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Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen
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92
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Weimarische Zeitung, Nr. 46, 24.02.1872, S. 2f.: „Unsere Schauspielvorstellungen haben in den letzten Wochen in reicher Abwechselung viel des Interessanten und Gelungenen geboten. Voran haben wir die Hebbel’schen Nibelungen zu nennen, die, wenn in manchen Einzelheiten auch wohl zu wünschen noch übrig blieb, im Ganzen und Großen doch vortrefflich gegeben wurden; namentlich zeigte das Zusammenspiel, wie die Auffassung der Hauptcharaktere, den tiefernsten Zug der großen Tragödie und dieser bleibt die unerläßliche Bedingung der künstlerischen Wirkung, gegen die jede noch so vollendete Ausführung des Einzelnen zurückzustehen hat. […] Die diesmalige Aufführung brachte den neuen Genuß der, sich der Tragödie ungemein harmonisch anschließenden Musik von Lassen. Man spreche hierbei nicht von undankbarer Aufgabe des Musikers, wenigstens nur insofern, als der momentane Beifall von anderen Bedingungen, als denen des Kunstwerkes selbst abhängen kann. Im Uebrigen ist es ja gerade ein Sieg unserer musikalischen Entwickelung, daß sie den tiefsten menschlichen Empfindungen charakteristischen Ausdruck zu geben vermag und sich ebenbürtig der bedeutendsten Tragödie anzuschließen im Stande ist. Die Lassen’sche Musik trägt diesen modernen Zug in seltner Vollendung. Abgesehen von der melodischen Schönheit und feinen musikalischen Arbeit, die den ebenso reich begabten wie gebildeten Musiker stets in ihm anerkennen lassen, muß diese ungemein lebendige Charakteristik eine bedeutende Wirkung auf Jeden ausüben, denn sie ergiebt sich durchweg als etwas tief und natürlich Empfundenes. Wenn ein Solches aber sich in so knapper und doch klarer Form (jedes der Stücke dauert ungefähr nur vier Minuten) so wirkungsvoll darstellt, so läßt dies mit allem Recht auf einen seltenen musikalischen Reichthum an musikalischem Erfindungs- und Empfindungsvermögen schließen. Dasselbe sichert der Lassen’schen Musik wohl überall den seltenen Erfolg, den sie hier erlebte, wo der Komponist nach Nr. [4] stürmisch gerufen wurde), zumal wir nicht zweifeln, daß bei einer selbständigen Aufführung, wie uns ein Konzertbericht aus Jena auch bestätigt, die Musik erst zu ihrer vollen Würdigung gelangt. Die hiesige Ausführung war sorgfältig studirt und ebenso von Musikdirektor Klughardt geleitet; der befremdliche Eindruck, den Komponisten selbst nicht am Dirigentenpult zu sehen, läßt sich allenfalls erklären; schwerer motivirt sich die Abwesenheit von zwei der ersten unserer Kapellmitglieder, die dem neuen Werke ihre Mitwirkung entzogen. Diese Wahrnehmung soll keineswegs die Anerkennung schmälern, welche sowohl Herrn Uschmann für sein sehr schön geblasenes Oboesolo, wie Herrn Walbrül für treffliche Ausführung des Violinsolo’s gebührt, aber sie entspricht so durchaus nicht den künstlerischen Traditionen von früher, wo man, um ein neues bedeutendes Werk zur vollen Wirkung zu bringen, etwa Hans von Bülow die Pauken und Carl Tausig die große Trommel schlagen sah. Wenn dies schon aus Repräsentationsrücksichten einen ungemein wohlthätigen Eindruck macht, so handelt es sich bei dem oben Bemerkten keineswegs nur um solche Rücksichten, sondern um die unserm schwachbesetzten Streichquartett sehr nöthige Unterstützung zweier erster Kräfte. Wir kommen nun auf die Darstellung der „Nibelungen“ zurück, in denen Frau Hettstedt im ersten Theil die schwierige Aufgabe der Brunhild, im zweiten Theil die noch bei weitem schwierigere der Kriemhild in vortrefflicher, durchaus künstlerischer Weise löste. Tief empfundenes und verständnißvolles Eindringen in die Dichtung, vorzügliche Vertheilung der leidenschaftlichen Accente auf der Grundlage einer warmen und lebensvollen Charakteristik ließen bis zum Ende diese ungeheuerliche Frauengestalt tief ergreifend wirken und gaben ein frappantes Bild davon, was der Dichter wagen kann, wenn die reproduzirende Künstlerin vermöge ihrer Intelligenz und dramatischen Empfindung ihm nachzufühlen und nachzubilden befähigt ist. Frau Hettstedt wurde mit allem Recht vom Publikum für ihre treffliche Leistung ganz besonders ausgezeichnet. Auch Herr Deetz brachte als Hagen viele Züge, die den tragisch denkenden und fühlenden Künstler kennzeichnen und Einzelnes von großer, ergreifender Wirkung sein ließen. Wenn trotzdem zum harmonischen Eindruck seiner ganzen Leistung etwas fehlte, so liegt dies in den eigenthümlichen Erfordernissen der Rolle, die etwas ihr Entsprechendes in der Natur des Darstellers verlangt, um durchaus wirkungsvoll zu werden: wir müssen an die urgewaltige Kraft dieses Hagen glauben können, der dem Kulturzustand seiner Zeit entsprechend, seinem mächtigen Naturell einzig den Zügel der unerschütterlichen Treue anzulegen weiß. In der sonst trefflichen Darstellung wollte uns diese ungezähmte Kraft in der Deklamation etwas forcirt erscheinen; was das kräftige, männliche Organ des Künstlers nicht einmal nöthig macht. Der Siegfried des Herrn Rösicke zeugte in der Auffassung gleichfalls von verständnißvollem Eindringen in die Aufgabe und gefiel uns in der lebhaften Schattirung der Deklamation, in welcher ein warmer, seelenvoller Ton ungemein natürlich durchklang. Einzig in der ersten Scene mit Kriemhild entbehrte die angedeutete Blödigkeit zu sehr des heldenhaften Grundtones und stach darum auffällig gegen das Uebrige ab. Frau Savits war in ihrer Erscheinung das ganz vollendete Bild einer Kriemhild, dem sie auch im dramatischen Theil ihrer Aufgabe in Vielem nachkam; nur in der ersten Scene an Siegfrieds Leiche hätte ihr tiefergreifend dargestellter Schmerz mit etwas mehr Rücksicht auf den Klang des Organs verbunden sein sollen. Die wenig ausgeführte Charakteristik der übrigen Rollen erlaubt uns, an denselben rascher vorüberzugehen, zumal sie fast durchweg gut gegeben wurden. Hervorzuheben ist noch der Etzel des Herrn v. Milde, der aus seiner etwas matten Farbe durch die treffliche Darstellung wesentlich erhoben wurde. Im Uebrigen ist das gesammte Zusammenspiel beider Tragödien rühmend anzuerkennen. Das Publikum nahm den lebhaftesten Antheil an den beiden Vorstellungen, wodurch unsere treffliche Bühnenleitung hoffentlich zur Wiederholung der höchst interessanten Darstellungen angeregt wird.“
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21.04.2023, 10:51 AM CEST
Data provider
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Theaterzettel ; Text
Associated
Time of origin
- 1872-02-10