Bestand
Landeshospital und Psychiatrisches Krankenhaus Haina: Patientenakten (Bestand)
Geschichte des Bestandsbildners:
Im Zuge der allgemeinen Neuordnung des Armen- und Fürsorgewesens in
der Landgrafschaft Hessen nach der Reformation stiftete Landgraf
Philipp der Großmütige ab 1533 die Hohen Hospitäler Haina (1533),
Merxhausen bei Kassel (1533), Hofheim bei Darmstadt (1535) und Gronau
am Rhein bei St. Goarshausen (1546). Nach dem Willen des Stifters
sollten sie ausschließlich der Landbevölkerung offenstehen, wobei
Haina und Gronau für die Aufnahme und Pflege von hilfsbedürftigen
Männern und Merxhausen und Hofheim für hilfsbedürftige Frauen bestimmt
waren.
In Haina wurde das im 12. Jahrhundert von
Zisterziensern gegründete gleichnamige Kloster in ein Hospital
umgewandelt. Zur Fundation erhielt es ein Fünftel des ehemaligen
Klosterbesitzes, der zum größten Teil aus Grund und Boden bestand, der
an lehnsabhängige Bauern ausgegeben war. Dazu kamen umfangreiche
Forsten und die Einnahmen aus dem Verkauf der Produkte von
hospitaleigenen Eisenhütten im Kellerwald. 1556 wurde eine Rechts- und
Wirtschaftseinheit geschaffen, die eine geordnete Verwaltung
ermöglichte. Der Verwaltungsapparat setzte sich zusammen aus dem
Amtsvogt, welchem die Administration des Hospitals und des Amts Haina
oblag, dem Rentschreiber, Küchenmeister, Fruchtschreiber,
Forstschreiber, Hüttenschreiber, Gegenschreiber, Gerichtschreiber und
dem Fruchtkontrolleur. Dazu kamen als weitere Beamte die Pfarrer der
beiden evangelischen Konfessionen, ein Lektor sowie ein Wundarzt
(Chirurgus). Die Oberaufsicht über die vier Hohen Hospitäler führte
der Obervorsteher, meist ein verdienter ehemaliger Offizier. Seit Ende
des 17. Jahrhunderts hatte der Obervorsteher seinen Dienstsitz in
Haina. Nach der hessischen Landesteilung von 1567 wurden die Hohen
Hospitäler gemäß einer testamentarischen Bestimmung Philipps des
Großmütigen weiterhin gemeinsam verwaltet. Diese sogenannte
Samtverwaltung bestand bis 1810. Bis dahin wurde der Obervorsteher
alternierend von Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt nominiert und
kamen alljährlich um Pfingsten Beamte aus Darmstadt und Kassel zur
Visitation und Rechnungsprüfung nach Haina.
Das Leben im
Hospital regelte eine Hospitalordnung, deren früheste bereits um 1535
erlassen wurde. Sie erfuhr in der Folgezeit mehrfach Änderungen
(Renovationen). In vielem wirkte die alte Klosterordnung nach. Wie zur
Klosterzeit spielten Gebet und Arbeit eine zentrale Rolle, sie
gliederten den Tagesablauf und dienten gleichzeitig als Mittel zur
Disziplinierung der Hospitaliten.
Die Zahl der Hospitaliten
in Haina, die vor allem aus den Dörfern Ober- und Niederhessens kamen,
war ursprünglich auf 100 begrenzt, doch stieg sie schon im Laufe des
16. Jahrhunderts stark an. 1550 waren es bereits 176, nach dem
Dreißigjährigen Krieg lebten sogar über 300 Hospitaliten in Haina.
Durch den Bau neuer Gebäude versuchte man mit der Entwicklung Schritt
zu halten. Anfangs waren die Hospitaliten in den Räumen des
Klostergevierts untergebracht, jeweils getrennt nach ihren Gebrechen.
