Bestand
Evangelischer Siedlungsdienst (Bestand)
Der Bestand setzt sich aus den
Teilbeständen der Geschäftsstelle des Ev. Siedlungsdienstes in Bielefeld und
aus dem - nach deren Umzug nach Berlin - Reichsgeschäftsstelle Berlin
genannten Teilbestand zusammen.
Vorwort: A. Geschäftsstelle
Bielefeld
Die Gründung des Evangelischen
Siedlungsdienstes (ESD) ist nur im nationalpolitischen und in dem mit diesem
zusammenhängenden konfessionspolitischen Kontext der West-Ost-Siedlung
dieser Jahre zu verstehen.
Sinkende Weltmarktpreise für die
charakteristischen Produkte des Großgrundbesitzes in den deutschen
Ostprovinzen (Getreide, Kartoffeln) bewirkten, daß diese Güter zunehmend an
Siedlungsgesellschaften verkauft wurden, die sie ihrerseits aufteilten und
die so gewonnenen Bauernstellen wiederum an Siedler zu verkaufen suchten.
Während dadurch arbeitslos gewordene deutsche Landarbeiter - einem Trend
folgend, der schon mit der Industrialisierung des Ruhrgebietes eingesetzt
hatte - in die Städte abwanderten, bewarben sich die arbeitslos gewordenen
polnischen Landarbeiter, wenn es ihre Mittel nur irgend zuließen, um
Siedlerstellen. Dadurch drohten Sprach- und Bevölkerungsgrenzen sich zu
verschieben (sog. nationalpolitische Gefahr), während - verstärkt durch die
Ansiedlung katholischer Siedler aus West- und Süddeutschland - ehemals
überwiegend evangelische Gebiete in die Gefahr gerieten, konfessionell zu
zerfallen (sog. konfessionspolitische Gefahr).
Vor dieser
Entwicklung konnte die evangelische Kirche nicht die Augen verschließen.
Auch die Innere Mission begann sich langsam dem Gedanken zu öffnen, daß es
vertretbar sein könnte, in die Stadt abgewanderten und dort arbeitslos
gewordenen Bauern- und Landarbeitersöhnen aus West- und Süddeutschland zur
Siedlung im Osten zu raten (sozialpolitische und ethische Gesichtspunkte).
Die Annahmen, daß die industrielle Krise keinen vorübergehenden Charakter
habe und die industrielle Arbeit aus diesem Grunde, aber auch ihrem Wesen
nach keinen sicheren Daseinsgrund bieten könne, führten den ESD später sogar
vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit und ihrer Auswirkungen in den
Großstädten zum praktischen Engagement in der Industriearbeiterrücksiedlung,
d.h. der Ansiedlung arbeitsloser Industriearbeiter, die in zweiter oder
dritter Generation aus den Ostgebieten stammten, in eben diesen Gebieten -
einem Engagement, bei dem er sich weder der Unterstützung der
Kirchenbehörden noch der der Siedlungsträger sicher sein konnte.
Der westfälische Provinzialkirchenrat hatte bereits im November 1928
beschlossen, einen Siedlungspfleger einzustellen. Durch ihn sollte
ursprünglich die Eigenheimbewegung gefördert werden. Nachdem bereits der
"evangelisch eingestellte" Werbebeauftragte der Schlesischen
Landgesellschaft in Westfalen, Dr. Schultz, und auch die westfälische
Provinzialverwaltung wegen des Mangels an evangelischen Siedlern Kontakt mit
IM-Stellen aufgenommen hatten und die Hilferufe kirchlicher Vertreter der
Ostprovinzen nach evangelischen Siedlern anhielten, entschlossen sich der
westfälische Provinzialkirchenrat und der Westfälische Provinzialverband für
IM im April 1929 dazu, die Anstellung eines hauptamtlichen Siedlungspflegers
ins Auge zu fassen und die etwas komplizierte Konsensfindung der kirchlichen
und IM-Stellen der übrigen Landes- und Provinzialkirchen in dieser Frage
nicht mehr abzuwarten. Dr. Schultz wurde vom Westfälischen Provinzialverband
für IM am 1.7.1929 eingestellt. Die Geschäftsstelle des ESD wurde am
1.10.1929 in Bielefeld eröffnet. Als Rechtsträger fungierte der Westfälische
Provinzialverband für IM. "Die Gründung eines besonderen neuen Rechtsträgers
erschien als zu kostspielig, zeitraubend und unpraktisch. So ist es zur
Anstellung des Dr. Schultz durch den Provinzialverband für IM Westfalen
gekommen." (Protokoll der Besprechung über den evangelischen Siedlungsdienst
in Hannover am 9.9.1929, S. 3; ADW, ESD 1).
Die mit der
Siedlungsfrage befaßten kirchlichen und IM-Vertreter der Ostprovinzen hatten
sich zwar dringend mehr evangelische Aktivität, aber nicht unbedingt die
Einrichtung einer zentralen Geschäftsstelle gewünscht (vgl. Rundschreiben
Pfr. Heusers, Breslau an die Landes- bzw. Provinzialverbände für IM vom
15.4.1929; ADW, ESD 71). Hingegen wollte der Westfälische Provinzialverband
für IM das von ihm prinzipiell für notwendig erachtete Engagement von Kirche
und IM in der Siedlungsfrage nur bei Einstellung eines hauptamtlich tätigen
Fachmannes verantworten (vgl. Schrw. Niemöller-Depuhl; ADW, ESD 57). Andere
Provinzial- bzw. Landesverbände wie z.B. der Landesverband für IM Hannover
zögerte hingegen mit ihrer Zustimmung, da sie in einer besonderen
Geschäftsstelle "eine zu starke Identifizierung der Ostsiedlungsfrage mit
dem kirchlichen Standpunkt" sahen. "Z.B... wenn Siedler in wirtschaftliche
Not geraten, so hat die Kirche... zum mindesten eine moralische Bindung
übernommen" (Depuhl an Niemöller, a.a.O.; dieser Befürchtung lag die bekannt
gewordene Siedlerflucht in Posen und Westpreußen zugrunde). Zentrale
Kirchenbehörden wie das Kirchenbundesamt und der Ev. Oberkirchenrat in
Berlin wiederum standen der Einrichtung des ESD zumindest wohlwollend
gegenüber.
