grafische Künste

Priamos bittet Achill um den Leichnam seines Sohnes Hektor. Karton zu den Deckenbildern der Münchner Glyptothek

Mit der deutschen Romantik war der Wunsch wachgeworden, öffentliche Räume mit inhaltlich bedeutsamen, monumentalen Bilderzyklen auszustatten. Die Gelegenheit zu einem ersten Probelauf hatte Jakob Salomon Bartholdy in seiner römischen Wohnung geboten. Schon im April 1818 wurde der wichtigste der vier beteiligten Künstler, Peter Cornelius, vom bayerischen Kronprinzen Ludwig für die Ausmalung von drei Sälen der Münchner Glyptothek gewonnen; im Herbst 1819 nahm er die Arbeit in München auf. Das palladianisch gestimmte Gehäuse für diese Antikensammlung, die bereits die berühmten Giebelskulpturen vom Aphaia-Tempel auf Ägina verwahrte, errichtete Leo von Klenze von 1815 bis 1830, und der Bilderschmuck aller Räume sollte auf die darin ausgestellten Werke Bezug nehmen. Die von Cornelius auszumalenden Säle waren für griechische Skulpturen bestimmt; die Wahl des Künstlers allerdings mißbilligte der Architekt bis zum Schluß, weil er wie andere »diesen steifen Herrn« für unfähig hielt, »sich mit dem freien Geiste dieser Architektur und antiken Plastik [zu] verschwistern« (Schreiben an Kronprinz Ludwig vom 31.8.1819, zit. nach: Leo von Klenze, Ausst.-Kat., München 2000, S. 148). Der Maler wiederum fürchtete für die Bilder eine Einbuße an autonomer Bedeutsamkeit. Die zwei durch ein Vestibül getrennten Säle gehörten zum rückwärtigen Flügel des Gebäudes, der zeitweise als Eingang vorgesehen war. Es war Klenzes Gedanke, »in dem ersten Saale die kosmischen Mythen, im zweiten die Heroengeschlechte und im mittleren kleinen Vestibül Arabesken zu malen« (zit. nach: F. Büttner, Peter Cornelius. Fresken und Freskenobjekte, Bd. 1, Wiesbaden 1980, S. 134). Damit standen die Themen des ›Göttersaals‹ und des ›Heroensaals‹ fest; aus den ›Arabesken‹ des Vestibüls wurden Darstellungen aus der Titanenzeit. Die Bildformate ergaben sich aus der Vielteiligkeit der Saaldecken: jeweils ein Kreuzgewölbe mit unterschiedlich gestalteter Mitte. Figürliche ebenso wie ornamentale zwickel- und kreisförmige Felder, dazu Arabeskenstreifen ergänzten die Hauptbilder. Diese waren in jedem Gewölbeviertel des Göttersaals als Dreiergruppen, die des Heroensaals als Paare angelegt. Hinzu kamen jeweils bogenförmige Wandbilder: Im Göttersaal mit den Darstellungen von Olymp, Unterwelt und Wasserwelt, während die Gewölbefresken, jeweils in Dreiergruppen, den Tageszeiten gewidmet waren. Jeweils im rechteckigen Mittelfeld lenkten die den Tageszeiten zugeordneten Götter ihren Himmelswagen; dreieckige Seitenfelder zeigten Gestalten ihrer Umgebung und nicht zuletzt ihre Begegnungen mit Sterblichen, wodurch Kosmos und Menschenleben hyperbolisch umspannt wurden. Im Unterschied zu diesem allegorisierenden Programm erzählten die Bilder des Heroensaales nach Homers »Ilias« Belagerung und Untergang Trojas; Götter kamen darin nur vor, insofern sie in die Handlung eingreifen, nicht aber in ihrer zeitlosen Existenz. Die Arbeit an den Fresken war zur Eröffnung 1830 abgeschlossen. Während die Wandbilder selbst im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden, haben die meisten der Kartons in der Nationalgalerie überdauert. Diese mit Kohle auf Papier schon in endgültiger Größe gezeichneten Kompositionen sind nicht Entwürfe, sondern Werkzeichnungen, nach denen eine, wie die Freskotechnik es stets erfordert, zügige farbige Umsetzung möglich ist. Für sie waren – einer Praxis entsprechend, der erst Hans von Marées entsagen sollte – großenteils Mitarbeiter verantwortlich. Unabhängig davon, daß auch an den Kartons Schüler mitarbeiten konnten, weil Cornelius der ›Erfindung‹ entschieden höheren Wert beimaß als der Ausführung, waren sich Bewunderer wie Kritiker immer darin einig, daß sich Cornelius’ Kunstauffassung im Schwarzweiß am reinsten realisiert, weshalb seine Kartons schon früh als eigenständige Werke ausgestellt wurden: zuerst 1820 in Berlin. Stilistisch orientiert sich der Romantiker Cornelius nicht, wie der ihm vorgegebene Stoff erwarten ließe, an antiker Kunst, sondern an der Malerei Michelangelos, des späten Raffael, Annibale Carraccis. Dabei entsteht in den vorwiegend zuständlichen Kompositionen des Göttersaales ein behutsamer, melodischer Linienfluß, eine lyrische Verschwiegenheit, die Cornelius nicht wieder erreichen sollte. Schon die heftig bewegten Dramen, die in den Fünfeckfeldern des Heroensaales inszeniert sind, bringen größeren Figurenreichtum, mehr Requisiten, drastischere Motive und damit auch formal harte Kontraste, scharfe Winkel hervor, und selbst die Modellierung der Leiber mit ihren angespannten Muskeln ist unruhiger. Beim Tode des Künstlers im März 1867 war der Ankauf der in seinem Besitz verbliebenen, durch Ausstellungen auch in Paris und Brüssel berühmt gewordenen Kartons längst beschlossen. Der Staat besaß bereits die kolossalen religiösen Kompositionen für das Campo Santo am Berliner Dom, außerdem Arbeiten für die Münchner Ludwigskirche. Für die insgesamt 71 Kartons wurden die beiden überhöhten Oberlichtsäle des Mittelgeschosses der Nationalgalerie gestaltet. | Claude Keisch

Vorderseite | Fotograf*in: Studio Messlinger

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technik
Kohle auf Papier, auf Leinwand kaschiert
Maße
Höhe x Breite: 223 x 291 cm
Standort
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
A I 157

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
1875 vom preußischen Staat an die Nationalgalerie überwiesen
Ereignis
Herstellung
(wer)
(wann)
1827/1828

Letzte Aktualisierung
08.08.2023, 11:02 MESZ

Objekttyp


  • grafische Künste

Beteiligte


Entstanden


  • 1827/1828

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