Bestand

400,1/Westermann-Sammlung (Bestand)

Verwaltungsgeschichte/biografische Angaben:

Form und Inhalt: Vorwort zum Bestand 400,1/Westermann-Sammlung


Biografie

Hermann Friedrich Otto Westermann (geb. 15. März 1840, gest. 6. November 1895) war Sohn des Unternehmers Carl Friedrich Westermann und seiner Frau Marie Theresia Josefine geb. Berthel (geb. 1811, gest. 3. Juli 1889). Am 5. März 1885 heiratete Otto Westermann in Hannover die aus Lübeck stammende Agnes geb. Walte (geb. 15. Mai 1859, gest. März 1936) mit der er zwei Kinder hatte: Am 21. Januar 1886 wurde Emilie Dorette Eligia geboren. Das zweite Kind verstarb bereits zehn Tage nach der Geburt (1887) und hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen urkundlich belegten Vornamen bekommen.

Otto Westermann soll bereits zuvor mit Bertha geb. Hartenfels verheiratet gewesen sein. Aus dieser Ehe soll am 6. August 1877 die Tochter Josephine Christine Clara Westermann hervor gegangen sein. Es ist davon auszugehen, dass Bertha Hartenfels zwischen der Geburt der gemeinsamen Tochter und 1885 verstorben ist, denn bereits im März 1885 heiratetet Otto erneut. Da in Bielefeld keine Sterbeurkunde für Bertha Hartenfels vorhanden ist, ist davon auszugehen, dass sie außerhalb verstorben ist. In der Einwohnermeldekartei zur Familie Otto Westermann - erstellt um 1890 - wird Westermanns erstes Kind Clara nicht mehr aufgeführt. Laut einem Vermerk auf der Geburtsurkunde lebte Josephine Christine Clara Westermann jedoch noch bis 1951, wo sie in Köppern im Taunus verstarb.

Otto Westermann verstarb am 6. November 1895 und hinterließ seine Frau Agnes und die Tochter Elly. Beide hielt es nach dem Tod des Vaters und Ehemanns nicht mehr in Bielefeld. So wird im Februar 1909 in Berlin die Verlobung von Elly Westermann mit dem Kaiserlichen Bankbuchhalter Hans Höse angezeigt. Zu diesem Zeitpunkt waren beide schon nicht mehr in Bielefeld gemeldet. Agnes Westermann ist im März 1936 in Falkenberg i.d. Mark verstorben, wo sie zumindest ihre letzten Lebensjahre verbracht hat.

Firmengeschichte

Bereits 1776 gründete Anton Henry Christoph Westermann (*1752) - der Urgroßvater von Otto Westermann - auf dem Grundstück der Familie, dem sogenannten Eichhof - Ehlentruper Weg 68 (später 81-83), eine Leinen- und Tischzeugfabrik mit dem einfachen Namen "A.H.C. Westermann". Damit handelte es sich um die wohl älteste Leinen- und Damastfabrik Bielefelds. Als er sie 1820 seinem Sohn Carl Friedrich Westermann übergab, wurde sie in "A.H.C. Westermann Söhne" umbenannt.
Aufgrund großer Beliebtheit der hergestellten Fabrikate, und um Verkehrswege zu Kunden möglichst klein zu halten, unterhielt das Unternehmen zwischen 1830 und 1842 Niederlassungen in Aachen und Köln. Firmengründer Anton Westermann selbst bewarb sein Unternehmen mit den Worten: "Heraldische Kunstgewebe jeder Art bilden seit Langem eine Spezialität unserer Firma und sind in unserer Fabrik bereits an 1000 Familienwappen zur Ausführung gelangt."
1874 übernahm Otto Westermann die Leinenfabrik und führte diese bis zu seinem Tod 1895. Während sich das Unternehmen unter seinem Vater ausschließlich auf Leinen- und Tischzeug beschränkte, fügte Otto Westermann die Produktion von Ausstattungen hinzu. Über Jahrzehnte belieferte Westermann Höfe und Adelsfamilien. So trug das Unternehmen zum Beispiel zur Aussteuer Prinzessin Charlottes von Preußen bei, indem es - zum Stolz der Stadt Bielefeld - sämtliches Bettzeug, bestickt mit Wappen und Initialen des Paares, für den neu zu gründenden Hofhalt der Braut lieferte.
Für seine Dienste am rumänischen Königshaus verlieh König Karl von Rumänien Otto Westermann 1893 das Ritterkreuz.
Von der zunehmenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unbeeindruckt, stellte das Familienunternehmen den Großteil seiner Fabrikate fortwährend durch Handweber her, wodurch die hergestellten Fabrikate weiterhin an Exklusivität gewinnen konnten.
Nach Ottos Tod wurde seine Witwe Agnes Inhaberin des Unternehmens. Zusammen mit Georg Lerch leitete sie die Geschäfte bis zum 1. April 1916. Georg Lerch blieb bis zu seinem Tod 1925 im Unternehmen. Alsdann wurde die Firma an seinen Sohn Kurt Lerch übergeben.
In den 1950er Jahren versuchte sich Lerch an einem eigenen Unternehmen. Am 1. April 1950 eröffnete er die Firma Lerch & Sohn (Ehlentruper Weg 83), welche sich allein auf die Fabrikation von Bettwäsche spezialisiert hatte. Bereits im April 1961 wurde die Firma wieder aufgegeben. Die seit den 1930er Jahren als Wäschefabrik geführte "A.H.C. Westermann Söhne" bestand dagegen noch bis 1997. Ab 1972 - nach dem Tod Kurt Lerchs - wurde sie von Irmgard Lerch weitergeführt, bis sie 1993 verstarb. In den Jahren bis 1997 ist die Firma weiterhin im Adressbuch nachweisbar, jedoch ohne genannten Inhaber. Aus den Branchenbüchern lässt sich schließen, dass 1997 - das nunmehr 221 Jahre alte Unternehmen - aufgegeben wurde.
Heute befinden sich auf den ehemaligen Firmengelände Ehlentruper Weg 81 - 83 Wohn- und Geschäftshäuser.

