„Affekte und Teufeleien“ – Vor 125 Jahren wurde Gustaf Gründgens geboren

16.12.2024 Kristina Höch (Gastbeitrag)

„Da haben wir Gustaf Gründgens, den Künstler, der Bühnenschauspieler, Opernregisseur, Filmdarsteller und […] Filmregisseur ist. Eine Persönlichkeit von ausgesprochener Eigenart, ein Düsseldorfer, der kann, was er will.“   –  Eine der prominentesten und kontrovers diskutierten Theater- und Filmpersönlichkeiten der Weimarer Republik, NS-Deutschlands und der Bundesrepublik war Gustaf Gründgens. Zum 125. Geburtstag gibt es (k)eine Lobeshymne.

Lesedauer: ca. 13 Minuten

Auftakt

Gustaf Gründgens wurde am 22.12.1899 als Gustav Heinrich Arnold Gründgens in Düsseldorf geboren. Als Kind wollte er Oratoriensänger werden oder Schmierseife abwiegen, bevor ihm schon früh klar wurde, dass er eigentlich nichts anderes sein wollte als Schauspieler. Weder als Schüler noch als kaufmännischer Lehrling konnte er glänzen, aber die Ausbildung bei Gustav Lindemann und Louise Dumont an der Düsseldorfer Hochschule für Bühnenkunst gelang.

Mit „f“ schrieb sich der selbstbewusste junge Schauspieler selbst ab 1921 in seinem Vertrag mit den Vereinigten Städtischen Bühnen zu Kiel. Sein Weg führte ihn an das Städtische Kurtheater Eckernförde und an die Hamburger Kammerspiele, wo er die Geschwister Mann kennenlernte, was 1929 nicht nur in der Scheidung von Erika Mann, sondern zudem in Klaus Manns Roman Mephisto mündete, für dessen Hauptfigur Hendrik Höfgen Mann Gründgens als Vorbild nahm und ihn als opportunistischen Karrieremenschen unter den Nazis zeichnete.

Die Erstveröffentlichung erfolgte 1936 im Amsterdamer Exilverlag Querido. Im „Dritten Reich“ war das Werk verboten und auch Gründgens‘ Lebensgefährte respektive Adoptivsohn und Rechtsnachfolger Peter Gründgens-Gorski verhinderte das Erscheinen in der Bundesrepublik erfolgreich nach Gründgens‘ Tod über den Rechtsweg, da der Roman Gründgens‘ Persönlichkeitsrechte auch posthum verletze.

 

„Abgefeimt, eine Ratte, ein giftiges Reptil.“ – Typecasting und Teufeleien

 

1928 fasste Gründgens Fuß in Berlin, spielte an Max Reinhardts Deutschem Theater den junge Männer verführenden Erpresser Ottfried von Wieg in Ferdinand Bruckners Die Verbrecher. Das Engagement führte zwar zu einem hohen Bekanntheitsgrad, bescherte ihm aber auch ein Typecasting, das ihn auf einen bestimmten Rollentypus festlegte und ihn zum Schurken abstempelte, was durch das Medium Film noch verstärkt wurde.

Gründgens erklärte dazu 1963: „Und da [bei Max Reinhardt] geriet ich halt in so eine Serie von Salonstücken, die mich abstempelten. Dazu kam der Zufall eines Films wie M und plötzlich sah ich mich also nur noch in Ledermänteln mit einer Bombe auf dem Kopf als Ganove und sagte ‚Halt‘, also das stimmt nun überhaupt nicht mehr.“  

Unvergessen bleibt er trotz der subjektiven Abneigung gegen diese Art Rolle als Schränker in Fritz Langs Streifen M (D 1931), der durch den Kriminalisten Ernst Gennat und Mitglieder der Berliner Ringvereine wie z. B. Adolf Leib – genannt Muskel-Adolf – inspiriert wurde. Letzterer soll in Gründgens am Set nur ein „Männeken“ gesehen haben.

Gründgens‘ Vorlieben lagen woanders, sein Herz schlug für klassische Rollen, vor allem für Hamlet. Und auch seine Paraderolle, den Goethe‘schen Mephisto, spielte er in seinem Leben hunderte Male. Das Werk hielt er – trotz seiner Skepsis dem Medium Film gegenüber – für ein „glänzendes Drehbuch“ und bannte es als seine letzte filmische Arbeit 1960 auf Zelluloid, sodass sein Gesicht in der unverwechselbaren Maske bis heute bekannt ist.

Gertrud Stolte-Adell urteilte nach einem Treffen am Filmset: „Nein, es ist kein glutäugiger Böser, der nach Schwefel stinkt und bei dem man nach dem Pferdefuß schielt – es ist ein sehr eleganter Herr mit leicht verrutschtem savoir vivre, manchmal auch ein Harlekin, tänzerisch agil, graziös, freilich gänzlich ohne Unschuld, in jedem Fall eine Augenweide, auf der auch der Blick des Rechtgläubigen widerstrebend, aber dennoch gerne verweilt.“

Karriere im „Dritten Reich“

Mit diesen Teufeleien hatte er bereits 1932 seinen endgültigen Durchbruch in Berlin, sein Mephisto in Lothar Müthels Inszenierung von Faust I war ein herausragender Erfolg, sein Name in aller Munde. Seine Karriere setzt er unter den Nationalsozialisten fort, wurde Generalintendant, Preußischer Staatsschau¬spieler, Präsidialrat der Reichstheaterkammer, Reichskultursenator und Staatsrat.