Für jedes „Logis“ gab es einen „Aufwärter“, der sich um die Kranken
kümmerte, in der Regel unter Mithilfe seiner Ehefrau. Für die
wundärztliche Versorgung stand seit dem 17. Jahrhundert ein ständiger
Chirurgus bereit. Bei schwereren inneren Erkrankungen musste jedoch
jedes Mal ein Arzt von auswärts gerufen werden. Erst 1821 kam es zur
Anstellung des ersten hospitaleigenen Arztes, bei dem es sich jedoch
zunächst um einen Allgemeinmediziner handelte, obgleich das
Landeshospital Haina seit 1815 offiziell als „Pflege- und
Versorgungsanstalt für preßhafte, und insbesondere für verrückte,
wahnsinnige, hülflose, blinde und epileptische Personen“ fungierte. Es
sollte noch 70 Jahre dauern, bis ein Ärztlicher Direktor mit
psychiatrischer Ausbildung installiert wurde (Dr. Otto Scheel,
1891).
Nach der preußischen Okkupation des Kurfürstentums
Hessen wurde das Landeshospital Haina 1867 dem Bezirkskommunalverband
Kassel unterstellt. Nach der Eröffnung der Irrenheilanstalt Marburg
1876 diente es fortan als Pflegeanstalt für unheilbar Kranke. 1881
erhielten auch die Bürger aus den Städten des Regierungsbezirks Kassel
gleichberechtigten Zugang zum Landeshospital.
Unter der
Regie des Bezirkskommunalverbands wurde Haina grundlegend
modernisiert. Ab Ende der 1870er Jahre entstanden zahlreiche neue
Gebäude, die die Kapazität deutlich erhöhten. Zwischen 1890 und 1914
verdoppelte sich die Zahl der Pfleglinge von rund 450 auf fast 900.
Mit der Anzahl der Pfleglinge wuchs allmählich auch die Zahl der Ärzte
und des Pflegepersonals. Für letzteres, das bis in die 1880er Jahre
zusammen mit den Pfleglingen in den Hospitalgebäuden lebte, wurden
Pflegerwohnungen auf dem Gelände des Hospitals errichtet.
1927 wurde aus dem bisherigen Landeshospital Haina eine
Landesheil- und Pflegeanstalt. Unter der Direktion von Dr. Karl Wickel
(1919-1935), einem Anhänger der von Hermann Simon in Gütersloh
entwickelten „aktiveren Krankenbehandlung“ (Beschäftigungs- und
Arbeitstherapie), fanden die psychiatrischen Reformen der Weimarer
Zeit Eingang in Haina.
Die Feier des 400-jährigen Bestehens
des Hospitals Haina im August 1933 stand schon ganz im Zeichen des
Nationalsozialismus. Auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses“, das am 1. Januar 1934 in Kraft trat, wurden
in den folgenden Jahren auch zahlreiche Hainaer Patienten
zwangssterilisiert. Durch zwangsweise Verlegung von Pfleglingen aus
anderen Einrichtungen (Bethel und Hephata) nach Haina stieg ab 1937
die durchschnittliche Belegungsstärke von 800 auf etwa 1.200 Personen.
Nach Kriegsbeginn 1939 verschlechterten sich die Lebensbedingungen der
Patientinnen und Patienten in Haina immer weiter; sie litten unter
Mangelernährung und Vernachlässigung. Die Folge war ein massiver
Anstieg der Sterblichkeit. Im Herbst 1940 wurden die 30 jüdischen
Patienten zunächst in eine Sammelanstalt in Gießen verlegt und
anschließend in der T 4-Mordanstalt Brandenburg vergast. Im Frühjahr
1941 fielen über 400 weitere Patienten aus Haina in Hadamar der
„Aktion T 4“ zum Opfer. Im April 1944 wurden 17 Männer, die nach dem
Gesetz über den Maßregelvollzug in Haina untergebracht waren, zur
„Vernichtung durch Arbeit“ in das KZ Mauthausen deportiert.
