Bestand
Staatsrat (Bestand)
Geschichte: Die Verfassung vom 4. September 1831 sah in Paragraph 41 die Bildung eines Staatsrates vor. Er wurde am 16. November 1831 gebildet und war das vom König berufene oberste beratende Gremium in Staatsangelegenheiten. Letzmalig 1858 durch König Johann einberufen, ist der Staatsrat nach 1874 nicht mehr im Staatshandbuch verzeichnet.
Weitere Angaben siehe 2. Königreich und Freistaat Sachsen 1831 - 1945
Inhalt: Staatsrat.- Rekrutierungswesen.- Gemischte Ehen.- Indirekte Abgaben.- Zivilstaatsdienergesetz.- Gewerbeordnung.
Ausführliche Einleitung: Behördengeschichte
Am 16. November 1831 rief König Anton auf dem Verordnungswege einen Staatsrat ins Leben [01] . In Anschluss an die Errichtung des Gesamtministeriums und der Ministerialressorts war damit – in Ausführung des entsprechenden Paragraphen der erst wenige Wochen alten Verfassung [02] – ein weiteres Gremium der obersten Regierungsebene geschaffen. Seine Aufgabe war nach den Worten der königlichen Verordnung (§ 4) die einer "berathende[n] Behörde in allen von Uns unmittelbar, oder, auf Vortrag unserer Minister, an ihn zu weisenden Sachen, worunter namentlich wichtige Gesetzgebungssachen gehören." Mitglieder waren der Vorsitzende – in den Jahren der aktiven Arbeit des Staatsrats durchweg der spätere König Johann –, die vom König zu benennenden volljährigen Prinzen des königlichen Hauses, die Mitglieder des Gesamtministeriums sowie die vom König ausgewählten sonstigen ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder, meist hochrangige Behördenvertreter aus den Fachressorts, der Rechtsprechung, dem Militär und der Geistlichkeit [03] . Zur Beratung einzelner Angelegenheiten waren innerhalb des Staatsrats von dessen Präsidenten jeweils gesonderte "Abteilungen" zusammenzustellen, denen das Recht zukam, von den Ministerial- oder anderen Behörden Aktenvorlage zu verlangen oder gegebenenfalls weitere Gutachter zu kooptieren. Auf mündlichen oder schriftlichen Vortrag der Abteilung stimmte das Plenum anschließend sein Gutachten ab, das durch den zuständigen Fachminister in Protokollform dem Regenten vorzulegen war. Solange die in § 47 der Verfassung vorgesehene Spezialbehörde noch nicht geschaffen war, kam ihm auch die Aufgabe zu, letztinstanzlich über Kompetenzstreitigkeiten zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden zu entscheiden [04] .
Über die Motive zur Einrichtung des Staatsrats ist wenig bekannt. Nach allgemeiner Auffassung war er "im Ganzen nach dem Muster des preußischen" Vorbilds ins Leben gerufen worden [05] , allein fehlen hierfür zeitgenössische Belege. Traditionslinien liegen durchaus bereits in der sächsischen Behördengeschichte selbst: Nach dem Entwurf gebliebenen Vorschlag zur Errichtung eines Staatsrats aus der Feder des reformwilligen Kabinettsministers Senfft von Pilsach (1811), die schwerlich durch ein bestehendes preußisches Vorbild inspiriert worden sein dürfte [06] , stand dem Staatsrat von 1831 in seinen Funktionen sehr nahe [...] der am 6. Oktober 1817 wieder eingerichtete Geheime Rat, dem nahezu ausschließlich beratende Funktionen verblieben waren. Der König hatte sich darüber hinaus vorbehalten, in wichtigen Angelegenheiten die Mitglieder des Geheimes Rates, die Kabinettsminister, im Einzelfall auch die Leiter der übrigen Landeskollegien sowie die königlichen Prinzen in einem gleichsam formlosen Staatsrat zusammenzuführen. Es mag diese Einrichtung gewesen sein, die Pate für den Staatsrat von 1831 stand [07] . In die Verfassungsdiskussion wurde der Staatsrat erstmals von den Ständen eingebracht, die in ihrer Stellungnahme zum Verfassungsentwurf vom 19. Juli 1831 eine konkrete Definition des dort gebrauchten Begriffs der "Obersten Staatsbehörde" forderten. Ihr Formulierungsvorschlag sollte nach der Zustimmung durch König und Kabinett am 10. August unverändert in die schließlich errichtete Verfassung eingehen [08] .