In der Besprechung vom 9.9.1929 in Hannover
konstituierten sich die anwesenden Vertreter verschiedener Konsistorien
(Westfalen, Brandenburg, Pommern, Grenzmark, Ostpreußen sowie LKA Hannover),
von Provinzial- bzw. Landesverbänden der IM (Westfalen, Rheinprovinz,
Hannover, Hessen-Kassel und Niederschlesien) sowie von weiteren
interessierten Stellen bzw. Vereinen (Kirchlich-Sozialer Bund,
Auswandererfürsorge) "vorbehaltlich des Einverständnisses der sie
entsendenden Stellen" als Beirat des ESD. Zum Vorsitzenden des Beirats wurde
gemäß dem von ihm vorgelegten Entwurf von Richtlinien für die Tätigkeit des
Beirats, der gebilligt wurde, der Vorsitzende des Westfälischen
Provinzialverbandes für IM, Konsistorialrat Hymmen, bestimmt. Diese
Richtlinien gaben keinen Aufschluß über die eigentlichen Ziele des ESD,
sondern stellten nur einen gewissen organisatorischen Rahmen für die
Tätigkeit des Beirats dar.
Entsprechend einem von P. Niemöller
vorgelegten Entwurf eines Haushaltsplanes wurden die jährlichen Kosten der
Geschäftsstelle mit RM 17.500,-- veranschlagt. Hingegen waren zum Zeitpunkt
der Eröffnung der Geschäftsstelle nur die Zuschüsse aus Westfalen
(Provinzialkirchenrat RM 2.000,--; Innere Mission RM 4.000,--) bewilligt.
Der gegebene Mangel an Klarheit über die Notwendigkeit der Einrichtung der
Geschäftsstelle des ESD unter den Beteiligten und über ihre
Finanzierungsgrundlagen spiegelte sich von Anfang an in demjenigen über die
Reichweite der Arbeit - ein Problem, das der Geschäftsführer auf seine Weise
zu lösen trachtete und das erst infolge unliebsamer öffentlicher
Auseinandersetzungen mit anderen, mit der Siedlung befaßten Stellen von den
für den ESD Verantwortlichen in Kirche und IM als solches erkannt
wurde.
In einem 12seitigen Bericht "Zu drei Jahren Arbeit und
Aufbau des Evangelischen Siedlungsdienstes", den er aus Anlaß seiner
bevorstehenden Entlassung allen Beiratsmitgliedern und Provinzialstellen am
1. Sept. 1932 zustellte, faßt Schultz das - wie er meint - "von vornherein
durch Gründungsbesprechungen und die Verhältnisse fest umrissenen
Aufgabengebiet des ESD wie folgt zusammen:
"a. Nicht
Zurückdrängung des katholischen Volksteils in der Siedlung, sondern
Erweckung des evangelischen Volksteils zur bewußten Bejahung der Siedlung.
Einschaltung des Siedlungsgedankens in die seelsorgerische Arbeit des
Gemeindepfarrers und Sozialarbeit der Berufsarbeiter der Inneren Mission.
Förderung eines einheitlichen evangelischen Siedlungswillens durch Schaffung
eines alle Länder und Provinzen umfassenden Netzes von evangelischen
Siedlungsdiensten und Mitarbeitern.
b. Engste Fühlungnahme mit
den Siedlungsträgern, den Ministerien, sonstigen behördlichen
Organisationen, Landwirtschaftskammern, Landesverwaltungen pp.
c.
Förderung der praktischen Siedlungsarbeit durch anregende Mitarbeit bei
neuen Siedlungsformen (Siedlerschule, Suckwitz, Primitivsiedlung pp.). In
Einzelfällen Beratung und Vermittlung evangelischer Siedler in besonders
bedrohte Gefahrenpunkte des deutschen Ostens, während grundsätzlich die
Siedlerberatung und Siedlervermittlung als Aufgabe staatlicher Behörden
angesehen werden muß.
d. Möglichst eingehende und umfassende
literarische Auswertung dieser evangelischen Mitarbeit in der ländlichen
Siedlung" (ADW, ESD 1).
Gerade die unter Punkt c)
formulierten, selbstgestellten und interpretationsfähigen Aufgaben wurden
vom Geschäftsführer des ESD energisch angefaßt; so heißt es in einem
ebenfalls am 1.9.1932 versandten Rundschreiben des ESD unter der Überschrift
"Aus der Arbeit des Evangelischen Siedlungsdienstes 1931/32": "... Die
hauptsächliche Arbeit des Evangelischen Siedlungsdienstes, Bielefeld wird
durch die praktische Beratungstätigkeit bedingt. So konnten seit Anfang 1931
rund 260 Familien endgültig zur Ansiedlung gebracht werden..." (ADW, ESD
157). Das brachte ihn in Gegensatz zu zentralen Siedlungseinrichtungen wie
der Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation und der ihr
angeschlossenen Reichsstelle für Siedlerberatung, zu zentralen staatlichen
Behörden (z.B. dem Reichsarbeitsministerium) und zu zentralen
Kirchenbehörden (Kirchenbundesamt, Ev. Oberkirchenrat). Schultz hingegen war
zutiefst davon überzeugt, daß nur die selbst durchgeführte Siedlerberatung
und -vermittlung eine verläßliche Grundlage jeder Einflußnahme auf die
anderen mit der Siedlung befaßten Organisationen und Behörden bilden
könne.
Bei den zentralen Kirchenbehörden und beim CA in Berlin
hatte man hingegen den Wunsch, in engem Einvernehmen mit den zentralen
staatlichen Stellen zu arbeiten. Bereits am 17.9.1930 hatte der Beirat
beschlossen, D. Steinweg als seinen Vertreter in den Verwaltungsrat der
Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation zu entsenden (vgl.
Protokoll der Beiratssitzung vom 17.9.1930, S. 8 (ADW, ESD 1); die zentralen
Kirchenbehörden wollten aus kirchenpolitischen Rücksichten im Zusammenhang
mit der Siedlung öffentlich nicht in Erscheinung treten. Aus diesem Grund
beteiligten sich ihre Vertreter auch nur informell an dem auf der
Beiratssitzung vom 17.9.1930 gebildeten Arbeitsausschuß, der sich
vornehmlich der Beratung kirchenpolitischer Fragen widmen sollte (a.a.O.).
