Tanzen und Verstecken. 1968 in der Bundesrepublik und in der DDR

08.02.2023 Clemens Tangerding

1968 verlief im Westen ganz anders als im Osten. Dies lässt sich anhand der Fotos und weiterer Dokumente dieser Jahre nachvollziehen. In westdeutschen Großstädten versammelten sich Student*innen, um zu protestieren und zu provozieren. In der DDR mussten die Protestaktionen gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die ČSSR aus dem Verborgenen heraus stattfinden. Der Überfluss an Bildern aus der Bundesrepublik und der Mangel an Fotos aus der DDR prägen unser Bild von 1968 bis heute.

Für Fotograf*innen in einer westdeutschen Universitätsstadt verlief das Jahr 1968 gänzlich anders als für ihre Kolleg*innen in der DDR. In Westdeutschland wurden Journalist*innen per Presseinformation über anstehende Gerichtsverhandlungen informiert. Sie konnten sich an den Straßenrand stellen und Demonstrationen der Studierendenschaft ablichten oder den Akteur*innen wie Rudi Dutschke und Fritz Teufel mit ihren Kameras folgen. In der DDR wurden Kundgebungen oder Proteste dagegen geheim gehalten, Gerichtsverhandlungen in Strafsachen fanden in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wenn Fotograf*innen Demonstrationen abgelichtet hätten, hätten sie nicht nur sich selbst, sondern auch die Personen auf den Aufnahmen in Gefahr gebracht.
Da im Westen Pressefreiheit herrschte, Demonstrationsrecht bestand und sich Fotograf*innen in der Regel frei bewegen konnten, existieren unzählige Aufnahmen von den Geschehnissen des Jahres 1968. In der DDR waren Demonstrationen gegen staatliche Behörden und politische Organisationen untersagt und wurden strafrechtlich verfolgt, daher erinnern kaum Fotos an die Proteste jenseits des Eisernen Vorhangs. Fotografien aus dem Epochenjahr 1968 spiegeln den Tanz mit dem System im Westen und das Verstecken vor dem System im Osten wider. Sie veranschaulichen den unterschiedlichen Umgang mit Protest und Gegenkultur in einer Demokratie und in einer Diktatur. 

Musik und Megafon

Auf dem Foto von Jürgen Henschel, aufgenommen im August 1967 am Kurfürstendamm in West-Berlin, tanzt eine junge Frau im Wickelkleid, die Beine mit Blumen und geometrischen Figuren bemalt. Ihr Haar wird von Bändern zusammengehalten. Die Umherstehenden bilden einen Kreis und applaudieren. Ein junger Mann trägt einen ausgemusterten Hut, ein anderer eine breite, gemusterte Krawatte. Das Megafon in seiner Hand legt die Vermutung nahe, dass die Gruppe für oder gegen etwas protestiert.

Die spontane Tanzeinlage gilt dem Studenten Fritz Teufel. Er war Mitglied der Kommune I, jener Wohngemeinschaft, die eine alternative Lebensform zur bürgerlichen Familie propagierte und sich 1969, nicht einmal zwei Jahre nach ihrer Gründung, wegen Konflikten auflöste.
Teufel war 1963 aus Baden-Württemberg nach West-Berlin gekommen, um an der Freien Universität zu studieren. In Berlin beteiligte er sich etwa an den Protesten gegen den Staatsbesuch von Schah Mohammad Reza Pahlavi und seiner Frau Farah am 2. Juni 1967 in West-Berlin. Der Schah aus dem Iran hatte die Abneigung der linken Studierenden auf sich gezogen, weil er sein Militär auf Druck der Vereinigten Staaten von Amerika massiv aufrüstete – und weil die Springer-Presse sehr wohlwollend über ihn und seine Ehefrau berichtete. Fritz Teufel stand an jenem berühmten 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper, wo das iranische Herrscherpaar mit dem Bundespräsidenten Heinrich Lübke und Berlins Regierendem Bürgermeister Heinrich Albertz „Die Zauberflöte“ sehen wollte. Als das Paar ankam, schrien sich die Demonstrant*innen hinter der Absperrung ihre Wut von der Seele, wohl wissend, dass ihr Protest durch das Grundgesetz gedeckt war. Die Polizei verhaftete an diesem Abend dennoch 45 Studierende, darunter auch Fritz Teufel. Ein Student wurde getötet: Benno Ohnesorg, erklärter Pazifist, hatte zum ersten Mal in seinem Leben an einer Demonstration teilgenommen und sich aus allen Handgreiflichkeiten herausgehalten. Trotzdem erschoss ihn der West-Berliner Polizist und Stasi-Informant Karl-Heinz Kurras hinterrücks auf der Flucht. Von den verhafteten Studierenden kamen die meisten am nächsten Tag frei, doch Teufel musste fast sechs Monate lang in Untersuchungshaft auf seinen Prozess warten. Das Justizsystem spielte offenbar seine Trümpfe aus.

