Schwarz-weiß Foto: Eine ältere, weiblich gelesene Person mit Kopftuch und Haushaltskittel vor einem Wohnwagen füttert Katzen. Die Katzen streichen um ihre Beine.
Alte Frau füttert Katzen auf dem Arkonaplatz in Berlin-Mitte, Foto: Christian Borchert, 1980, Deutsche Fotothek

Mythen, Mäuse, böse Geister – eine kleine Kulturgeschichte der Katze

11.09.2024 Theresa Rodewald (Online-Redaktion)

Lesedauer: ca. 12 Minuten

Im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA tauchte ein 2021 geführtes Interview mit JD Vance, dem Republikanischen Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, auf, in dem er die Demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris als „childless cat lady“ bezeichnete. Eine interessante Aussage – zum einen ist sie falsch, zum anderen transportiert sie das Bild der verrückten alten Dame, die allein mit unzähligen Katzen lebt. Was natürlich als Beleidigung gemeint ist. Aber warum eigentlich?

Denn Katzen sind doch die Königinnen des Internets. Das stets unterhaltsame Clickbait-Original. Sind sie nicht mysteriös, schön, unabhängig, eigensinnig und erwiesenermaßen gut für die mentale Gesundheit? Waren sie nicht irgendwie irgendwo irgendwann sogar heilig? Wir dröseln dieses Fellknäuel historischer Zuschreibungen Schritt für Schritt auf.

 

Die Katzengöttin Bastet


Fangen wir mit den guten alten Zeiten der Katzengottheiten an. Das heute wohl bekannteste Beispiel ist die altägyptische Gottheit Bastet. Das Alte Ägypten existierte von circa 4.000 v. Chr. bis ins Jahr 395 n. Chr. und über die mehr als viertausend Jahren wandelte sich auch das Bild von Bastet.

Zunächst wird Bastet als weibliche Figur mit Löwenkopf dargestellt und ist eine eindrucksvolle Kriegsgöttin. Ungefähr tausend Jahre später wird der Löwen- zum Katzenkopf. Alternativ erscheint Bastet gleich komplett in Katzenform – aber auch ihr Wesen ändert sich. Sie wird zur Schutz- und Fruchtbarkeitsgöttin und zur Patronin der Schwangeren. Diese Assoziation von Katzen mit Fruchtbarkeit / Sexualität / Weiblichkeit findet sich in vielen anderen Kulturen und historischen Epochen und ist auch für das Bild der Cat Lady zentral. Doch dazu später mehr.

Katzen spielen im Alten Ägypten eine wichtige Rolle. Ab der 22. Dynastie (circa 950 v. Chr.) gelten sie als Inkarnation von Bastet selbst. Genau wie geliebte Menschen werden auch Katzen aufwändig beigesetzt – davon zeugen mumifizierte Katzen und Katzenfriedhöfe (z. B. in Bubastis), aber auch Gräber, in denen Katzen als geliebte Haustiere gemeinsam mit ihren Menschen bestattet werden. Wandmalereien in der Nekropolis von Theban zeigen Katzen als Mitglieder menschlicher Haushalte. All dies sind Zeugnisse einflussreicher und wohlhabender Menschen – über das Verhältnis der übrigen Bevölkerung zu Katzen wissen wir heute wenig. 

Die Idee, dass Katzen im Alten Ägypten heilig waren, ist inzwischen übrigens veraltet.


Heilige Katzen –  machtvolle Cat Ladies

Nicht nur im Alten Ägypten werden Katzen verehrt, auch in anderen Kulturen und Epochen genießen sie einen besonderen Status. Der Islam bewundert Katzen für ihre Sauberkeit. Sie gelten auch rituell als rein und dürfen deshalb in Städten ungehindert umherlaufen und öffentliche Orte, Wohnhäuser und sogar Moscheen betreten. In Istanbul gehören Straßenkatzen ganz selbstverständlich zum Stadtbild und sind heute eine beliebte touristische Attraktion.

Im japanischen Shintō werden Katzen als Nekogami verehrt. Neko bedeutet auf Japanisch Katze und Kami sind im Shintō Geistwesen. Grund für die religiöse Bedeutung liegt darin, dass Katzen sowohl Nahrungsvorräte als auch wertvolle Seidenprodukte vor Ratten und Mäusen schützen.

Das ehemalige Zentrum der Seidenraupenzucht, die Präfektur Miyagi, ist mit seinen Schreinen, Steinstelen und Katzen-Grabstätten bis heute das Zentrum der Nekogami-Verehrung. Japans berühmtester Katzen-Schrein ist der Nekogami-jinja in der Hafenstadt Kagoshima. Katzenliebhaber*innen aus aller Welt hinterlassen hier auf hölzernen Votivtafeln, den sogenannten Ema, Botschaften an ihre (verstorbenen) Haustiere.

