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Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen
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33
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Zu Schillers Geburtstag
Weimarische Zeitung, Nr. 92, 19.11.1853, S. 895f.: „Die Vorstellung des Fiesko auf unserer Bühne war musterhaft; wir erinnern uns nicht, seit längerer Zeit auf irgend einer größeren Bühne ein so abgerundetes Ensemble gesehen zu haben, wenngleich diese doch bedeutendere Künstlerindidvidualitäten aufzuzeigen haben. Hier war Zusammenhang des Ganzen, rasches Eingreifen, Einheit des Tons, der Bewegungen. Von allen Seiten gab sich ein so respectabler Wille kund, daß wir es gern anerkennen, welch guter Geist über den dramatischen Darstellungen unseres Theaters schwebt. An der Vorführung des Fiesko erkannten wir, wie ein tüchtiges Ensemble allein uns mit den Intentionen des Dichters bekannt macht, uns seinen Geist und seine Seele erschließt; […] Die Darsteller schienen das Publicum durchaus zu befriedigen, was wir vom theatralischen Standpunkte gern unterschreiben, denn, Sicherheit, Routine, ein straffes Handhaben der Handlung sind hinreichend, die Masse für sich zu bestimmen. Wollen wir aber künstlerische Anforderungen geltend machen, so müssen wir auch aus dem Einzelnen ein geistiges Berufensein hervorleuchten sehen. […] Herr Grans Fiesko. […] Herr Grans versteht zu reflectiren, daher gelangen ihm die Scenen der Reflexion vorzüglich, und ist er in seiner äußeren Erscheinung auch nicht der genuesische Alcibiades voll stolzen Anstandes und freundlicher Majestät, so bringt er wiederum durch eine zierliche Haltung, eine angenehme Leichtigkeit, Ungezwungenheit und - Libertinage die von Fiesko nicht zu trennen ist – seiner Rolle zur Anschauung. Dies waren die Hauptvorzüge in seiner Darstellung. Da ihm die Intensität der Leidenschaft fehlt, verstand er es auch nicht die politische Größe, die Aeußerung des Ernstes und der Kraft wieder zugeben; eine übermäßige Anstrengung that sich bei jedem wichtigen Ausbruch hervor, eine Leidenschaft, die nach Außen heraus arbeitet, aber nicht Resultat eines innern Erregtseins ist. Die Scene mit der Leonore hatte zu wenig Innigkeit des Gefühls, und da, wo er über der Leiche seiner gemordeten Gattin in Jammer und Verwünschung ausbricht, hatten wir keine Gemüthserschütterung zu erleiden, in der Besorgniß schwebend, es könne dem einsichtsvollen Darsteller die Stimmer versagen. Unerachtet dessen aber war der Fiesko des Herrn Grans eine fleißige Leistung, und besitzt er auch nicht natürliche Lebendigkeit und Schwungkraft der Phantasie, so wußte er seine Aufgabe doch zum allgemeinen Verständniß gelangen zu lassen. Dem Fiesko gegenüber steht der düstere Republikaner Verina. Herrn Genasts Bedeutsamkeit steht in Weimar fest, wir dürfen also sagen, daß allen seinen ernsten Darstellungen Natur und psychologische Wahrheit abgeht. Der Ton des Ausdrucks, die ganze Haltung haben eine gewisse bombastische Manier, ein manierirtes Pathos, das in die Epoche der Gottschedzeit hinein zu gehören scheint. Leicht möglich, daß eine angenommene derbe Biederkeit, die durch einen sich nie verleugnenden Dialect marquirt zum Vorschein kommt, die Schuld hiervon trägt. In dieser Weise sahen wir den Verina von ihm gespielt, nirgend die Anlage von der Römergröße des Republikaners sichtbar, der hart wie Stahl, ein unbeweglicher Charakter; alles theatralisch richtig, doch künstlerisch unwahr, weil es nicht natürlich empfunden. Der Mohr Muley Hassan. Es soll Herrn Jaffee das Lob des Fleißes, der strengen Genauigkeit, womit er diese Rolle gespielt, nicht geschmälert werden, aber der Character ist von so großer Bedeutung, daß es des Aplombs eines Künstlers ersten Ranges bedarf, um die nationalcharakteristische Färbung des Mohren in seiner poetischen Stärke hervorzuheben. Herr Jaffee ist ein exacter, gebildeter Schauspieler, der stets ein zuverlässiger Darsteller zweiten Ranges sein wird, ohne die geniale Befähigung in sich zu tragen, ausschließliche