Bestand

017 - Wohnungsamt (1918-1933) (Bestand)

Verwaltungsgeschichte/biografische Angaben: Wohnungsamt der Stadt Worms

Vorwort: Abt. 17 Wohnungsamt (1918-1933)
Umfang: 67 Archivkartons (= 712 Verzeichnungseinheiten, 11 lfm)
Laufzeit: 1918 - 1933
Vorwort
1. Geschichte, Übernahme, Ordnung und Bedeutung des Bestandes
Die heutige Abt. 17 des Stadtarchivs umfasst die geschlossene und offenbar durch keinerlei Verluste oder Kassationen beeinträchtigte Überlieferung des städtischen Wohnungsamtes für die Zeit seiner Existenz von 1918/19 bis zur Aufhebung der Wohnungsbewirtschaftung 1933. Die Unterlagen sind offenbar direkt nach dem Abschluß der Tätigkeit des Amtes in das Stadtarchiv gelangt.
Da ein Aktenplan für den Bestand nicht vorlag (nur für einen Teil der Akten läßt sich eine Registratursignatur feststellen), wurden die Akten nach ihrer im Frühjahr 2001 erfolgten Neuverzeichnung durch Frau Jessica Graichen (Frankenthal, studentische Praktikantin des Stadtarchivs) nach den Aufgaben und vorgefundenen Tätigkeitsfeldern des Amtes neu gegliedert und eine Klassifikation festgelegt. Die Verzeichnung mit der Archivsoftware Augias-Data erfolgte im August 2001. Der Bestand wird im Magazin des Stadtarchivs in 67 Archivkartons gelagert und umfaßt 711 Verzeichnungseinheiten.
Der Zustand der Akten ist im allgemeinen gut; Benutzungsbeschränkungen bestehen keine.
Der Wert der Akten ist für zahlreiche Fragen der Sozial- und Kommunalgeschichte von Worms für die Zeit der Weimarer Republik als sehr hoch einzuschätzen. Die Akten erlauben einen tiefen Einblick in die Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten und dokumentieren eines der gravierendsten Probleme der Stadt Worms nach dem Ersten Weltkrieg (vgl. unter 2).
Bei einem Teil der Akten handelt es sich um Handakten des Beigeordneten für das Wohnungswesen. Von Oktober 1920 über seine Wiederwahl 1926 bis 1933 amtierte als solcher (unbesoldet) der Geometer Adam Winkler (geb. 8.5.1868 in Horchheim, gest. 21.10.1945 Worms) .
Die Zeitungen werden wie folgt abgekürzt: WZ Wormser Zeitung, WVZ Wormser Volkszeitung, WTZ Wormser Tageszeitung.
2. Aufgaben und Tätigkeit des Wohnungsamtes – Zur Bekämpfung der Wohnungsnot als kommunaler Aufgabe nach 1918
Die Wohnungsnot gehörte nach dem Ersten Weltkrieg zu den schwierigsten kommunalen Problemen. Auch in Worms wurde die Bekämpfung der Wohnungsnot als dringendste Aufgabe der Stadtverwaltung angesehen, wie es Oberbürgermeister Rahn in einem Schreiben von Januar 1925 im Zusammenhang von Kreditgewährungen ausdrückte . In Hessen hatte es seit der ersten gesetzliche Regelung der Wohnungsaufsicht (1893) und einer weiteren Intensivierung der Wohnungsfürsorge (Wohnungsfürsorgegesetz 1902), an der jeweils Wormser Politiker stark beteiligt waren, trotz aller Unzulänglichkeiten deutliche Fortschritte in der Wohnungsfrage gegeben. Auch überregional wurden die Erfolge bei der Wohnraumbeschaffung gewürdigt, die u.a. durch die Förderung gemeinnütziger Bauvereinigungen erreicht werden konnten. Allerdings war trotz dieser Anstrengungen die Wohnungsknappheit bereits vor 1914 durchaus auch in Worms ein allgemeines Problem. Für die Stadt charakteristisch waren die Bemühungen der Fabrikherren der Lederindustrie (v.a. die Lederwerke Cornelius Heyl, Doerr & Reinhart) um Ansiedlung 'ihrer' Arbeiter und Arbeiterinnen und die Förderung des Kleinwohnungsbaus . Seit 1906 trat auch die Stadt durch den Bau von Wohnungen für städtische Arbeiter (Textor- und Gibichstraße) hervor . All diese Bemühungen fanden mit dem Ausbruch des Krieges 1914 ein jähes Ende. Bereits zu Beginn des Jahres 1918 wurde in Worms in Presseberichten