Das Kirchenbundesamt erreichte später im Verfolg von Verhandlungen, die es
wegen einer als Denkschrift veröffentlichten gegen die Gesellschaft zur
Förderung der inneren Kolonisation gerichteten Polemik von D. Schultz mit
dem Titel "Zur Umgestaltung der Siedlerberatung und -vermittlung vom
16.12.1931 mit zentralen Reichsbehörden zu führen hatte, daß die
konfessionelle Imparität in der Reichsstelle für Siedlerberatung anerkannt
und die Schaffung einer zweiten leitenden "mit einer erstklassigen
evangelischen Persönlichkeit" zu besetzenden Stelle konzediert wurde
(Protokoll der Arbeitsausschußsitzung vom 12.5.1932, S. 3; ADW, ESD
3).
Diese unterschiedlichen Auffassungen - verbunden mit den
leeren Kassen bei den Provinzialkirchenräten und den Provinzialverbänden für
IM - führten dazu, daß der Arbeitsausschuß des ESD bereits in seiner Sitzung
am 15.4.1931 die Verlegung nach Berlin vorschlug; der Beirat erteilte
daraufhin "dem Vorsitzenden Vollmacht, die Übersiedlung der Geschäftsstelle
nach seinem Ermessen im Laufe des Jahres in die Wege zu leiten" (Protokoll
der Arbeitsausschußsitzung vom 15.4.1931, S. 5; ADW, ESD 3 und Protokoll der
Beiratssitzung vom 16.4.1931; ADW, ESD 1). Es sollte sich "nur um eine
Büroverlegung, nicht aber um eine organisatorische Umstellung in der Arbeit"
handeln. Im August desselben Jahres hingegen erschien "eine Verbindung des
Siedlungsdienstes mit dem Central-Ausschuß in Form der Übersiedlung nach
Berlin... aus finanziellen und sachlichen Gründen heraus nicht für
zweckmäßig" (Protokoll der erweiterten Arbeitsausschußsitzung vom 17.8.1931,
S. 4; ADW, ESD 3). Die veränderte Einstellung hing mit den Auswirkungen des
Devaheim-Skandals und mit dem Weggang Pfr. Seyferths, des
Siedlungsreferenten des CA, nach Dresden zusammen. In der erweiterten
Arbeitsausschußsitzung vom 14.10.1931 wurde die Frage der Verlegung des ESD
nach Berlin erneut diskutiert. Der Vorsitzende Hymmen berichtete, daß P. v.
Bodelschwingh und die westfälische Landesverwaltung gegen eine Verlegung
seien. Der Siedlungsdienst habe seine Arbeit bisher nur deswegen so
ausdehnen können, weil er nicht in Berlin gewesen sei. Der Vertreter des
Kirchlich-Sozialen Bundes Jagow trat für die Verlegung der Geschäftsstelle
des ESD in das Ev. Johannesstift, Berlin-Spandau ein. Der Vertreter des EOK
schließlich erhoffte zwar von einer Verlegung nach Berlin, daß "durch den
Siedlungsdienst die nicht immer klare Politik der Behörden in der
Siedlungsfrage beeinflußt werden könne. Er hält jedoch den augenblicklichen
Zeitpunkt für die Umsiedlung nicht für geeignet" (a.a.O., S. 13). Schultz
selbst schließlich sprach sich gegen die Verlegung aus, die "gerade unter
den heutigen Verhältnissen von weiten Kreisen des Westens und Südens nicht
verstanden werden" würde. Er sei "aus eigener innerer Überzeugung gegen eine
Verlegung nach Berlin, da die Arbeit aus ländlichen Verhältnissen heraus ihm
größere Bodenständigkeit und Sicherheit auch bei den zur Mitarbeit in Frage
kommenden Stellen gäbe" (a.a.O., S. 13).
Auch bei der Sitzung des
Arbeitsausschusses am 14. Jan. 1932 wurde über eine eventuelle Verlegung
nicht entschieden. Es wurde lediglich festgestellt, daß "das Johannesstift
in Spandau nach mehrfachen Erkundigungen für eine Aufnahme des
Siedlungsdienstes nicht in Frage kommt und eine Finanzierungsmöglichkeit des
Siedlungsdienstes in Berlin z. Zt. nicht gegeben ist" (Protokoll der
Arbeitsausschußsitzung vom 14.1.1932, S. 4; ADW, ESD 3).
Am 12.
Mai 1932 wurde anläßlich der Veröffentlichung der von Schultz verfaßten
Polemik "Zur Umgestaltung der Siedlerberatung und -vermittlung" bei der
Sitzung des Arbeitsausschusses "über die Person des jetzigen
Geschäftsführers, Dr. Schultz, verhandelt" (Protokoll der
Arbeitsausschußsitzung vom 12.5.1932, S.10; ADW, ESD 3). Das (negative)
Ergebnis dieser nicht weiter festgehaltenen Verhandlungen lag den Beratungen
des Arbeitsausschusses am 5.9.1932 zugrunde, die zugleich die entscheidende
Beiratssitzung vom folgenden Tag vorbereiteten. Die Vertreter des
Kirchenbundesamtes und des EOK unterstrichen, daß "die bisherige Tätigkeit
des Siedlungsdienstes in der Industriearbeiterumsiedlung und die Pläne der
Emslandbesiedlung für die Zukunft schwere wirtschaftliche Verantwortung
kirchlichen Stellen aufbürden, die unter Umständen einen uneinlösbaren
Wechsel darstellt". Hauptaufgabe eines Evangelischen Siedlungsdienstes in
Berlin sei es, "ein gutes Verhältnis zur Reichsstelle für Siedlerberatung
anzubahnen, den lebendigen Zusammenhang mit den provinziellen
Siedlungsdiensten zu erhalten, die Siedlungsarbeit besonders der
katholischen Kirche intensiv zu beobachten. Eine praktische
Beratungstätigkeit kommt für die Berliner Stelle nicht in Frage. Ein eigener
Rechtsträger für den Siedlungsdienst sei nicht notwendig, da Anschluß an den
Central-Ausschuß für Innere Mission gefunden werden müsse" (Protokoll der
Sitzung des Arbeitsausschusses vom 5.9.1932, S. 4; ADW, ESD 3). Die
eingehende Aussprache brachte eine Mehrheit für die Verlegung nach Berlin,
nachdem sich noch mehrere Diskussionsredner, u.a. der Geschäftsführer des
Rheinischen Provinzial-Ausschusses für IM, D. Ohl, aus praktischen Gründen
für die Aufrechterhaltung der Bielefelder Geschäftsstelle eingesetzt hatten.
