Bestand
Domkapitel (Bestand)
Form und Inhalt: Erste Hinweise auf eine Trierer Domgeistlichkeit mit gemeinschaftlicher Lebensweise ("vita communis") reichen zurück bis ins 9. Jh. Bald setzte jedoch eine Abkehr von dieser Lebensform ein (Bastgen, S. 7ff.).
Seit dem Wormser Konkordat (1122) stand dem Domkapitel die Wahl des Bischofs zu. In der Folge konnte das Domkapitel zur Stärkung eigener Interessen mittels Wahlkapitulationen großen Einfluss auf die weltliche Regierungstätigkeit eines Erzbischofs nehmen. Allerdings war dieser zwar formal nicht an den Rat des Domkapitels gebunden, gleichwohl war er aber verpflichtet, dessen Votum vor Entscheidungen in weltlichen Angelegenheiten einzuholen. Um Missbrauch und einer Benachteiligung durch eine einseitige Privilegierung vorzubeugen, schlossen sich 1456 Teile des Adels und die Städte des Kurstaates in einer Vereinigung zusammen, die von jedem neugewählten Erzbischof im Rahmen der Huldigung die Bestätigung ihrer hergebrachten Privilegien einforderte.
Die Trierer Domherren bezeichneten sich aufgrund ihrer Machtstellung und in Anlehnung an das Lehnsrecht als "Erb(grund)herren des Stiftes" (Dohna, S. 33). Zusammen mit dem Erzbischof nahmen sie die Huldigung der Landstände entgegen. Ständiger Streit herrschte zwischen Adel, Domkapitel und Erzbischof in der Frage, ob der Trierer Adel und die Ritterschaft - deren Ansprüche auf Reichsunmittelbarkeit die Trierer Domherren standesgemäß unterstützten - landsässig und damit dem Trierer Kurfürsten untertan sei (Dohna, S. 33f.).
In geistlichen Angelegenheiten war der Erzbischof je nach Art und Umfang an die Zustimmung ("consensus") oder aber den Rat ("consilium") des Domkapitels gebunden.
Aus den Reihen des Domkapitels bestimmte der Erzbischof die Leiter der fünf Archidiakonate Trier (St. Peter), Dietkirchen (St. Lubentius), Karden (St. Kastor), Longuyon (St. Agatha) und Tholey (St. Mauritius).
Das Domkapitel hatte seinerseits das Recht, Abgeordnete zu den Versammlungen (Landtagen) der Landstände zu schicken und an der dortigen Beratung und Beschlussfassung teilzunehmen. Die Ernennung der Offizialen der beiden geistlichen Kommissariate lag in seinen Händen; dabei waren die Domkapitulare selbst von der Gerichtsbarkeit der Offizialgerichte befreit. Das Domkapitel ge-noss zudem Zoll- und Steuerfreiheit, übte eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf seinen Besit-zungen aus (Haxel, S. 57). Bei Sedisvakanz kurfürstlicher Regierung nahm das Domkapitel die Rechte landesherrlicher Regierung wahr, hatte Stimmrecht auf den Reichstagen und Kreistagen, übte weltliche Gerichtsbarkeit aus, hatte Gesetzgebungsrecht, Münzrecht, Militärgewalt u.a.m. (Bastgen, S. 298).
Den Zenit seiner Machtfülle hatte das Domkapitel im 16. Jh. Seit 1576 zog sich das Domkapitel aus den Landtagen zurück und fungierte danach als Mittelglied zwischen landesherrlicher Regierung des Erzbischofs und den Landständen. 1595 erließ das Domkapitel für sich selbst eigene Statuten, die bis ins Kleinste Regelungen des gesamten Lebens im Sinne der tridentinischen Reform vorsahen, die allerdings kaum umgesetzt wurden, da die Domherren letztlich nicht geneigt waren, ihren Lebensstil zu reformieren und wirtschaftliche Einbußen hinzunehmen (Persch, S. 119).
Spätestens seit Mitte des 13. Jh. wurde das Domkapitel ausschließlich mit Adligen besetzt. Vom 16. bis zum Ende des 18. Jh. war es eine "gemischtadlige Anstalt" (Dohna, S. 21), d.h. bestand aus Domherren ministerialer und edelfreier Herkunft.
Im Spätmittelalter umfasste das Domkapitel bis zu 60 Mitglieder, reduzierte diese Zahl 1445 wegen wirtschaftlicher Schwächung (infolge der "Manderscheider Fehde") aber auf 40 Domherren, hierunter 16 Kapitulare und 24 Domizellare (Dohna, S. 21).