auf einen zunehmenden Wohnungsmangel aufmerksam gemacht, der bereits im Frühjahr zu ersten, zaghaften Bemühungen der Stadtverwaltung geführt hat. Jedoch erst am Ende dieses Jahres offenbarte sich eine völlig neue Dimension des grundsätzlich vorhersehbaren Problems: Die Rückkehr der Soldaten aus dem Krieg, ein Rückstand des Wohnungsbaues seit 1914, demographische Faktoren in Gestalt einer ganz erheblichen Zunahme von Heiraten und Familiengründungen durch geburtenstarke Jahrgänge sowie die Folgen der französischen Besatzung des Rheinlandes (u.a. umfangreiche Beschlagnahmungen von Wohnraum ) führten zu einer katastrophalen Zuspitzung der Lage. Da die bisher die Hauptlast der Wohnungsversorgung tragende Lederindustrie wegen der überaus schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse als Faktor des Wohnungsbaues nahezu vollständig ausfiel, oblag der Stadt plötzlich eine riesenhafte Aufgabe in einer Zeit, in der die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse alles andere als stabil waren.
Im September 1918 bestellte die Stadtverordnetenversammlung eine neunköpfige Wohnungskommission , die im Zuge der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraumes für die Zuteilung von Wohnungen zuständig sein sollte. Dieses Gremium hatte in den folgenden Jahren eine erhebliche Aufgabenlast zu bewältigen. Nach einer Verordnung des Bundesrates vom 23.9.1918 über den Schutz der Mieter und Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel folgten weitere entsprechende Verordnungen, deren Durchführung der Kommission übertragen wurden. Noch vor der Novemberrevolution (und von den politischen Umwälzungen unbeeinträchtigt), im Oktober 1918, wurde von den Stadtverordneten der erste Beschluß über die Errichtung von Kleinwohnungen, zunächst in Pfiffligheim (Melanchtonstraße, 20 Wohnungen), gefaßt, dem im Januar 1919 weitere folgten .
Laut einem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 21.1.1919 wurde dann ein städtisches Wohnungsamt eingerichtet, nachdem sich die bis dahin bestehende Wohnungsinspektion als nicht ausreichend erwiesen hatte. Der Dienststelle wurden übertragen:
- Aufgaben der Wohnungsaufsicht und –fürsorge nach den gesetzlichen Bestimmungen der Jahre 1893 und 1902
- die Durchführung der (zeitgleich erlassenen) Polizeiverordnung betreffend die Meldepflicht über das Vermieten von Wohnungen
- Auskunftserteilung in Wohnungsangelegenheiten
- die Bearbeitung der verschiedenen an die Stadtverwaltung herangetretenen Fragen wohnungstechnischer und allgemeiner Art.
Das Wohnungsamt war weiterhin zuständig für die Anhörung von Wohnungsuchenden, die vorstellig wurden für eine der wenigen Neubauten. Regelmäßige Sprechstunden wurden eingeführt. Die Instandhaltung der Wohnungen, die Durchführung des Reichmietengesetzes und des Mieterschutzgesetzes gehörte ebenfalls zu den Aufgaben dieses Amtes. Im September 1918 wurde aufgrund der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraumes eine zehnköpfige Wohnungskommission zusammengestellt, die für die Zuteilung von Wohnungen zuständig war. Laut einer Vereinbarung zwischen Wohnungsamt und Poststelle war diese Stelle zuständig für eingehenden Anzeigen über Wegzüge, Umzüge und Zuzüge und die Weiterleitung dieser Angaben an das Wohnungsamt.
Trotz steigender Zahl der Wohnungsuchenden konnte nur das dringlichste und notwendigste geschehen, obwohl die Zahl der Beschäftigten bis 1923 kontinuierlich anstieg (1920: 5 Hilfskräfte, 6 zusätzliche Personen und der Amtsvorstand; 1923: 14 Hilfskräfte, 15 zusätzliche Personen und der Amtsvorstand). Bis zum Jahr 1931 wurde die Beschäftigtenzahl auf 10 reduziert.
