Archivale

Ordnung des Schneider-Handwerks zu Reutlingen. (Vorschlag der Schneider an den Rat)

Regest: Folgen hernach Artikel vom Meisterwerden, welche in andern Städten gehalten werden.
1.) Wenn ein Schneidergesell nach Reutlingen kommt, der Meister werden will, so soll er zuvor schriftlich oder mündlich Kundschaft (= Zeugnis) haben, dass er solch Handwerk redlich und ehrlich erlernt hat. Nachmals soll er 2 Jahr lang zu Reutlingen arbeiten bei einem oder mehr Meistern. Nach Verfluss der 2 Jahre kann er, doch ledigerweise, fürstehen (= sich melden), die Meisterstücke dem Gebrauch nach zu machen.
2.) Wenn einer die Meisterstücke zu machen untersteht (= unternimmt), soll er von Stund an und zuvor 4 fl erlegen, wovon das Halbteil den verordneten Meistern (gehören) und das andere Halbteil in der Zunft gemeine Büchs gelegt werden soll.
3.) Wenn eines Meisters Sohn fürstehen will, soll er es auch ledigerweis tun. Doch soll er die halben Meisterstücke zu machen bevor haben (Dieser Satz ist gestrichen). Gemeiner Zunft soll er nur 1 fl zu erlegen schuldig sein.
4.) Wenn einer eines Meisters Tochter nimmt, der fürstehen will, so soll er gleichfalls die halben (dieses Wort ist gestrichen) Meisterstücke zu machen bevor haben ("bevor haben" gestrichen und dafür gesetzt "schuldig sein"). Doch soll derselbe allein 2 fl zu erlegen schuldig sein, wovon der eine Gulden den verordneten Meistern, der andere in der Zunft Büchs gehören soll.
5.) Wenn einer die Meisterstücke zu machen unterstünde, aber sie nicht machen könnte, der soll noch 1/4 Jahr seinem Meister schaffen. Nach Verfluss des 1/4 Jahrs kann er wieder fürstehen, die Meisterstücke zu machen. Wenn er zum zweitenmal verfiele (= durchfiele), dann soll er 1/2 Jahr wandern. Wenn er wiederum käme, die Meisterstücke zu machen unterstünde, aber zum drittenmal verfiele, der soll nachmals kein Meisterrecht zu Reutlingen haben noch machen, damit das Handwerk desto stattlicher und fleissiger sei und gemeiner Bürgerschaft das Ihre nicht so liederlich, wie oftmals geschehen ist, verderbt werde.
6.) Wenn einer einen Lehrjungen annimmt, soll dieser ehelich geboren sein, und soll der Meister ihn nicht weniger oder mehr ("oder mehr" gestrichen) als 2 Jahre lehren. (Auf dem Rande hinzugefügt: Doch ist einem jeden daneben unbenommen, einen Lehrjungen auf 3 oder 4 Jahr anzunehmen und deshalb in dem Lehrgeld ein Einsehen zu haben). Wenn er ausgelernt hat, soll der Meister in 2 Jahren hernach keinen Lehrjungen mehr annehmen.
7.) Kein Meister soll künftig mehr als 3 Stöcke (= ?) besetzen bei Straf 10 ß. Doch kann er solche mit Alten, Jungen oder Buben besetzen, wie es ihm beliebt.
8.) Wenn einem Meister Arbeit zukäme, die er nicht machen wollte, soll er solche Arbeit keiner Newerin (= Näherin) noch andern Leuten zurichten bei Straf 5 ß Heller, unablösig zu bezahlen. Doch kann ein Meister dem andern solches wohl zurichten.
9.) Wenn ein Meister einen Knecht hätte, der ihm zwischen den Zielen (= Terminen) ohne genugsame Ursachen aus dem Dienst träte, so soll der Knecht dasselbig Ziel (= innerhalb der Zeit bis zum regelrechten Austrittstermin) keinem andern schaffen ohne des vorigen Meisters Bewilligung bei Straf 30 ß, nämlich vom Knecht 15 ß und vom Meister 15 ß. Desgleichen soll auch kein Meister, wenn ihm ein Knecht niedergesessen (= bei ihm eingetreten) ist, ohne Ursach vor dem Ziel (einen andern) an seine Statt setzen bei vorgenannter Straf.
10.) Wenn fremde Schneider hieher kämen, die nach Arbeit fragen würden, und ein Meister wiese solche Schneider weg, weil er sie den andern Meistern aus Missgunst oder Hass zu schaffen nicht gönnte, so soll dieser Meister unnachlässig um 10 ß Heller gestraft werden.
11.) Kein Meister soll einen neuen Kunden annehmen, der seinem alten Meister noch von Arbeit zu bezahlen schuldig ist, solange bis solcher Kunde seinen alten Meister gänzlich bezahlt hat. Bei Straf 10 ß Heller, unnachlässig zu erlegen.
12.) Kein Meister soll etwas auf den Kauf machen, es sei von wollenem oder anderem Gewand, das ein Schneider machen soll. Wenn einer solche Arbeit feil hätte, soll die Arbeit aufgehebt (= weggenommen) und der Meister nach seinem Verschulden gestraft werden. Doch ist einem unbenommen, was von Zwilch oder Leinentuch ist, auf den Kauf zu machen. Zu dem allem soll auch keine Newerin (= Näherin) zu Reutlingen etwas machen, was von Wolle, Wiffling 1), Barchet oder Ingelsait 2) ist, auch bei einer Straf nach ihrer Übertretung.
Nachdem diese Artikel in andern Städten, auch im Land Würtenberg gehalten werden, wird der Rat um Bestätigung der Artikel gebeten.