Die Aufnahme ("Aufschwörung") im Domkapitel, zunächst als Domizellar, war an verschiedene Voraussetzungen geknüpft: ein Mindestalter von sieben (!) Jahren, die Tonsur sowie ein Zeugnis über die adlige Herkunft, erbracht in Form einer sog. Ahnenprobe (in zweifacher Form sowohl für die väterliche wie die mütterliche Linie), mit der zunächst acht, seit Mitte des 17. Jh. sechzehn Ahnen nachgewiesen werden mussten (um neu nobilitierten Adel auszuschließen). Nach Ableistung einer halbjährigen Residenzpflicht am Ort des Domkapitels, wurden die Domizellare "emanzipiert" und waren bis zum Eintritt in das Kapitel von der Residenz befreit. Sobald ein Sitz im Domkapitel frei wurde, hatte der Domizellar mit der längsten Wartezeit ein Anrecht auf diesen Sitz (aufgrund einer "Nomination" durch den "Turnar", d.h. den gemäß Turnus zuständigen Kapitular, nach der "Resignation", d.h. Tod oder Ausscheiden eines Domherrn). Sonderkonditionen galten für die Aufnahme von Kandidaten auf Vorschlag des Papstes ("Provisionen") oder des Kaisers ("preces primariae"/Recht der ersten Bitten); doch hatten weder Papst noch Erzbischof darüber hinaus ein uneingeschränktes Zugriffsrecht auf die Pfründen der Domherren.
Bedingung für die endgültige Aufnahme als Kapitular im Domkapitel waren ein Mindestalter von 22 Jahren, der Diakonat sowie ein zweijähriges Universitätsstudium (mit Nachweis über den Aufenthalt des Domizellars am Standort der Universität). Darüber hinaus waren die Aufschwörung (vor dem Generalkapitel) und der Antritt eines Amtes für den Probanden mit besonderen Abgaben verbunden, deren Erlös zum Großteil der Domfabrik, aber auch den Kapitularen zufloss.
Dem Domkapitel stand die Gerichtsbarkeit über die Domizellare zu und es war zugleich Berufungsinstanz für die Chorgeistlichen.
Die Kapitelversammlung (Generalkapitel) wählte die sog. Dignitäre (mit Ausnahme der Archidiakone): Propst (Oberaufsicht, Visitationsrecht), Dekan (innere Verwaltung, Vorsitz bei Versammlungen, Aufsicht über Gottesdienst), Scholaster (für die Domizellare zuständig), Kustos (verantwortlich für Domschatz und Kirchengerät) und Kantor (Chorgesang). Für die Gottesdienste standen den Domherren 33 bepfründete Chorgeistliche zur Seite (Dohna, S. 21-26).
Die einzelnen Kapitulare verfügten gegen Ende des 18. Jh. über jährlich 3000 Goldgulden. Zusätzliche Einnahmen (aus Gütern, Kellnereien, Präsenzen) konnten die Einkünfte etwa des Propstes und Dekans um bis zu weitere 7000 Goldgulden erhöhen. Als Wohnhäuser standen den Domkapitularen die dem Erzstift gehörenden "Kurien" zur Verfügung (Dohna, S. 27).
Mit Einmarsch der französischen Revolutionstruppen 1794 in den Kurstaat und der Flucht des letzten Trierer Erzbischofs Clemens Wenzeslaus wurde das Domkapitel praktisch bedeutungslos. Das Archiv des Domkapitels (Schnelling, S. 43ff. u. 70ff.) war ursprünglich im Ostchor des Trierer Domes und seit Ende des 15. Jh. im Obergeschoss des beim Trierer Dom errichteten Badischen Hauses untergebracht. Eine letzte Neuordnung des Archivs vor dessen Flüchtung wurde gegen Ende des 18. Jh. von Domdekan Anselm von Kerpen vorgenommen, der 1781-1784 auch entsprechend neue Repertorien anfertigte. Infolge der Annexion des Trierer Kurstaates durch französischen Revolutionstruppen wurde das Archiv des Domkapitels bereits im Mai 1792 nach Ehrenbreitstein gebracht und im dortigen Dikasterialgebäude zwischengelagert. Im Dezember 1792 fasste das Domkapitel den Beschluss, sein Archiv auf die Festung Marienburg in Würzburg auszulagern, wo es bis März 1794 verblieb. Im Mai 1794 wurden die Archivalien wieder zurück nach Koblenz gebracht und von dort im Juli 1794 nach Dillingen/Donau, im Hochstift Augsburg, ausgelagert. Die in Dillingen gelagerten Archivbestände wurden 1795 weiter nach Passau verschifft. Von dort wurden sie 1797, nach Abschluss des Waffenstillstandes mit Frankreich, wieder zurück nach Dillingen verbracht. Nach dem Frieden von Lunéville von 1801 wurden die zerstreut verteilten Archivbestände des Kurfürsten und des Domkapitels aus den Depots Dillingen, Dresden, Limburg, Diez und Hanau bis 1805 wieder nach Ehrenbreitstein - nunmehr in den Besitz der Regierung Nassau-Weilburg als Rechtsnachfolger des rechtsrheinischen Teils des früheren Trierer Kurstaates - zurückgeführt. Gemäß den Verträgen von Lunéville und Campo Formio (1797) wurden die Archivalien, die den linksrheinischen Teil des ehemaligen Erzstiftes Trier betrafen, an Frankreich abgegeben und den Departementsarchiven von Koblenz und Trier zugeführt. So erfolgte 1805 die Übergabe des domkapitularischen Archivs an die französische Departmentsregierung in Koblenz und deren dortiges Zentralarchiv. Nach dem Ende der französischen Herrschaft am Rhein 1814 verblieben die Archivalien in Koblenz. Das Zentralarchiv firmierte seit 1821 unter preußischem Regiment als Regierungsarchiv und wurde 1832 zum Provinzialarchiv, Vorgänger des heutigen Landeshauptarchivs Koblenz.