Nach Ende des 2. Weltkriegs dauerte es längere Zeit, bis sich die
Verhältnisse in Haina wieder einigermaßen normalisiert hatten. 1953
übernahm der neugegründete Landeswohlfahrtsverband Hessen die
Trägerschaft der Landesheilanstalt, die 1957 in „Psychiatrisches
Krankenhaus Haina“ (PKH) umbenannt wurde. Unter der Regie des LWV
Hessen wurde Haina seither zeitgemäß weiterentwickelt. Zum 1. Juli
1977 erfolgte die Gründung der „Klinik für gerichtliche Psychiatrie“
als eigenständige Einrichtung zur Behandlung erwachsener psychisch
gestörter Rechtsbrecher (§ 63 StGB) und zur vorläufigen Unterbringung
und Beobachtung sowie zur Begutachtung (§ 126a StPO bzw. § 81 StPO).
1998 wurde der Klinik ein Institut für forensische Psychiatrie e. V.
angegliedert. Am 1. Januar 1989 trat die „Heilpädagogische
Einrichtung“ (HPE) für Menschen mit geistiger Behinderung ins Leben
(zum 1.1.2016 in der „Vitos Teilhabe gGmbH“ aufgegangen).
Um den strukturellen Veränderungen Rechnung zu tragen, wurde das
PKH Haina 1998 in „Zentrum für soziale Psychiatrie“ (ZSP) umbenannt.
2007 erhielt es die Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH. Seit März
2009 gehört das vormalige ZSP Haina als „Vitos Haina gemeinnützige
GmbH“ zum Gesundheitskonzern „Vitos GmbH“, dessen Alleingesellschafter
der Landeswohlfahrtsverband Hessen ist. Als Einrichtungen gehören
heute dazu die „Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina“
(KPP) mit Ambulanzen in Haina, Korbach und Bad Wildungen sowie
Tageskliniken in Korbach und Bad Wildungen, die „Vitos Klinik für
forensische Psychiatrie Haina“ (KFP) mit der „Vitos
forensisch-psychiatrischen Ambulanz Hessen“ und „Vitos begleitende
psychiatrische Dienste“ (BPD) zur Unterstützung chronisch psychisch
kranker Menschen. Ferner gibt es in Haina noch einen Gutsbetrieb, der
Flächen in Haina und Merxhausen bewirtschaftet.
In enger
Verbindung mit dem Hospital Haina steht die Malerfamilie Tischbein. Im
Jahr 1685 siedelte Konrad Tischbein mit seiner Familie von
Marburg-Weidenhausen nach Haina über, um hier die Stelle des
Hospitalbäckers anzutreten. Zwei der bekanntesten Maler aus der
Künstlerdynastie, Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789) und
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), der „Goethe-Tischbein“,
sind in Haina geboren.
Findmittel:
Arcinsys-Datenbank
Zusatzinformationen: Die
Unterlagen lagern im LWV-Archiv in Kassel
Zusatzinformationen: Letzte
Aktualisierung: 31.10.2022
- Reference number of holding
-
Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, K 13
- Extent
-
188,8 lfm.
- Context
-
Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (Archivtektonik) >> Gliederung >> Landeshospitäler >> Haina
- Related materials
-
Literatur: 450 Jahre Psychiatrie in Hessen, hrsg. v. Walter Heinemeyer u. Tilmann Pünder, Marburg 1983 (bes. die Beiträge von Demandt, Friedrich, Brandt, Siefert, Klüppel, Barkey, Mildner, Gretenkord u. Heinz).
Literatur: Klüppel, Manfred: ‚Euthanasie‘ und Lebensvernichtung am Beispiel der Landesheilanstalten Haina und Merxhausen, Kassel 1984.
Literatur: Das Hospital am Beginn der Neuzeit. Soziale Reformen in Hessen im Spiegel einer europäischen Kulturgeschichte, hrsg. v. Arnd Friedrich, Fritz Heinrich u. Christina Vanja, Petersberg 2004 (bes. die Beiträge von Vanja, Friedrich u. Aumüller).
Literatur: An der Wende zur Moderne. Die hessischen Hohen Hospitäler im 18. und 19. Jahrhundert, hrsg. v. Arnd Friedrich, Irmtraut Sahmland u. Christina Vanja, Petersberg 2008.
Literatur: Vanja, Christina: Psychiatriemuseum Haina, Petersberg 2009.
- Date of creation of holding
-
1788-1984, (1991)
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
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-
14.11.2023, 10:28 AM CET
Data provider
Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Time of origin
- 1788-1984, (1991)