Hernach folgt, wieviel ein jedes Gewand Tuch und andres haben muss.
1.) Einem Prädicanten (= Prediger, Pfarrer) einen Rock mit einer selbgewaßnen (= selbstgewachsenen = ?) Gestalt zu machen. Dieser Rock muss lang sein 2 1/6 Ellen und 10 Ellen weit, die Ärmel 1 1/2 Ellen lang und halb Tuch weit. Nimm 6 Ellen lindisch Tuch oder 8 1/2 Ellen Lintberger, nimm 10 1/2 Ellen Reutlinger oder nimm 26 Ellen Schamlott 3) oder 16 Ellen Arles 4) oder nimm 12 Ellen Galler (= St. Galler) Zwilch, willst ihn durchaus füttern. Oder aber nimm 15 Ellen Schetter 5). Ist auch soviel, und alles gerecht erfunden worden.
2.) Einem Prädicanten einen Rock mit 3 Gollern zu machen, muss lang sein 2 Ellen und 1/2 Viertel einer Elle, 10 1/2 Ellen weit und die Ärmel 7 Viertel lang und halb Tuch weit. Nimm dazu 7 Ellen lindisch Tuch oder du musst haben 10 Ellen Lindberger, oder nimm 12 1/2 Ellen Reutlinger. Nimm 34 Ellen Taffet oder 22 Ellen Burschat. Nimm 30 Ellen Schamlott oder nimm 18 1/2 Ellen Arles. Nimm 14 Ellen Galler Zwilch oder nimm 17 1/2 Ellen Schetter. Nimm 26 Ellen Barchat (= Barchent). Ist gleich soviel.
3.) Einem Prädicanten einen Schlafrock und ein glatt Paar Hosen zu machen. Der Rock muss 2 Ellen und 1 1/4 lang sein, 6 Ellen weit. Die Ärmel sollen glatt und 1 Elle lang werden. Musst zu beiden haben 5 Ellen weniger 1 Viertel Lindisch Tuch, oder nimm 14 Ellen Arles, oder nimm 9 Ellen und 1 Viertel Lintberger oder aber nimm 12 Ellen Reutlinger, Ist gleich soviel.
4.) Einem Prädicanten eine Harzkappe (= kurzer Leibrock) mit Ärmeln muss lang sein 1 Elle 1 1/2 Viertel, die Weite 3 Ellen und 1 Viertel. Nimm 5 Ellen weniger 1 1/2 Viertel Arles. Willst du sie machen ohne Ärmel und doch halben Hessellin (= Höslein?) daran und in oben angegebener Länge und Weite, so nimm dazu 3 Ellen und 1/4 Arles oder aber nimm 6 Ellen 1 Viertel Burschett oder soviel Barchet.
Einem Studenten zu Kleidern ein Rock mit einer ganzen Gestalt und selbstgewachsenem Kragen und zu einer Spanner (= ?) Kappe, auch einem glatten Paar Hosen, der Rock muss lang sein 1 Elle 1 1/2 Viertel, 6 Ellen weit und die Ärmel 1 Elle und 1 Viertel lang. Das Hinterteil an der Kappe muss lang sein 1 1/2 Ellen und das Vorderteil 1/2 Viertel weniger; 10 Ellen weit. Nimm zu diesen 3 Stücken 8 Ellen Lindisch Tuch oder du kannst nehmen 2 1/2 Ellen seiden Attles zu einer Brämin (= Verbrämung, Einfassung).