Während seiner Haftzeit machten seine Kommiliton*innen mit spontan einberufenen Fritz-Teufel-Feiern auf den Fall aufmerksam. Doch sie taten es anders, als man es bislang von Protesten kannte. Auf dem Kurfürstendamm bildete eine Gruppe spontan einen Kreis um eine tanzende Frau. Zwischendurch rief einer der Studenten durch sein Megafon zur Freilassung von Fritz Teufel auf: „Treibt Moabit den Teufel aus!“ Und: „In Berlin ist der Teufel los!“ In Berlin-Moabit lag die Haftanstalt, in der Teufel in U-Haft saß. Der Historiker Wolfgang Kraushaar hat diese Aktionen der Kommune I als bewusste Irritationen beschrieben: „Auf den zweiten Blick erschienen sie zumeist als etwas anderes, als sie auf den ersten Blick vorgegeben hatten.“

 

In Badelatschen zum Gericht

Auch die Gerichtsverfahren gehörten zu den Aktionen der Kommunard*innen und ihrer Verbündeten im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Gerichte waren Tanzböden für die protestierenden Student*innen, das machen die vielen Aufnahmen deutlich. Die Art der Auseinandersetzung unterschied sich nämlich stark von üblichen Gerichtsverhandlungen. Die Student*innen wollten die Prozesse nicht mit juristischem Sachverstand, geschickt platzierten Anträgen oder der Berufung auf für sie günstige Urteile gewinnen. Ihr Ziel war es, das Justizsystem bloßzustellen (Chaussy 2018; Scharloth 1968; Kraushaar 1968). Sie fochten die Legitimität des Gerichts mit allen Mitteln an. Fritz Teufel erschien in Badelatschen zur Verhandlung über seinen am 2. Juni 1967 angeblich begangenen schweren Landfriedensbruch.

Wieder war Jürgen Henschel mit seiner Kamera dabei. Teufel verstand die an ihn gerichteten Fragen bewusst falsch und nutzte seine Antworten für politische Statements. Er blieb sogar sitzen, als der Richter nach der Mittagspause den Gerichtssaal betrat. Erst nach mehrmaliger Aufforderung erhob er sich mit den Worten: „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient.“ Natürlich diente das Aufstehen nicht der Wahrheitsfindung. Durch einen einzigen Satz hatte Teufel die Ehrerbietung gegenüber dem Richteramt zum inhaltsleeren Ritual degradiert.

Auffällig ist, dass auf den Aufnahmen von Protestaktionen der Zeit weder der Name noch das Konterfei von Benno Ohnesorg zu sehen sind. Angesichts seiner Ermordung am Abend des 2. Juni 1967 stellt sich die Frage, warum die Kommunard*innen und SDSler*innen darauf nicht Bezug nahmen, sich immer noch als „Spaßguerilla“ bezeichneten und auch als solche auftraten. Warum setzte sich Fritz Teufel einen Weihnachtskranz auf den Kopf, als er im Dezember vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen wurde? Die Kommunard*innen hätten Ohnesorgs Tod im Kampf gegen den „Unrechtsstaat Bundesrepublik“ ins Feld führen können, aber sie taten es nicht. Die Antwort darauf liefert der Historiker Eckard Michels: Ihm zufolge wurde Ohnesorgs Tod erst retrospektiv zum Gründungsmoment der 1968er Bewegung erklärt. Es bedurfte eines Märtyrers, um die eigene Radikalisierung zu legitimieren. Auch die terroristische „Bewegung 2. Juni“, aus der sich einige Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) rekrutierten, berief sich erst später auf Ohnesorgs Tod. „1968" als Begriff wurde übrigens erst im Nachhinein als Chiffre für die weltweiten Proteste der Jahre zwischen 1965 und etwa 1970 eingeführt. 

