Sachakte

6/27 [Nr. 7]: (D) 1662 Nov. 8, Stuttgart (T) Hz. Eberhard III. an die Univ.: Rezeß der im Mai 1661 gehaltenen Visitation

Enthält: 1) Der ordo studiorum wird nach Stoffen und Fristen nicht beachtet, viele wollen ihn nicht gesehen haben und dozieren, was und wie sie wollen.
2) Theologische Fakultät: Der prof. controversiarum Tobias Wagner soll die locos kurz durchgehen, statt seine für den Druck bestimmten tractatus zu diktieren und soll die schriftgemäße decisiones zeigen. Der 2. Professor Dr. Johann Balthasar Raith soll die dicta controversa Vetris Testamenti in wöchentlich 5 Stunden erklären, statt 2 Stunden mit vindicias versionis Lutheri und 3 mit Hebräisch auszufüllen, letzteres hat er extraordinarie zu geben. Der 3. prof. ord. Dr. Osiander soll die dicta controversa durch das ganze Neue Testament erklären, statt im Philipperbrief stecken zu bleiben. In den Lektionen soll diskurriert statt diktiert werden. Die lectiones extraordinarias des Dr. Christoph Wölfflin sind ohne Kollision mit den öffentlichen möglichst vormittags zu halten mit Examinieren und Disputieren statt Diktieren gedruckter compendia, und zwar billig. Er soll wegen der Stipendiaten, die Theologie nur 2 Jahre hören, das Compendium Hafenrefferi in 2 Jahren erledigen und auch in lectionibus publicis - er tat es nur im collegio privato - den modum concionandi an besonderen Themen zeigen. Er muss am Samstag lesen, ohne die disputationes cyclicas zu versäumen. Die scholastischen distinctiones sind zugunsten der Schriftkenntnis einzuschränken, dafür hat der Kanzler zu sorgen. Die Disputationen müssen frühmorgens beginnen.
3) Juristische Fakultät: Da jetzt 5 statt 4 Professoren vorhanden sind, wird der neue Stundenplan genehmigt, es lesen Dr. Lauterbach 9-10, Dr. Grave 3-4, Dr. Bardili 2-3, Dr. Mauritius (ius feudale für Fortgeschrittene) und Dr. Frommann (Institutiones für Anfänger) 8-9 Uhr. Alle lesen ihre lectiones publicas so langsam, daß jeder Student sein Wissen durch Privatkollegia und private Lektüre erwerben muss. Codex und Novellen werden zu wenig gelesen. Die Pandekten, verteilt auf 2 Professoren, sind in 2 Jahren Institutionen, Jus feudale und was vom Jus canonicum noch nötig ist, je in 3/4 Jahren zu vollenden. Die Fakultät hat dem Regierungsrat für den neuen ordo studiorum zu berichten: ob und von wem die Novellen gelesen, zwischen wem die Pandekten geteilt werden und ob nicht Dr. Bardili die lectio criminalis zugunsten von Pandekten und Codex einstellen solle, so daß alle systemata juris kurz und rasch behandelt werden. Jeder Professor, auch Dr. Bardili und Dr. Frommann, hat den Stoff der Lektionen in den disputationibus cyclicis zu behandeln. Der neue Brauch, die disputationes inaugurales von einem Professor, der gleich einen ganzen Traktat schreibt, machen zu lassen, ist abzustellen. Die Zensur ist rascher zu erledigen, jeder Kandidat kann den praeses seiner disputatio inauguralis frei wählen, und kein übergangener Professor soll sich durch hitziges Opponieren rächen. Jeder Professor kann neben seiner lectio ordinaria über beliebige juristische Themen Privatcollegia, in denen auch disputiert werden soll, halten. Die Consilia sind, besonders in württembergischen Strafsachen, kürzer und billiger zu machen. Keine lectio publica ist deswegen zu versäumen. Die Fakultät erhält vom Oberrat künftig mindestens ein Exemplar jedes neuen Generalreskripts.