Auf der folgenden Beiratssitzung am 6.9.1932 wurden die Leitungs- und
Standortfragen abschließend diskutiert. Schultz erklärte sein Desinteresse
an dem Posten des Geschäftsführers mit Standort Berlin. Daraufhin wurde ein
Aktionsausschuß gebildet, dem u.a. die Aufgaben gestellt wurden, die
Verlegung des ESD nach Berlin in die Wege zu leiten, Maßnahmen für einen
geregelten Übergang zu treffen und für die Zukunft von Schultz "Vorsorge zu
tragen" (Protokoll der Beiratssitzung vom 6.9.1932, S. 7; ADW, ESD 1).
In seiner Sitzung vom 29.9.1932 beauftragte der Arbeitsausschuß den
Beiratsvorsitzenden, Schultz zum 1.10.1933 - also mit einjähriger
Kündigungsfrist - zu kündigen. Außerdem wurde beschlossen, den nach Berlin
zu verlegenden Siedlungsdienst "büromäßig" an den CA anzuschließen. Der
Vorstand des CA erklärte am 25.10.1932 sein Einverständnis mit der Aufnahme
der Siedlungsdienststelle (Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes
und des Fünferausschusses am 25.10.1932, S. 10; ADW, CA 67 B). "Der neue
Geschäftsführer hat sich dem CA unterzuordnen und in die Arbeitsweise des
Central-Ausschusses einzufügen." Als neuer Geschäftsführer wurde von seiten
des CA, Pfr. Schröder aus Schlesien vorgeschlagen und "von den Mitgliedern
des Arbeitsausschusses einstimmig gutgeheißen". Zur praktischen Arbeit des
Ev. Siedlungsdienstes wurde festgelegt, "daß die Berliner Geschäftsstelle
des Ev. Siedlungsdienstes nicht in der bisherigen Form die praktische
Vermittlungsarbeit durchzuführen habe, daß die west- und süddeutschen
Stellen weiterhin ihre Pionierarbeit in Form von Versuchen vorwärtszutreiben
haben, besonders im Hinblick auf die Auswirkungen des Arbeitsdienstes auf
die Siedlung. Es herrscht darüber Einstimmigkeit, daß die zukünftige
westdeutsche Stelle in Bielefeld und der südwestdeutsche Siedlungsdienst dem
Berliner Siedlungsdienst unterstellt sind und mit ihm Zusammenarbeiten
werden" (a.a.O., S. 10). Zu diesem Zeitpunkt ging man im Arbeitsausschuß
noch von einer - wenn auch in ihrem Status modifizierten - Aufrechterhaltung
der Bielefelder Stelle aus. Dementsprechend verbreitete Schultz durch ein
Rundschreiben, das er am 12.12.1932 an die Mitglieder des Beirats richtete,
die Nachricht, daß die Absicht bestehe, "die Geschäftsstelle in Bielefeld ab
1. April 1933 als Geschäftsstelle des Westdeutschen Evangelischen
Siedlungsdienstes weiterzuführen" (ADW, ESD 2). Der Arbeitsausschuß des
Westfälischen Provinzialverbandes für IM hatte sich noch in seiner Sitzung
am 3.2.1933 an der Fortführung des Ev. Siedlungsdienstes als Stelle für
Westfalen, Rheinland, Hessen und Hannover interessiert gezeigt. Dabei war
allerdings die Finanzierungsfrage offen geblieben.
B. Reichsgeschäftsstelle Berlin
Am
4.1.1933 trat der neue Geschäftsführer des Evangelischen Siedlungsdienstes,
Pfr. Schröder aus Puschkau/Schlesien - er hatte sich bereits im Schlesischen
Provinzialverband für Innere Mission interimistisch den Siedlungsfragen
gewidmet und war vom Direktor des CA Jeep auf der Sitzung des
Arbeitsausschusses am 15.11.1932 vorgeschlagen worden - seinen Dienst in
Berlin unter ziemlich unklaren Voraussetzungen an. Nicht allein, daß er bei
Dienstantritt keinen Anstellungsvertrag erhielt; es bestand auch keine
rechtswirksame Vereinbarung mit dem CA über die organisatorische Zuordnung
des ESD und die Finanzierung der von seiten des CA bereitgestellten
Hilfsmittel (Zimmer, Büromaterial) und der Sekretärin.
Nach
Auffassung der Mitglieder des Arbeitsausschusses sollte die
Reichsgeschäftsstelle "sowohl personell wie auch örtlich" an den CA
angeschlossen werden. Der Direktor des CA Jeep erklärte auf der Sitzung des
Arbeitsausschusses am 15.11.1932 sogar, "daß er durch die Angliederung des
Siedlungsdienstes seinerseits auch die volle Verantwortung für die Arbeit
des neuen Geschäftsführers zu übernehmen bereit sei" (Sitzungsprotokoll des
Arbeitsausschusses vom 15.11.1932, gefertigt von Schultz am 2.12.1932; ADW,
CA 1622 I a). Der Vorsitzende des ESD Hymmen schlug daraufhin vor, der CA
möge die Geschäftsführung doch selbst übernehmen, unter der Voraussetzung,
"daß ihm die Mittel dafür von den am Siedlungsdienst beteiligten Kirchen und
Provinzialverbänden für Innere Mission dargereicht werden" (Schreiben von
Hymmen an den CA vom 17.11.1932; ADW, CA 1622 I).
Der Vorstand
des CA, dessen Finanzgebaren nach dem Devaheim-Zusammenbruch von seiten der
Sanierungsträger verstärkter Kontrolle ausgesetzt war, stellte demgegenüber
in seiner Sitzung am 29.11.1932 fest, daß "dem Wunsche von D. Hymmen, den
Evangelischen Siedlungsdienst als eine Abteilung in den CA einzugliedern,
nicht entsprochen werden kann. Die Geschäftsführung des Evangelischen
Siedlungsdienstes hat völlig selbständig zu bleiben, wie auch der
Geschäftsführer dafür zu sorgen hat, daß die Beiträge der Kirchen und
IM-Kreise zur Erhaltung des Evangelischen Siedlungsdienstes einkommen"
(Protokoll der Vorstandssitzung des CA vom 29.11.1932; ADW, CA 67 B -1932-).
