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Wege zu einem höheren Wachstumspfad

Während manche Länder in der Europäischen Währungsunion aufgrund von Schulden- und Strukturkrisen tief in der Rezession stecken, steht die deutsche Wirtschaft derzeit glänzend da. Die Arbeitslosigkeit ist auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gefallen, die Wirtschaftsleistung ist seit 2009 um mehr als acht Prozent gewachsen und die öffentlichen Haushalte wurden konsolidiert und erwirtschafteten im Jahr 2012 einen Überschuss. Dies ist jedoch keineswegs ein Grund zu Euphorie, im Gegenteil: Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands aus einer längerfristigeren Perspektive, so zeigt sich, dass das Land im Vergleich zu den meisten EU-Ländern und vielen Euroländern in einigen Bereichen zurückgeblieben ist. Seit 1999 haben die Euroländer im Durchschnitt mehr Wirtschaftswachstum erzielt als Deutschland, und ein großer Teil der erstarkten Wettbewerbsfähigkeit ist auf Lohnzurückhaltung anstatt auf Produktivitätszuwächse zurückzuführen. Die Investitionsquote war längere Zeit rückläufig und ist im internationalen Vergleich niedrig. Die Berechnungen in dieser Studie zeigen, dass Deutschland im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2012 eine Investitionslücke von jährlich drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgewiesen hat. Das heißt, es fehlten rund 75 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland hat also einen hohen Investitionsbedarf, um den in den letzten Jahren aufgestauten Investitionsrückstand abzubauen und auch, um langfristig Wachstum und Wohlstand zu sichern. Gleichzeitig ist die gesamtwirtschaftliche Sparquote in Deutschland im internationalen Vergleich mit am höchsten. Wie sich an den ernormen Leistungsbilanzüberschüssen von bis zu sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts ablesen lässt, floss das Ersparte jedoch zu großen Teilen ins Ausland, anstatt in Deutschland investiert zu werden. Insgesamt hat Deutschland damit erhebliche Wachstumschancen verpasst. Seit 1999 haben deutsche Investoren rund 400 Milliarden Euro auf ihr Auslandsvermögen verloren, was etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Allein im Zeitraum 2006 bis 2012 waren es 600 Milliarden Euro, beziehungsweise 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Berechnungen des DIW Berlin in dieser Studie zeigen, dass das deutsche Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum unter sonst gleichen Bedingungen jährlich um fast einen Prozentpunkt höher gewesen wäre, wenn die Investitionsquote in den vergangenen 15 Jahren dem Durchschnitt im Euroraum entsprochen hätte. Deutschland ist zudem stark auf forschungsintensive Industrien und wissensintensive Dienstleistungen spezialisiert. Diese Bereiche stellen hohe Anforderungen an Humankapital, Ressourcenschonung und Mobilität und weisen somit einen besonders hohen Investitionsbedarf auf. Simulationen zeigen, dass ein Anstieg der Investitionsquote auf den langjährigen OECD-Durchschnitt zu deutlich höherem Wirtschaftswachstum in Deutschland führen würde. Das Potentialwachstum könnte 2017 um 0,6 Prozentpunkte höher sein; statt bei rund einem Prozent läge es bei 1,6 Prozent. Und auch die Reallöhne dürften durch eine kräftigere Investitionstätigkeit ansteigen. Angesichts günstiger Finanzierungsbedingungen und entlasteter öffentlicher Finanzen in den kommenden Jahren sind die finanziellen Spielräume für private und öffentliche Investitionen derzeit äußerst günstig und sollten jetzt genutzt werden.

Language
Deutsch

Bibliographic citation
Journal: DIW Wochenbericht ; ISSN: 1860-8787 ; Volume: 80 ; Year: 2013 ; Issue: 26 ; Pages: 6-17 ; Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Classification
Wirtschaft
Macroeconomics: Consumption; Saving; Wealth
Investment; Capital; Intangible Capital; Capacity
Macroeconomics: Production
Empirical Studies of Economic Growth; Aggregate Productivity; Cross-Country Output Convergence
Subject
public and private investment
potential growth
net foreign assets

Event
Geistige Schöpfung
(who)
Bach, Stefan
Baldi, Guido
Bernoth, Kerstin
Bremer, Björn
Farkas, Beatrice
Fichtner, Ferdinand
Fratzscher, Marcel
Gornig, Martin
Event
Veröffentlichung
(who)
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
(where)
Berlin
(when)
2013

Handle
Last update
10.03.2025, 11:44 AM CET

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  • Baldi, Guido
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  • Gornig, Martin
  • Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Time of origin

  • 2013

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