4) Medizinische Fakultät: Es ist zu berichten, wie der neue Dr. Metzger und Dr. Brotbeck Lektionen und Autoren unter sich verteilen. Brotbeck darf die Institutiones Lazari Riverii statt der Artisparvae Galeni publice explizieren. Der seit 1652 vergeblich angemahnte hortus medicus ist endlich in Gang zu bringen. Dr. Metzger beaufsichtigt ihn und bezieht dann das Haus, das bisher der Universitäts-Sekretär bewohnte. Leichen für anatomias werden geliefert, soweit möglich.
5) Philosophische Fakultät: Der zum prof. ord. phys. et math. gewählte Dr. Ludwig Mögling wird bestätigt. Die Fakultät hat ein Gutachten vorzulegen über ein compendium physicum, das, in Lektionen unterteilt, den Stoff in 3/4-1 Jahr erledigt. Da, trotz wiederholter Anmahnung und Zusagen der Fakultät seit 1652 zweimal Magister ohne disputatio magistralis kreiert wurden, wird erneut die Wiedereinführung dieser disputationes als Voraussetzung für den Promotionsakt angeordnet. Der überflüssige Druck von exercitiis disputatoriis ist zu unterlassen. Die theses werden, wie von je, den Hörern diktiert. Es sollen nicht bloß bestimmte erbetene Opponenten, sondern auch die candidati magisterii zum Opponieren eingeladen werden. Eine gedruckte disputatio philosophica soll einen Bogen nicht überschreiten. Auch vor den Promotionsterminen, wenn sich die Disputationen häufen, soll eine Disputation von 2-5 Uhr dauern. Trotz des letzten, eigenhändig subskribierten Rezesses des Stipendii und eines besonderen Reskripts wurden neulich Magister promoviert, die solche vitiosa argumenta schrieben, daß sie in der Trivialschule die Rute verdienten, und die auch sonst nichts wußten; derartiges hat der Prokanzler zu verhindern und an uns zu berichten. Der prof. poeseos kann statt des in den Trivial- und Klosterschulen erklärten Vergil probeweise den Horaz behandeln. Die Abschaffung des Diktierens ist gut. Jeder prof. phil. kann über jeden Stoff, auch wenn er nicht publica liest, disputieren und präsidieren.
6) Die Univ. hat dem Regierungsrat das Konzept des revidierten ordo studiorum zur Genehmigung vorzulegen, worauf er gedruckt und an andere Universitäten verteilt wird. Universitätsbibliothek und instrumenta mathematica sind in Ordnung zu halten. Der Vorschlag, von den schon genug belasteten Kandidaten einen Beitrag zur Bibliothek zu verlangen, wird abgelehnt, eher kann etwas von den Examensgeldern genommen werden. Daß jeder neue Professor ein Buch schenkt und die Drucker Pflichtexemplare geben müssen, wird genehmigt. Von allem bei der Univ. Gedruckten hat der Universitäts-Sekretär ein Exemplar ad acta Visitatorum einzuschicken.
7) Der Magister domus des Theol. Stipendiums und prof. Graecae linguae M. Theodor Cellarius ist in die Phil. Fakultät aufzunehmen.
8) Zu den Antworten der Univ. auf den zugesandten Fragenbogen: Alte Professoren und ihre Erben, die die Besoldungsrückzahlung verweigern, sollen den Visitatoren, eine Bittschrift vorlegen.
Untaugliche Neuankömmlinge sind von der Immatrikulation zurückzuweisen. Junge studd. phil. sind in der Burse oder bei Professoren, nicht in der Bürgerschaft, unterzubringen.
Das examen neglectuum soll der Kanzler zusammen mit einem fürstl. Rat vornehmen.
Jeder rector hibernus hat die Statuta Stipendiorum Senat zu verlesen, ebenso die Visitationsrezesse, diese besonders auch den neuen Professoren.
Die Renovation der Universitätsgefälle ist voranzutreiben.
