Bestand
Gutsarchive (Bestand)
Findmittel: Datenbank; Findkartei
Vorbemerkung
Historischer Hintergrund:
Die Gutsherrschaft als feudale Herrschaftsform ist eng mit der Geschichte Ostpreußens verbunden: Gesellschaft und Wirtschaftsstruktur waren hier noch bis ins 20. Jahrhundert ländlich-agrarisch geprägt, der Gutsherr gehörte zu den wichtigsten Lokalgewalten. Die Grundlage dazu bildete die im Spät-Mittelalter einsetzende lehnsrechtliche Delegierung von Herrschaftsrechten wie Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt über die Gutsbevölkerung an den Besitzer von Grund und Boden. Bis zu den Stein-Hardenbergschen Reformen 1807 blieb der Gutsbesitz ein Vorrecht des Adels, das im Oktoberedikt dann durch die Freiheit des Grundstücksverkehrs ersetzt wurde. Zusammen mit der Entlassung der bäuerlichen Bevölkerung aus der Erbuntertänigkeit ("Bauernbefreiung") führten die Reformen zu einer grundlegenden Umbildung der ländlichen Sozialverfassung, in deren Ergebnis sich eine Dreiklassen-Struktur von (adeligen oder bürgerlichen) Gutsbesitzern, Bauern und Landarbeitern herausbildete. Mit der Flucht und Vertreibung vieler gutsbesitzenden Familien aus den östlichen Provinzen Preußens als Folge des zweiten Weltkriegs, der Enteignung des Großgrundbesitzes und anschließenden Bodenreformen endete auch in Ostpreußen eine die Geschichte des Herzogtums und der späteren Provinz über Jahrhunderte prägende Epoche.
Die in der Repositur 54 der XX. Hauptabteilung versammelten Archivalien der 19 Gutsarchive spiegeln diese Entwicklung in Teilen wider. Besonders deutlich wird dies im Guts- und Familienarchiv Lehndorff: im 15. Jahrhundert mit der "Großen Wildnis" in Masuren belehnt, stiegen die Lehndorffs zu Großgrundbesitzern auf, deren Besitz zum Ende des 19. Jahrhunderts ca. neuntausend Hektar Grund und Boden umfasste. Die Familie stand in engem Kontakt mit dem preußischen Staat, viele ihrer Mitglieder machten Karriere in Militär, Diplomatie und Verwaltung. Bei der Überlieferung der übrigen Güter stehen dagegen eher konkret auf die Besitznahme und Wirtschaftsverwaltung bezogene Quellen im Vordergrund.
Bestandsgeschichte:
Das sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich entwickelnde Interesse staatlicher Stellen an einer sachgerechten Aufbewahrung und Erschließung privater Überlieferung führte in Ostpreußen 1931 zur Gründung einer Archivberatungsstelle für die Provinz mit Sitz in Königsberg. Die Verantwortung bei der Beratung von Privatarchiven lag beim Staatsarchiv, unterstützt durch den Provinzialverband.
Dabei stand neben der Überlieferung von Städten und Wirtschaftsorganisationen auch die Gutsüberlieferung im Fokus des Interesses. Während es dem Königsberger Staatsarchiv gelang, eine Vielzahl von Kommunal- und Innungsarchiven als Deposita ins Haus zu holen (vgl. die entsprechenden Sammlungen der XX. HA, Rep. 150 Innungen und Städte), scheint die Reaktion der Gutsbesitzer verhaltener ausgefallen zu sein: zwar hat es Übernahmen einzelner Archivalien (oft Urkunden) aus Gutsarchiven gegeben; ein entsprechender Sammlungsbestand ist für das Staatsarchiv Königsberg nach bisherigem Kenntnisstand jedoch nicht nachzuweisen.
Um die im Staatsarchiv Königsberg lagernden Archivalien während des Zweiten Weltkriegs vor Schäden durch Bomben etc. zu schützen, wurden sie in den letzten Kriegsjahren zunächst ins nähere Umland, ab 1944 dann in ein Bergwerk bei Grasleben im Harz eingelagert. Ebenfalls in diese Transporte mit einbezogen wurden private Archive und Sammlungen. Nach Kriegsende gelangte ein Teil der Archivalien über eine Sammelstelle in Goslar ins Archivlager Göttingen. Vermutlich ist die Sammlung verschiedener Gutsarchive unter der Repositurnummer 54 hier erfolgt. Mit der Auflösung des Göttinger Archivlagers und dem Umzug seiner Bestände 1978/79 ins Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (PK) gelangte dann auch die Repositur 54 Gutsarchive nach Berlin Dahlem und wurde hier in der XX. Hauptabteilung Historisches Staatsarchiv Königsberg aufgestellt.