einen ersten Platz bekleiden zu können; wir halten ihn für zu gescheut, um zu befürchten, er überschätze sein Talent, deßhalb wird er uns also nicht der Härte zeihen, wenn wir es aussprechen: die Leistung seines Mohren reicht nicht über das Niveau der Mittelmäßigkeit hinaus. Ohne die Farbe und das Costüm des Mohren hätten wir nicht das afrikanische Geblüt heraus gefunden. Die Schärfe war nicht bestialisch, die Ironie nicht feuersprühend, die Beweglichkeit nicht die einer Schlange, die uns jeden Augenblick zu umwinden strebt. Weil uns nichts Fremdartiges, Ungewöhnliches entgegen trat, glaubten wir eine moderne Lustspielfigur vor uns zu sehen, die uns in ausländischer Tracht, gebräuntem Teint und möglichster Zungenfertigkeit zum Lachen reizen wollte. Den lockern ärgerlichen Gesellen Gianettino gab Herr Pätsch, als ob er Mißbehagen über sich selbst empfände, und sein Oheim, der alte würdige Doria, fand in Herrn Winterberger wohl eine antike Größe in der äußeren Erscheinung, allein die geschichtliche Größe des ausgezeichneten Menschen und Helden wurde nicht veranschaulicht, wenngleich wir Herrn Winterberger noch nie so wirksam aus sich herausgehen sahen, als bei seinem ersten Auftreten dem Gianettino gegenüber. Von den Verschworenen heben wir Herrn Siedler hervor, welcher der Absicht des Dichters nicht entsprach, der in Burgognino einen edlen, stolzen, natürlichen Jüngling geschildert. Herr Siedler war wohl edel, aber nicht stolz, den Stolz hob er als Trotz hervor und durch die Rapidität seiner Bewegungen und Sprachmanier ging der Ton der Natürlichkeit verloren. Die übrigen Darsteller leisteten, ihren Fähigkeiten gemäß, Exactes, und besonderes Lob verdienten die genuesischen Handwerker, denen man auch aufrichtig applaudirte. Frau Don-Lebrün, Gräfin Imperiali, zog sich mit theatralischer Geschicklichkeit aus der Affaire, doch können wir nicht leugnen, daß diese Leistung eine schwache war. Ihr fehlte die Moquanterie des Charakters, des Ausdrucks, die kokettirende Gebehrde; selbst das Liebesgeständniß dem Fiesko gegenüber war so deutsch-sentimental, daß wir die buhlerische Intalienerin durchaus vermißten. Die schwierige Aufgabe der Bertha war Frau Hettstedt zuertheilt. Derartigen Gebilden, denen ein tragisches Motiv unterliegt, ist die sonst brave Künstlerin nicht gewachsen und wiederum stellte sich der Mangel einer jugendlichen Liebhaberin heraus. Die zärtlich feine, empfindsame Leonore mit ihrer mädchenhaften Schwärmerei und Sentimentalität wurde von Frl. Döllinger mit vielem Eifer und gutem Erfolg gespielt. Die kräftige Jugendfrische der äußeren Erscheinung war freilich der Rolle nicht angemessen, selbst der volle Ton der Stimme verhinderte es, jenen Ausdruck der Melancholie zu versinnlichen, der sich durch Blick und Miene gleich gemüthergreifend aussprechen soll. Dessen unerachtet aber leistete die junge Dame das Möglichste, in einzelnen Theilen zeigte sich sogar ein gewisses Verständniß, z. B. in der Scene mit Kalkagno; ihr Gegenüberstehen mit Fiesco, wo sie die Wehmut ihres Herzens ausspricht, war recht gelungen, selbst der vierte Act hatte manchen Moment der Wahrheit, wohingegen der Schluß wieder an jener unnatürlichen Sprachweise laborirte, die ihr angelernt zu sein scheint, wenn anders wir nicht glauben sollen, daß ihr Natürlichkeit überhaupt fehlte. Das Endurtheil unseres Referats würde also dahin lauten, daß die Vorstellung des Fiesko eine durchaus treffliche war, weil das Zusammenwirken des Einzelnen erst Klarheit, Sinn und Zusammenhang gewann durch die Anordnung des Ganzen, das wegen seiner innern Harmonie einen so entschieden befriedigenden Eindruck hervorrief.“
- Creator
- Published
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1853-11-11
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urn:nbn:de:urmel-f708fcc1-a44b-4a86-a124-b0fd9bf126c85-00044761-12
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21.04.2023, 10:52 AM CEST
Data provider
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Theaterzettel ; Text
Associated
Time of origin
- 1853-11-11