Für Fotograf*innen in einer westdeutschen Universitätsstadt verlief das Jahr 1968 gänzlich anders als für ihre Kolleg*innen in der DDR. In Westdeutschland wurden Journalist*innen per Presseinformation über anstehende Gerichtsverhandlungen informiert. Sie konnten sich an den Straßenrand stellen und Demonstrationen der Studierendenschaft ablichten oder den Akteur*innen wie Rudi Dutschke und Fritz Teufel mit ihren Kameras folgen. In der DDR wurden Kundgebungen oder Proteste dagegen geheim gehalten, Gerichtsverhandlungen in Strafsachen fanden in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wenn Fotograf*innen Demonstrationen abgelichtet hätten, hätten sie nicht nur sich selbst, sondern auch die Personen auf den Aufnahmen in Gefahr gebracht.
Da im Westen Pressefreiheit herrschte, Demonstrationsrecht bestand und sich Fotograf*innen in der Regel frei bewegen konnten, existieren unzählige Aufnahmen von den Geschehnissen des Jahres 1968. In der DDR waren Demonstrationen gegen staatliche Behörden und politische Organisationen untersagt und wurden strafrechtlich verfolgt, daher erinnern kaum Fotos an die Proteste jenseits des Eisernen Vorhangs. Fotografien aus dem Epochenjahr 1968 spiegeln den Tanz mit dem System im Westen und das Verstecken vor dem System im Osten wider. Sie veranschaulichen den unterschiedlichen Umgang mit Protest und Gegenkultur in einer Demokratie und in einer Diktatur.
Musik und Megafon
Auf dem Foto von Jürgen Henschel, aufgenommen im August 1967 am Kurfürstendamm in West-Berlin, tanzt eine junge Frau im Wickelkleid, die Beine mit Blumen und geometrischen Figuren bemalt. Ihr Haar wird von Bändern zusammengehalten. Die Umherstehenden bilden einen Kreis und applaudieren. Ein junger Mann trägt einen ausgemusterten Hut, ein anderer eine breite, gemusterte Krawatte. Das Megafon in seiner Hand legt die Vermutung nahe, dass die Gruppe für oder gegen etwas protestiert.