Studenten, die die Statutenverlesung versäumen, sind - obwohl dies lang unterblieb - zu bestrafen, eventuell zur Vermehrung der Bibliothek.
Die Professoren sollen ihre Bücher auf eigene, nicht auf der Respondenten Kosten herausgeben. Die Bücherpreise sind zu prüfen, auch wenn die Buchführer kein attestatum von der Frankfurter Messe mitbringen.
Die Forderung der Univ. auf 346 fl von der Witwe des M. Bernhard Buck, Spezials in Leonberg, wird durch eine noch höhere Gegenforderung auf rückständige Besoldung aufgehoben.
Über Zinsguthaben des Sigwardtschen Stipendiums wird demnächst eine Resolution erfolgen. Blandina Müllerin ist zur Zahlung von 600 fl Differenz an das Stipendium Fabrianum verpflichtet.
Über die Bestrafung von Duellanten ergeht demnächst ein besonderes Reskript. Den Vögten zu Tübingen und Lustnau wurde die Ausweisung relegierter Studenten aus den benachbarten Amtsflecken befohlen. Mit der Bestellung der Briefe fremder Studenten bleibt es vorläufig noch beim alten.
Der geplante Prozess gegen die Stadt Esslingen vor dem Reichskammergericht Speyer wegen Zinsverweigerung an Privatstipendien wird gebilligt.
Der Herzog wird die Landschaft an ihre Zinsschuld gegenüber der Univ. erinnern. Die Kürzung der Besoldungsschulden der Univ. gegenüber ihren Geistlichen auf ein Drittel, zahlbar innerhalb 10 Jahren, ist unmöglich, die Univ. kann, wenn sie sich erholt, laufend abzahlen. Der Kanzler muss verhindern, daß nahe Verwandten in den Senat aufgenommen werden.
An die Schweigepflicht der Senatsmitglieder wird erinnert.
Novitii sind durch Kanzler und Rektor zu bescheidener Kleidung und Haltung anzuhalten.
Auch ein prof. extraordinarius muss eine disputatio pro loco halten.
Die Nebenstipendiaten sollen sich bescheiden kleiden und die Burse nicht schmähen. Der oeconomus bursae soll Speise und Trank richtig reichen. Die Kostzettel sind zu inspizieren.
Auch disputationes, praefationes disputationum und orationes publicae müssen zensiert werden.
In der neuen Ausgabe der Disputationen Dr.(Johann Georg) Sigwarts wurden ohne Wissen der fac. theol. und des Konsistoriums ganze Thesen korrigiert, so als korrigierten die Tübinger ihre Vorgänger erst nach deren Tod. Der Drucker hat die 2 korrigierten Bogen durch die alten zu ersetzen. Dem württ. Gesangbuch dürfen andere geistliche Lieder nur als Anhang beigegeben werden.
Das gute Verhältnis zu Stadt und Collegium illustre ist fortzusetzen.
Der Universitäts-Sekretär soll die Registrierung der Acta und Consilia fortsetzen, er und der Rektor sollen ihre protocolla senatus collationieren. Ohne Erlaubnis des Rektors und Quittung darf der Sekretär nichts ausleihen.
Die Taxe des Extraweins ist zu senken.
Die neuerlichen Geschenke an die Kost- und Mietherren, ihre Frauen und Töchter zu Neujahr, Geburts-, Namenstagen, Jahrmärkten und die Ein- und Ausstände sind abzuschaffen.
Die liberationes sollen, wie schon 1652 bestimmt wurde, nicht von Professoren, sondern von alten Studenten verrichtet werden.
Bei den Depositionen in der Burse muss der rector bursae dabei sein, damit keine Exzesse, wie neulich in Bebenhausen, vorkommen. (149-186)

title of record
Visitationes, Bd. III: Nr. 1-15

Context
Ältere Universitätsregistratur, Vermischte Sachakten (I) >> 9. Visitationen (1520-1792) >> Visitationes, Bd. III: Nr. 1-15
Holding
UAT 6/ Ältere Universitätsregistratur, Vermischte Sachakten (I)

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