Revolutionäre mit Seitenscheitel

In West-Berlin, der „Frontstadt“ des Kalten Krieges, war die 1968er-Bewegung kämpferischer, lauter und frecher als im Rest der Bundesrepublik. Die Fotos von Demonstrationen und Großveranstaltungen der linken Studierendenschaft in anderen Städten zeigen Student*innen, die sich zwar für Ideen der gesellschaftlichen Umwälzung interessierten, ihrem bürgerlichen Habitus jedoch nicht entkommen konnten. Die ikonische Serie des Fotografen Willy Pragher vom 19. Januar 1968 in Freiburg zeigt eine Schar von Student*innen, die gespannt die Diskussion von Ralf Dahrendorf mit Rudi Dutschke verfolgen. Der kurz vor dem Bau der Berliner Mauer aus der DDR nach West-Berlin geflohene Studentenführer Rudi Dutschke konnte die Massen in seinen Bann ziehen. Auch wenn die meisten seiner theorielastigen Argumentation sicherlich nicht im Detail folgen konnten, hörten sie ihm doch aufmerksam zu.

Praghers Aufnahme zeigt aber auch, dass sich die männlichen Studenten vor der Veranstaltung ordentlich gekämmt und die Damen frisiert hatten. Die vielen Fotos zu den Demonstrationen, Gerichtsprozessen und Sponti-Aktionen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass „1968” nie ein Massenphänomen war. Nur eine kleine Minderheit von Student*innen setzte sich tatsächlich für einen gesellschaftlichen Umsturz ein.

Gesprengte Geschichte

In der DDR war es viel schwieriger, gegen staatliche Maßnahmen zu protestieren. Dies zeigen schon die vorsichtigen Proteste gegen die 1968 vollzogenen Kirchensprengungen: Im Mai 1968 beschloss die Leipziger Stadtverordnetenversammlung auf Anordnung des Politbüros, die Universitätskirche St. Pauli zu sprengen. Die Universität sollte ein neues Antlitz erhalten, ein funktionaler Zweckbau die Paulinerkirche ersetzen. Damit sollte nicht nur mehr Platz für Lehre und Forschung entstehen – es war der brutale Versuch, den Ort umzudeuten: Der sakrale Raum sollte durch eine Hochburg der Wissenschaft im Geist des Marxismus-Leninismus ersetzt werden. Der junge Physiker Stefan Welzk, der selbst an der Universität studiert hatte, wollte die Zerstörung dieses Leipziger Wahrzeichens nicht hinnehmen. Anders als Rudi Dutschke in West-Berlin konnte Welzk jedoch seine Ideen in der DDR nicht offen artikulieren. Der Widerstand musste im Verborgenen stattfinden.
Welzk tat sich mit einigen Gleichgesinnten zusammen und befestigte drei Wochen nach der Sprengung ein Transparent in der Leipziger Kongresshalle. Dort fand gerade der III. Leipziger Bach-Wettbewerb statt. Mithilfe eines umgebauten Weckers gelang es ihnen, den Zeitpunkt festzulegen, an dem sich die Stoffbahn auf der Bühne entrollen sollte. Nach einer Rede entfaltete sich vor den geladenen Zuschauer*innen, darunter auch West-Medien, ihr Plakat mit der Aufschrift „Wir fordern Wiederaufbau“. Das Publikum applaudierte laut.

 

