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Reichsstadt Nürnberg, Ober- und Appellationsgericht (Bestand)

Vorwort: 1. Das Ober- und Appellationsgericht der Reichsstadt Nürnberg Das von der Forschung bisher wenig beachtete Ober- und Appellationsgericht der Reichsstadt Nürnberg wurde im Jahr 1615 gegründet (Verordnung vom 9. September 1615). Bis dato fungierte der Rat bzw. ein Ratskollegium wie in den meisten anderen Städten auch als zweite Instanz für Berufungen von den untergeordneten Gerichten und Behörden in der Stadt und auf dem Land. Mit der erfolgten Ausgliederung wurde nun ein eigenes Gericht für Appellationen sowohl in zivil- als auch in strafgerichtlichen Fällen ins Leben gerufen. Im Laufe der Zeit erhielt es zudem die Oberaufsicht in Personal- und Fachfragen über die erstinstanzlichen Gerichte (Stadt-, Ehe-, Unter-, Bancogericht, Vormundamt, Bürgermeisteramt, Pflegämter, Landalmosenamt etc.). Das Appellationsgericht bildete sich aus sechs Mitgliedern des Inneren Rats sowie zwei Rechtskonsulenten und tagte jeden zweiten Samstag. Die Appellationsgerichtsordnung von 1615, die die Besetzung ebenso wie die Prozessordnung und die Gebühren fixierte, ist als handschriftliches Exemplar im Staatsarchiv überliefert, ergänzt durch die prächtig ausgestalteten Namen und Wappen der bis 1720 bestallten Schöffen und Konsulenten (StAN, Reichsstadt Nürnberg, Amts- und Standbücher 185). Die Ordnung wurde 1657 erneuert und 1732 im Druck herausgegeben. Die unter dem Druck der außen- und innenpolitischen Ereignisse 1797 berufene Kaiserliche Subdelegations-Kommission erließ im Zuge der allgemeinen Verwaltungsreformen 1802 auch eine neue Appellationsgerichtsordnung, mit der sie die Aufgaben und Befugnisse des Gerichts genauer definierte und leichte organisatorische Anpassungen fixierte. So wurde die Anzahl der Senatoren auf fünf reduziert, die Häufigkeit der Sitzungstage hingegen deutlich auf zwei pro Woche erhöht (siehe hierzu auch „Reichsstadt Nürnberg, Rentkammer 1963“). Die weitere, drittinstanzliche Berufung war ab einem gewissen Streitwert möglich. Bis 1806 erfolgte die Appellation an das Reichskammergericht bzw. an den Reichshofrat, nach dem Ende des Alten Reichs an die königlich-bayerische Oberste Justizstelle in Franken zu Bamberg. Die Entscheidung per Aktenversendung an die juristischen Fakultäten wurde ebenfalls und vor allem in den Fällen mit niedrigerem Streitwert angewendet, war seit 1802 jedoch verboten. Mit der Inbesitznahme der Reichsstadt durch das Königreich Bayern am 15. September 1806 wurde das Ober- und Appellationsgericht wie alle anderen reichsstädtischen Ämter und Gerichte nominell königlich-bayerisch, blieb jedoch vorerst organisatorisch und personell unangetastet. Erst mit dem auf die Verfassung von 1808 folgenden Organischen Edikt vom 24. Juli 1808 (Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1808, Sp. 1785–1800) wurde die Justizverfassung geändert und die Nürnberger Gerichte in die bayerische Organisation integriert. Das ehemals reichsstädtische Ober- und Appellationsgericht wurde aufgelöst und seine Befugnisse an das Appellationsgericht für den Pegnitz- und den Naabkreis in Amberg transferiert. Dieses war nun zweite Instanz in Zivilstreitigkeiten, zweite und zugleich letzte Instanz in Merkantilsachen sowie erste Entscheidungsinstanz in Strafgerichtsprozessen. Als dritte Instanz trat an Stelle der aufgelösten Obersten Justizstelle das Oberappellationsgericht in München. Dieser Instanzenzug wurde nach massiven Protesten aus der Nürnberger Kaufmannschaft zumindest hinsichtlich der Handelsgerichtsbarkeit insofern abgeändert, als am 15. Juni 1809 mit dem Handelsappellationsgericht eine eigene Berufungsinstanz geschaffen wurde, die in Nürnberg – dem Ort des Geschehens und der fachlichen Expertise – angesiedelt war. 2. Überlieferungsgeschichte Der vorliegende Bestand bildet sich aus Akten, die 1972 vom Stadtarchiv Nürnberg an das Staatsarchiv abgegeben wurden (siehe StAN, Staatsarchiv Nürnberg, Registratur 93). Die Abgabe war das Ergebnis von Provenienzanalysen des Bestands „Handelsvorstand“, in dem neben Akten des Handelsvorstands selbst, des Banco Publico, des Bancoamts und des Bancogerichts auch rund 420 Akten der Provenienz „Ober- und Appellationsgericht“ gefunden wurden. Wie diese jedoch ihren Weg in die Registratur des Handelsvorstands bzw. der IHK Mittelfranken als dessen Rechtsnachfolgerin gefunden hatten, bleibt ungewiss. Die zu Beginn der im Staatsarchiv durchgeführten Erschließungsarbeiten aufgestellte Vermutung, dass es sich hauptsächlich um Merkantilsachen handelt, bewahrheitete sich nicht. Da aber das