Ein Blick auf das nur bei einem Teil der Gutsarchive bekannte Akzessionsjahr zeigt, dass sich lediglich bei Neu Dollstädt (1881 und 1886) und Kloschehnen (1903) der Zugang vor 1945 nachweisen lässt. In der Göttinger Zeit kamen Grunenfeld und Norkaiten 1958, Johannenhof und Saberau 1962, Groß Tippeln 1965 und Waldaukadel 1966 hinzu. Die Akzession der Gutsarchive Althof Ragnit (1984), Köwe (1999) und Döhlau (2004) erfolgte dann im Dahlemer Geheimen Staatsarchiv PK.
Besser lässt sich die Bestandsgeschichte für das mit 940 Verzeichnungseinheiten innerhalb der Sammlung mit Abstand größte Guts- und Familienarchiv Lehndorff nachweisen. Die Unterlagen wurden zusammen mit den Archivalien aus dem Staatsarchiv Königsberg nach Grasleben transportiert und gelangten über das Goslarer Sammellager nach 1949 in das Deutsche Zentralarchiv, später Zentrales Staatsarchiv der DDR in Potsdam. Ende 1983 lagerte man die Archivalien im Archivdepot Barby ein. Mit der Auflösung dieser Außenstelle wurde der Bestand 1991 dem Geheimen Staatsarchiv PK in Berlin übergeben.
Weitere Teile des Guts- und Familienarchivs Lehndorff befinden sich heute in den Staatsarchiven in Leipzig und Olsztyn / Polen (vgl. die hier bereits digitalisierten Quellen unter https://www.szukajwarchiwach.gov.pl/zespol/-/zespol/115440 ). Durch eine von der Bundesministerin für Kultur und Medien geförderte wissenschaftliche Online-Edition als Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stehen mehr als 1.200 Quellen aus diesen drei Lagerungsorten der Forschung als Transkription und/oder digital zur Verfügung (vgl. https://lebenswelten-lehndorff.bbaw.de ). Digitalisate von Archivalien aus dem Geheimen Staatsarchiv PK sind mit der vorliegenden Verzeichnung verlinkt.
Verzeichnungshinweise:
Die vorliegende Verzeichnung beruht auf der bisher zur Verfügung stehenden Findkartei und einer teilweisen Erfassung in der Archivdatenbank, deren Titel und Inhaltsangaben bei Bedarf überarbeitet wurden. Die ursprünglich in der Sammlung enthaltenen Archivalien mit Bezug zu den Orten Ribben und Szillen konnten dabei sachgerecht anderen Beständen zugewiesen werden, da die Zugehörigkeit zu einem Gutsarchiv nicht gegeben war (vgl. entsprechende Verweise unter den Klassifikationsgruppen 15 Gutsarchiv Ribben und 17 Gutsarchiv Szillen im vorliegenden Findbuch). Neu zur Sammlung hinzugekommen sind Urkunden mit klarer Provenienz aus den Gutsarchiven Bledau und Lokehnen, die bisher in der Urkundensammlung der XX. Hauptabteilung eingeordnet waren.
Für die häufig nur wenige Verzeichnungseinheiten umfassenden Gutsarchive erwies sich die einstufige Klassifikation als ausreichend. Dagegen erforderte der Umfang der Lehndorffschen Überlieferung eine differenzierte Untergliederung. Auf einer ersten Stufe erfolgt die Unterscheidung zwischen Familien- und Gutsarchiv, wobei die Trennung nicht immer eindeutig ist. So wurden Testamente oder sonstige Unterlagen zu Besitzrechten dem Familienarchiv zugeordnet, obwohl die Regelungen selbst natürlich auch die einzelnen Güter betreffen. Gleiches gilt für Ausarbeitungen von Familienmitgliedern zu agrarischen Fragen, sei es im Rahmen ihrer Ausbildung oder in Korrespondenz mit Gutsbeschäftigten.
Innerhalb des Familienarchivs richtet sich die Gliederung nach einzelnen Familienmitgliedern, sobald ihnen mehr als eine Verzeichnungseinheit zugeordnet werden konnte. Die numerische Reihung ergibt sich dabei aus den Lebensdaten der Genannten in chronologischer Reihenfolge. Lebensdaten von Personen konnten immer dann angegeben werden, wenn sie sich mit vertretbarem Aufwand zuverlässig recherchieren ließen. Vereinzelte Schriftstücke von Personen, Unterlagen mit Bezug zu Personen im Umfeld der Lehndorffs sowie sonstige Überlieferung sind jeweils nach Jahrhunderten geordnet zusammengefasst.