Endgültige Abmachungen zwischen dem CA und dem Evangelischen Siedlungsdienst
wurden zurückgestellt, "bis aufgrund der gemachten Erfahrungen die
Lebensfähigkeit der Geschäftsstelle des Evangelischen Siedlungsdienstes in
Berlin beurteilt werden kann". Der Arbeitsausschuß des ESD hatte dagegen
bestimmt, daß "die Vereinbarungen mit dem Central-Ausschuß für Innere
Mission bei endgültiger Anstellung von Pfr. Schröder schriftlich
niedergelegt werden" sollten (Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses
des ESD vom 15.11.1932; ADW, CA 1622 I a).
Am 14.3.1933, gegen
Ende der Einarbeitungszeit von Schröder, übermittelte der Direktor des CA
Jeep dem Vorsitzenden des ESD Hymmen den Entwurf eines entsprechenden
Vertrages zwischen CA und ESD. Dieser Vertrag wurde am 25.4.1933 von D. Jeep
und D. Hymmen unterzeichnet. Er legte unter Punkt 1 fest:
"Der
Evangelische Siedlungsdienst verpflichtet sich, das Gehalt für Pfr.
Schröder... voll aufzubringen und an den Central-Ausschuß abzuführen. Sollte
sich ergeben, daß die Aufbringung der Mittel nicht im vollen Umfang möglich
ist, so macht der Evangelische Siedlungsdienst dem Central-Ausschuß so
rechtzeitig Mitteilung, daß Verhandlungen und Maßnahmen erfolgen können,
durch die eine finanzielle Belastung des Central-Ausschusses vermieden
wird." Und weiter unter Punkt 4:
"Der Central-Ausschuß stellt dem
Evangelischen Siedlungsdienst für das Jahr 1933 zwei Büroräume mit Licht und
Heizung, eine Sekretärin sowie Büro- und Schreibmaterial frei zur Verfügung.
Späterhin wird am Ende eines jeden Etatjahres festgestellt, ob der
Evangelische Siedlungsdienst imstande ist, eine angemessene Vergütung für
diese Leistungen an den Central-Ausschuß zu zahlen" (ADW, ESD 245). Anhand
der vorliegenden Akten muß bezweifelt werden, daß der Vertrag rechtskräftig
wurde. Die Zusicherungen des CA-Direktors standen im Widerspruch zu den
Festlegungen, die der Vorstand des CA am 29.11.1932 und am 3.3.1933
getroffen hatte. Dr. Schubert, im Oktober 1933 von Dr. Heinrich mit
Recherchen nach schriftlichen Vereinbarungen zwischen CA und ESD beauftragt,
gab in einem Aktenvermerk vom 28.10.1933 zu Protokoll: "Schriftliche
Unterlagen... bzw. entsprechende Vereinbarungen mit dem Siedlungsdienst habe
ich nicht feststellen können" (ADW, CA 1622 II). Und der Arbeitsausschuß des
ESD beschloß noch am 11.8.1933: "Der Vorsitzende wird ermächtigt, den
anläßlich der Verlegung der Geschäftsstelle des Evangelischen
Siedlungsdienstes von Bielefeld nach Berlin zu schließenden Vertrag zwischen
Central-Ausschuß und Evangelischem Siedlungsdienst zu unterzeichnen"
(Sitzungsprotokoll des Arbeitsausschusses vom 11.8.1933, Punkt 4, S. 7; ADW,
ESD 260).
Am 24.3.1933 schrieb Jeep wegen der Unterzeichnung des
Anstellungsvertrages von Schröder an den Präsidenten des CA Karow. Der
Anstellungsvertrag bezieht sich ausdrücklich und ausschließlich auf das
Fehlen der Rechtsfähigkeit des ESD als die das Anstellungsverhältnis
erzwingende Voraussetzung. Im Zusammenhang damit heißt es: "Ihr dienstliches
Verhältnis zum Central-Ausschuß, sowie die finanziellen Verpflichtungen des
Evangelischen Siedlungsdienstes, sind durch besonderen Vertrag zwischen
diesem und dem Central-Ausschuß zu regeln" (Personalakte Schröder). In dem
o.a. Begleitschreiben an Karow versuchte Jeep, etwaige Bedenken zu
zerstreuen: "Der Central-Ausschuß übernimmt ein finanzielles Risiko nicht,
da bisher die Beiträge von Kirchenbehörden und IM-Verbänden in der
vorgesehenen Höhe eingegangen sind. Ich nehme an, daß das auch weiterhin der
Fall sein wird" (ADW, CA 1622 I a).
Obwohl wiederholt mahnende
Rundschreiben versandt wurden, gingen die Beiträge für den ESD vor allem von
seiten der IM-Stellen nach dem Machtwechsel nur noch schleppend und
unvollständig ein. Diese Stellen - belastet durch andere Abgaben etwa im
Zusammenhang mit der Notgemeinschaft - sahen die Notwendigkeit eines
evangelischen Siedlungsdienstes, nachdem die Möglichkeit zu praktischer
Arbeit entfiel, nicht mehr recht ein: "Die Mahnungen... fielen infolge der
anderweitigen Belastungen und der kirchenpolitischen Schwierigkeiten auf
wenig fruchtbaren Boden" (Aufstellung betr. Etat des Siedlungsdienstes,
18.10.1934; ADW, ESD 266).
Der Beirat des ESD hatte in seiner
Sitzung vom 17.2.1933 "Richtlinien für die Arbeit und Organisation des
Evangelischen Siedlungsdienstes" beschlossen, die von Schröder zusammen mit
Dr. Wahl vom Kirchenbundesamt ausgearbeitet worden waren. Unter "I. Ziele
der evangelischen Siedlungsarbeit" wird es als ein solches unter Buchstabe c
bezeichnet, "auch eine den kirchlichen Grundsätzen und Belangen
entsprechende Werbung, Beratung, Auswahl, Schulung und Vermittlung von
Siedlern zu betreiben" (ADW, ESD 260). Über die Aufgaben der
Reichsgeschäftsstelle wird gesondert ausgeführt:
"Sie hat die
evangelische Siedlungsarbeit in Zusammenarbeit mit den bereits bestehenden
evangelischen Stellen in den Ländern und Provinzen... und den ... Kirchen
zusammenzufassen und erforderlichenfalls bei den Kirchenbehörden und
Verbänden der Inneren Mission die Errichtung neuer Stellen anzuregen.