Sammeltätigkeit

Otto Westermann war Kaufmann und Unternehmer - im Herzen war er jedoch Sammler. Das Sammeln war eine familiäre Leidenschaft. Bereits sein Vater, Carl Friedrich Westermann, Ehrenmitglied in der Numismatischen Gesellschaft in Berlin, war ein eifriger Münzsammler. Eine Leidenschaft, die er auch an seinen Sohn Otto weitergab. Auch der Schiegervater Ottos, Heinrich Walte, war Herausgeber des "Numismatisch-Sphragistischen Anzeigers. So zieht sich diese gemeinsame Leidenschaft durch beide Familienzweige und es scheint nicht verwunderlich, dass sie ihre Tochter Eligia nannten, die weibliche Variante des Vornamens Eligius, dem Schutzpatron der Numismatiker.

Das Sammeln und Erforschen von Münzen sollte - hier unterscheiden sich Vater und Sohn - nicht Otto Westermanns einziges Steckenpferd bleiben. Als Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, sowie als Ehrenmitglied des Herforder Vereins für Altertümer und ein städtische Museum begann Otto 1870 "[…] mit großer Umsicht und zähester Ausdauer historische Merkwürdigkeiten des Ravensburger Landes in überraschender Fülle [...]" zusammen zu tragen. Kurt Lerch, späterer Eigentümer der Firma A.H.C. Westermann, schrieb: "Für seine verschiedenen Interessen auf dem Gebiete der Sammeltätigkeit […] verwendete er einen beachtlichen Teil seines nicht geringen Vermögens aus seiner Erbschaft von seinem Vater. Nach Rückkehr von Geschäftsreisen schloss sich O.W. 5 - 6 Tage ein, um seine Sammelergebnisse auf den versch. Gebieten zu ordnen, ehe er überhaupt mit seinem Teilhaber auf geschäftliche Dinge zu sprechen kam."

Nach Lerchs Auffassung war Otto Westermann ein Mensch, der zur Extraversion neigte. So warf er, wenn geschäftliche Verhandlungen nicht nach seinem Geschmack verliefen, kaufmännische Gepflogenheiten schon einmal über Bord und konnte grob - mit Lerchs Worten sogar brutal -werden, ohne Rücksicht auf geschäftliche Misserfolge.

1890 wurde Ottos Frau Agnes vom damaligen Schützenkönig August Schulz zur Schützenkönigin der Bielefelder Schützengesellschaft erkoren. Auch wenn sie zum Zeitpunkt ihres Todes 1936 schon viele Jahre nicht mehr in Bielefeld lebte, so war der Stadt dieses Ereignis noch gut in Erinnerung. Die Westfälische Zeitung schrieb am 5. März 1936 in einem Nachruf: Agnes Westermann "durfte sich wegen ihres freundlichen Wesens größter Beliebtheit erfreuen. Ihr Gatte stiftete der Schützengesellschaft für die jeweilige Schützenkönigin ein wertvolles Diadem und außerdem für die Kette des Schützenkönigs und der übrigen Würdenträger des Hofes sechs silberne Medaillen." Zur bleibenden Erinnerung dieses Ereignisses bei der Bielefelder Bevölkerung mag auch beigetragen haben, dass sich Otto Westermann am Tag des Umzuges auf seinen Balkon am Alten Markt begeben und von hier aus "Geld mit vollen Händen in die Volksmenge geworfen" haben soll. Die Kosten dieses Thronjahres sollen, glaubt man Kurt Lerch, außergewöhnlich hoch gewesen sein.