Folgt die Bürger-Kleidung.
Einem Bürger zu einem Rock mit einem gefütterten Überschlag (= Kragen), der Rock muss lang sein 2 Ellen weniger 1/2 Viertel und 9 Ellen weit, die Ärmel 1 1/2 Ellen lang und halb Tuch weit. Musst dazu nehmen 5 1/2 Ellen Lindisch Tuch, oder nimm 8 1/2 Ellen Lintberger, nimm 10 1/2 Ellen Reutlinger oder aber 15 Ellen Arles. Nimm 20 Ellen Burschat oder soviel Barchat. Oder aber nimm 22 Ellen Schamlott oder soviel Macheyer 7). Ist alles gerecht erfunden.
Einem Bürger zu Rock und Hosen, den Rock mit einer ganzen Gestalt, muss lang sein 1 Elle 2 1/2 Viertel und 7 1/2 Ellen weit, Die Ärmel 1 Viertel und 1 Elle lang. Nimm dazu 4 1/2 Ellen Lindisch Tuch. Es ist recht. Oder nimm 7 Ellen Lintberger zu Rock und Hosen. Nimm 8 Ellen Reutlinger zu Rock und Hosen. Es fehlt dir auch nicht. Nimm 9 1/2 Ellen Arles zum Rock oder 12 Ellen Burschat oder soviel Barchet.

Reiter.
Einen Reiter in das Feld zu kleiden, mach ihm einen Gestalt-Rock, das Vorderteil mit einem Schnitt, dazu ein Rynnröckle (= Rennröcklein, Leichter Rock für das Rennen) mit einem glockenweiten Unterstegkle (= Unterstöckle = Unterteil). Mach es 1 1/2 Viertel lang und die Ärmel glatt. Ferner ein glatt Paar Hosen, auch eine Kappe und ein Fyseyr (= Visier = Maske?), auch ein Paar Handschuh. Zu diesen Stücken allen nimm 6 Ellen weniger ein Viertel Lindisch Tuch oder 8 Ellen und 1 Viertel Lintberger oder 9 1/2 Ellen Reutlinger. Ist gleich soviel. Nimm 8 Ellen Reutlinger Futter. Ist recht. Oder aber nimm 10 1/2 Ellen Weyllmar (= aus Weil?). Ist auch soviel.