Sie hat ferner:
a. für die Wahrung der evangelischen Belange
bei amtlichen, halbamtlichen und privaten Siedlungsstellen einzutreten und
den Landes- und Provinzialsiedlungsdiensten durch Nachweis von Siedlungsland
behilflich zu sein,
b. als Auskunftsstelle über die Vorgänge auf
dem Gebiete der Gesetzgebung und Verwaltung und über die Siedlungsliteratur
den vorgenannten Stellen zu dienen,
c. die Anliegen der
vorerwähnten Stellen bei den Reichsstellen zu vertreten,
d. die
notwendige Verbindung der Landes- und Provinzialstellen untereinander
herzustellen,
e. die Statistik über das Siedlungswesen zu
beobachten und wo nötig, selbständig zu führen" (ADW, ESD 260).
Den Richtlinien konnte, soweit sie praktische Arbeit
intendierten, nach dem Machtwechsel nicht mehr entsprochen werden. Die in
ihnen angesprochenen informativen und repräsentativen Funktionen der
Reichsgeschäftsstelle lagen eo ipso mehr im Interesse der Kirchenbehörden
als der IM-Stellen. Schröder sah immerhin die Möglichkeit zu eigenständiger
Arbeit noch in der geistlichen Betreuung der Siedler: "Unsere Hauptarbeit
liegt auf dem Gebiet der Seelsorge und Betreuung der Siedler" (Bericht zur
Lage, Sitzungsprotokoll des Arbeitsausschusses vom 6.5.1933; ADW, ESD 260).
Die seelsorgerliche Betreuung verlagerte sich in der Folge stärker auf die
Landhelfer und die ihr Landjahr absolvierenden Jugendlichen. Es wurden auch
Anstrengungen unternommen, um in Siedlungsgebieten Siedlungsdiakone
anzusetzen und Vikare für die Arbeit in den Stadtrandgebieten zu
gewinnen.
Die rückläufige Eigenfinanzierung des ESD führte zu
wiederholten Kontroversen mit dem "Sanierungsvertrauensmann", Schatzmeister
und Justitiar des CA Dr. Heinrich, der sich der Bezuschussung des ESD durch
den CA widersetzte. Seine Haltung und die der Sanierungsträger in dieser
Frage wurde auch dadurch bestimmt, daß der ESD in der Frage der Hergabe von
Kirchenland für Siedlungszwecke im Auftrage der Kirchenbehörden ablehnend
Stellung nahm (vgl. das Schreiben Heinrichs an Frick vom 27.4.1935; ADW, CA
1622 II); Sitzungsprotokoll der Beiratssitzung vom 12.3.1936 (ADW, ESD 269);
Denkschrift des Evangelischen Siedlungsdienstes zur Frage der Abgabe von
Kirchenland zu Siedlungszwecken; ADW, ESD 300).
Die Bezuschussung
erwies sich dennoch als unvermeidlich, da die monatliche Gehaltsauszahlung
an den Geschäftsführer durch den CA einen Bestandteil des
Anstellungsvertrages bildete und auf das Konto des ESD, das mit diesen
Gehaltszahlungen belastet wurde, immer weniger Beiträge eingezahlt wurden.
In diesem Zusammenhang wurden Schröder nach der Neuordnung des Verhältnisses
zwischen Deutscher Evangelischer Kirche und dem Central-Ausschuß im Jahre
1933 und in den sich an diese anschließenden neuen Geschäftsverteilungs- und
Arbeitsplänen als Leiter des Referates 10 "Siedlungsfragen und Wohlfahrt auf
dem Lande" als zusätzliche Aufgaben zugewiesen: Auswandererfürsorge,
Wandererfürsorge, Herbergswesen, Bodenreform, Siedlungswesen, Landhilfe,
ländliche Wohlfahrtspflege, Freiwilliger Arbeitsdienst, Wohnungswesen
(Anlage zum Protokoll der Vorstandssitzung vom 3.11.1933 (ADW, CA 67 B
-1933-). Dem Geschäftsführer des ESD wurden also, da ihn diese Funktion
nicht auslastete und der CA den ESD bezuschussen mußte, Funktionen des CA
übertragen; umgekehrt nahm Schröder die Wahrnehmung dieser Funktionen zum
Anlaß, eine entsprechende anteilige Finanzierung des ESD durch den CA zu
erwarten.
Hatte der CA im Jahre 1934 aufgrund der eingegangenen
Beiträge nur einen Gehaltsanteil der Sekretärin übernehmen müssen, sah er
sich 1935 dem Verlangen nach Übernahme der Hälfte des Gehaltes des
Geschäftsführers und des vollen Gehaltes der Sekretärin auf eigenen
Personaletat konfrontiert. "Einigkeit besteht darüber, daß die Arbeit des
Evangelischen Siedlungsdienstes als solche im Augenblick beschränkt sein
muß, daß sich aber für Landjahr usw. neue Aufgaben ergeben, so daß die
Geschäftsstelle für das laufende Jahr wenigstens noch als Bereitschaft...
fortzuführen ist" (Protokoll der Vorstandssitzung vom 7.5.1935; ADW, CA 67 B
-1935-). D. Ohl schlug in diesem Zusammenhang vor, "statt Siedlungsdienst
jetzt immer besser Landhelferarbeit oder Landhelferseelsorgearbeit zu sagen"
(a.a.O.). Der Vorstand beschloß einen einmaligen Zuschuß von RM 7.000,--
unter dem Vorbehalt der Restfinanzierung durch die Reichskirche und der
Genehmigung von seiten der Sanierungsträger.
Der sich daran
anschließende späte eigene Vorstoß von Schröder, seinen Status als
Geschäftsführer des ESD mit dem CA vertraglich abzusichern, mißlang. "...
während die Stellung des Siedlungsdienstes als solcher in der IM bewußt in
der Schwebe gehalten werden soll, soll Ihre... persönliche Stellung als fest
gelten", wurde ihm bündig von seiten des Präsidenten des CA mitgeteilt
(Schreiben Frick an Schröder, 5.7.1935; ADW, ESD 266).