Die Kanzleigeschäftsführung und Registratur für den Staatsrat oblag der Kanzlei des Gesamtministeriums. Eine durch den Geheimen Referendar Franz Heinrich Wolf von Schindler entworfene Geschäftsordnung vom 30.11.1831 [09] sah folgenden Geschäftsgang vor:
1. Für den Staatsrat ist eine eigene Registrande (Protokollbuch) durch einen Geheimen Referendar des Gesamtministeriums [von Schindler] zu führen.
2. Allerhöchste Spezialreskripte öffnet der Präsident [Prinz Johann]; er schreibt sie zu und vermerkt auf einem Umschlagbogen die Namen der Mitglieder, welche die zur Bearbeitung bestimmte Abteilung bilden. Hierauf geht das Schreiben an Schindler, der die Registrierung veranlasst und es an die Bearbeiter übergibt.
3. Andere Eingänge werden bei der Kanzlei eröffnet, registriert und von Schindler dem Präsidenten zur vorläufigen Resolution vorgetragen.
4. Die Vorträge beim Präsidenten finden in der Regel um 930 statt; Schindler sucht den Präsidenten in seinen Privaträumen auf unter Mitnahme der Registrande, in die der Beschluss eingetragen wird.
5. Einladungen zu Plenarsitzungen erfolgen durch Umlaufschreiben an sämtliche Mitglieder.
6. Vertreter für Schindler ist der Geheime Referendar beim Gesamtministerium [Carl Gustav Adelbert] von Weissenbach.
Die intensive gesetzgeberische Reformarbeit in den Jahren unmittelbar nach Verabschiedung der ersten sächsischen Verfassung forderte dem Staatsrat mehrere große Gutachten ab. So befasste er sich während der ersten zwölf Monate seines Bestehens mit der Reform der indirekten Abgaben, einem Gesetzentwurf zur Regulierung gemischtkonfessioneller Ehen, dem geplanten Rekrutierungsgesetz sowie dem Zivilstaatsdienergesetz. Danach lässt die Überlieferung keine weitere Tätigkeit erkennen, auch wenn die personelle Zusammensetzung des Staatsrats ausweislich der Angaben im Staatshandbuch laufend verändert wurde.
Erst mit dem Regierungsantritt König Johanns wurde der Staatsrat mit einer erneuten Verordnung wiederbelebt. Dieser Neuanfang schlug sich auch in der Berufung einiger neuer Mitglieder nieder, insbesondere auch einem außerordentlichen Mitglied, das für die Vertretung in Fragen des Handels und Gewerbes zuständig war. Der Vorsitz lag beim Kronprinzen Albert, bemerkenswert ist jedoch, dass Johann selbst nunmehr ausdrücklich sein Recht festgeschrieben hatte, an den Gremiensitzungen persönlich teilzunehmen. Auch eine weitere Kompetenzverschiebung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Das Initiativrecht für eine Konsultation des Staatsrats, die zuvor auch vom Gesamtministerium ausgehen konnte, lag nunmehr exklusiv beim König [10] . Hiernach erhielt der Staatsrat zwingend den Charakter eines ausschließlich persönlichen Beratungsinstruments für den Monarchen. Verstärkt wurde dieser Immediatcharakter noch durch die 1855 vom König geschaffene Möglichkeit, neben den ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern fallweise noch weitere Personen beratend hinzuzuziehen. Dies darf als Indiz für den in der legislativen Arbeit selbst stark engagierten Regierungsstil Johanns betrachtet werden, enthält wohl aber gleichzeitig die Ursache dafür, dass die Bedeutung des Staatsrats nach 1831 so schnell in den Hintergrund geraten war. Auch damals scheint die Meinungsbildung zu gesetzgeberischen Vorhaben beim König zunehmend unmittelbar erfolgt zu sein; die gleichsam institutionalisierte Mitsprache der obersten Regierungsbehörden im Rahmen von Staatsratssitzungen war wohl schon damals nicht gewünscht. Vermutlich trifft die Feststellung Kretzschmars den Kern, wonach der Staatsrat dem "Tatendrang" Johanns "keine befriedigende Entfaltungsmöglichkeit bot [11] .
