Archivbestand

Nachlass Theodor Bäuerle, Kultminister, CDU-Politiker (* 1882, + 1956) (Bestand)

Überlieferungsgeschichte
Firmenarchiv der Robert Bosch GmbH, Stuttgart, Nachlass Theodor Bäuerle (Bestand Nr. 11)
Inhalt und Bewertung
Bäuerle, Theodor (16.06.1882 - 29.05.1956), Lehrer, CDU-Politiker; bis 1919 Lehrer bzw. Seminarlehrer in Stuttgart, Nürtingen und Backnang, 1918-1936 hauptamtlicher Direktor des "Vereins zur Förderung der Volksbildung" in Stuttgart, ab 1938 Leiter der Bosch-Jugendhilfe, 1945-1947 Ministerialdirektor im württemberg-badischen Kultusministerium, 1947-1950 württemberg-badischer Minister für Kultus und Unterricht; Mitglied des Rundfunkrates des Süddeutschen Rundfunks und der Arbeitsgemeinschaft "Der Bürger im Staat"
Enthält: Persönliche Papiere; Tätigkeit bis 1945: Unterlagen zur Erwachsenenbildung betreffend v. a. "Verein zur Förderung der Volksbildung" in Stuttgart, Volkshochschule Stuttgart, Hohenrodter Bund und Heimatwerk, vereinzelt Material über die Arbeit Bäuerles in der Volksbildung und bei der Firma Bosch in der NS-Zeit; Tätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Unterlagen zu Schul- und Bildungswesen, Volkshochschulen, Jugendfragen und zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaftsordnung; Mitgliedschaft in Gremien und Gesellschaften (u. a. in der Arbeitsgemeinschaft "Der Bürger im Staat" und im Rundfunkrat des Süddeutschen Rundfunks); Korrespondenzen, überwiegend in politischen und kulturellen Angelegenheiten

