Bestand
Nachlass Alfons Reinhardt, Gewerkschaftssekretär (1895-1980) (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Alfons Reinhardt (1895-1980) war nach Teilnahme am Ersten Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft von 1922-1933 Sekretär der Geschäftsstelle Stuttgart des Christlichen Metallarbeiterverbands. Nach Auflösung der Richtungsgewerkschaften und vorübergehender Arbeitslosigkeit arbeitete er ab 1935 bei den Fortuna-Werken ist Stuttgart-Bad Cannstatt. 1940 kam er in den Abnahmedienst des Heeres. Während des Zweiten Weltkriegs unterhielt er Kontake zum Goerdeler-Kreis. 1945-1950 war er kommissarischer Leiter der Landesgeschäftsstelle Stuttgart der Barmer Ersatzkasse.
Inhalt und Bewertung
Der zwischen 1974 und 1982 eingekommene Bestand enthält neben persönlichen Unterlagen Reinhardts auch Schriftgut betr. die Geschäftsstelle Stuttgart des Christlichen Metallarbeiterverbands aus den Jahren 1898-1933.
Vorbemerkung: Das im Folgenden verzeichnete Schriftgut wurde dem Staatsarchiv Ludwigsburg 1974, 1980, und 1982 von Prof. Dr. Rudolf Reinhardt, Tübingen, als Depositum unter Eigentumsvorbehalt übergeben und 1981/1982 vom Unterzeichneten auf der Grundlage der Übergabeliste von Prof. Reinhardt geordnet und verzeichnet. Dabei wurde das schon 1974 übergebene Schriftgut aus dem Bestand PL 405 (Bü 1-6) hierher gezogen, um die Einheit des Bestands herzustellen. Der Bestand PL 6 enthält damit sowohl Schriftgut der Verwaltungsstelle Stuttgart des Christl. Metallarbeiter-Verbands wie persönliche Unterlagen von Alfons Reinhardt, die im Laufe seiner beruflichen und politischen Tätigkeit vor und nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind. Über Leben und Tätigkeit von Alfons Reinhardt teilte sein Sohn, Prof. Reinhardt, Folgendes mit: "Geboren wurde er am 10. August 1895 in Mühlen bei Horb, und zwar als Sohn des Josef Reinhardt und seiner Ehefrau Anna, geb. Saiber. Mein Großvater war Metzgermeister, in mancher Hinsicht für diesen Beruf aber völlig ungeeignet. Zwar wurden seine Wurstwaren sehr gelobt; ein Geschäft hat er aber nicht damit gemacht. Schlecht und recht brachte er seine große Familie durch. Schließlich waren es neun Kinder (der älteste Sohn starb kurz nach der Geburt, der zweitälteste fiel 1918 in Frankreich); deshalb konnte mein Großvater den Wunsch meines Vaters nicht erfüllen, ihn auf die Realschule zu schicken und später Volksschullehrer werden zu lassen. Trotz alledem hat mein Vater in seinem Elternhaus ein großes Interesse für Bücher mitbekommen. Die Geschwister waren alle sehr belesen. Mein Vater hatte zeitlebens eine Bibliothek, die im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse beachtlich war. Nach der Volksschule kam mein Vater in eine Mechanikerlehre. Nach deren Abschluß ging er auf Wanderschaft, und zwar ins Rheinland und nach Westfalen. Dort wurde er vom ersten Weltkrieg überrascht. Er hat sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet und kam zu einer Maschinengewehrkompanie nach Straßburg. Diese wurde 1915 in den Vogesen offensiv und bei der Verteidigung eingesetzt. Am 2 Januar 1916 wurde mein Vater nach Berlin-Charlottenburg abgestellt und kam dort zum Deutschen Expeditionskorps, das in Palästina die türkische Front stützen sollte. Fast drei Jahre, das heißt bis zu seiner Gefangennahme in Damaskus (November 1918) war mein Vater im Heiligen Land. Er nutzte die Gelegenheit, die Heiligen Stätten ausgiebig zu besichtigen und zu besuchen. Diese Jahre haben in geprägt. Später hat er oft und gerne davon erzählt. In Damaskus kam mein Vater in Kriegsgefangenschaft. Er war über 1 Jahr im Lager. Am Heiligen Abend 1919 traf er zu Hause bei seinen Eltern ein. 1920 bis 1922 hat er in verschiedenen Betrieben gearbeitet (Singen, Wutöschingen usw.) Nach einer Kurzen Mitgliedschaft bei den "roten" Gewerkschaften stieß er zur Christlichen Gewerkschaftsbewegung. In ihr wurde er 1922 Sekretär für die Geschäftsstelle Stuttgart des Metallarbeiter-Verbandes. Die Arbeit als Sekretär eines Gewerkschaftsverbandes war damals nicht leicht. Es bestand nicht nur die Konkurrenz der anderen großen Gewerkschaften; die Sekretäre mußten um jedes Mitglied ringen, Versammlungen abhalten, Hausagitation betreiben, Beiträge kassieren usw. Die Tarifverhandlungen waren sehr hart; oft wurde um eine Lohnerhöhung von 1 Pfennig in der Stunde gerungen. Schon bald nach der Machtergreifung 1933 wurde