Beim Gutsarchiv konnte eine Klassifikation nach den einzelnen Gütern nicht umgesetzt werden, da sich die Verzeichnungseinheiten in einer Vielzahl der Fälle auf mehrere Besitzungen beziehen. Stattdessen wurde die Kreiszugehörigkeit der Güter nach Errichtung der Kriegs- und Domänenkammern Königsberg und Gumbinnen 1723 zugrunde gelegt, da das Gros der Überlieferung aus den Jahren der Tätigkeit dieser Kammern bis 1807 stammt.
Mit Steinort als Hauptsitz der Familie Lehndorff ist der Kreis Seehesten besonders häufig vertreten. Um eine Übersichtlichkeit dieser Klassifikationsgruppe zu gewährleisten, wurde hier nach weiteren sachsystematischen Gesichtspunkten untergliedert.
Übersicht über die genannten Güter mit Angabe der Kreiszugehörigkeit 1723 - 1807
Angerau: Kreis Rastenburg
Beynuhn / Beynuhnen: Kreis Rastenburg
Buddern: Kreis Seehesten
Charlottenthal: Kreis Brandenburg
Doben: Kreis Seehesten
Dolliwen / Doliwen: Kreis Oletzko
Drengfurt (Heide): Kreis Rastenburg
Engelstein: Kreis Seehesten
Friedrichstein (Forst) : Kreis Seehesten
Glommen: Kreis Rastenburg
Greibau (Mühle): Kreis Schaken / Schaaken
Groß Blaustein: Kreis Brandenburg
Groß Strengeln: Kreis Seehesten
Haarszen: Kreis Seehesten
Kelchen: Kreis Oletzko
Kittlitz: Kreis Seehesten
Labab: Kreis Seehesten
Landkeim: Kreis Schaken / Schaaken
Laserkeim: Kreis Schaken / Schaaken
Lehden: Kreis Schaken / Schaaken
Lindenau: Kreis Seehesten
Marschallsheide: Kreis Rastenburg
Maxkeim: Kreis Rastenburg
Mickalbude: Kreis Rastenburg
Molditten: Kreis Heilsberg
Nagurren: Kreis Tapiau
Neuhoff: Kreis Rastenburg
Pentlack: Kreis Rastenburg
Pristanien: Kreis Seehesten
Queden: Kreis Rastenburg
Regitten: Kreis Schaken / Schaaken
Rehau / Rehsau: Kreis Rastenburg
Rosengarten: Kreis Seehesten
Sbirow: [Böhmen]
Schültz / Schültzen: Kreis Rastenburg
Sdorkowen (Werder): Kreis Seehesten
Serwilten: Kreis Rastenburg
Stawischken: Kreis Seehesten
Stawken: Kreis Seehesten
Steinort: Kreis Seehesten
Stobben: Kreis Seehesten
Strittkeim: Kreis Schaken / Schaaken
Sunckeln /Suncklen: Kreis Rastenburg
Taberlack: Kreis Seehesten
Tickrigehnen: Kreis Brandenburg
Warglitten / Wargelitten: Kreis Mohrungen
weiterführende Literatur:
Gaby Huch, Das Gutsarchiv der Grafen von Lehndorff. Vergangenheit - Gegenwart, in: Herold-Jahrbuch 2020, NF Bd. 25, S. 31-98.
Formalangaben:
Umfang (in laufenden Metern): 19 lfm
Gesamtlaufzeit des Bestandes: 1358 - 1980
Lagerungsort : Magazin Dahlem
Die Akten sind auf rosa Leihscheinen wie folgt zu bestellen:
XX. HA, Rep. 54, [Gutsort] Nr. #
Zitierweise:
GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchive, [Gutsort] Nr. #
Berlin, 28. März 2022
Susanne Brockfeld,
Janina Kunze,
Abteilung II
Zitierweise: GStA PK, XX. HA, Rep. 54
- Bestandssignatur
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Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XX. HA, Rep. 54
- Umfang
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Umfang: 19 lfm (1.051 VE); 19 lfm (1.047 VE)
- Sprache der Unterlagen
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deutsch
- Kontext
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Tektonik >> TERRITORIALÜBERLIEFERUNGEN, PROVINZIAL- UND LOKALBEHÖRDEN >> Preußenland / Ostpreußen >> Ostpreußische halb- oder nichtstaatliche Provenienzen >> Firmen und Güter
- Bestandslaufzeit
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Laufzeit: 1358 - 1980
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
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28.03.2023, 08:52 MESZ
Datenpartner
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- Laufzeit: 1358 - 1980