Zur Biografie: Theodor Bäuerle wurde am 16. Juni 1882 in Unterurbach (Urbach, WN) als Sohn eines Sattlers und Tapezierers geboren. Er besuchte zunächst die Volksschule in seinem Heimatdorf und dann die Lateinschule in der nahen Oberamtsstadt Schorndorf. Seine Lehrer rieten ihm zu einem Hochschulstudium. Doch er wollte Lehrer werden. So setzte er 1896 seine Ausbildung am Lehrerseminar in Esslingen fort. 1898 starb sein Vater. Die Sorge für die Mutter und die Geschwister fiel größtenteils ihm zu. Der ersten Dienstprüfung, die er 1901 mit gutem Erfolg ablegte, schloss sich der Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger an. Von 1902 bis 1904 und von 1908 bis 1912 wirkte er als Lehrer in Stuttgart. Hier kam er mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der modernen Industriegesellschaft und des Lebens in einer Großstadt in enge Berührung, Probleme, mit denen er sich vor allem in ihrer Auswirkung auf Schule und Erziehung intensiv zu beschäftigen begann und die ihn zeitlebens nicht mehr losließen. Neben eingehenden privaten Studien hörte er Vorlesungen an der Stuttgarter Technischen Hochschule auf den Gebieten der Philosophie, der Pädagogik, der Psychologie und der Soziologie. 1911/12 war er als ordentlicher Studierender an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main eingeschrieben. Das Studium der Nationalökonomie, der Sozialwissenschaften und der Philosophie sollte ihm den Blick für die Bedeutung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Erziehung schärfen. Nachdem er bereits als Seminarlehrer in den Jahren 1904 bis 1908 Erfahrungen am Lehrerseminar in Nürtingen gesammelt hatte, wurde er 1912 als Seminaroberlehrer nach Backnang berufen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 wurde er sofort eingezogen. 1915 erlitt er durch einen Hals-Kopf-Schuss eine schwere Verwundung. Nach seiner Wiederherstellung nicht mehr kriegsverwendungsfähig, schied der zum Offizier Avancierte am 1. Mai 1918 aus dem Heer aus. Sein Amt am Lehrerseminar in Backnang trat er nicht mehr an, doch blieb er nominell bis 1. August 1919 in dieser Dienststellung. Sein Bestreben war darauf gerichtet, die Volksbildung, deren Mängel ihm der Krieg besonders eindrücklich vor Augen gerückt hatte, auf eine neue Grundlage zu stellen. Der von ihm am 1. Mai 1918 unter Mitwirkung der Firma Bosch und des Württembergischen Kultministeriums gegründete Verein zur Förderung der Volksbildung e.V. in Stuttgart bot die Möglichkeit dazu. Als hauptamtlicher Leiter (Direktor) trat er an die Spitze des Vereins. Sein volksbildnerisches Engagement in Wort und Schrift machten ihn bald über Württemberg und selbst über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Er wurde zu einem Pionier des modernen Volksbildungsgedankens. Der Verein zur Förderung der Volksbildung entfaltete auf verschiedenen Gebieten eine rege Aktivität. Er begründete eine umfassende Volkshochschularbeit in Stuttgart und in den größeren Städten Württembergs. In Denkendorf (für junge Mädchen) und auf der Comburg bei Schwäbisch Hall (für junge Männer) errichtete er Volkshochschulheime. Aus seiner Arbeit entwickelte sich eine Reihe von volksbildnerischen Sonderbereichen, die sich zum Teil im Lauf der zeit verselbstständigten: Büchereiwesen, Heimatabteilung, Vereinstheater und Laienspiel, Stuttgarter Künstler-Marionettentheater, Musikabteilung (Konservatorium für Musik), Württembergische Volksbühne, Württembergische Bildstelle und Verlag Silberburg. Die Massenarbeitslosigkeit im Gefolge der Weltwirtschaftskrise veranlasste den Verein, im "Heimatwerk" einen Freiwilligen Arbeitsdienst aufzubauen, mit dem Württemberg eine für andere deutsche Länder vorbildliche Organisation schuf. Theodor Bäuerle