Archivalie
Lieber Nierendorf, von P.F. hörte ich, daß Sie sehr krank ...
Transkription: Oskar Schlemmer E i c h e n b e r g Post Bühl Amt Waldshut den 13.März 35 Lieber Nierendorf , von P.F. hörte ich,daß Sie sehr krank waren,nun aber wohl wiederhergestellt und ich vermute Sie in Berlin im Rahmen Ihrer Ausstellungen;von denen ich manchmal lese. Haben Sie keine Angst: ich will nicht ausstellen ! Ich sonne mich in meiner Diffamiertheit,die sich bei mir ganz besonders kräftig auszuwirken scheint. Warum eigentlich ? Können Sie mir das sagen ? (Ich meine das im Ernst.Bei Ihnen geht mancher ein und aus und mancher sagt dies und das).Ich kann ein kräftiges Wort vertragen,heute mehr denn früher,wo man empfindlicher besaitet war. Vielleicht kann ich wirklich von Ihnen erfahren,was man gegen mich hat. Warum ich z.B. nicht bei der Berliner Sezession bin;aber ich sehe,daß acuh Ihr Fuhr und auch Nolde nicht dabei sind.-Jetzt sehe ich in der 'Kunst der Nation',daß auch Sie mich "von der Liste gestrichen" haben (dies war der Titel eines Bildes von Klee,den ich in Bern besuchte). Warum ? Sagen Sie es mir ruhig;ich werde es Ihnen nicht übelnehmen;ich werde Ihnen sogar dankbar sein. Denn Sie können vielleicht mitfühlen,wie einem zu mute ist,wenn man fern vom Schuß auf dem Lande sitzt und so manches wie ein ferner Klang geworden ist. Nein,ich will bis auf Weiteres nicht ausstellen.Vielleicht übers Jahr.Vielleicht,wann der Atem reicht,erst wieder an meinem Fünfzigsten (1936). Aber arbeiten will und tue ich wie ein Wilder (wiewohl mit dem bekannten klassischen Einschlag,den ich anscheinend in die Wiege gelegt bekam).- Wie war es doch einmal: ich wurde als besonders prädestiniert für den Stilwillen unserer Zeit angesehen,ja es gab Optimisten,die sogar den Stil des Nationalsozialismus bei mir sich entwickeln sehen wollten. Da dieser aber bis heute nicht ersichtlich ist,so fehlt mir der Vergleich. Ich kann also nur weiterpflegen,was ich an Natürlichem habe und als Kind dieser Zeit diese sich auswirken lassen. Ich hoffe,aus meiner Aechtung Kraft zu ziehen,die ja zumeist das Gnadengeschenk der zu Unrecht Beleidigten wird. Verstehen Sie mich recht: mich interessiert es zu wissen,ob ich einfach übergangen werde,d.h.der Vergessenheit anheimfalle oder ob ich b e k ä m p f t werde ? Das erstere wäre schmerzlich,denn ich glaube,Qualität und Leistung gezeigt zu haben.Das andere wäre gleichfalls schmerzlich,wenn mir Qualität und Leistung abgesprochen würden; es wäre aber ehrenvoll,wenn nur Kollegenhaß-und neid übrig bliebe.(Ich werde in Kanoldt vermutlich einen großen Hasser haben). Ich sehe der Zukunft gelassen entgegen.Es wäre ein Wunder,wenn sich die Stille und Zurückgezogenheit des Landlebens nicht wohltätig auf den Menschen und die Malerei auswirken würden. Dennoch werde ich nicht Kotau machen vor einer Art Naturalismus, mit dem heute in Deutschland Lorbeeren zu ernten wären. Ich werde nach wie vor der großen Komposition und ihren Gesetzen huldigen und an die Herrrlichkeit [sic] einer Malerei glauben,die ich stärker denn je erahne.Freilich,ich hatte einen Fackelträger zum Freund, den toten Otto Meyer-Amden...(Kennen Sie die Publikation über ihn? Ich werde sie nächstens P.F. schicken und er kann sie Ihnen eine Weile überlassen,gegebenenfalls). Lassen Sie bald etwas von sich hören. Mit besten Grüßen und Wünschen Ihr
- Collection
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Archiv Oskar Schlemmer
- Inventory number
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AOS 2015/1821
- Material/Technique
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Papier; maschinenschriftlich
- Event
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Herstellung
- (who)
- Provenance
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Abschrift vorhanden; Ordner 1934-1943
- Rights
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Staatsgalerie Stuttgart
- Last update
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28.03.2025, 12:10 PM CET
Data provider
Staatsgalerie Stuttgart. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Archivalie
Associated
- Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
- Karl Nierendorf (1889 - 1947)