Bauern-Kleidung.
Einem Bauersmann einen Rock und ein glatt Paar Hose zu machen, das Hinterteil mit einer abgeschnittenen Weiche, der Unterstock (= untere Teil) 2 1/2 Viertel lang. Die Vorderteile fliegend müssen lang sein 1 Elle 1 1/2 Viertel, die hinteren Stoss 6) 2 1/2 Viertel lang und 1 1/2 Ellen weit. Der Rock muss 6 Ellen weit sein. Nimm zu diesen beiden Stücken 4 Ellen Lindisch Tuch oder 6 Ellen Lintberger oder 7 Ellen Reutlinger. Ist gleich soviel. Oder aber nimm 6 Ellen Zwilch. Ist auch recht.
Einem Fuhrmann Barchat zu einer Juppe und Wams. Die Juppe muss haben einen selbstgewachsenen Leib. Die Ärmel müssen sein angefasst, Barchat Weite, und 1 Elle lang, damit die Ärmel dahinten zusammen gangen. Die Jupp muss lang sein anderteil Ellen und 1/6 einer Elle, 5 1/2 Ellen weit. Nimm dazu 12 Ellen Barchat oder 9 Ellen Leinentuch, das 1 Elle und 1 Viertel breit ist. Oder aber du magst nehmen 5 1/2 Ellen Zwilch, so 2 Ellen breit ist.
Einem Sondersiechen (= Aussätzigen) einen Mantel zu machen. Derselbe muss auf den Achseln ganz sein und die Länge 1 1/2 Ellen. Auch musst ihn 5 1/2 Ellen weit machen. Nimm dazu 3 1/2 Ellen Reutlinger Tuch.

Von den Frauen-Kleidern.
Einer Frau zu einer Juseckhen (= ?). Dieselbe muss lang sein 2 Ellen und 1 Viertel und 10 Ellen in der Weite. Nimm dazu 6 Ellen weniger 1/2 Viertel Lindisch Tuch, zieh davon 3 1/2 Viertel zu den Ärmeln, und greth (= gerät) es, so haben die Ärmel die rechte Länge und Weite. Oder nimm 9 Ellen Lintberger. Nimm 10 1/2 Ellen Reutlinger oder 35 Ellen Taffet oder 24 1/2 Ellen Schamloth oder 21 Ellen Burschat. Ist auch soviel. Oder 16 Ellen Arles oder 24 1/2 Ellen Macheyer 7). Oder nimm dazu 18 Ellen Engelsaith. Ist auch soviel.
Einem Weib zu einem Mantel mit einem selbstgewachsenen Kragen und ganz glockenweit durchaus und 2 Ellen lang. Nimm dazu 5 Ellen und 1 Viertel Lindisch Tuch oder 7 1/2 Ellen Lintberger oder 9 Ellen Reutlinger. Willst du aber nehmen Arles, so nimm 14 Ellen oder 16 Ellen Engelsait. Ist gleich soviel.
Einer Frau eine Schaub mit einer selbstgewachsenen Brust und selbstgewachsenen Ärmeln. Solche Ärmel müssen auf dem Hinterteil ganz und auf dem Vorderteil glatt sein und 1 Elle lang, auch vom Armloch durchaus eine Weite haben. Nimm dazu 4 Ellen Lindisch Tuch oder 5 1/2 Ellen Lintberger oder 6 1/2 Ellen Reutlinger oder 9 1/2 Ellen Arles oder 11 Ellen Engelsait. Ist auch soviel.
Einer Frau einen Schaubenrock zu machen. Muss durchaus glockenweit sein durchaus und in Seiten ganz. Spalt ihn davornen auf. Auch muss der Unterstock (= untere Teil) 7 Viertel lang sein und die Ärmel 1 Elle lang und halb tuchweit. Nimm dazu 6 1/2 Ellen Lindisch Tuch oder 10 Ellen Lintberger oder 11 1/2 Ellen Reutlinger oder 19 Ellen Engelsait oder 16 1/2 Ellen Arles. Ist auch soviel. Nimm 13 Ellen gallischen Leinwat (= Leinwand) zu einem Futter oder aber 16 Ellen Schetter 5). Ist gleich soviel.
Einer Braut einen Schaubenrock zu machen, der glockenweit sein muss und der Unterstock 7 Viertel lang. Der Rock muss haben Flügel-Ärmel, und müssen solche Ärmel vom Hechselle (ächsele?) 8) an davornen hinaus 1 Elle weniger 1/2 Viertel lang sein un der Spitz von unten auf 6 Viertel lang. Nimm dazu 7 1/2 Ellen Lindisch Tuch oder 11 Ellen Lintberger oder 12 1/2 Ellen Reutlinger oder 20 Ellen Arles oder 13 Ellen Schetter. Ist auch recht.

