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A Rep. 013-01-10 Magistrat der Stadt Berlin, Lebensmittelversorgungsstellen - Obst- und Gemüseversorgung (Bestand)

Vorwort: A Rep. 013-01-10 Magistrat der Stadt Berlin, Lebensmittelversorgungsstellen - Obst- und Gemüseversorgung

1. Behördengeschichte

Beinahe wie Obst zählte Gemüse in Friedenszeiten zum Teil als Genussmittel und wurde nicht wie Brot, Fleisch, Fett und Kartoffeln als unentbehrliches Nahrungsmittel betrachtet. Die einfachen Gemüse, Mohrrüben und Kohl waren fester Bestandteil in den Haushalten der städtischen Bevölkerung. Als im Sommer 1915 die Preise stiegen, begann der Fachausschuss für Obst, Gemüse und Kartoffeln der neu gegründeten Preisprüfungsstelle Groß-Berlin zusammen mit der Berliner Abteilung für Lebensmittelversorgung, eine Überwachung des Marktes, die Feststellung der Herkunft der hohen Preise und die Durchführung von Bekämpfungsmaßnahmen.
Eine bessere Preispolitik trat ein, nachdem der Magistrat von Berlin seit dem 31. Juli 1915 durchgesetzt hatte, dass die Waren nach Gewicht und nicht nach Größe oder Umfang verkauft werden sollten.
Im Herbst 1915 wurde das Wintergemüse so teuer, das die Regierung im Dezember 1915 für Kohl, Rüben, Zwiebeln und Sauerkraut Höchstpreise festsetzte. Allerdings erwies sich der Handel nach Höchstpreisen als Fehlschlag und wurde bereits im April 1916 aufgehoben.
Im Mai 1916 wurde die Reichsstelle für Gemüse und Obst gegründet. Zunächst sollte es nur eine Stelle für Gemüse sein, allerdings fiel die bisherige Obstausfuhr aus Italien und Frankreich und später aus Holland fort, so dass eine Bewirtschaftung des Obstes für sinnvoll erachtet wurde. Die Reichsstelle bestand aus einer Verwaltungsabteilung und einer Geschäftsabteilung und besaß als Stammkapital 10 Millionen Mark, von denen das Reich die eine Hälfte übernahm. Die andere Hälfte teilten sich die anderen Bundesstaaten und die Städte, unter ihnen Berlin mit 400.000 Mark. Die Aufgabe der Reichsstelle war die bessere Verwertung des ländlichen Obstes und Dauergemüses in extra dafür eingerichteten Sammelstellen, die Veröffentlichung von Marktberichten und die Errichtung von Großmärkten in den größeren Städten. In Berlin gab es einen derartigen Großmarkt bereits, die einzige Neuerung für ihn war die Verteilung aller Waren ausschließlich durch die Hand des Großmarkt-Leiters.
Die Preisprüfungsstelle Groß-Berlin stand den Aktivitäten der Reichsstelle reserviert gegenüber, unterstützte sie dennoch, eine reibungslose Lebensmittelversorgung in Berlin zu gewährleisten.
Wenn es im Sommer 1916 es nur einige Handelsbeschränkungen betreffen das Frühgemüse gab, so war es im Herbst beim Weißkohl schon wesentlich anders. Im Oktober kaufte die Reichsstelle massenweise den Weißkohl auf, setzte Höchstpreise für Rüben fest und im Dezember folgte die Beschlagnahme der Kohlrüben, die als Ersatz für die fehlenden Kartoffeln herhalten mussten.
Diese Eingriffe in den Weißkohlhandel legten die Tätigkeit der im Juni von Berlin gemeinsam mit Charlottenburg, Schöneberg und Wilmersdorf gegründeten Einkaufskommission lahm. Die Organisation und die Verkaufsverhandlungen waren bereits weit vorangeschritten, als die Reichsstelle eingriff. Die Vorbereitung Berlins auf den Winter 1916/1917 war damit fehlgeschlagen. Die Stadt musste sich darauf beschränken, die auf dem Großmarkt gebrachten Auslandswaren zu verteilen und die Reichsstelle immer wieder auf eine bessere Versorgung der Stadt Berlin als größter Stadt Deutschlands aufmerksam zu machen.