Der Ansatz, den die Verordnung von 1855 mutmaßlich bieten sollte – den Staatsrat zu einem flexibleren Instrument der königlichen Regierungsarbeit zu machen – wurde nicht genutzt. Lediglich in den Jahren zwischen 1857 und 1859 begutachtete der Staatsrat mit der Gewerbeordnung noch einmal ein größeres Gesetzgebungsvorhaben. Hiernach lassen sich für einige Jahrzehnte keine weiteren Aktivitäten nachweisen. Der funktionelle Anteil des Staatsrats an den Reformen des sächsischen Staatsverwaltung seit 1831 ist demnach nur gering zu veranschlagen. Das Beratungsgremium gilt zurecht angesichts der "relativ kleinen sächsischen Verhältnisse ... als ‚ein überflüssiges Rad in der Staatsmaschine', das keiner wirklichen Notwendigkeit entsprach" [12] . Es ist wohl "stets ein recht lebensschwaches Glied des staatlichen Verwaltungskörpers geblieben" [13] .
Kurzzeitig wiederbelebt wurde der Staatsrat während der politischen Krise am Ende des Ersten Weltkrieges. Nachdem am 25./26. Oktober 1918 die sächsischen Minister zurückgetreten waren, rief eine königliche Verordnung vom 29. Oktober den Staatsrat erneut zusammen. Ihm gehörten nun die Mitglieder des Gesamtministeriums, die Präsidenten der beiden Landtagskammern sowie je sieben Abgeordnete der Ersten und Zweiten Kammer an. Auf seiner vermutlich einzigen Sitzung, am 30. Oktober, wurden die Ergänzung des Gesamtministeriums um vier Minister ohne Geschäftsbereich und die Einleitung der dafür notwendigen Verfassungsänderung beschlossen. [14] Angesichts der herannahenden Novemberrevolution blieben diese Beschlüsse jedoch ohne größere Bedeutung.
Bestandsgeschichte und -inhalt
Die vorliegenden Akten des Staatsrates gelangten im Jahr 1919 zusammen mit Unterlagen des Gesamtministeriums, dessen Kanzlei die Registraturgeschäfte des Staatsrats mitbesorgte, und des Auftrags in Evangelicis ins Hauptstaatsarchiv. Dort wurden sie bislang in einem gemeinsamen Abgabeverzeichnis nachgewiesen [15] . Da die Registrande des Staatsrats nicht erhalten zu sein scheint, lassen sich über die Vollständigkeit der Überlieferung keine gesicherten Aussagen treffen. Der Bestand dokumentiert vor allem die gutachterlichen Stellungnahmen des Staatsrat zu einigen großen Gesetzgebungsvorhaben aus den Anfangsjahren des konstitutionellen Staates und stellt damit eine wichtige Quelle zur sächsischen Staatsreform im 19. Jahrhundert dar, auch wenn selbstverständlich zu berücksichtigen bleibt, dass die gesetzgeberische Arbeit mit ihren entscheidenden Motiven und Hintergründen sich weitaus nachhaltiger in den Akten der Ministerialbehörden niedergeschlagen hat.
Weitere Dokumente zur Gründung und Arbeit des Staatsrats finden sich in folgenden Beständen des Sächsisches Hauptstaatsarchivs:
– 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 2365 Acta die Errichtung von Ministerial-Departements und die neue Organisation der Oberbehörden überhaupt betr., 1831, Bl. 72 ff.