Vom Jahre 1919 an wurde dann in rascher Folge die Errichtung weiterer auf Kreditbasis finanzierter Häuser und Häusergruppen durch die Stadtverordnetenversammlung beschlossen . Mit diesen Bemühungen folgte man dem Beispiel benachbarter Städte. So hatte man in Mainz bereits im Jahre 1917 eine 'GmbH zur Errichtung von Kleinwohnungen in der Stadt Mainz' gebildet, in der die Stadt die Anteilsmehrheit innehatte . Die in den folgenden Jahren errichteten Häuser befanden sich unter anderem in Pfiffligheim, in der Gau- und Grenzstraße, vor allem aber im Bereich der Würdtwein-, Stralenberg-, Thomas- und Schannatstraße. Die systematische Bebauung des sogenannten Liebenauer Feldes begann im Jahre 1921. Das Quartier Güterhallen-, Gaustraße, Konrad-Meit-Platz, Johann-Hirt-, Würdtwein-, Stralenberg- und Thomasstraße (1921-1927) ist das städte-baulich herausragendste, qualitativ hochwertigste und geschlossenste Ergebnis der städtischen Anstrengungen nach 1918 . Bei den durchschnittlich 59 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnungen in der Stralenbergstraße, die unter anderem von städtischen Beamten bewohnt wurden, wurde laut einem Vermerk vom August 1926 besonderer Wert auf Güte gelegt, weswegen hier auch eine höher als sonst bemessene Miete festgelegt wurde .
Parallel zu den eigenen Baubemühungen begann man verstärkt, Baukostenzuschüsse für private Bauvorhaben zu gewähren. Finanziert wurden die Maßnahmen u.a. mit reichsseitig gewährten Krediten sowie mit Unterstützung des hessischen Staates. Verschiedene Baugenossenschaften konnten in geringem Umfang ebenfalls Bauprojekte beginnen. In erster Linie trat hier die 'Aktiengesellschaft zur Erbauung billiger Wohnungen namentlich zum Besten von Arbeitern in Worms am Rhein' hervor. Sie war 1897 unter maßgeblicher Initiative des Lederindustriellen und Politikers Freiherrn Cornelius Wilhelm von Heyl gegründet worden und hatte die Errichtung der Arbeiterwohnhäuser im 'Kiautschau' betrieben. Bei Kriegsausbruch befanden sich 1914 224 Wohnungen im Eigentum der AG, die eng mit der Stadt verbunden war. Im Jahre 1919 war eine Kapitalerhöhung beschlossen wurde; es kam danach zum Bau dreistöckiger Häuserblocks (Stralenbergstr. 27-29, Luperkusstr. 17), 1925 und 1927 konnten zwei Vorhaben mit 46 Wohnungen verwirklicht werden . Weitere Genossenschaften waren die Gemeinnützige Baugenossenschaft, gegr. 1913, die Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft 'Eigenheim', die Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft 'Selbsthilfe' eGmbH, die Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten und die Hessische Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Kleinwohnungen. Ergänzend hinzu traten das Reich und der Volksstaat Hessen, die an einigen Stellen der Stadt für ihre Bediensteten Wohnraum schufen, so Offizierswohnungen am Nibelungenring und an der Hochheimer Straße sowie an der Begardistraße .
Flankiert wurden die kommunalen Bestrebungen vom Bemühen des hessischen Staates, die Bekämpfung der Wohnungsnot zu unterstützen. Auch in den Debatten des Landtages spielte die Lage eine wichtige Rolle. Immerhin waren im Volksstaat 1924 nach einer Erhebung des Ministeriums für Arbeit und Wirtschaft nicht weniger als 20.000 Familien ohne Wohnung auf der Suche nach einer Unterkunft, weitere 11.000 Familien waren 'in gesundheitsschädlichen, menschenunwürdigen oder zum Bewohnen ungeeigneten Räumen' untergebracht. In etwa 10.000 Fällen waren mehrere Familien in einer Wohnung zusammengedrängt .