Der Bereich Gemüseversorgung schied aus der Preisprüfungsstelle Mitte Oktober 1916 aus und bildete mit dem Obstdezernat im Dezember 1916 endgültig eine selbstständige Abteilung für Obst- und Gemüseversorgung.
Bei der Versorgung mit Obst gab es ebenfalls Schwierigkeiten. Trotz der guten Ernte bei Äpfeln und Pflaumen mussten im August und September 1916 Höchstpreise dafür erlassen werden. Beschlagnahmen waren die Folge. 1917 misslangen die abzuschließenden Obstanbauverträge mit Lieferanten, so dass die Versorgung nur über eine am 20. August 1917 durch die Reichsstelle beschlossene Zwangsbewirtschaftung erfolgen konnte. Für die Marmeladenindustrie, die um ihre Zulieferungen bangte, wurden dann doch fünf Millionen Zentner Obst beschafft. In Süddeutschland fiel die Apfelernte sehr gut aus, doch durch schlechtes Transport- und Verteilungsmanagement gab es in Berlin zuerst viel zu viel und später nicht genügend Äpfel für die Bevölkerung. Die Stadt hatte Mühe im Dezember 1917, wenigstens ein Pfund Äpfel an jeden Einwohner verteilen zu können.
Die Reichsstelle richtete sich dagegen noch Landes-, Provinz-, Bezirks- und Kreisstellen für Obst und Gemüse ein. Für Berlin gab es hier die Bezirksstelle, deren Geschäfte im Januar 1918 der Staatlichen Verteilungsstelle Groß-Berlin, Bezirksstelle Groß-Berlin übertragen wurden.
Das Verkaufsbüro der Magistrats-Abteilung für Obst- und Gemüseversorgung wurde im Frühjahr 1918 wieder aufgelöst und seine Geschäfte der Städtischen Obst- und Gemüseverteilungsgesellschaft übertragen.
Um eine erneute mangelhafte Versorgung wie im Jahr 1917 zu vermeiden, wurden bessere Verträge zum Obst- und Gemüseanbau abgeschlossen. Hinzu kam noch eine erfolgreichere Gemüseernte, so dass für das Jahr 1918 eine bessere Versorgung gewährleistet war. Im Winterhalbjahr 1918/1919 trafen 12.000 Waggons Gemüse (Weißkohl und Mohrrüben) ein. Die Preise blieben daher mäßig und die Berliner Einwohner konnten im Oktober zehn Pfund Weißkohl und ein Pfund Zwiebeln, im November 1918 fünf und im Januar 1919 vier Pfund Mohrrüben erhalten. Der Überschuss musste in der Trockenanstalt zu Dörrgemüse und Sauerkohl verarbeitet oder anderweitig eingelagert bzw. eingemietet werden.
Beim Obst fiel die Ernte etwas spärlicher aus. Die angebotenen Erträge aus dem Havelobstanbaugebiet und dem Werder reichten bei weitem nicht aus. Auf Grund des Schleichhandels wurden die Revisionen verstärkt. Da die deutsche Ernte so schwach ausfiel, bestimmte die Reichsstelle, dass das Wirtschaftsobst der Marmeladenindustrie zugewiesen wurde und nur "Edelobst" für die Versorgung abgegeben werden sollte. Zusätzlich kaufte man noch Schweizer Äpfel ein. Es musste energisch darauf gedrungen werden, das wenigstens so viel Äpfel vorhanden waren, um im November / Dezember jeden Einwohner mit einem Pfund und die Jugend mit zwei Pfund Äpfel versorgen zu können.
Der Ende 1917 gegründete Lebensmittelverband Groß-Berlin übernahm seit Januar 1918 für die Groß-Berliner Gemeinden die Aufgabe, seine Mitglieder mit dem von der Reichsstelle zugewiesenen Obst und Gemüse zu versorgen und den Großmarkt zu leiten.
Bereits Mitte 1919 wurde die Zwangsbewirtschaftung bei Obst und Gemüse endgültig aufgehoben.