Handelsappellationsgericht Nürnberg ab 1808 in demselben Gebäude wie der Handelsvorstand (Hauptmarkt 25) untergebracht war, kann davon ausgegangen werden, dass die Akten über dieses in die Registratur des Handelsvorstands gelangten. Dazu kommen 23 Amtsbücher (Sitzungsprotokolle u.a.), die bisher im Bestand Reichsstadt Nürnberg, D-Laden Akten (Nr. 2035-2052 und 4725-4730) verwahrt worden sind. 3. Bestandsstruktur und Findbuch Der Bestand bildet sich aus 417 Archivalieneinheiten und umfasst insgesamt 5,6 lfm mit einer Laufzeit zwischen 1723 und 1808. Der überwiegende Teil der Akten ist zwar nicht reichsstädtischer Provenienz, sondern stammt aus der Zeit nach 1806 und trägt den Stempel des Königreichs Bayern. Dennoch wurde entschieden, diese Akten nicht als eigenen Bestand zu formieren, sondern das „königlich-bayerische Ober- und Appellationsgericht Nürnberg“ lediglich als kurzlebigen Nachfolger des reichsstädtischen Gerichts mit im Wesentlichen gleichen Aufgaben, gleicher Organisation, gleichem Sprengel und v.a. derselben Registratur zu bewerten. Da kein zeitgenössischer Aktenplan vorliegt und die Akten keine Aktenzeichen bzw. Registratursignaturen tragen, wurde für die Gliederung des Bestands anhand der vorliegenden Aktenbetreffe ein deduktiver, zweistufiger Thesaurus entworfen. Er gliedert sich in die zwei Hauptgruppen „Aufgaben als übergeordnete Gerichtsstelle“ und „Zivilgerichtliche Appellationsinstanz“. Anders als es die Befugnisse gemäß den oben erwähnten Appellationsgerichtsordnungen erwarten ließen, sind – ohne dass ein Grund hierfür genannt werden kann – keine Appellationen in Strafgerichtsfällen überliefert. Unter den Zivilstreitigkeiten stechen quantitativ neben den Erbschaftsklagen (52 Akten) vor allem die Schuldsachen (116 Akten) hervor. Insgesamt können die hier erschlossenen Akten jedoch nur als Ausgangspunkt weiterer Provenienzanalyse- und -bereinigungsarbeiten angesehen werden, um zukünftig einen Bestand „Reichsstadt Nürnberg, Ober- und Appellationsgericht“ zu bilden, der über die Umbruchszeit 1806/08 hinausgeht und die gesamte Tätigkeit des Gerichts auch in Strafsachen seit 1615 widerspiegelt. [4. Ergänzende Bestände Weitere vorliegende Archivalien entstammen dem Bestand „Reichsstadt Nürnberg, D-Laden, Akten, Nummern 2035 bis 2052 und 4725 bis 4730". Vorhanden sind hier Sitzungsprotokolle (sog. Manuale bzw. Conceptionalia Sententiarum) und Terminkalender (sog. Signaturbüchlein) des Gerichts aus der Zeit zwischen 1615 und 1729. Analog dazu ist die Tätigkeit des Ratskollegiums in Appellationssachen vor 1615 unter den Nummern 1983 bis 2034 dokumentiert. Auch in den Beständen „Reichsstadt Nürnberg, Prozessakten“ und „Reichsstadt Nürnberg, Rentkammer“ sind Akten und Bände des Appellationsgerichts zu vermuten.] 5. Literaturhinweise Die Nürnbergische Appellations-Gerichts-Ordnung von 1657, nebst denen Eides-Puncten deren Genannten des Grössern Raths zu Nürnberg. Nürnberg 1732 Einer Allerhöchst Kaiserlichen Subdelegations-Commission für die Kaiserliche freie Reichsstadt Nürnberg publizierte Appellationsgerichts-Ordnung vom Jahr 1802, in: Zusammenstellung der für die Nürnberger Handelsgerichte I. u. II. Instanz geltenden Gerichts-Ordnungen. Nürnberg 1857, Teil II. Gebhard, Wilhelm: Organisation der Reichsstadt Nürnberg in den letzten Jahrzehnten ihrer Selbständigkeit bis zu ihrer Einverleibung mit Bayern. Nürnberg 1910 Rehm, Harald: Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit. Verfassung und Prozeß insbesondere im 19. Jahrhundert (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte, Bd. 14). Nürnberg 1974, hier v.a. S. 70-77 Schielein, Rudolf: Die Entwicklung der Gerichtsverfassung in der Reichsstadt Nürnberg vor allem vom 15. bis 18. Jahrhundert. Ungedr. Diss. Erlangen 1952 Dr. Johannes Staudenmaier, August 2019

Reference number of holding
Reichsstadt Nürnberg, Ober- und Appellationsgericht
Extent
447
Language of the material
ger

Context
Staatsarchiv Nürnberg (Archivtektonik) >> Beständetektonik des Staatsarchivs Nürnberg >> I. Altbestände (Territorien und Institutionen des Alten Reichs) >> Reichsstadt Nürnberg >> Reichsstädtische Zentral- und Mittelbehörden >> Ober- und Appellationsgericht - siehe auch Nürnberger Archivalien sowie Ämterrechnungen
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Date of creation of holding
1615-1808

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Last update
23.05.2025, 9:30 AM CEST

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  • Bestand
  • Akten

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  • 1615-1808

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