Zwischen den Jahren 1923 und 1930 wurde von den Stadtverordneten jährlich ein immer umfangreicher werdendes Wohnungsbauprogramm festgelegt. Laut Einschätzung des Wohnungsamtes vom August 1924 stand die Arbeit der Wohnungskommission, die neben Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung auch von ehrenamtlich tätigen Vertretern des Mieterschutzvereins (er hatte Anfang 1922 mehr als 2000 Mitglieder) und der Hausbesitzer gebildet wurde und der die Zuteilung des knappen Wohnraums oblag, mehr als irgend eine sonstige Kommission des Rates im Brennpunkt der öffentlichen Kritik. Angesichts der überaus angespannten Verhältnisse erscheint es wenig verwunderlich, daß die Beamten des Wohnungsamtes Beleidigungen und tätlichen Angriffen ausgesetzt waren; sie mußten daher unter Polizeischutz gestellt werden . Im Rechenschaftsbericht der Stadtverwaltung für das Jahr 1924 (S. 166) heißt es dazu bei-spielsweise: In jeder Sprechstunde gab es Auftritte und Beamtenbeleidigungen und stärkste Drohungen waren tägliche Erscheinungen, unter denen die Nerven des Beamtenpersonals nicht wenig in Anspruch genommen werden. Wenige Monate zuvor, im Oktober 1923, heißt es in den Akten, das Wohnungselend werde täglich größer, die Lage auf dem Wohnungsmarkt täglich verzweifelter.
Auch die Presse griff die Verhältnisse häufig genug auf. Stellvertretend sei auf einen Artikel in der sozialdemokratischen ‚Wormser Volkswacht‘ vom 18.8.1925 verwiesen, der unter dem Titel 'Wohnungsnot, Wohnungselend, Wohnungsskandal in Worms' die Schwierigkeiten der Unterbringung Obdachloser anprangert. Von den vor der Vollendung stehenden, städtischerseits errichteten Baracken zur Unterbringung wegen Mietrückständen oder aus ähnlichen Gründen aus ihren Wohnungen ausgesetzter Personen links der Mainzer Straße (In den Trumpen, Kiesgrube) heißt es, der Bau bietet für acht Familien Raum mit je 1 Stube und 1 Küche mit einer Gesamtfläche von 30-35 qm. Diese 'Abhilfe' wird geradezu als Strafmaßnahme bezeichnet auf das Schärfste verurteilt. Die Stadt versuchte gegenzusteuern. Allein im Jahre 1926 wurde für die Würdtwein-, Stralenberg- und Schannatstraße ein Bauprogramm im Umfang von 180 Wohnungen in mehreren Wohnhausgruppen für mehr als zwei Millionen Reichsmark (Haushalt insgesamt) beschlossen und in der Folgezeit zügig umgesetzt . Dem Bedarf entsprechend wurden hier vornehmlich Drei- und Vier-Zimmer-Wohnungen errichtet. Beeindruckend ist aus heutiger Sicht die hohe Qualität der Bauten. Wegen der 'außerordentlich großen' Kinderzahl wurden neben der Durchfahrt in der Mitte der Stralenbergstrasse Räume für eine Kleinkinderschule mit Schwesterwohnung vorgesehen. Im Mai 1927 konnte hier ein vom Evangelischen Missions-Frauenverein betriebener Kindergarten eingeweiht werden.
Im Jahr zuvor, 1926, hatte der Stadtbaumeister (1899-1933) und technische Beigeordnete Georg Metzler (1868-1948) eine Zwischenbilanz der städtischen Wohnungspolitik seit 1918 gezogen und dabei zu recht die angesichts der Schwierigkeiten erheblichen Anstrengungen der Stadt Worms hervorgehoben . Zunächst stellte er heraus, wie unvorhergesehen die Kommunen das Problem ereilt habe, die Probleme der Baumaterialversorgung, der finanziellen Knappheit werden anschaulich geschildert. Besonders betont Metzler anhand von Zahlen des Deutschen Städtetages den relativ guten Stand des Wohnungsbaues (und hier insbesondere der kommunalen Bemühungen) in Worms im Vergleich mit den anderen vier großen Städten im Volksstaat. Auf tausend Einwohner entfielen danach in Worms 5,7 erbaute Wohnungen (Mainz 4,7; Darmstadt 1,05; Offenbach 1,7; Gießen 3,8). Der Anteil der von der Stadt in Angriff genommenen Wohnprojekte war gegenüber denen anderer Träger hier vergleichsweise besonders hoch. Im Blick auf die Zukunft ist der Verfasser skeptisch, ob sich ein baldiges Ende der Not einstellen wird. Zu recht vermutet Metzler, auf die aktive Rolle der Stadt werde so schnell nicht verzichtet werden können.