Fußnote
Die Marmelade war bei der knappen Fettversorgung wichtig als Brotaufstrich für die Versorgung. Bereits 1916 wurde die Herstellung von Marmelade durch die Kriegsgesellschaft für Obstkonserven und Marmelade einheitlich zusammengefasst. Die Zusammensetzung und Preise wurden vorgeschrieben. Die teurere Einfruchtmarmelade sollte nicht mehr hergestellt und die Früchte für eine gute Mischmarmelade verwendet werden. 1917/1918 wurden 300.000 Zentner Marmelade nach Berlin geliefert, allerdings verdarb bei diesem so genannten "Kriegsmus" der übergroße Anteil von Kohlrüben (30% Zusatz) den Geschmack und die Haltbarkeit. 1918 wurden nunmehr als Streckungsmittel Kürbis, Mohrrüben und Runkelrüben verwandt (10 Teile auf 60 Teile Zucker und 30 Teile Obst). Hier waren die Qualität und die Menge ansprechend und ausreichend. So konnte für jeden monatlich 11/2 bis 2 Pfund Marmelade erhalten.


Fußnote
Die städtische Verwaltung regte zur besseren Verwertung des Gemüses die Einrichtung einer Gemüse-Trocknungsanstalt an. Sie wurde seit dem Juli 1915 geplant und endgültig im September 1916 in Betrieb genommen. Der Trocknungsanstalt wurde von den Markthallen das beschädigte oder nicht verkaufte Gemüse zur Verarbeitung übersandt. Das fertige Trockengemüse wurde an die Volksspeisung und die städtischen Anstalten geliefert, für die Versorgung der gesamten Berliner Bevölkerung reichte die Menge nicht.
Aus dem Kohlrüben-Überfluss stellte man 1916/1917 Rübensauerkraut her. Im Winterhalbjahr 1917/1918 wurde aus dem Frühgemüse, Mairüben, Weißkohl, Mohrrüben und den Herbstäpfeln 3460 Doppelzentner Trockengemüse und getrocknetes Obst sowie 4000 Doppelzentner Rübensauerkraut hergestellt. In der dritten Arbeitsperiode 1918/1919 wurden aus 54.000 Doppelzentnern Gemüse, Futterkartoffeln und Zuckerrüben 3410 Doppelzentnern getrocknete Erzeugnisse und 2900 Doppelzentner Sauerkohl gewonnen. Insgesamt hätten die gewonnenen Erzeugnisse zur einmaligen Verköstigung von 20 Millionen Menschen gereicht, ohne die Trocknung wären mindestens 100.000 Doppelzentner Gemüse verdorben.
Nach 1919 wurde die Trocknungsanstalt nicht mehr beansprucht und stellte ihren Betrieb ein.


2. Bestandsgeschichte

Der Bestand umfasst drei Akten mit der Laufzeit 1916 - 1921 und dem Umfang von 0,15 lfm.

Zwei Akten der Magistratsabteilung für Obst- und Gemüseversorgung betreffen die Gründung und Liquidation der Reichsgemüsestelle und der Kriegsgesellschaft für Dörrgemüse.
Diese Akten wurden 1925 dem Stadtarchiv Berlin übergeben.

Eine dritte Akte betrifft die Tätigkeit der Staatlichen Verteilungsstelle für Obst- und Gemüse bei Dörrobst und wurde vom Bundesarchiv Berlin 1999 hierher abgegeben.

Die Akten wurden mit der Software Augias-Archiv verzeichnet und sind nun über eine Datenbank und ein Findbuch zugänglich.

Die Akten sind wie folgt zu zitieren: LAB, A Rep. 013-01-10, Nr. ….


3. Korrespondierende Bestände

A Rep. 000-02-01 Stadtverordnetenversammlung zu Berlin
A Rep. 001-02 Magistrat der Stadt Berlin, Generalbüro
A Rep. 007 Magistrat der Stadt Berlin, Park- und Gartendeputation
A Rep. 010-01-10, Magistrat der Stadt Berlin, Hochbaudeputation
A Rep. 042-05-01 Amts- und Gemeindeverwaltung Groß-Lichterfelde
A Rep. 049-05-08 Gemeindeverwaltung Pankow
B Rep. 142-04 Deutscher und Preußischer Landkreistag


4. Literatur- und Quellenverzeichnis

Kaeber, Ernst: Berlin im Weltkriege - Fünf Jahre städtischer Kriegsarbeit. Berlin 1921.

Kehling, J: Die Berliner Gemüse-Trocknungsanstalt (1916), in: Die Gartenlaube Nr. 52 , 1916, S. 1047-1049.


Berlin, Februar 2009 Kerstin Bötticher

Bestandssignatur
A Rep. 013-01-10

Kontext
Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> A Bestände vor 1945 >> A 2 Magistrat der Stadt Berlin >> A 2.3 Magistrat der Stadt Berlin 1809-1945 >> A Rep. 013-01-ff Lebensmittelversorgungsstellen
Verwandte Bestände und Literatur
Verwandte Verzeichnungseinheiten: A Rep. 000-02-01 Stadtverordnetenversammlung zu Berlin
A Rep. 001-02 Magistrat der Stadt Berlin, Generalbüro
A Rep. 007 Magistrat der Stadt Berlin, Park- und Gartendeputation
A Rep. 010-01-10, Magistrat der Stadt Berlin, Hochbaudeputation
A Rep. 042-05-01 Amts- und Gemeindeverwaltung Groß-Lichterfelde
A Rep. 049-05-08 Gemeindeverwaltung Pankow
B Rep. 142-04 Deutscher und Preußischer Landkreistag

Bestandslaufzeit
1916 - 1921

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Letzte Aktualisierung
28.02.2025, 14:13 MEZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1916 - 1921

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