So ausschweifend seine Person im Einzelfall gewesen sein mag, so akribisch sammelte und sortierte er alles Gedruckte, Geschriebene und Fotografierte, was sich auf die Stadt Bielefeld, die Bielefelder Bürger und das Leben in der Stadt und auch im Umland bezog. Es finden sich in der Sammlung nicht nur die Themen aus der Tagespresse, Anzeigen über Bielefelder Persönlichkeiten oder ein Sammelsurium aus der Ravensberger Geschichte, sondern auch der erste Fahrschein der elektrischen Straßenbahn, Speisekarten der Festessen in der Eintracht, Eintrittskarten jährlicher Schützenfeste - alles, was die Lebenswirklichkeit der Bielefelder Bevölkerung darstellte.

Über seine persönlichen Vorlieben hinaus schuf er somit eine lebensnahe Chronik der Stadt Bielefeld, die bis zum heutigen Tag für die Kultur-, Lokal- und Regionalgeschichte eine wichtige Quelle und oftmals den Einstieg in die Forschung darstellt.


Bestandsgeschichte

Nach dem Tod Otto Westermanns im Jahr 1895 ging die Sammlung in den Besitz des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg über. Aber erst 1908 erklärte sich die Witwe Agnes Westermann auf Anfrage von Vereinsmitglied Theodor Daurs damit einverstanden, dem Verein die Eigentumsrechte zu übergeben. Da der Historische Verein seine Bestände seit 1895 durch Schenkung in städtischen Besitz überstellte, ging die nunmehr sogenannte "Westermann-Sammlung" ebenfalls in städtisches Eigentum über.
Zum damaligen Zeitpunkt umfasste die Sammlung 16 Bände und etwa 80 Sammelhefte mit Zeitungsausschnitten, Fotografien und Zeichnungen, Briefen, familienkundlichen Dokumenten, Visitenkarten und anderen persönlichen Unterlagen.
Nach der Übergabe der Sammlung an den Historischen Verein sorgten zunächst ehrenamtliche Mitarbeiter, danach das Personal des Stadtarchivs für ein Fortbestehen und Wachsen der Sammlung, so dass sie bis zum Zweiten Weltkrieg auf 80 Bände anwuchs, in denen die Geschichte der Stadt und des Kreises Bielefeld bis 1945 festgehalten ist. In der direkten Nachkriegszeit wurden weitere 40 Bände angelegt - auch im nachdrücklichen Bemühen eine immer schnelllebigere Zeit für nachfolgende Generationen dauerhaft festzuhalten. Im Jahr 2016 umfasst die Sammlung nunmehr fast 400 Bände.

Seit 1995 wird die Westermann-Sammlung in elektronischer Form durch das Stadtarchiv Bielefeld fortgeführt und ist für Recherchen vieler Art durch Archivbesucherinnen und -besucher nutzbar.


Hinweise zur Benutzung

- Archivalienbestellungen: 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. #
- Zitation: Stadtarchiv Bielefeld oder StArchBI, Best.400,1/Westermann-Sammlung, Nr. #


Quellen:
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,1/Ordnungsamt, Nr. 1183
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.20/Personenstandsregister, 100-1877, -1886, -1887
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.20/Personenstandsregister, 300-1887, -1889, -1897
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 58
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 19, Bll. 309-322


Literatur:

- Adressbücher der Stadt Bielefeld
- Tümpel, Hermann, Anhang zum Bericht des Vorstands, in: 22. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1908), S. IIX-XIV
- Wagner, Bernd J., Was jetzt verloren geht ist unersetzlich - Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek zwischen bürgerschaftlichen und kommunalen Engagement, in: Ravensberger Blätter 1998, Heft 1, S. 4-13


M. Weyers, Fachangestellte
Bielefeld, Dezember 2016

Bestandssignatur
400,001/Westerm.-Samml.

Kontext
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Letzte Aktualisierung
06.03.2025, 18:28 MEZ

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