Hernach folgt ein Zelt zu machen.
Willst du ein Zelt machen, so nimm den untern Mantel zum ersten. Der muss 3 1/2 Ellen hoch sein und die Weite unten und oben gleich 64 Ellen. Nimm 100, dazu 12 Ellen Zwilch.
Die Oberhöhe muss lang sein 3 Ellen. Nimm 16 1/2 Tüchlin Zwilch und schneid sie nach der Schlemin 9), so geent (= geben) sie dir in die Weite 66 Ellen. Du nest (= nähst) aber 2 Ellen ein, alsdann bleibt noch 64 Ellen. So hat es die rechte Weite auf den untern Mantel. Zu dem andern Stoss treffen die 16 1/2 Tüchlin 44 1/2 Ellen.
Zum obern Steisslin (= ?), welches muss 1 Viertel hoch sein, nimm 4 Ellen Zwilch, schneid solche in die Schleme 9), so geben sie dir in der Weite 64 Ellen. Es fehlt nit.
Wenn du sie blegen (= belegen ?) willst, so nimm dazu 4 Ellen Zwilch, teil es aus, so wird solches 1/2 Viertel hoch. Willst Du Zwilch aischen (= verlangen) zu diesem Zelt samt Zugehörd, wie sie jetzt beschrieben ist, so haisch in einer Summe 168 1/2 Ellen, So wird es 6 1/2 Ellen hoch und 64 Ellen weit.

Ein Finlein (= Fähnlein) zu machen.
Willst du ein Fähnlein machen, so mach es in der Höhe 5 Ellen und 1 Viertel und im Flug 6 Ellen und 1 Viertel. Nimm dazu 68 Ellen Statt-Zendel 10). So ist es gerecht.

Einen Hobelwagen (= bedeckten Wagen) zu überziehen.
Willst du einen Hobelwagen überziehen, derselbe muss 6 Ellen lang sein und der Bod (= Boden) 1 Elle und 1 1/2 Viertel hoch, mach den mittlen Aufschlag 1 Elle und 1 1/2 Viertel breit und das Überdächlein mitsamt den Knöpfen 1/2 Viertel lang. Nimm dazu 8 Ellen Linschtuch. Willst ihn füttern, so nimm 16 Ellen Galler Zwilch oder aber 20 Ellen Schetter. Ist auch soviel.