Anders als für den SDS, der mit lauten Aktionen auf sich aufmerksam machte, war es für die Oppositionellen in der DDR entscheidend, im Verborgenen zu handeln. Obwohl die Aktion auch in dieser Hinsicht gut vorbereitet war und Stefan Welzk mit einem seiner Mitstreiter kurz darauf die Flucht in den Westen gelang, wurde 1970 ein weiterer Beteiligter verhaftet. Er saß jahrelang im Gefängnis. Auch zwei vollkommen Unbeteiligte mussten längere Haftstrafen verbüßen. Die Gerichtsprozesse, die den angeklagten Student*innen im Westen als Bühne dienten, verfolgten in der DDR einzig das Ziel, Verdächtige abzuurteilen und die Öffentlichkeit einzuschüchtern. Eine Bloßstellung der Richter, wie sie die Kommunard*innen begonnen hatten und später von den RAF-Mitgliedern Andreas Baader und Gudrun Ensslin perfektioniert wurde, war den Widerständler*innen in der DDR versagt.
Die Protestaktionen gegen die Sprengung der Paulinerkirche in Leipzig und der Garnisonkirche in Potsdam wurden nicht wie in der Bundesrepublik von unabhängigen Fotografen festgehalten und an Zeitungen verkauft. Im Regelfall fotografierten in der DDR nur zwei Personengruppen die Gegenproteste dieser Zeit: die Protestierenden selbst und der Staatssicherheitsdienst. Beiden Parteien dienten die Fotos der Dokumentation, nicht der Veröffentlichung. Von den Gerichtsprozessen existieren so gut wie gar keine Aufnahmen. Dem Gedenken fehlen die Bilder.

Sehnsuchtsort Prag

Dieses Phänomen lässt sich noch deutlicher in Bezug auf den Protest von DDR-Bürger*innen gegen die militärische Niederschlagung des „Prager Frühlings“ am 21. August 1968 beobachten. Die Aufmerksamkeit der DDR-Bürger*innen hatte sich seit Januar 1968 auf ihr Nachbarland, die Tschechoslowakei, gerichtet. Dort hatte der neue Erste Sekretär der Kommunistischen Partei, Alexander Dubček, Reformen im Sinne eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ auf den Weg gebracht. Das bedeutete unter anderem, dass die Planwirtschaft und damit der staatliche Einfluss zugunsten einer stärkeren Autonomie der Unternehmen abgebaut werden sollte. Das tschechoslowakische Parlament als Exekutivorgan sollte gestärkt, die Vorgaben aus Moskau zurückgedrängt werden.

 

Für die Bevölkerung des Landes aber war weniger entscheidend, was neu geschaffen wurde, als das, was weggelassen wurde: Dubček erklärte die Pressezensur für beendet. Diese Maßnahme führte zu einer Eruption der Debatten, die Tschechoslowakei wurde zu einem Land des offenen Austauschs. Dadurch gerieten die Reformen auch in den Blickwinkel der DDR-Bürger*innen: In der ersten Hälfte des Jahres 1968 reisten sie scharenweise in das Nachbarland im Osten. Allein im Juni besuchten 244.000 Personen die ČSSR.

Die Züge, die aus Prag wieder zurück in die DDR fuhren, wurden beim Grenzübertritt in Bad Schandau und Zinnwald ganz besonders gründlich kontrolliert. Doch auch hiervon existieren keine Aufnahmen. Bad Schandau sollte für die DDR-Bevölkerung ein Erholungsort in der Sächsischen Schweiz bleiben und sich nicht in ein Einfallstor für revolutionäres Gedankengut verwandeln. Das Zentralkomitee der SED mit Walter Ulbricht an der Spitze wollte verhindern, dass sich die Reformbestrebungen auf das eigene Land ausweiteten.

Dennoch gab es Solidaritätsbekundungen für den „Prager Frühling“: spontane Kundgebungen, Flugblätter, Transparente, Parolen auf Hauswänden. Immer mussten die Organisator*innen und Teilnehmer*innen versuchen, ihre Spuren zu verwischen. Dies gelang oft: Bis März 1969 konnten von 2.100 Protestaktionen 80 Prozent (geheim)polizeilich nicht aufgeklärt werden. Gleichwohl wurden 1.189 DDR-Bürger*innen wegen ihrer Sympathiebekundungen für den „Prager Frühlings" verurteilt (Kowalczuk 2022; Wolle 2001). Trotz der großen Zahl an Verfahren gegen Oppositionelle spielen sie in der gesellschaftlichen Erinnerung an 1968 kaum eine Rolle. Sie waren in der Regel nicht öffentlich und fanden keinen Niederschlag in der staatlichen Presse. Sehr präsent dagegen sind die wenigen Gerichtsverfahren gegen linke Student*innen in der Bundesrepublik.

