Bestand
Marienstiftung („Erziehungs-Anstalt für weibliche Dienstboten“) (Bestand)
Geschichte des Bestandsbildners:
Der seit 1825 an der Marktkirche amtierende Pastor Hermann Wilhelm
Bödeker (1799-1875) war einer der populärsten Seelsorger, Prediger und
Wohltäter der Stadt Hannover. In seiner Wirkenszeit als Pastor bis
1874 gründete er viele sozial-karitative Stiftungen und Vereine,
darunter die Marienstiftung, über deren Gründung auch in der
Nürnberger Zeitung vom 19. Juli 1843 zu lesen war: „In Hannover hat
der Pastor Bödeker eine recht zeitgemäße Anstalt errichtet, die für
viele Familien segensreich werden kann. Die allgemeine Klage, daß man
selten ein tüchtiges und brauchbares Dienstmädchen erhalte, war Grund
genug, eine Anstalt zu errichten, in welcher dergleichen Mädchen aus
den niederen Volksklassen in jeder Weise ausgebildet werden. Die
Kronprinzessin hat das Protectorat übernommen, und die Anstalt führt
den Namen ‚Marienstiftung‘.“
Man sollte allerdings davon
ausgehen, dass Bödeker bei dieser Gründung eher das Wohl der Mädchen
im Sinne hatte als das von ihren möglichen Arbeitgebern. Denn über
seine Motive zur Bildung einer solchen „Erziehungs-Anstalt für
weibliche Dienstboten“ soll er am 20. Februar 1843 auf einem Festmahl
zu Ehren der Vermählung von Kronprinz Georg und Prinzessin Marie von
Altenburg das Folgende gesagt haben: „Die konfirmierten Töchter aus
den niedrigen Ständen unserer Stadt sind sehr unerfahren in allem, was
zu einem tüchtigen Dienstmädchen gehört. Der größten Mehrzahl nach
verstehen Sie weder ein Gemüse, noch ein Zimmer, noch sich selbst
gründlich zu reinigen, wissen nicht einmal die einfachsten
bürgerlichen Speisen zu bereiten, können weder waschen noch kochen,
noch plätten, noch nähen, noch stopfen, noch einen Tisch decken, noch
ein kleines Kind verständig ankleiden, beschäftigen und warten.
Versucht es jemand mit einem solchen Mädchen, so wird dasselbe bald
als gänzlich unbrauchbar entlassen. Nach mehrfachen Versuchen, Mägde
zu werden, kehren sie in das elterliche Haus zurück, nehmen entweder
Aufwartungen an und erwerben nebenbei einige Groschen durch Stricken,
oder aber sie werden Fabrikarbeiterinnen. Das eine, wie das andere
entfremdet die Mädchen ihrem eigentlichen Berufe und entsittlicht sie
meistens binnen wenig Jahren. Früher oder später werden sie
Bewohnerinnen der Bordelle, eine Plage der Polizei und des
Gemeinwesens.“
Dieser Entsittlichung sollte die
Marienstiftung entgegenwirken, deren Zweck es daher war, „confirmierte
Töchter aus der Stadt Hannover und deren Vorstädten zu guten Mägden
bilden zu helfen“ – so steht es in den Statuten vom Dezember 1851. Die
Stiftung suchte diesen Zweck zu erreichen, indem sie „entweder a. für
Unterbringung der bezeichneten Mädchen in guten Familien sorgt, oder
b. solche Mädchen während eines Theils des Tages in weiblichen
Arbeiten übt, oder c. dieselben in das Stiftungshaus aufnimmt und
ihnen neben Anleitung zur Magdarbeit auch Wohnung und Kost gegen
mäßige oder ohne alle Vergütung gewährt.“
Geschichte des Bestandsbildners:
Im Stiftungshaus in der Kronenstraße – eine Schenkung der Witwe
Gerlach vom Oktober 1851 – konnten jährlich zehn bis zwölf
„Marienmädchen“ unterkommen und dort erzogen und unterhalten werden,
ohne dass Schulden gemacht werden mussten (Stand: August 1875).
Die Stiftung finanzierte sich durch jährliche Sammlungen und aus
dem Ertrag des angesammelten Vermögens. Die Rechnungsführung übernahm
dabei eines der Vorstandsmitglieder.
Dieser
Stiftungsvorstand bestand statutengemäß aus insgesamt vier Personen,
die aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden wählten. 1852 erhielt die
Stiftung die Rechte einer juristischen Person und war somit als
rechtsfähige Stiftung anerkannt.
Zudem gab es 1890
Bestrebungen, sich der Diakonie anzuschließen, die aber letztlich wohl
nicht umgesetzt worden sind.
Weiteres ist über die
Marienstiftung, die immer wieder auch Marienstift genannt wird, nicht
bekannt. Es könnte aber sein, dass sie nach der Geldentwertung 1923
ihren Zweck nicht mehr erfüllen konnte und danach aufgelöst
wurde.
Bestandsgeschichte: Da hier
keine Informationen vorliegen, kann über den Bestand nur folgendes
vermutet werden: Bei den vorliegenden Schriftstücken handelt es sich
um die Handakten des letzten hier bekannten Vorsitzenden der
Marienstiftung, Eberhard Waitz, Pastor und Superintendent an der
Marktkirche Hannover von 1884 bis 1924. Dieser hatte die Akten nach
seinem Ruhestand dort belassen. Bei der Nachordnung des Archives der
Markt-Kirchengemeinde 1986 und 1987 sind sie dann „entdeckt“ und dem
Bestand „Marktkirche“ zusammen mit den dort schon als „R.M.2“
verzeichneten „Rechnungen und Rechnungssachen 1874-1919“ entnommen und
zum neuen Bestand „Marienstiftung“ formiert worden. Dieser Bestand „H
2“ ist dabei alles andere als vollständig, immerhin erlaubt er aber
einen kleinen Einblick in eine Stiftung, die sich Bildung und
Ausbildung unterprivilegierter Frauen zum Ziel gesetzt hatte.
Allerdings finden sich keine Belege über die Umsetzung des
Stiftungszweckes in der Alltagsarbeit.
- Reference number of holding
-
H 2
- Extent
-
0,1 lfd. M.
- Context
-
Landeskirchliches Archiv Hannover (Archivtektonik) >> Gliederung >> Landeskirchliches Archiv >> H - Kirchen und kirchliche Einrichtungen in der Stadt Hannover (Stadtkirchenarchiv)
- Date of creation of holding
-
1843-1924
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
01.04.2025, 1:47 PM CEST
Data provider
Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Time of origin
- 1843-1924