Bärte oder Wie Luther (fast) den Hasen rettete

19.02.2016 Wiebke Hauschildt (Online-Redaktion)

Um im Jahr 1700 den Nordischen Krieg gegen das Schwedische Reich zu finanzieren, wurde Peter I., Zar von Russland, kreativ: Eine neue Steuer musste her und so führte er die „Bartkopeke“ ein. Äußerlich identisch mit einer Münze, war sie jedoch kein Zahlungsmittel, sondern ein Beleg: Jeder Träger eines Voll- oder Schnurrbartes musste nach Ständen gestaffelte Beträge zahlen und erhielt als Beweis seiner gezahlten Steuer die Bartkopeke. Nach 1715 lag der Betrag einheitlich bei 50 Rubel. Erst durch Katharina II. wurde die Bartsteuer 1772 abgeschafft.

Nicht nur im Zarenreich wurde der Bart für bestimmte Zwecke genutzt und instrumentalisiert. Im Laufe seiner langen Kulturgeschichte sollte der Bart mit Bedeutung aufgeladen werden: sei es durch sein Vorhanden- oder Nichtvorhandensein, sein Aussehen, sei es durch Religion oder Politik, Mode oder Meinung.

12 Millimeter, ein Paradoxon und der Club der Bärte

Durchschnittlich wächst der Bart eines Mannes 12 Millimeter monatlich. Die ersten Stutzwerkzeuge, steinerne Rasierschaber, sind aus dem 4. Jahrtausend vor Christus bekannt. In der Bronzezeit waren Rasiermesser und Pinzette beliebte Grabbeigaben männlicher Toter in Europa und Eurasien und deuten auf eine bewusste Bart- oder Nichtbartgestaltung in dieser Zeit hin. Doch legte Mann nicht immer selbst Hand an: Eine lange Barbiertradition speziell im orientalischen Raum etablierte die Haar- und Bartpflege als wichtigen Teil des sozialen Lebens. In Nordeuropa ist dieses Berufsbild heutzutage selten anzutreffen; überflüssig gemacht durch den Erfolg der modernen Trocken- und Nassrasierer.

Berühmt bleibt jedoch das von Bertrand Russell 1918 formulierte Barbier-Paradoxon: „Man kann einen Barbier als einen definieren, der all jene und nur jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Die Frage ist: Rasiert der Barbier sich selbst?“

Der weltweit erste Bartclub entstand 1947 in London, der erste deutsche Bartclub folgte 1980. Mittlerweile gibt es Welt- und Europameisterschaften, in denen die schönsten, längsten und formvollendetsten Bärte unterschiedlicher Kategorien gekürt werden. Mit Slogans wie „Immer eine Bartlänge voraus“ und „Ein Mann ohne Bart ist keine Art“ (1. Berliner Bart-Club 1996 e.V.) setzt man sich von anderen Bart-Clubs ab und kann vielleicht sogar den erstaunlicherweise rar gewordenen Nachwuchs anziehen. Nicht immer störungsfrei verlaufen jedoch die Zusammenkünfte dieser Clubs: So las man erst im Oktober vergangenen Jahres vom Club-Treffen der „Bärtigen Schurken“ in Schweden, die bei ihrem Fototermin für IS-Sympathisanten gehalten wurden und schnell Besuch von der Polizei wegen Terror-Verdachts erhielten.

Der Bart der Macht

„Adolf Hitler, dem sein Bart, ist von ganz besondrer Art. Kinder da ist etwas faul: Ein so kleiner Bart und so ein großes Maul“, schreibt Bertolt Brecht schon 1934 in „Alfabet“. Hitlers Zweifingerbart ruft heute sofort Assoziationen mit seiner Person und dem Nationalsozialismus hervor. Der Bart als Zeichen von Macht und Autorität, von Weisheit und (Alters-)Würde findet sich mannigfach in der Geschichte. Jesus Christus wird fast immer mit Bart dargestellt, in dieser Tradition ließen sich Päpste ebenfalls häufig einen Bart wachsen. Man erinnert sich an Platos Vollbart oder an die Rauschebärte von Karl Marx und Auguste Rodin – hier steht der „wilde Bart“ jedoch auch für Unabhängigkeit vom Establishment, revolutionäre Gesinnung und Individualität.

Aber nicht jeder fiel auf die Verbindung „Bart = Weisheit“ herein. So schreibt Lukian von Samosata im 2. Jahrhundert: „Wenn einen Bart zu tragen bedeuten würde, dass man weise ist, dann könnte jeder Ziegenbock ein Plato sein.“ Alexander der Große war hingegen überzeugt, dass der Bart im Kampf störe und unnötige Angriffsfläche bieten würde. So war er selbst glattrasiert und befahl dies auch seinen Soldaten.

Der Bart der Frau

Am Damenbart scheiden sich die (zumeist männlichen) Geister: Er gilt seit jeher als unweiblich und unattraktiv, die Vielzahl der heutigen Angebote ihn zu entfernen, entsprechen dem Schönheitsideal einer unbehaarten Weiblichkeit. Die Frau mit Bart ist dabei gar nicht ungewöhnlich. Die weiblichen Pharaonen des alten Ägyptens trugen Zeremonialbärte als „Zeichen ihrer virilen Omnipotenz“. Die Bartattrappe wurde unter das Kinn gespannt und ist beispielsweise bei der Sphinx der Königin Hatschepsut zu sehen.

Mittlerweile wird das Thema Frau mit Bart offen von einigen Bartträgerinnen thematisiert: von der Künstlerin Mariam, die darüber bloggt, zu Frauen der Sikh-Religion, die ihren Körper unverändert lassen aus Respekt vor der Schöpfung und Fragen zu ihrem Aussehen offensiv in den Sozialen Medien begegnen (wie Balpreet Kaur) bis hin zu Conchita Wurst.

Zum Schluss: Wie Luther (fast) den Hasen rettete

Als Martin Luther sich 1521 nach der Veröffentlichung seiner Thesen auf der Wartburg verstecken musste, tat er dies als „Junker Jörg“ mit zugewachsener Tonsur und Vollbart – ein Erscheinungsbild, das ihm missfallen haben soll. Nie wieder soll er nach dieser Zeit einen Vollbart getragen haben.

Trotz Bart enttarnt wurde er allerdings, als er an einer Hasenjagd teilnahm. Als adliger Junker wäre er solche Jagden gewohnt gewesen, flog aber auf durch seine schlechten Reitkenntnisse und seinen Versuch, den Hasen zu retten, indem er ihn unter seinem Mantel versteckte. Der Rettungsversuch sollte sich als fruchtlos erweisen: Die Hunde rochen den Hasen und bissen ihn durch den Mantel tot.

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Dieser Beitrag wurde inspiriert von der spannenden Ausstellung „Bart – zwischen Natur und Rasur“ im Neuen Museum Berlin (11.12.2015 – 03.07.2016)
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