Folgt von Meistern.
Wenn ein Meister einem Kunden etwas von Seidenwerk macht, es wäre Samet, Damast, Kermansin 11), Attlas, Schamlott, Taffet oder was sonst von Seidenwerk ist, in ihren Häusern macht, so soll solcher Kunde dem Meister den Schnitt bezahlen, wie in andern Städten der Brauch ist. (auf dem Rand: Doch soll es in der Kunden Häusern bei dem gewöhnlichen Taglohn bleiben). Würde aber ein solcher Meister ein oder mehr Stück verwüsten und nicht recht machen, so kann der Kunde solche Arbeit vor die gemeine Zunft tragen. Wird alsdann einiger Unfleiss daran erkannt, so soll der Meister von der Zunft um seinen Unfleiss nach Gestalt der Sache gestraft werden und dazu dem Kunden um sein verderbt Gewand völligen Abtrag tun (= Ersatz leisten), damit er hernach desto besser für sich sehe und einem andern sein Ding desto fleissiger mache.
Es sind auch etliche Meister hier zu Reutlingen, welche nur halben Lohn von der Arbeit nehmen. Wenn man sie vor der Zunft strafen will, so sagen sie, es möchte einer gar umsonst schaffen. Aber warum einer solches tut, kann ein jeder Ringverständige (= von geringem Verstand) wohl ermessen, nämlich deswegen, um die Kunden an sich zu ziehen und andern Meistern, welche etwan viel (= ziemlich viel) kleine Kinder und einen grossen Hausbrauch (= Bedarf für den Haushalt) haben und deren Nahrung auf solchem Handwerk steht, das Brot, wie man sagt, aus dem Maul zu nehmen, oder auch deshalb, weil einer das Handwerk nicht so gut kann wie ein anderer Meister und solches tun muss, um auch Kunden zu bekommen, wie es denn die tägliche Erfahrung gibt, dass etwann (= einmal) den Bürgern ihre Ware von solchen Meistern verderbt wird, so dass sie solche mit grossem Schaden anders machen lassen müssen und also zweifach in Kosten kommen. Damit aber das gemeine Handwerk beieinander bleiben und sich erhalten möge, so wird der Rat gebeten, hierin ein günstig Einsehen zu haben. Dann ist es leichtlich zu bedenken, dass einer und besonders in diesen teuren Zeiten nicht vergebenlich (= umsonst) arbeiten kann, will er sein Weib und liebe Kinder, wie jeder christliche Hausvater vor Gott schuldig ist, erhalten und mit Ehren ernähren.

Von fremden Schneidern.
Wenn fremde Schneider in unsere Stadt oder die ihr zugehörigen Dörfer kämen und sich des Streens (auf dem Rand korrigiert: Sterens = Störens = nicht zünftig Arbeitens) behelfen wollten, so sollen sie aufgehebt (festgenommen) werden. Wenn ein Meister solche erfährt, soll er es von Stund an der Zunft anzeigen. Dann soll der fremde Meister von der Zunft zu Reutlingen um 10 ß Heller gestraft werden, wie man uns im Land (= Württemberg) auch tut. Es ist billig, dass eine Gleichheit gehalten werde.
Wenn einer fürstehen will, die Meisterstücke zu machen, so sollen ihrer 5 dabei sein, nämlich einer vom Rat und 4 Meister des Handwerks. Zwei sollen von den Zwölfen und die andern 2 von gemeiner Zunft sein. Diese 5 Mann sollen vorgeschriebene Ordnung vom 1. Artikel bis auf den letzten einem jeglichen widerfahren lassen, wie sich gebührt und recht ist.

Folgt Belohnung von schlechten (= einfachen) Gewanden zu machen wie von alters her.
Von schlechten Hosen und Wams: 7 ß
Von einem schlechten Rock mit einem Wilschle (= Wülstle): 5 Batzen
ohne ein Wilschle: 7 ß
Von einer abgeschnittenen gefütterten Jupp: 4 ß
Von einer einfachen Jupp: 3 ß
Von einem zwilchenen Paar Hosen: 9 Pfennig
Von einem lindischen wollenen Hemmet (= Hemd): 6 Kr.
Von einem schlechten wollenen Hemmet (= Hemd): 5 Kr.
Von einer Zipfelkapp mit Fyseir (= Visier): 3 ß
Von einem zwilchenen Leibrock gefüttert: 3 ß
Von einem langen Leibrock: 5 ß
Von einem barcheten Wams, die Ärmel davornen gesteppt: 5 1/2 ß
Von einem wollenen schlechten Paar Hosen: 3 ß
Von einem wollenen Wappenrock: 9 1/2 ß
Von einem engelsaitenen Mantel mit neun Tüchlin: 9 ß 2 Pfennig
Von einem engelsaitenen Rock mit einer Blegin (= Besatz): 5 ß
Von einem wollenen Oberrock, mit Samet verbrämt: 14 ß
Von einer wollenen hohen Schaube: 6 Batzen
Von einem wollenen Unterrock: 4 ß
Von einer weissen Barchat mit einer Blegin (= Besatz): 6 ß
Von einem burschaten Büblin 12), mit Samt verbrämt: 5 ß
Von einem barchatenen Büblin: 2 ß
Von einem schlechten Mannsleiblin (= Weste): 3 ß
Von einem lindischen Mannsrock: 11 ß
Von einem lindischen Paar Hosen mit einem Übergesäss (= Bedeckung des Gesässes): 5 ß
Zusatz: Zu diesen Kleidern allen soll der Faden von demjenigen, der es machen lässt, dazu gegeben werden.
Die Änderungen und Zusätze sind von anderer Hand geschrieben als der Text, nämlich von der des Stadtschreibers M. Benedict Gretzinger I., ebenso die folgenden Nachträge:
Belohnung der Schneider, wenn sie einem zu Hause arbeiten:
Einem Meister des Tags: 15 Pfennig
Einem Gesellen: 11 Pfennig
Einem jungen Schneider: 8 Pfennig
Einem Lehrknaben, der 1 Jahr gelernt hat: 1 Pfennig (?)
Einem Lehrknaben, der 1/2 Jahr gelernt hat: 6 Heller