Verlorene Utopien

Die westdeutsche Öffentlichkeit kannte von Rudi Dutschke nicht nur seine Ideen, sondern auch sein Aussehen. Sein Gesicht war Zeitungsleser*innen bekannt. Menschen, die in der DDR gegen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ protestiert hatten, blieben dagegen gesichtslos, obwohl sie so viel riskierten. Die überwiegende Mehrheit der Inhaftierten waren junge Menschen aus allen Gesellschaftsschichten (Kowalczuk 2022; Wolle 2001). Hierin liegt ein großer Unterschied zu den Ereignissen jenseits der innerdeutschen Grenze: Student*innen waren bei den Protesten in der Minderheit.

Während das große Ziel der Student*innen in der Bundesrepublik darin bestand, die Aktionen in den einzelnen Städten miteinander zu vernetzen, um zu einer unaufhaltsamen Bewegung zu werden, waren die Gruppen in der DDR auf sich allein gestellt. Der DDR-Bürgerrechtler Ehrhart Neubert resümiert, dass die Widerstandsaktionen „trotz aller Intensität und der erstaunlichen Quantität dennoch isolierte Einzelaktionen“ blieben (Neubert 1998).
Wenn man die Kundgebungen und Demonstrationen in den Städten der Bundesrepublik mit denen in der DDR vergleicht, fällt noch ein weiteres Phänomen auf: Die Proteste im Westen kannten keine Ländergrenzen. Fritz Teufel schrieb während seiner Untersuchungshaft in Moabit im Jahr 1967 auf seiner Schreibmaschine einen Flugzettel mit der Überschrift „Nazis raus aus der Justiz, Amis raus aus Vietnam!“. Nach der Vietnam-Konferenz 1968 rief Rudi Dutschke die in West-Berlin stationierten US-Soldaten auf, zu desertieren. Für den SDS bestand überhaupt keine Notwendigkeit, seine politischen Forderungen auf das Gebiet der Bundesrepublik zu beschränken.

 

Ganz anders verhielt es sich in der DDR. Zwar erfuhren die Menschen auch von den Geschehnissen in der Bundesrepublik, in Frankreich und den Vereinigten Staaten, denn sie wurden im „Neuen Deutschland“, dem Zentralorgan der SED, im Sinne der antiimperialistischen Propaganda aufgegriffen und umgedeutet. Doch die Wünsche der DDR-Oppositionellen betrafen in weitaus stärkerem Maße die eigenen Lebensverhältnisse. Der Aufbruch in der Tschechoslowakei war für die DDR-Bürger*innen selbst greifbar. Eine Lockerung der Reisebeschränkungen und eine freie Presse wären in ihrem eigenen Land konkret umsetzbar gewesen. Auch deswegen war die Enttäuschung nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings” so groß. Damit war klar, dass sich im eigenen Leben nichts ändern würde.
Während sich die protestierenden Student*innen im Westen nach 1968 von der Utopie einer anderen Gesellschaft verabschieden mussten, weiterhin aber ihre individuelle Freiheit nutzen konnten, schränkte sich der eigene Lebensraum der DDR-Bürger*innen weiter ein. Sie mussten weitere 20 Jahre warten, bis sie sich frei entfalten konnten.

Quellen:

Ulrich Chaussy, Rudi Dutschke. Die Biographie, München 2018

Sandra Kraft: „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient“. Antiautoritärer Protest vor Gericht um 1968, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (65), H. 2, 2017, S. 163-190

Michael Sontheimer, Peter Wensierki: „Wenn's der Wahrheitsfindung dient“. Vor Gericht in Moabit, in: SPIEGEL ONLINE, 22.03.2018 (https://www.spiegel.de/geschichte/berlin-1967-fritz-teufel-und-karl-heinz-kurras-vor-gericht-in-moabit-a-1198959.html)

„Ich war am anfälligsten für die Liebe", in: Der Tagesspiegel, 07.07.2010 (https://www.tagesspiegel.de/politik/fritz-teufels-letztes-interview-ich-war-am-anfaelligsten-fuer-die-liebe/1670424.html)

Stefan Wolle, Die versäumte Revolte, in APuZ (22/23) 2001, S. 37-46

Wolfgang Kraushaar, Die blinden Flecken der RAF, Stuttgart 2017

Ehrhart Neubert, Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, Berlin 1998Der Prager Frühling 1968 und die DDR

Ilko-Sascha Kowalczuk, Der Prager Frühling und die DDR, in: Lernen aus der Geschichte (http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/13943)

Marco Carini, Fritz Teufel. Wenn's der Wahrheitsfindung dient, Hamburg 2003

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