deutlich, daß die Richtungsgewerkschaften nicht weiter bestehen konnten. Tatsächlich begann dann die "Überführung" in die "Deutsche Arbeitsfront". Bei der Wahl ihrer Mittel waren die Nationalsozialisten nicht wählerisch. So wurde das Büro in der Neckarstraße 12 von bewaffneter SA besetzt; einige Kollegen der anderen Gewerkschaften, die im gleichen Haus untergebracht waren, wurden inhaftiert. Dann begann der Streit um die Einhaltung der Kündigungsfristen, um die Ausbezahlung des Gehalts, um Rückgabe der Beiträge in die Pensionskasse usw. Eine Übernahme in den Dienst der Deutschen Arbeitsfront wäre möglich gewesen, wenn mein Vater in die NSDAP eingetreten wäre. Dies lehnte er ab. Deshalb wurde er, wie die meisten seiner Kollegen, arbeitslos. Eine andere Stelle war zunächst nicht zu bekommen. Jeder suchte sich durchzuschlagen, so gut es geht. Fast alle Kollegen versuchten es mit einem Hausierhandel. Mein Vater zum Beispiel vertrieb Seifen. Dies brachte sehr wenig ein, so daß die Familie oft genug Hunger gelitten hat und auf die Unterstützung des Wohlfahrtsamtes angewiesen war. 1935 bekam mein Vater endlich wieder eine ordentliche Arbeit, und zwar bei den Fortuna-Werken in Stuttgart-Bad Cannstatt. 1940 kam er dann in den Abnahmedienst des Deutschen Heeres, und zwar beim Heeresinspizienten V (Stuttgart). Nach 1933 war der Zusammenhalt unter den ehemaligen Gewerkschaftsmitgliedern, vor allem unter den Sekretären der verschiedenen Branchen, recht gut. Man half sich gegenseitig, soweit man konnte. Besonders enge Kontakte hielt mein Vater mit Josef Andre (ehemaligem Landtagsabgeordnetem) und Josef Ersing (ehemaligem Reichstagsabgeordnetem). Durch die beiden erfuhr er sehr bald von Überlegungen, wie es nach einem "Umsturz" mit der Gewerkschaftsbewegung weitergehen sollte. Aufgrund der Erfahrungen mit den Richtungsgewerkschaften vor 1933 wollte man mit einer Einheitsgewerkschaft weiter machen. Über Andre und Ersing hielt mein Vater auch Verbindung zum Gördeler-Kreis. Dieser wies ihm die Aufgabe zu, nach einem Umsturz die Deutsche Arbeitsfront in Württemberg zu übernehmen. Daß meine Eltern nach dem 20. Juli 1944 trotzdem unbehelligt davonkamen, hatten sie nur der Verschwiegenheit von Josef Ersing, der zweimal zum Tode verurteilt wurde, und dem Umstand zu verdanken, daß Ersing überhaupt keine schriftlichen Aufzeichnungen gemacht hatte. 1945 wurde mein Vater mit der kommissarischen Leitung der Landesgeschäftsstelle der Barmer Ersatzkasse in Stuttgart betraut. Im Frühjahr 1950 schied er nach Differenzen mit der Hauptleitung der Kasse aus; als Grund wurde seine angeschlagene Gesundheit angegeben; in Wirklichkeit drängten die alten Führungskräfte, die durch ihre Parteizugehörigkeit kompromittiert gewesen waren, wieder in die alten Stellungen. Die Versuche meines Vaters, 1950 wieder bei einer Gewerkschaft unterzukommen, scheiterten. Die in den Ablehnungsschreiben genannten Gründe waren nur vorgeschoben; in Wirklichkeit stand dahinter die Absicht, den christlichen Flügel in der Einheitsgewerkschaft nicht zu stark werden zu lassen. Offen wurde gegen die Wahl eines "Schwarzen" agitiert. Als in den sechziger Jahren wieder eine christliche Gewerkschaftsbewegung entstand, wurde mein Vater wiederholt aufgefordert, mitzumachen. Dafür war er zu alt. Er hat aber angesichts der weiteren Entwicklung der Deutschen Einheitsgewerkschaft wiederholt sein Bedauern ausgesprochen, daß er sich seit 1942 für diese Einheitsgewerkschaft eingesetzt hatte. Gestorben ist mein Vater am 31. März 1980. Er wurde am 8. April auf dem Steinhalden-Friedhof in Stuttgart begraben". Der Bestand umfaßt z.Zt. 48 Büschel = 0,3 lfd. m. Ludwigsburg, Jan. 1982 Dr. Schmierer
- Reference number of holding
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, PL 6
- Extent
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48 Büschel (0,3 lfd. m)
- Context
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg (Archivtektonik) >> Deposita, nichtstaatliche Archive und Nachlässe >> Deposita
- Date of creation of holding
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1898-1980
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Rights
-
Es gelten die Nutzungsbedingungen des Landesarchivs Baden-Württemberg.
- Last update
-
18.04.2024, 10:40 AM CEST
Data provider
Landesarchiv Baden-Württemberg. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Time of origin
- 1898-1980