Gründgens, der sich zwar für verfolgte Kolleg*innen wie z. B. Ernst Busch oder Erich Zacharias-Langhans einsetzte, unterstützte das NS-Regime auf kultureller Ebene, wenngleich er aufgrund seiner homosexuellen Beziehungen selbst zeitweise gefährdet war. So bezeichnete Joseph Goebbels in seinem Tagebucheintrag vom 21.1.1938 den ganzen „Gründgens-Laden [als] vollkommen schwul“, schrieb, dass es ihn in den Fingern kribble etwas dagegen zu unternehmen und am 19.8.1941 war in seinem Tagebuch Folgendes zu lesen: „Der Führer mag Gustaf Gründgens nicht. Er ist ihm zu unmännlich. Seine Ansicht geht dahin, daß man im öffentlichen Leben unter keinen Umständen die Homosexualität dulden darf.“

Nichtsdestotrotz gehörten propagandistische Indienstnahmen wie Auslandsgastspiele in Dänemark, Österreich, Holland oder Norwegen und Filme wie Das Mädchen Johanna, Ohm Krüger oder der auf dem Bühnenstück Campo di maggio von Benito Mussolini und Giovacchino Forzanos beruhende Hundert Tage, untrennbar zu Gründgens‘ Biografie. Die Einverleibung Österreichs durch Nazi-Deutschland befürwortete er, war zumindest eine Stimme, die das Volk in Zeitungen dazu aufrief, in der erst nachträglich stattfindenden Abstimmung, die Hitlers Vorgehen offiziell legitimieren sollte, mit „Ja“ zu stimmen. Zeitschriften, die Unliebsames über Gründgens enthielten, wurden auf Geheiß der Gestapo beschlagnahmt. Seine Netzwerke und seine Stellung innerhalb des „Dritten Reichs“ schlossen Kritik an seiner Person aus.

Entnazifizierung

Gründgens, der nach 9-monatiger Haft am 9.3.1946 aus dem sowjetischen Speziallager Jamlitz entlassen wurde, stand nur knapp zwei Monate später, am 3.5.1946, in der Rolle des Christian Maske in Sternheims Der Snob wieder auf der Bühne des Deutschen Theaters – die Tickets waren ausverkauft. In Berlin stufte man seine Tätigkeiten zunächst als belastend ein, sodass er nur als Schauspieler nicht aber als Regisseur oder Inten¬dant fungieren durfte. Die Kommission in Düsseldorf ordnete ihn wiederum als unbelastet ein – die britische Militärregierung widersprach, sah in ihm einen Mitläufer. Gründgens wollte sich das nicht gefallen lassen, ein Berufungsverfahren führte dazu, dass er 1948 endgültig als unbelastet galt und seine Karriere wieder volle Fahrt aufnehmen konnte.

Gründgens negierte, beschönigte und ließ aus, nicht nur in Hinblick auf sich selbst. Er unterstützte u. a. sowohl Fritz Hippler, der schon 1927 in die NSDAP eingetreten war und 1940 den reißerischen Hetzfilm Der ewige Jude gedreht hatte, als auch Emmy Göring, Ehefrau seines Protektors Hermann Göring. Problematisches blendete er gerne aus, aber damit war er bei weitem nicht allein, die Entlastungsnarrative dien(t)en bei Bedarf beiden Seiten.  

Düsseldorf, Hamburg und letzter Vorhang

Gründgens übernahm – obwohl erst 1948 vollständig „entnazifiziert“ – schon im März 1947 die Intendanz der Städtischen Bühnen Düsseldorf bzw. die des Düsseldorfer Schauspielhauses. Im Mai 1955 wurde er Generalintendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Er füllte überall, wo er auftrat, die Häuser und bekam als erster Künstler in der Bundesrepublik das Große Verdienstkreuz mit Stern von Bundespräsident Theodor Heuss verliehen. Heuss betonte, dass man damit Gründgens sowohl als Mensch als auch als Künstler auszeichne und gleichzeitig die Schauspielkunst ehre.

Mit seinem Faust schaffte Gründgens es u. a. nach Edinburgh, Moskau und New York, obwohl die kritischen Stimmen im Ausland viel lauter waren, als die im Inland. Gerade beim Edinburgh International Festival war man 1949 nicht erfreut über das Auftreten von „Hitlers ‚Senator of Culture‘ and Goering’s friend“ und wünschte sich: „Send him home!“. Kurz vor seinem Tod rekapitulierte Gründgens in einem Interview mit Günter Gaus geradezu defensiv, dass ihm weder „das Glückskind sein“, noch seine Karriere in den Schoß gefallen seien, dass er habe kräftig dafür zahlen müssen.