legte Wert auf den überparteilichen und überkonfessionellen Charakter des Vereins. Maßgebend wirkte er im Hoherodter Bund mit, einem Kreis von Volksbildnern aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, der jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten in dem von Kommerzienrat Breuninger (Stuttgart) zur Verfügung gestellten Ferienheim Hohenrodt zu einer Arbeitswoche zusammenkam. Vom Hohenrodter Bund gingen entscheidende Impulse für die weitere Entwicklung des deutschen Volksbildungswerks aus. Zur Vertiefung der Frage der Erwachsenenbildung zum Zweck der Heranbildung von Mitarbeitern rief der Bund die Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung ins Leben. Seit 1919 war Bäuerle außerdem Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Begabten, einer an Weihnachten 1917 von Robert Bosch errichteten Stiftung, sowie seit 1920 der Markelstiftung, deren Schaffung und großzügige finanzielle Ausstattung dem deutsch-englischen Industriellen Dr. Markel in London zu verdanken war. Beide Stiftungen hatten die Zweckbestimmung, begabten, aber unbemittelten jungen Menschen beiderlei Geschlechts die Ausbildung für gehobenen Berufe zu ermögliche. Mehrere tausend junge Männer und Frauen, insbesondere aus dem Arbeiterstand, kamen die von Theodor Bäuerle verwalteten Fonds zugute. Die 1933 in Deutschland zur Macht gelangten Nationalsozialisten erschwerten in zunehmendem Maß die auf einer demokratischen Gesellschaftsordnung basierende volksbildnerische Arbeit, wie sie der Verein zur Förderung der Volksbildung betrieb. 1936 musste der Verein aufgelöst werden. Robert Bosch bot Theodor Bäuerle in seiner Firma neue Betätigungsmöglichkeiten. So beauftragte er ihn mit der Leitung der 1938 von ihm gegründeten Bosch-Jugendhilfe, einer Stiftung zugunsten der Kinder von Mitarbeitern sowie der jugendlichen Gefolgschaftsmitglieder des Konzerns. Auch finanzierte er das vornehmlich mit kulturellen Aufgaben betraute "Büro Bäuerle". Obwohl Theodor Bäuerle Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Zwecke ablehnte, näherte er sich im Zweiten Weltkrieg der gegen das NS-Regime gerichteten Widerstandsbewegung. Wegen seiner Verbindung zu Carl Goerdeler wurde er deshalb nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, bald jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach dem Untergang der Hitler-Diktatur stand er beim Wiederaufbau des geistigen und kulturellen Lebens an vorderster Front. Er war zunächst Ministerialdirektor in dem von Theodor Heuss vom Herbst 1945 bis Dezember 1946 geleiteten württemberg-badischen Kultministerium, um dann von 1947 bis 1951 das Amt des Kultministers selbst zu verwalten. Sein Hauptaugenmerk während dieser Zeit galt dem Schul- und Bildungswesen: neben den Volks-, Mittel- und höheren Schulen sowie den Berufsschulen vor allem auch den Volkshochschulen. Diese kamen, neu organisiert, in den ersten Nachkriegsjahren rasch zu kräftiger Entfaltung. als Mitglied der Konferenz der Kultusminister leistete er einen wichtigen Beitrag zur Neugestaltung des Schulwesens in der Bundesrepublik Deutschland. Über sein engagiertes berufliches Wirken hinaus stellte er seine Sachkenntnis und seine Erfahrung in den Dienst zahlreicher kultureller und politische Gremien und Vereinigungen: Verein "Der Bürger im Staat", Süddeutscher Rundfunk (Verwaltungsrat), Institut für Auslandsbeziehungen, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Internationale Vereinigung zur Gründung einer Weltuniversität usw. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Kultministers blieb er, wachsender gesundheitlicher Beschwerden nicht achtend, auf geistigem und kulturellem Gebiet vielseitig tätig. Er starb am 29,. Mai 1956 in Stuttgart.