1936 war
das Schicksal des ESD entschieden. Die Divergenzen zwischen dem Interesse
zentraler Kirchenbehörden am ESD und der mangelnden
Finanzierungsbereitschaft von seiten der meisten Träger konnten vom
Vorsitzenden Hymmen auf der Beiratssitzung am 12.3.1936 nur noch scheinbar
überbrückt werden. Die Vertreter süddeutscher Landeskirchen (Bayern,
Württemberg und Baden) sowie der Landeskirche Hannover hatten einen Antrag
auf Auflösung des ESD zum 1.4.1936 eingebracht, der nach längerer Aussprache
mit folgendem Beschluß abgelehnt wurde: "Der Beirat stellt nach eingehender
Aussprache fest, daß der Evangelische Siedlungsdienst im Ganzen des
Dienstes, der der Evangelischen Kirche und ihrer Inneren Mission aufgegeben
ist, nicht entbehrt werden kann. Er kann deshalb die aus einzelnen
Landeskirchen gestellten Anträge auf Auflösung des Siedlungsdienstes nicht
ästimieren und bittet auch diejenigen Landeskirchen und ihre IM-Verbände,
die nicht so unmittelbar von der Arbeit des Evangelischen Siedlungsdienstes
berührt werden, um des Ganzen des kirchlichen Dienstes willen ihm ihre Hilfe
nicht zu versagen" (Beirat, Sitzungsprotokoll vom 12.3.1936; ADW, ESD
260).
In der Beschlußfassung vorausgehenden Aussprachen war
allerdings die weitere maßgebliche Beteiligung des CA an der Finanzierung
des ESD als gegeben unterstellt worden, nachdem Schröder mitgeteilt hatte,
"daß der Präsident des CA... ihm auch für das kommende Jahr die finanzielle
Unterstützung von RM 7.000,-- wie im Vorjahr... in Aussicht gestellt habe"
(Beirat, Sitzungsprotokoll vom 12.3.1936, a.a.O.). Dabei lag offensichtlich
von seiten Schröders eine Verwechslung vor zwischen Sicherstellung des ESD
und seiner persönlichen Sicherstellung; eine Unterscheidung, auf die Frick
in seinem Schreiben an Schröder vom 5.7.1935 gerade aufmerksam gemacht
hatte.
Nach erfolgter Beschlußfassung dementierte Dr. Heinrich
noch in derselben Sitzung jede Zusage des CA im Hinblick auf weitere
Zuschüsse (ADW, CA 1622 II, Protokoll der Beiratssitzung vom 12.3.1936).
Beim CA machte man sich zu dieser Zeit schon Gedanken über die Aufnahme des
Landhelferseelsorgedienstes in das Arbeitsgebiet der Volksmission (Protokoll
der Vorstandssitzung vom 19.12.1935; ADW, CA 67 B -1935-, S. 15), da
Schröder für die Übernahme des Geschäftsführerpostens beim Zentralverein für
Innere Mission in Österreich in Aussicht genommen wurde. Es blieb jedoch
beim Plan. Das Protokoll der Vorstandssitzung des CA vermerkt unter dem
9.3.1936, Schröder habe "vom EOK ein Angebot auf drei Monate erhalten mit
der Möglichkeit einer vielleicht dauernden Anstellung... Entscheidung bleibt
vorbehalten" (ADW, CA 67 B -1936). Der Zentralverein für Innere Mission in
Wien wartete den Berliner Entscheidungsprozeß nicht ab und entschied sich
für einen anderen Bewerber (Protokoll der Vorstandssitzung vom 23.6.1936;
ADW, CA 67 B -1936). Schröder begann daraufhin seine Tätigkeit als
theologischer Hilfsarbeiter beim EOK - vom CA beurlaubt - am 6.7.1936 mit
einem zunächst auf drei Monate begrenzten Zeitvertrag. Die "aushilfsweise
Beschäftigung" wurde zweimal um jeweils sechs Monate verlängert, zuletzt bis
zum 31.12.1937. In dieser Zeit wurde dem EOK für die Weiterführung von
Dienstgeschäften des CA durch Schröder - zu ihnen zählte auch die von
Schröder betreute Landhelferseelsorge als Teil des Dienstes der "Wandernden
Kirche" - ein Drittel dessen Gehaltes vergütet.
Am 1.1.1938
kehrte Schröder zum CA zurück. Beiträge für den Siedlungsdienst waren 1936
und 1937 nicht mehr eingegangen (Schreiben Heinrich an Frick vom 18.12.1937;
ADW, CA 2022 - Personalakte Schröder -), so daß ihm von seiten des
CA-Präsidenten nahegelegt wurde, sich eine anderweitige Beschäftigung zu
suchen (Schreiben Frick an Schirmacher vom 16.12.1937; ADW, CA 2022). Zwar
blieb die Stellensuche zunächst erfolglos; gleichwohl kündigte der CA das
Anstellungsverhältnis mit Schreiben vom 30.3.1938 zum 30.9.1938
(a.a.O.).
Am 29.4.1938 wählte der Vorstand des
Provinzialverbandes der Brandenburgischen Frauenhilfe Schröder zum
Geschäftsführer des Verbandes. Er trat sein neues Amt offiziell am
1.10.1938, tatsächlich jedoch bereits am 1.6.1938 an.
Nach dem
12.3.1936 hatte keine Sitzung des Arbeitsausschusses oder des Beirats des
ESD mehr stattgefunden. Eine von der Buchhaltung des CA für den ESD am
24.8.1938 erstellte Schlußrechnung für den Zeitraum vom 1.4.1937 bis zum
30.9.1938 wies einen Fehlbetrag von RM 9.457,75 aus, zu dessen teilweiser
Deckung von seiten des CA beim EOK ein Beihilfeantrag auf RM 5.000,--
gestellt wurde. In der Antragsbegründung wird festgestellt: "Die
Reichsgeschäftsstelle des Evangelischen Siedlungsdiensts befindet sich in
Auflösung und zum 30.9.1938 wird die Liquidation beendet sein" (Schubert an
EOK, 23.8.1938; ADW, CA 1622 II).
Direktor Schirmacher teilte dem
Präsidenten Frick am 23.9.1938 mit, daß er Schröder bei dessen Ausscheiden
erklärt habe, "der besonders ihm am Herzen liegende Seelsorgerdienst an
Landhelfern würde von mir wahrgenommen werden" (ADW, CA 2022). "Was Herr
Pfr. Schröder von den anderen Angelegenheiten geschrieben hat, ist bisher
vorzugsweise von diesem weiter behandelt" (a.a.O.).
