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Lieber Dieter Keller, Ihr Brief vom 19.8. kam über Sehringen...

Transkription: Lieber Dieter Keller, Ihr Brief vom 19.8. kam über Sehringen erst jetzt am 8.9. hier an. Ich sah bei meinem Besuch in Vaih., wie es nun bei ihrer lieben Frau steht, obwohl ich sie munter und aufgeräumt fand. Ich habe schon immer Umschau gehalten, ob sich nicht eine Menschenseele fände, damit der Zustand des Alleinseins aufhört. Es ist nur heutigentag so schwer, da fast alle Menschen wenn nicht ¿ergriffen¿ so sonstwie gebunden sind. Ich habe vorgestern Ihre Frau gesprochen: sie ist einerseits froh, ohne Mädchen zu sein, ganz Herr ihres Tuns und ihrer Zeit und sie kennt auch die möglichen Irritierungen, die bei einem ihr zunächst fremden Menschen auftreten können, die Bindungen, Verpflichtungen. Ich kann das sehr verstehen. Da ich also noch nicht Positives erreichte, und auch durch die Äußerungen Ihrer Frau etwas geformt bin, setze ich dennoch mein Überlegen und Suchen fort. Doch schlimm sind die allein Nächte bei Fliegeralarm, obwohl selten und nur indirekt; hier war ja ernstlich noch nichts und wenn, so aufs Neckartal (Daimler) gerichtet. Und das letzte Wort ihrer lieben Frau war, sie wolle es zunächst mal so probieren. Darüber und in diesem Sinn wird sie ihnen ja berichtet haben. Aber diese Zeiträume: 2-3 Wochen zwischen einem Brief! Was mag da inzwischen alles geschehen ein. Doch schreiben Sie mir so unrussisch saubere Maschinenschrift, daß sie jenseits der unmittelbaren Gefahr und der Schrecken dieses mörderischen Krieges zu sein scheinen und hoffentlich bleiben. Der Kampf ist der härteste, es geht langsamer als gesagt und der Winter steht vor der Tür. Haben Sie auch schon so kalt des morgens? Und: Es wird einen langen Krieg geben bis zur totalen Erschöpfung. Wir dürfen nicht verlieren, weil das unvorstellbar gefährlich wäre. Rückseite Meine Mission geht hier langsam zu ende (für Kämmerer ging sie unendlich weiter). Ich will aber einen Punkt machen und weg von hier. Das dürfte am Montag erreicht sein: Dann Bodensee über Straßburg und nochmals Sehringen, so daß ich wohl erst am 1. Okt. wieder in Wuppertal sein werde. ¿ Ihre 2. K-Sendung via Dr. H kam an mit viel herzlichen Dank. Desgleichen die Cig. Päckchen. Die Arbeit bei Kä. ist so viel anstrengender als die in Wuppertal, daß über diesen Punkt es keine Frage gibt. Nur ist sie anregender, vielfältiger und hält in Atem. Wechselweise - das eine und das andere, wird die Lösung sein, die Kä. auch anstrebt, der mich für ein halbes Jahr verpflichten will. Ich muß das mit dem Wupptal besprechen und mich event. nach beiden Seiten sichern. Übrigens: bei Willy Baumeister stand mein Frühbild ¿Elisabeth¿, von Ihm auf die Seite geschafft, da, wie er meint, es aggressiver wirke als alle seine abstrakten, weil Figur. Ich sah es doch wieder sehr gerne, erinnerungshalber, - wie war man doch einst ¿ frisch, fromm und fröhlich frei. Nun weiß ich nicht, wohin damit. Kä. wird es sofort aufhängen. Ob ichs als Tabernakel mit nach Wuppertal nehmen? Ob ich es zu ihnen tun soll zur Sicherstellung? Ich wills nur vor meiner Abreise erledigt wissen und die kann schon bald nun erfolgen. Ich weiß, Sie werden ja sagen ¿ dennoch werd ichs zunächst zu Kä. stellen, vorbehaltlich und leihweise. Es paßt dort gut ins Ensemble. Verzeihen Sie, daß ich mich über Persönliches so verbreite. Ich bin immer wieder erstaunt, was einmal in einer so unbekümmerten Zeit und in voller Freiheit natürlicherweise entstand. Immer und weiterhin alles Beste und herzlichen Gruß. Ihr Oskar Schlemmer Am Rand: Seien Sie vorsichtig in Ihren Briefen! Dr. H. ist es übermäßig, vielleicht mit Recht.

Collection
Archiv Oskar Schlemmer
Inventory number
AOS 2015/1895
Material/Technique
Papier; Tinte; Bleistift

Event
Herstellung
(who)
Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Dieter Keller (1909 - 1985)
Provenance
Abschrift vorhanden; Imdas

Rights
Staatsgalerie Stuttgart
Last update
28.03.2025, 12:10 PM CET

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  • Dieter Keller (1909 - 1985)

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