Der im LHA Ko archivierte Bestand umfasst inhaltlich vorwiegend Urkunden und Akten zur wirtschaftlichen Ausstattung und personellen Zusammensetzung des Domkapitels (u.a. zahlreiche Ahnenproben und Ahnentafeln mit gemalten Wappen und Stammbäumen, das sog. Genealogienbuch [Nr. 4437], Protokolle), aber auch zur Wahl der Erzbischöfe.
Ahnenproben; Abgaben; Steuern; Archidiakonate; Archiv; Bistumsangelegenheiten; Bruderschaften; Dom- und Liebfrauenkirche; Ämter; Erzbischöfe; Gerichtsbarkeit; Gottesdienst; Güterverwaltung; Kriegssachen; geistliche Institutionen; Landesangelegenheiten; Lehen; Pfarreien; Sitzungsprotokolle; Rechnungen.
- Reference number of holding
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1D
- Context
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Landeshauptarchiv Koblenz (Archivtektonik)
- Related materials
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Bastgen, Hubert: Die Geschichte des Trierer Domkapitels im Mittelalter. (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft, Heft 7). Paderborn 1910
Dohna, Sophie-Mathilde Gräfin zu: Die ständischen Verhältnisse am Domkapitel von Trier vom 16. Bis zum 18. Jahrhundert. (Schriftenreihe zur Trierischen Landesgeschichte und Volkskunde, 6). Trier 1960
Haxel, Edwin: Verfassung und Verwaltung des Kurfürstentums Trier im 18. Jahrhundert. In: Trierische Zeitschrift 5, 1930, S. 47-88, hier S. 56-60
Holbach, Rudolf: Stiftsgeistlichkeit im Spannungsfeld von Kirche und Welt. Studien zur Geschichte des Trierer Domkapitels und Domklerus im Spätmittelalter. (Trierer historische Forschungen, 2). Trier 1982
Lichter, Eduard: Das Urkundenverzeichnis des Domkapitels zu Trier aus dem 14. Jh., in: Festschrift für Alois Thomas. Archäologische, kirchen- und kunsthistorische Beiträge. Trier 1967, S. 245-258
Marx, Jakob: Geschichte des Erzstifts Trier, d.i. der Stadt Trier und des Trierischen Landes, als Chur-fürstenthum und als Erzdiöcese, von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1816. Abt. 1, Bd. 1. Trier 1858, S. 293ff.
Persch, Martin: Die Bistumsverwaltung. Das Domkapitel. In: Bernhard Schneider (Hrsg.), Geschichte des Bistums Trier, Bd. 3, Kirchenreform und Konfessionsstaat 1500-1801. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 37). Trier 2010, S. 116-121
Schnelling, Ingeborg: Die Archive der kurtrierischen Verwaltungsbehörden 1768-1832. Die Auswir-kungen der französischen Besetzung sowie der Säkularisation auf das Archivwesen im Kurfürstentum Trier. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 28). Trier 1991
Ergänzende Überlieferung findet sich in Beständen des LHA Ko (u.a. bes. Best. 1 A, B, C, E), des Bistumsarchivs Trier und des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden.
- Date of creation of holding
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3927 Urkunden: (893) 967-1825; 618 Akten: (893) 1330-1803 (25,74 Rgm)
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01.04.2025, 1:23 PM CEST
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 3927 Urkunden: (893) 967-1825; 618 Akten: (893) 1330-1803 (25,74 Rgm)