Die berühmte Winkekatzen (eigentlich: Maneki-neko) sind übrigens keine Nekogami, sondern Glücksbringer. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name „einladende Katze“. In Läden, Restaurants, Lotterien oder auf Marktplätzen soll sie Kundschaft anlocken und für Wohlstand sorgen.

Vorgänger der Winkekatze ist die Marushime-neko („Rundum-glücklich-Katze“). Diese kleinen Tonfiguren von schwarz-weiß gefleckten Katzen mit erhobener Pfote wurden wohl schon im 16. Jahrhundert von Mönchen verkauft.

Das gestalterische Vorbild der Maneki-neko ist übrigens die Japanese Bobtail – eine weiße Katze mit schwarzen und braunen Flecken und kupiertem Schwanz. Sie wurde ursprünglich am japanischen Kaiserhof gezüchtet und durfte bis Ende des 18. Jahrhunderts nur dort gehalten werden.

Doch warum werden Katzen so häufig mit Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht? Die hinduistische Göttin der Fruchtbarkeit und der Fortpflanzung, Sashthi, reitet auf einer schwarzen Katze. In der nordischen Mythologie fährt Freya, die Liebesgöttin, in einem Wagen, der von Katzen gezogen wird. Und im Christentum wird die heilige Jungfrau Maria oft mit einer Katze dargestellt.

Es gibt sogar die Theorie, dass die Katze in den Marienabbildungen sich auf die altägyptische Göttin Bastet zurückführen lässt. Die Assoziation der Göttin mit Katzen soll von den Griechen für Artemis und den Römern für Diana übernommen worden sein und so, mit der allmählichen Christianisierung des Römischen Reiches, seinen Weg ins Christentum und zur Heiligen Jungfrau Maria gefunden haben.

 

Dämonische Katzen und eine fragwürdige These über die Verbreitung der Pest


Katzen werden aber nicht immer vergöttert. Die eigentlich so katzenfreundliche japanische Kultur kennt verschiedene Dämonen in Katzengestalt: Kasha (übersetzt: Feuerwagen), der bösartige Gegenspieler der Maneki-neko, haust gruselig unter Friedhöfen. Die Koboldkatze Bakeneko – so erzählt es die Folklore – entsteht aus ungewöhnlich alten und beunruhigend dicken Hauskatzen. Nach ihrer Transformation zum Monster entwickeln sie Appetit auf Menschenfleisch – übrigens auch ein beliebtes Motiv japanischer Horrorfilme.

Weniger einfallsreich, aber keinesfalls weniger dämonisch ist der unglücksbringende schwarze Kater. Er treibt – von links nach rechts laufend – vor allem in Mitteleuropa sein Unwesen. Im keltisch-geprägten Großbritannien und Irland gelten schwarze Katzen dahingegen als Glücksbringer. Zum Schutz vor bösen Geistern wurden dort tote, getrocknete Katzen in die Wände neuer Häuser eingemauert.


Katzen, so heißt es manchmal, erfuhren in der Frühen Neuzeit genauso viel Unrecht wie unschuldig der Hexerei bezichtigte Menschen. Der Historiker Robert Darnton stellte einst die These auf, dass die Pest in Europa nur deshalb so um sich schlagen konnte, weil Katzen massenhaft verbrannt worden seien, was die Ausbreitung von Ratten als Träger der tödlichen Bakterien begünstigte. Diese Behauptung ist inzwischen allerdings widerlegt.

 

Doch dass die Augen der Katze in der Dunkelheit zu glühen scheinen, dass sie Stürze aus mehreren Metern Höhe überlebt und anscheinend (mindestens) sieben Leben hat, macht sie verständlicherweise unheimlich. Die glühenden Augen hat sie dabei einer zusätzlichen Zellschicht auf ihrer Netzhaut zu verdanken (genannt Tapetum lucidum), die Licht reflektiert. Und es ist der Stellreflex, der sie stets sicher auf den Beinen landen lässt.

Mitteleuropa in der Frühen Neuzeit: Der Ursprung der crazy Cat Lady?

Die Darstellung von Katzen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit ist ambivalent. Zwar ist die Katze weiterhin eine beliebte Mäusefängerin und damit auch ein Schutztier, sie gilt aber auch als unsozial, hinterhältig und manipulativ.

Die widersprüchliche Wahrnehmung von Katzen spiegelt, so der Historiker Mark Hengerer, den damaligen gesellschaftlichen Wandel: von der mittelalterlichen Gesellschaft, in der Herrschaft als persönliche Beziehung verstanden wurde, hin zur unpersönlich und funktional organisierten frühneuzeitlichen Gesellschaft. Dass Katzen unabhängig, freiheitsliebend und recht individualistisch sind, macht sie deshalb sowohl zur Zielscheibe als auch zum Symbol der sich ändernden Gesellschaft.