– 12561 Johann, König von Sachsen (1801–1873), Nr. 23 i (Eigenhändige Bemerkungen König Johanns wegen Wiederherstellung des Staatsrates ...)
– 12561 Johann, König von Sachsen (1801–1873), Nr. 21 d (Schriftstücke betreffend den Staatsrath).
[01] ) Verordnung wegen der Errichtung des Staatsrathes; Gesetzessammlung für das Königreich Sachsen, S. 337 ff.
[02] ) Verfassung für das Königreich Sachsen, § 41: "Es kann ein Staatsrath gebildet werden, zu welchem außer den Vorständen der Ministerial-Departements diejenigen Personen gezogen werden, welche der König geeignet findet".
[03] ) Staatshandbuch 1837, S. 108. Vgl. die unten beigefügte Übersicht.
[04] ) Staatshandbuch 1832, S. 12; 1837, S. 108.
[05] ) So etwa Th. Flathe, Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen, Bd. 3 (Geschichte der europäischen Staaten, 35, 2, 3), Gotha 1873, S. 449 f.
[06] ) Vgl. Schmidt (wie folgende Anm.) S. 14. Die leider verschollene Denkschrift Senffts (Loc. 3064 Aufsatz des M. Senfft, die Errichtung eines Staatsrats betr., 1811), zählt vermutlich zu den Kriegsverlusten des Sächsischen Hauptstaatsarchivs.
[07] ) Flathe, Geschichte 3 (wie Anm. 5), S. 365 f.; Gerhard Schmidt, Reformbestrebungen in Sachsen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 7), Dresden 1969, S. 80. Zur Funktion des Geheimen Rates bis 1831 auch Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 2389 Die Verfaßungs-Urkunde betr, vol. I, 1830 sq., Bl. 245b–246a.
[08] ) Wie Anm. 2. Vgl. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 2389 Die Verfaßungs-Urkunde betr, vol. II, April–Juli 1831, Bl. 59b ff.; vol. III, August 1831, Bl. [13 f.].
[09] ) Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 12561 Johann, König von Sachsen (1801–1873), Nr. 21 d.
[10] ) Verordnung vom 29. Mai 1855; Gesetzessammlung für das Königreich Sachsen, S. 59 ff.; Flathe, Geschichte 3 (wie Anm. 5) S. 707 f.
[11] ) Hellmut Kretzschmar, Einleitung, in: Lebenserinnerungen des Königs Johann von Sachsen. Eigene Aufzeichnungen des Königs über die Jahre 1801 bis 1854, hg. v. dems. (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, 42), Göttingen 1958, S. 22, hier auf den Staatsrat in der Form von 1831 bezogen.
[12] ) Karlheinz Blaschke, Königreich Sachsen und thüringische Staaten, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. v. Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh, Bd. 2, Stuttgart 1983, S. 608–645, hier S. 616.
[13] ) Kretzschmar (wie Anm. 11).
[14] ) Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, 1918, S. 349f.; 12785, Personennachlass Richard Seyfert, Nr. 110.
[15] ) Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Geschäftsakten, Cap. VIII Nr. 2 Bd. 1, Bl. 76 a; Übersicht über die Bestände des Sächsischen Landeshauptarchivs und seiner Landesarchive (Schriftenreihe des Sächsischen Landeshauptarchivs Dresden, 1), Leipzig 1955, S. 169–171.
- Reference number of holding
-
Sächsisches Staatsarchiv, 10695
- Extent
-
0,40 (nur lfm)
- Context
-
Sächsisches Staatsarchiv (Beständegliederung) >> 02. Königreich und Freistaat Sachsen 1831 - 1945 >> 02.02 Gesamtbehörden und nachgeordnete Einrichtungen
- Date of creation of holding
-
1832 - 1859
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Rights
-
Es gilt die Sächsische Archivbenutzungsverordnung vom 8. September 2022 (SächsGVBl. S. 526).
- Last update
-
27.11.2023, 8:58 AM CET
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1832 - 1859