Jeder soll im Sommer in des Kunden Haus gehen des Morgens um 5 Uhr und des Nachts bis 8 Uhr arbeiten, im Winter um 6 Uhr und des Nachts um 9 Uhr.
Confirmatum den 5. Juli anno (15)64.
Doch welche jetzt Meister auf dem Handwerk sind, die sollen dabei bleiben und die Meisterstücke zu machen nicht schuldig sein.

Archivaliensignatur
A 2 c (Zünfte) Nr. A 2 c (Zünfte) Nr. 3132
Umfang
22 S. Text
Formalbeschreibung
Beschreibstoff: Pap.; geheftet
Sonstige Erschließungsangaben
Bemerkungen: Auf der 1. S.: Taxa 5 1/2 Batzen
Rücken durch zwei Stücke einer latein. Pergament-Handschrift verstärkt in der Grösse von 11 : 7 1/2 und 1 1/2 : 7 1/2 cm
1) Fischer: Schw. WB: Wifling = grobes Gewebe, Zeug aus leinenem Zettel und wollenem Einschlag
2) Fischer: Schw. WB: Engelsait = Wollstoff von geringer Breite und geringem Wert, vom Weber hergestellt
3) Fischer: Schw. WB: Schamlott = Kamelot, ein wertvolles Gewebe, ursprünglich aus Kamelshaar, dann aus Wolle und Seide
4) Fischer: Schw. WB: Arles, aus Arles in Südfrankreich stammender Wollstoff
5) Fischer: Schw. WB: Schätter, gewobener Stoff
6) Fischer: Schw. WB: Stoss = weiter Überschlag am Ärmel
7) Fischer: Schw. WB: Machaier = grobes Wollenzeug
8) Fischer: Schw. WB: Hächsle = Kniebug. Ist hier vielleicht Achsel gemeint?
9) Fischer: Schw. WB: Schlimme = schiefe, diagonale Richtung
10) Fischer: Schw. WB: Zindel = leichter Seidenstoff; Statt vielleicht = Pracht, vgl. stattlich und Staat machen mit etwas
11) Fischer: Schw. WB: Kramasin, Karmasin = Karmoisinrot
12) Fischer: Schw. WB: Büblin = Jacke

Genetisches Stadium: Or.

Kontext
Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 8-11 u. 18) >> Bd. 9 Zünfte Schneider
Bestand
A 2 c (Zünfte) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 8-11 u. 18)

Laufzeit
1564 Juli 5

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Letzte Aktualisierung
20.03.2025, 11:14 MEZ

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Objekttyp

  • Archivale

Entstanden

  • 1564 Juli 5

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