Bestand
Kirchen-, Grabstätten- und Vormundamt (Bestand)
In der Verwaltung der Reichsstadt erfolgte im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts eine einschneidende Neuerung, die so bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fortbestand: Die Einrichtung der drei Oberbehörden Landpflegamt, Kriegsamt und Vormundamt/Scholarchat (mit Kirchenamt). Für das Stiftungswesen und den kirchlichen Bereich fungierte als Oberbehörde das Vormundamt. Spätestens seit 1399 amtierte eine Ratsdeputation von zwei Obersten Vormündern nach einer eigenen Vormundschaftsordnung. In der Nürnberger Rechtsreformation von 1479/84 befassten sich dann nicht weniger als 19 Gesetze mit dem Vormundschaftswesen, zu dem auch die ordnungsgemäße Testamentsvollstreckung gehörte. Die Vormundherren waren daneben auch als Schiedsgerichtsinstanz tätig. Im Jahr 1507 richtete der Rat schließlich das Vormundamt als förmliche Behörde für Vormundschafts- und Nachlassangelegenheiten ein. Wenn in Nürnberg z.B. unmündigen Kindern ein Vormund gesetzt wurde, so bestand die Vormundschaft bei Knaben bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, bei Mädchen bis zum zwölften Lebensjahr. Danach fungierten die ehemaligen Vormünder als 'Curatores' oder 'Versorger', bis die Pflegekinder das 18. Lebensjahr vollendet hatten.
Ein nicht nur in Nürnberg typisches Phänomen war die Verschränkung verschiedener ämter und Positionen. So war um 1515 der Vormundherr Lazarus Holzschuher außerdem ein Schöffe am Stadtgericht, der Kirchenmeister von St. Sebald (einer der beiden Nürnberger Stadtpfarreien), einer von drei Verwaltern des Großen Almosens und einer der drei Verwalter der Seelbücher. Letzteres Amt betraf die Vielzahl aller Stiftungen zum Totengedenken (häufig gepaart mit Wohltätigkeitsbestimmungen), die oft auch`amtliche Gremien' verwalteten, also z.B. Lazarus Holzschuher selbst als Kirchenmeister von St. Sebald. Zwischen 1511 und 1515 wurde eine Totalrevision aller dieser potentiell für die Ewigkeit bestimmten Stiftungen, d.h. der Priesterpfründen, Jahrtagsstiftungen, Ewiglichter u.a.m. sowie der Wohltätigkeitsstiftungen vorgenommen. Welche Dimensionen diese Stiftungen des 14. und 15. Jahrhunderts angenommen hatten, veranschaulicht die enorm hohe Zahl von 40 `Seelbüchern' mit wohl insgesamtüber 20.000 Seiten, die bei dieser Aktion entstanden. Die Stiftungen mussten zudem mit ausreichend Kapital ausgestattet sein, etwa in Form von reichsstädtischen Schuldverschreibungen oder Einnahmen aus der Grundherrschaft. Dieses Kapital musste selbstverständlich auch verwaltet werden, und nicht nur die ordnungsgemäße Ausführung der Stiftung. Bedenkt man die Vielzahl der Jahrtage mit zahlreichen Einzelbestimmungen, dann war es in der reichsstädtischen Gesellschaft zu Anfang des 16. Jahrhunderts allein schon eine enorme logistische Aufgabe, die Stiftungen zu verwalten und ihre Ausführung korrekt zu organisieren.
Grundlegend war in Nürnberg vor der Reformation die flächendeckende und strenge Aufsicht des Rats über alle Stiftungen und Pfründeninhaber, und zwar nicht nur bei den Pfarrkirchen, sondern auch bei allen Kapellen, Klöstern und Spitälern. Nicht die jeweiligen geistlichen Institutionen oder der zuständige Bischof hatten in der Reichsstadt Nürnberg vor der Reformation die Aufsicht inne, sondern der Innere Rat über seine Deputierten, die Vormundherren.
Umfangreichen Niederschlag dieser Tätigkeit findet man in den Gerichtsbüchern (siehe Bestand B 14). Spätestens seit der Mitte des 16. Jh. leitete der oberste Kirchenpfleger das Vormundamt, das seinen Sitz im ehem. Augustinerkloster hatte. Zur Zuständigkeit des Vormundamts gehörte spätestens seit dem 18. Jh. die Zensur über Buchdrucker und Buchhandel. Im Jahr 1806 wurde es mit dem Kirchenamt unter der Bezeichnung Kgl. Kirchen- und Vormundamt zusammengelegt. Das Vormundamt spielte während des 18. Jh. eine fatale Rolle, da es die für Mündel und von Stiftungen angelegten Gelder dazu missbrauchte, den drohenden Staatsbankrott aufzuhalten; die bayerische Finanzverwaltung konnte diesen Schaden z.T. wieder auffangen. Gleichsam eine Unterbehörde des Vormundamts, bei dem Testamente hinterlegt wurden, war das Testaments-Taxamt, das bei der Eröffnung von Testamenten eine besondere Gebühr einhob.
- Reference number of holding
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B 5
- Context
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Stadtarchiv Nürnberg (Archivtektonik) >> Stadtarchiv Nürnberg >> Bestandsgruppe B: Amtliche Provenienzen der reichsstädtischen Zeit >> B 5 - Kirchen, Grabstätten- und Vormundamt
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05.06.2025, 11:18 AM CEST
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- Bestand