Frage untersucht werden: Welche Abfolge von Systemreformen und politischen Aktionen hat die Eigenschaft, daß sie der Logik wirtschaftlicher Zusammenhänge entspricht und Interessenkonflikte entschärft? Es bietet sich an, mit einem offenen Ende des Netzwerkes interdependenter Probleme anzufangen. Die Analyse zeigt, daß die Organisation der Betriebe ein solches Ende ist; sie kann unabhängig von anderen Reformen erfolgen. Also müssen zuallererst diese Bedingungen eine marktwirtschaftliche Gestalt erhalten (ein neues Bürgerliches Gesetzbuch, Handelsgesetzbuch, Arbeitsrecht usw.). Mit solchen Gesetzen, die sich schnell realisieren lassen, führt man die Marktwirtschaftsordnung ein. Die Reorganisation des Staatsbesitzes, die Einführung von Sozialgesetzen und Sozialversicherungen, Behörden- und Steuerreformen, die Einführung von Gesetzen über Banken, die Sanierung von Altschulden (eventuell eine Währungsreform) und die Reorganisation des Bankwesens, die Regulierung und Reorganisation des Versicherungswesens und die Organisation eines Kapitalmarktes müßten danach – in der genannten Reihenfolge – erfolgen. Daß die Reformen im Bereich des Geld- und Kreditwesens an später Stelle rangieren, ist eine Besonderheit der hier vertretenen Sequenz-Lösung. Es wird behauptet, daß der Wettbewerb im Kreditwesen weder vorrangig noch eine Voraussetzung für andere Reformen ist. Erst wenn ein Kapitalmarkt auf der Grundlage einer Geldwertstabilisierung und wohlgelungener Reformen im Bereich des Finanz- und Versicherungswesens konstituiert worden ist, wird die Nachfrage nach Aktien und nach festverzinslichen Wertpapieren (wie Staatsanleihen) die erhoffte Größe bekommen.

Language
Deutsch

Bibliographic citation
Journal: Kredit und Kapital ; ISSN: 0023-4591 ; Volume: 25 ; Year: 1992 ; Issue: 1 ; Pages: 65-93

Classification
Wirtschaft

Event
Geistige Schöpfung
(who)
Svindland, Eirik
Event
Veröffentlichung
(who)
Duncker & Humblot
(where)
Berlin
(when)
1992

DOI
doi:10.3790/ccm.25.1.65
Last update
10.03.2025, 11:44 AM CET

Data provider

This object is provided by:
ZBW - Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften - Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. If you have any questions about the object, please contact the data provider.

Object type

  • Artikel

Associated

  • Svindland, Eirik
  • Duncker & Humblot

Time of origin

  • 1992

Other Objects (12)