Ihn plagte schon in jungen Jahren Migräne und er war im Alter körperlich stark angeschlagen, litt an Depressionen, Einsamkeit, Schlaf- und Appetitstörungen. Er zog die Reißleine, legte im Sommer 1963 die Intendanz kurzfristig nieder. Der sich eine Auszeit nehmende Gründgens starb völlig überraschend auf einer Weltreise am 7.10.1963 in Manila. Während die Gerüchteküche um die Umstände seines Todes brodelte, Mord und Selbstmord thematisierte, war wohl eine Magenblutung und deren Folgen auf weitere Organe ausschlaggebend. Ausgelöst wurde sie vermutlich durch seinen hohen Schlaftablettenkonsum in Kombination mit Hitze und Stress.

Ausblick

125 Jahre sind eine lange Zeit und die Gründgens-Forschung ist seit Jahrzehnten tatkräftig in Wort, Schrift und Bewegtbild und doch ist noch viel zu tun. Vermutlich braucht man noch viele weitere Jahre, um Gründgens‘ Person und seine unerschütterlich scheinende Karriere im Detail kritisch zu hinterfragen. Der jahrzehntelange Einfluss   des Schauspielers, Regisseurs und Intendanten Gustaf Gründgens, der unwidersprochen über immenses Können verfügte, auf die deutsche Kultur- und Theaterlandschaft und die zum Teil uneingeschränkte Bewunderung von Publikum und Kunstschaffenden, die alles Heikle ausblende(te)n, enthält noch viele Aspekte, die sich zu untersuchen lohnen, um vielleicht auch Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen.

 

Dieser Text entstand als Antwort auf unseren Aufruf „Erzählen Sie Ihre Geschichten!“, in dem wir Nutzer*innen bitten, die Geschichten in unseren Sammlungen zu finden. Bei mittlerweile über 50 Millionen Objekten in der Datenbank der Deutschen Digitalen Bibliothek sollte sich noch einiges zu Tage fördern lassen, das zu erzählen sich lohnt und uns bisher entgangen ist! Haben Sie auch eine Idee? Schreiben Sie uns an kommunikation [at] deutsche-digitale-bibliothek.de (kommunikation[at]deutsche-digitale-bibliothek[dot]de) 

 

Quellen: 

Rolf Badenhausen / Peter Gründgens-Gorski (Hg.): Gustaf Gründgens. Briefe, Aufsätze, Reden. Hamburg: Hoffmann & Campe 1967.

Thomas Blubacher: Gustaf Gründgens. Biographie. Leipzig: Henschel 2013.

Elke Fröhlich (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I Aufzeichnungen 1923–1941. Band 5 Dezember 1937–Juli 1938, München: K. G. Saur 2000.

Elke Fröhlich (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II Diktate 1941–1945. Band 1 Juli–September 1941, München [u. a.]: K. G. Saur 1996.

Kristina Höch: Gustaf Gründgens. Filmische Arbeiten 1930–1960, Marburg: Schüren 2023.

Franz K. Prosch: „Die Gräfin von Monte Christo“. In: Kleine Volks-Zeitung, 19.6.1938.

Gertrud Stolte-Adell: „Mephisto macht honneurs“. In: Film und Frau 14, 1960.

Dagmar Walach: Gustaf Gründgens. Aber ich habe nicht mein Gesicht – eine deutsche Karriere. Berlin: Henschel 1999.

o. V.: „Die vom Niederrhein“. In: Filmwelt 51, 1932.

Onlinequellen: 

Berichte vom Tage. Gustaf Gründgens über den verfilmten Faust, 4.6.1960, NDR: https://www.ardmediathek.de/video/berichte-vom-tage/gustaf-gruendgens-ueber-den-verfilmten-faust/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS8xNTFjMDY2NC1lMTRhLTRkMTctOTZjYy1mZWQyMzgxOWFhZDg

Zur Person – Gustaf Gründgens im Gespräch mit Günter Gaus, 10.7.1963, ZDF: https://www.zdf.de/dokumentation/zur-person/gustaf-gruendgens-zeitgeschichte-archiv-zur-person-gaus-100.html

o. V.: „Deutsche Künstler und Künstlerinnen zur Volksabstimmung“. In: Bochumer Anzeiger, 9.4.1938: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/62E3SQ3JGFUSQLQIYEYFWKPWA4FTLTEQ?tx_dlf[highlight_word]=gr%C3%BCndgens&issuepage=26

o. V.: „Aus dem Tagesgeschehen", in: Honnefer Volkszeitung, 4.12.1953: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/47Y76ESB5NAZM7SHWCXIL2N76GAECG4O?issuepage=2

Kristina Höch: Gustaf Gründgens’ Schaffen in Salzburg und Wien. Eine Bestandsaufnahme, Onlinepublikation, Wien: Filmarchiv Austria 2023: 
https://www.filmarchiv.at/program/retrospective/gustaf-gruendgens/