Die Angaben in dem Beitrag Metzlers für Worms entstammten vermutlich im Frühjahr 1925 von der Stadtverwaltung ermittelten Zahlen. Laut einer im Mai diesen Jahres erstellten Denkschrift über das Wohnungs- und Siedlungswesen ('Bericht über die Wohnverhältnisse') lag die Zahl der unerledigten Wohnungsgesuche beim Wohnungsamt bei 2214 - Tendenz steigend, die Wohnungsnot wird als ganz außerordentlich gross bezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bei einer Einwohnerzahl von 48.500 Menschen 12.129 Wohnungen. Berichtet wird auch hier von Tätlichkeiten gegenüber den Beamten. In dem Bericht wird auch auf die vom 1.1.1919 bis Mai 1925 errichteten 553 neuen Wohnungen hingewiesen; im überregionalen Vergleich wird die Vorbildlichkeit der in Worms erbrachten städtischen Leistungen herausgestrichen. Als besondere Probleme wird neben den Folgen der Besatzung (Beschlagnahmungen) die Betreuung der aus dem besetzten Gebiet Ausgewiesenen und wieder Zurückgekehrten benannt. Die Lösung dieses Problems habe die Verwaltung ein Jahr zurückgeworfen. Zugleich galt es, die wegen Räumungsklagen obdachlos gewordenen Mieter unterzubringen.
Wie schwierig die zu bewältigenden Aufgaben waren, zeigt auch ein angesichts der Festlegung der Wohnungsbauvorhaben für das Jahr 1929 zusammengestellter Bericht zur Situation auf dem Wohnungsmarkt nach dem Stand vom 1.11.1928. Nach wie vor fehlten nach Berechungen des Wohnungsamtes nicht weniger als 1168 Wohnungen . Ende 1927 waren noch immer 2582 Wohnungsuchende in den Akten und Karteien der Stadt vermerkt - dies trotz eines in diesem Jahr erreichten Zuwachses von immerhin 260 Wohnungen (fast alle städtische Objekte). Das Bauprogramm für 149 Wohnungen sollte durch Zuweisungen aus einer staatlicherseits eigens dazu eingeführten, den Städten zu-gewiesenen Sondersteuer (Hauszins- bzw. Sondergebäudesteuer) sowie durch Darlehen der Städtischen Sparkasse - zusammen 1,75 Mio RM - finanziert werden; erhofft hatte man sich wesentlich mehr. Diese Summe muß im Verhältnis zum Gesamtumfang des städtischen Etats gesehen werden, dessen Ausgabevolumen für das Haushaltsjahr 1927 20,6 Millionen Reichsmark betrug . Neben dem reinen Wohnungsbau und den Mitteln für die Gewährung von Darlehen (die auch 1927 längst nicht ausreichten, um die starke Nachfrage zu befriedigen), schlug auch die Beschaffung von Baugelände als Ersatz für das bebaute Land zu Buche - im Jahre 1927 mit immerhin 850.000 Reichsmark. In Mainz (1926 mit 108.000 Einwohnern) nahm die Stadt in den Jahren 1924 bis 1931 allein für den Wohnungsbau 27, 6 Millionen RM und zum Ankauf von Grundstücken und Gebäuden weitere 13,5 Millionen RM an Reichsdarlehen auf.
Abgesehen von dem erwähnten großen Baugebiet im Bereich Neuhausen kam es in Worms-Hochheim (Römergarten mit Einfamilien-Kleinhäusern, vgl. Abb. 1, 1927/28) und im Bereich der Innenstadt (Torturmplatz/Ludwigstraße, Karolingerstraße 7-9, hier Bezug der 24 Wohnungen im Mai 1928) zu weiteren Baumaßnahmen. Neben den 'regulären' Wohnbauten zwang die Situation aber auch zum Bau der schon erwähnten barackenartigen Notwohnungen in der sogenannten 'Nordsiedlung' (In den Trumpen, Kiesstraße etc.), die in den Jahren 1925 bis 1928 errichtet wurden, z. T. in Form zu Wohnzwecken umgebauter Eisenbahnwagen IV. Klasse (1927). Nach dem Abzug der französischen Besatzung Ende Juni 1930 wurden auch Teile der freigewordenen Kaserne für Wohnzwecke hergerichtet (1931/32).