Die Unterlagen und ihre Bearbeitung: Theodor Bäuerle hat umfangreiches Schriftgut hinterlassen, das sein Leben und öffentliches Wirken seit etwa 1910 in zunehmender Dichte dokumentiert. Im Mittelpunkt stehen der Verein zur Förderung der Volksbildung e.V. in Stuttgart und seine Abteilungen. Das aus der Tätigkeit Bäuerles in diesem Verein erwachsene Schriftgut wird ergänzt durch die weitgespannten anderen Aktivitäten des Pioniers der Volksbildung und engagierten Kulturpolitikers in der Zeit der Weimarer Republik und des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ära des Dritten Reichs mit der gewaltsamen Auflösung des Vereins zur Förderung der Volksbildung und dem Übertritt Bäuerles in den Dienst der Firma Bosch hat in dem Nachlass gleichfalls ihren, wenn auch umfangmäßig bescheidenen Niederschlag gefunden. Der Nachlass selbst setzt sich im wesentlichen aus Sachakten, Korrespondenzserien, Druckschriften und Bildsammlungen (hauptsächlich Fotoalben) zusammen. Mit dem von Bäuerle hinterlassenen Schriftgut ist das des Leiters der Volkshochschule Stuttgart, Professor Dr. Wolfgang Pfleiderer, vereinigt. Nach dem Tod Theodor Bäuerles verblieb der Nachlass in dessen Wohnung in der Hölderlinstraße 54. Seine Betreuung lag wie schon zuvor in der Hand von Frau Marianne Weber, der langjährigen Sekretärin Bäuerles. Im Jahr 1980 übernahm die Robert Bosch GmbH den Nachlass, nachdem ihn die Töchter Theodor Bäuerles durchgesehen und alle unwichtigen dienstlichen wie persönlichen Schriftstücke entnommen und vernichtet hatten. Das Firmenarchiv Bosch legte lediglich Wert auf die Teile des Nachlasses, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bosch GmbH standen, vor allem auf die Unterlagen der Markelstiftung (Findbuch des Bosch-Archivs bei den Fremdrepertorien J 428). Die übrigen Teile, die Masse des Schriftguts, übergab sie im Einverständnis mit den Erben dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Bei der Aufteilung des Schriftguts im Juli 19080 wirkte ich als Vertreter unseres Hauses mit. Frau Weber versuchte nach dem Tod Bäuerles, auf der Grundlage der bisherigen Ordnung eine Neuordnung des Schriftguts durchzuführen. Doch blieb es offenbar bei einem Provisorium. Bei der Übernahme des Nachlasses durch die Robert Bosch GmbH waren leider auch diese Ordnungsansätze zerstört. Eine Rekonstruktion scheiterte, da kein Registratur- oder Aktenplan vorlag und die Aufschriften auf den Leitzordnern und Regismappen teilweise irreführend waren. Der Bestand musste deshalb neu geordnet und verzeichnet werden. hierbei wurde festgestellt, dass namentlich bei den Korrespondenzserien einzelne Ordner verloren waren. Wie sie abhanden gekommen waren, ließ sich nicht mehr klären. Insgesamt sind jedoch die Verluste nicht sehr schwerwiegend. Für einen Teil bot das erhaltenen Schriftgut selbst Ersatz. Bäuerle hatte die Angewohnheit, von seinen Briefen meist mehrere Durchschläge anfertigen und diese unter mehreren Betreffen ablegen zu lassen. Auch Rundschreiben und Druckschriften hat er an mehreren Stellen in die Akten eingeordnet oder separat aufbewahrt. Häufig blieben zudem mehrer Durchschläge beisammen. Die vielen Mehrfertigungen erwiesen sich als ein starkes Hemmnis beim Fortgang der Ordnungsarbeiten. Die im Nachlass befindlichen Registraturhilfsmittel erbrachten für die Ordnung des Nachlasses wenig. Ich entschloss mich deshalb, das Schriftgut nach einem neuen Ordnungsschema zu gliedern, wobei ich im wesentlichen chronologisch vorging. einen Schwerpunkt bildete das öffentliche Wirken Theodor Bäuerles als Direktor des Vereins zur Förderung der Volksbildung bis zu dessen Auflösung 1936. Ihm schlossen sich an die Dokumente über die Tätigkeit Bäuerles in enger Bindung an Robert Bosch und dessen Firma während der NS-Zeit sowie die Dokumentation über sein öffentliches Wirken beim Aufbau einer demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung nach 1945. Insgesamt umfasst der Nachlass nach seiner archivischen Ordnung 15,4 lfd. m (511 Büschel). er gehört damit nicht nur auf Grund seines hohen kultur- und sozialgeschichtlichen Dokumentationswerts, sondern auch auf Grund seines Umfangs zu den bedeutendsten Nachlässen, die das Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrt. Unterstützt wurde ich bei meinen Ordnungsarbeiten anfänglich kurzfristig durch Frau Evelyne Speidel, die im Winterhalbjahr 1980/81 als Hilfskraft im Hauptstaatsarchiv beschäftigt wurde, sowie durch Herrn Staatsarchivrat Dr. Norbert Hofmann vom Staatsarchiv Wertheim. Er hat in den Monaten September und Oktober 1981, während der er hierher abgeordnet war, eine Vorordnung des Bestands durchgeführt und rund 45 Titelaufnahmen gemacht. Dr. Paul Sauer

Reference number of holding
Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Q 1/21
Extent
511 Nummern

Context
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Archivtektonik) >> Nachlässe, Verbands- und Familienarchive >> Politische Nachlässe

Date of creation of holding
1908-1956

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Rights
Last update
13.11.2025, 2:39 PM CET

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Object type

  • Bestand

Time of origin

  • 1908-1956

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