Viele Katzen, keine Lady

Es gibt, das zeigt unser Streifzug durch die Kulturgeschichte, eine Verbindung zwischen Katzen und Weiblichkeit. Diese Verbindung reflektiert sowohl die Stärke und Macht, die Frauen besitzen können, als auch die Bedrohung, die von dieser Macht, dieser Eigenständigkeit für patriarchale Gesellschaftsformen ausgeht. Unabhängigkeit und Eigensinn, also die Eigenschaften, die Katzen in der Frühen Neuzeit so ambivalent machten, sind Eigenschaften, die in einer patriarchalen Gesellschaft bei Frauen besonders ungern gesehen werden, da sie die patriarchale Ordnung unterwandern und sich gesellschaftlichen Erwartungen widersetzen.

Apropos: Frauen, die nicht heiraten und keine Kinder gebären, widersetzen sich eben jenen gesellschaftlichen Erwartungen. Und – ähnlich wie die Katzen – werden sie oft als sonderlich oder bedrohlich dargestellt. Nicht umsonst lebten viele als Hexen denunzierte Frauen alleine und waren kinderlos. Im Laufe der Zeit gesellt sich noch die Zuschreibung psychischer Labilität dazu – Frauen ohne Kinder können nur verrückt sein oder werden. Ihre Aufgabe, das Gebären von Kindern, hatten sie nicht erfüllt. Und voilà, jetzt sind wir bei der „verrückten“ Katzenfrau angekommen.

Denn auch das Problem des Republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten Vance ist weniger die Katze und mehr die Kinderlosigkeit. Mit dem „childless cat lady“ Kommentar wirft er Kamala Harris vor, ihren „Dienst an der Gesellschaft“ in Form von leiblichen Kindern nicht getan zu haben und deshalb politisch inkompetent zu sein. Er impliziert auch, dass Frauen an den Herd und ins Wochenbett gehören und alle, die sich dem widersetzen lächerlich, anders, gefährlich sind.

Damit reiht er sich in eine lange Tradition ein, denn schon im 19. Jahrhundert wurden Frauenrechtlerinnen in misogynen Karikaturen oft als Katzen dargestellt.

Und schon damals machten sich Feminist*innen das Bild der Katze zu eigen und benutzen es einfach für ihre Kampagnen. Die Katze wurde zum inoffiziellen Maskottchen der Frauenrechtsbewegung. Heute bezeichnen sich viele Katzenfans stolz als Cat Lady – unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht.

Und die Katzen? Sind immer noch unabhängig, stiften immer noch Chaos und sind damit die (in)offiziellen Stars des Internets. Ob als Video, Meme oder Foto – #CatContent geht immer. Vielleicht ist das ja die Katzenverehrung der Gegenwart?

 

Quellen

Dokumentarfilm von arte: https://www.youtube.com/watch?v=g1LiEQuvcbs 

Cat Ladies

https://edition.cnn.com/2024/07/27/us/cat-lady-explained-cec/index.html (auf Englisch)

https://www.bbc.com/culture/article/20220225-the-batman-the-ancient-roots-of-catwoman (auf Englisch)

https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2018/apr/16/claws-pop-culture-crazy-cat-lady-lonely-sexless-eccentric-stereotype-millennial-ailurophiles (auf Englisch)

Katzen im Alten Ägypten

https://www.oeaw.ac.at/news/von-katzenmumien-und-tiergoettinnen-katzen-im-alten-aegypten 

https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/3863 

Wikipedia

https://de.wikipedia.org/wiki/Hauskatze

https://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_depictions_of_cats (auf Englisch)

Verschiedenes

https://kops.uni-konstanz.de/server/api/core/bitstreams/58f59c98-936e-439d-8cb1-3d26aa22a2e0/content

https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2017/06/katzen-haben-sich-selbst-domestiziert 

https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Katzen 

https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-127130

https://www.worldhistory.org/trans/de/2-1387/katzen-im-mittelalter/

Gacek  der Kater (die am besten bewertete Attraktion von Stettin): https://www.derstandard.de/story/2000144372767/eine-katze-ist-die-groesste-touristenattraktion-der-polnischen-stadt-stettin 

Anastasia, eine Katze aus Dubrovnik, die im UNESCO Weltkulturerbe wohnt: https://www.kleinezeitung.at/home/klistenspecial/klisteklein/6128802/Hafenstadt-Dubrovnik_Sturm-der-Entruestung-nach-Verbannung-von?from=rss 

Quiz-Tipp: Bist Du ein Katzenflüsterer? https://catdogwelfare.wixsite.com/catfaces/cat-faces-interactive-quiz 

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