Das letzte reguläre Bauprogramm des Jahres 1930 stand bereits im Zeichen der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Die Zuspitzung der finanziellen Verhältnisse ließ eine Fortführung der umfangreichen Programme trotz zweifellos vorhandenen Bedarfs nicht mehr zu. Die Stadt versuchte, wie auch in Mainz, das Problem mit der Förderung vorstädtischer Kleinsiedlungen zu entschärfen. Da es nicht mehr möglich sei, Kapitalien für die Erbauung grosser städtischer Miethäuser zu beschaffen, sollte auf diese Weise mit geringeren Mitteln den künftigen Siedlern eine Siedlungsstelle zur Verfügung gestellt werden, die diese selbst zu bebauen hätten. Eine solche Initiative wurde in Worms laut einem Schreiben der Bürgermeisterei im August 1932, auf dem Höhepunkt der Krise, angestoßen. Im Laufe des Jahres hatte die Stadt mit staatlichen Stellen wegen entsprechender Mittelzuweisungen verhandelt, konnte jedoch nicht mehr als Kredite für 30 Stellen erlangen. Hier lag der Keim für die spätere Stadtrand- bzw. Karl-Marx-Siedlung, die aus den 1932 skizzierten Plänen für Kleinsiedlerhäuser hervorgegangen ist.
Die Tätigkeit des Wohnungsamtes endete mit dem Auslaufen der Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum im Frühjahr 1933.
3. Weiterführende Literatur
- Bönnen, Gerold, Zum kommunalen Wohnungsbau in Worms in der Zeit der Weimarer Republik, in: 50 Jahre Wohnungsbau GmbH Worms (1950-2000), Worms 2000, S. 5-20.
- Brüchert-Schunk, Hedwig, Städtische Sozialpolitik vom Wilhelminischen Reich bis zur Weltwirtschaftskrise. Eine sozial- und kommunalhistorische Untersuchung am Beispiel der Stadt Mainz 1890-1930, Stuttgart 1994 (Geschichtliche Landeskunde 41)
- Franz, Eckhart G./Manfred Köhler (Hg.), Parlament im Kampf um die Demokratie. Der Landtag des Volksstaates Hessen 1919-1933, Darmstadt 1991 (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission NF 6 = Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen 6)
- Metzler, Gerog, Das Wohnungswesen in Worms, in: 150 Jahre Wormser Zeitung (1776-1926), S. 84-87
- Reuter, Fritz, Karl Hofmann und 'das neue Worms'. Kommunalbau und Stadtentwicklung 1882-1918, Marburg/Darmstadt 1993 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 91)
- Spille, Irene (Bearb.), Stadt Worms (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz 10), Worms 1992
- Süss, Martin, Rheinhessen unter französischer Besatzung. Vom Waffenstillstand im November 1918 bis zum Ende der Separatistenunruhen im Februar 1924, Stuttgart 1988 (Geschichtliche Landeskunde 31)
- Verwaltungs-Rechenschaft des Oberbürgermeisters der Stadt Worms (für die Jahre 1924 bis 1928)
4. Ergänzendes Archivmaterial (Auswahl)
Stadtarchiv Worms
Abt. 13 Nr. 1921-1925 (Wohnungsfürsorge), vgl. masch. Findbuch S. 162f. (Abt. XXIV.6)
Abt. 30 (Kreisamt Worms) Nr. 207 (Einzelfälle)
Abt. 5 Nr. 4415 (Bericht über die Wohnungsverhältnisse); Nr. 4387 (Bericht über die Wohnungsnot an das Hessische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft, 1922)

Zitierhinweis: Abt. 17

Erschließungszustand, Umfang: Augias-Datei (Findbuch mit Index), 2001

Bestandssignatur
Stadtarchiv Worms, 017

Kontext
Stadtarchiv Worms (Archivtektonik) >> Stadt Worms

Bestandslaufzeit
1918-1933

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Letzte Aktualisierung
15.12.2023, 14:57 MEZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1918-1933

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