Entstehung, Überlieferung, Verzeichnung und
Ordnung der Akten
Die Akten der
Geschäftsstelle Bielefeld und der Reichsgeschäftsstelle Berlin des ESD
bilden zwei voneinander unabhängig gebildete Teilbestände, die aber
gleichwohl wegen ihres sachlichen Zusammenhanges und ihres geringen Umfanges
zusammengefaßt wurden. Der größere Teilbestand Geschäftsstelle Bielefeld war
nach Korrespondenzpartnern, der Berliner Teilbestand nach sachlichen
Gesichtspunkten geordnet. Die vorgefundenen Akteneinheiten wurden
beibehalten, jedoch wurde die systematische Ordnung - soweit möglich -
geändert.
Die Akte ADW, ESD 265 enthält ein in Bielefeld
unmittelbar vor der Auflösung der Geschäftsstelle (o.D.) angefertigtes
Aktenverzeichnis, das alle dort entstandenen Akten mit Angaben über die
jeweiligen Abgabeorte enthält. Die mit "B" (= Reichsgeschäftsstelle Berlin)
gekennzeichneten Akten waren zum Zeitpunkt der Verzeichnung im Archiv nicht
vollständig vorhanden. Die vorhandenen Akten wurden in dem o.a. Verzeichnis
gekennzeichnet (rot abgehakt) und in einem vorläufigen Verzeichnis
aufgelistet, welches der Akte ADW, ESD 5 beigefügt worden ist. Die von
Bielefeld aus an den Westfälischen Provinzialverband für IM abgegebenen
Akten werden im Archiv des Diakonischen Werkes Westfalen verwahrt. Für die
von der Reichsgeschäftsstelle Berlin des ESD gebildeten Akten ist von deren
Geschäftsführer Pfr. Schröder ebenfalls ein Aktenverzeichnis angelegt worden
(ADW, ESD 266). Es enthält außer den Akten der Reichsgeschäftsstelle auch
Schröders Handakten sowie CA-Akten, welche Arbeitsgebiete betreffen, mit
denen sich Schröder auch zu befassen hatte; außerdem eine von dem früheren
CA-Siedlungsreferenten Seyferth angelegte Materialsammlung zu
Siedlungsfragen. Das am 23.9.1937 angelegte Verzeichnis ist - soweit es den
Evangelischen Siedlungsdienst betrifft - identisch mit dem Verzeichnis des
Evangelischen Siedlungsdienstes Berlin innerhalb des Aktenverzeichnisses des
CA (ADW, ESD 1622/1-32,34,46). Kassierte Akten sind in den vorarchivischen
Verzeichnissen als solche gekennzeichnet.
In dem anschließenden
Findbuch stehen an erster Stelle die Archiv- und an zweiter Stelle die
vorgefundenen Signaturen. Dabei sind die vorgefundenen Signaturen der Akten
der Reichsgeschäftsstelle Berlin nur verkürzt und der von Schröder
vorgenommenen Gliederung entsprechend wiedergegeben; die Nr. 1622 wurde
nicht wiederholt.
Weitere
Akten über den Evangelischen Siedlungsdienst im Beständen des Archivs:
ADW, CA 67 B - 1932-36 -; ADW, CA 837 III Nr. 19; ADW, CA
1622 ;
ADW, BP 2121 - 2134 ;
ADW, KSB 393.
und im Archiv des Diakonischen Werkes Rheinland, Bestand
Ohl unter 103.1 u. 103.2.
Literatur
Gustav v. BODELSCHWINGH, Die
Seßhaftmachung der deutschen Familie und die Kirche. Drei Beiträge zur
Siedlungsfrage, o.O. 1935.
D. HYMMEN und H. SCHULTZ,
Pfarrerschaft und Landarbeitersiedlung, Bielefeld 1931.
Maximilian KELLER, Siedlung und Katholizismus, Karlsruhe 1933.
Werner KLÄN, Kirche und Volkstum - Nation und Konfession.
Der Ev. Siedlungsdienst und die Siedlungsfrage in Pommern 1928 - 1936, in:
Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und
Kirchenkunde, Bd. 35 (1992), S. 9 - 58.
Alfred
MARCINEK, Die konfessionelle Frage in der ländlichen Siedlung, Berlin
1934.
Kurt NOWAK, Ev. Kirche und Weimarer Republik,
Weimar 1981, S. 135f.
Paul SEYFERTH (Hg.), Beiträge
zur ländlichen Siedlung, Berlin 1928.
Gerhard
SCHRÖDER, Evangelisch-kirchliche Aufgaben bei der Neubildung deutschen
Bauerntums, in: Die Innere Mission, Jg. 29 (1934) H.2.
Ders., Innere Mission und Stadt-Landbewegung, in: Die Innere Mission,
Jg. 30 (1935) H. 3.
Ders., Ev. Siedlungsdienst. In:
Die Innere Mission, Jg. 31 (1936) H.1.
vgl. VSWG 76.
Bd. 1989, S. 421
Die Akten wurden 1983 von Frau Hanna
Kröger geordnet und verzeichnet.
1998 wurde das Findbuch mit dem
Archivprogramm Augias erfaßt. Die Aktenzählung wurde dabei nicht
verändert.
Die Akten: ESD 6 ; 7 ; 246 ; 253 ; 254 ; 255 wurden
als in zwei Teile getrennt (A+B) in der Verzeichnung vermerkt.
Abkürzungsverzeichnis:
AG
Arbeitsgemeinschaft
AV Aktenvermerk
betr.
betreffend
BK Bekennende Kirche
bzw.
beziehungsweise
CA Central-Ausschuß
Dipl. Diplom
Dr. Doktor
EOK
ESD Evangelischer
Siedlungsdienst
ev. / Ev. evangelisch / Evangelische
FAD Freiwilliger Arbeitsdienst
GzF
H. Heft
IM Innere Mission
i.R. im Ruhestand
Jg.
Jahrgang
NS- nationalsozialistisch
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
o.D. ohne
Datum
o.J. ohne Jahr
P. / Pf. Pfarrer
Rs.
Rundschreiben
Schr. Schriftwechsel
TH
u.
und
u.a. und andere
v. von
- Reference number of holding
-
ESD
- Context
-
Archiv für Diakonie und Entwicklung (Archivtektonik) >> Sonstige Verbände und Rechtsträger
- Date of creation of holding
-
1929-1938
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
22.04.2025, 11:01 AM CEST
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1929-1938