Bericht

Bedeutung der qualifikationsgebundenen Zugangsberechtigung im Handwerk für die Funktionsfähigkeit des dualen Ausbildungssystems

Eine weitgehende Deregulierung des Berufszugangs als Selbstständiger ins Handwerk durch Abschaffung der Meisterpflicht, wie sie von der Europäischen Kommission derzeit geprüft wird, hätte deutlich spürbare Folgen für die deutsche Volkswirtschaft. Wenn der Meisterbrief als Voraussetzung für die Selbstständigkeit in den meisten Handwerksberufen wegfiele, wäre einer­seits ein Gründungsboom, vor allem von Soloselbstständigen, zu erwarten. Andererseits würde sich die Qualität handwerklicher Leistungen schleichend verschlechtern und damit zu höheren Risiken für private Verbraucher und gewerbliche Kunden führen. Besonders negative Auswirkungen hätte die Abschaffung der Meisterpflicht für die duale Aus­bildung. Sie ist aber ein zentraler Grund für die im Verhältnis der europäischen Staaten sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. In einer jetzt veröffentlichten Studie des Volks­wirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh Göttingen) wird besonders dieser bildungspolitische Aspekt untersucht. Dabei kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der "große Befähigungsnachweis", also die Meisterprüfung mit eingebundener Ausbildungsqualifizierung, eine zentrale Rolle für die Ausbildung junger Menschen in Deutschland spielt. Entsprechende Erfahrungen habe seit 2004 die Novelle der Handwerksordnung gezeigt. Zwar sei die Zahl der Betriebe in den damals eingeführten zulassungsfreien Gewerken (B1-Hand­werke) stark gestiegen, die Ausbildungsleistung in diesen Berufen habe jedoch deutlich abgenommen. Der gleiche Effekt sei auch für eine generelle Deregulierung im Handwerk zu erwarten. Die Abschaffung der Meisterpflicht hätte damit ungünstige Konsequenzen für die Humankapitalakkumulation. Denn das Handwerk ist ein wichtiger "Fachkräfte-Zubringer" für die Wirtschaft insgesamt. Knapp 40 Prozent der im Handwerk ausgebildeten Personen verbleiben als Arbeitskräfte im Handwerk, mehr als 60 Prozent finden später ihre berufliche Zukunft in anderen Wirtschaftsbereichen. Eine weitere, gravierende Auswirkung der Deregulierung wäre die längerfristig immer schwieriger werdende Besetzung der Gesellenprüfungsausschüsse, in die primär entsprechend qualifizierte Handwerksmeister berufen werden. Damit, so die ifh-Studie, könnte der staatliche Einfluss auf die Ausbildung der Fachkräfte zunehmen, auch mit negativen Begleiterscheinungen auf die Praxisorientierung und sehr wahrscheinlich steigenden Ausbildungskosten. Und auch dieser Aspekt ist den Autoren der Studie wichtig: Mit dem Rückgang der handwerklichen Ausbildungs­betriebe aufgrund des Rückgangs ausbildungsfähiger Handwerksmeister würden Jugendlichen mit schlechten Startchancen immer weniger Möglichkeiten zur erfolgreichen beruflich-gesell­schaftlichen Integration offenstehen. Hiermit wären erhebliche volkswirtschaftlichen Folgekosten verbunden.

Sprache
Deutsch

Erschienen in
Series: Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung ; No. 4

Klassifikation
Wirtschaft
Thema
Handwerkspolitik
Deregulierung
Handwerk
Betriebliche Ausbildung
Handwerksberufe
Deutschland

Ereignis
Geistige Schöpfung
(wer)
Müller, Klaus
Thomä, Jörg
Ereignis
Veröffentlichung
(wer)
Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh)
(wo)
Göttingen
(wann)
2015

DOI
doi:10.3249/2364-3897-gbh-4
Handle
Letzte Aktualisierung
10.03.2025, 11:44 MEZ

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Objekttyp

  • Bericht

Beteiligte

  • Müller, Klaus
  • Thomä, Jörg
  • Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh)

Entstanden

  • 2015

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