Bild

Ansprache Friedrichs des Großen an seine Generale vor der Schlacht bei Leuthen 1757. Unvollendet

Mehr und mehr sucht Menzel in seinen Geschichtsbildern die Verflechtung des Historischen mit dem banal Alltäglichen, des Unvergeßlichen mit dem Flüchtigen. An dem Zusammenstoß beider läßt er schließlich die traditionelle große Form des Historienbildes zerbrechen: Das größte seiner Bilder, das auch von dem französischen Kollegen Meissonier bewundert wird, bleibt unvollendet stehen. Dargestellt ist das Vorspiel zu einem höchst riskanten Entscheidungsgefecht im zweiten Jahr des Siebenjährigen Krieges, das leicht zum Waterloo hätte werden können. Es ging um Gewinn oder Verlust der Provinz Schlesien, die österreichischen Truppen waren an Zahl dreifach überlegen. In einer Mahnrede an seine Generale warb Friedrich um ihr Mitwirken, ohne ihnen das hohe Risiko zu verschweigen. »Es gilt hier«, nahm sich Menzel vor, »einen moralischen Eindruck zu malen« (Brief an A. Schöll vom 1.7.1859, in: Adolph Menzel, Briefe, Bd. 2, Berlin 2009, S. 519). Solche Psychologie im Monumentalformat bedeutet zweifellos eine Herausforderung an die Gesetze der Historienmalerei. Die Landschaft, die als erstes gemalt wurde, ist mehr als nur Hintergrund, sie ist gleichberechtigter Partner der Figuren. Man blickt auf schmutzigen, zertretenen Schnee und Frühnebel, darin das labyrinthische Gezweig einer kahlen Birke. Viel leichtes, bläuliches Grau, Dunst, in dem sich ferne Gestalten auflösen, viel Weiß, aber auch Nachtblau – eine einzigartige malerische Hervorbringung vor den entsprechenden Werken etwa von Monet. Offiziere, geneigt, gebeugt, zurückgewandt, in Stellungen voller Kontraste und Unruhe. Man beobachtet sie von oben, wie in einer Senke, in der sie sich spontan und ohne Rücksicht auf Ordnung zusammengefunden haben. Besonders zwei rauhbeinige Herren in massigen Mänteln – der Kürassiergeneral Lentulus und Prinz Moritz von Dessau (mit dem Dreispitz), dessen Einsatz die Schlacht entschied – versperren die Mitte vorn und drängen sich großspurig in den Vordergrund. Lentulus’ Aufmerksamkeit ist von der Rede seines Herrn abgelenkt durch den Kampf mit dem herabgleitenden schweren Pelzmantel (einem Prachtstück Menzelscher Malkunst). So drohen die Bedingtheiten des Alltags das Pathos des großen Moments zur Groteske herunterzuziehen. Jeder Augenblick ist somit mehrdimensional, Kreuzung von Weltschicksal und Allzumenschlichem. Die Arbeit an dem ohne Auftrag begonnenen Bild, an dem noch weiße Bezirke unbemalter Leinwand den Standort ungemalter Figuren, auch des Königs, anzeigen, wurde zugunsten der Arbeit am Krönungsbild 1861 (vgl. Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 310) unterbrochen; dennoch wurde es aus dem Atelier in der Ritterstraße mit ins Schloß gebracht, wo die Leinwand für das Krönungsbild aufgestellt war. Menzel hoffte auf ein Weiterarbeiten im Auftrag des Königs (später auch der neugegründeten Nationalgalerie). Doch Wilhelm I. scheint das Hervorkehren von Unordnung und Unaufmerksamkeit, die Verweigerung aller sinnfälligen Hierarchie zutiefst mißbilligt zu haben. Eine alte Fotografie zeigt, daß Menzel einen Ansatz machte, die Kritik zu berücksichtigen: Mit Kreide skizzierte er auf der schon ausgeführten Farbschicht eine neue Anordnung der Figuren. Demnach wären die sperrigen Gestalten des Vordergrundes weiter nach links gerückt und hätten – nach dem Modell der Arbeit »Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci« (1850–1852, Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 206), aber entgegen dem Konzept des reiferen Künstlers – einen weiten Halbkreis um die Hauptfigur bilden können. Diese Probe genügte. Trotz späterer Aufforderungen kehrte Menzel niemals wieder zu dem Bild zurück, das dennoch ständig in seinem Atelier präsent blieb. In späten Jahren ließ er durch Modelle Gesichter zerkratzen. Die Niederlage, die ihn beschämte, war keineswegs eine künstlerische; sondern er erlebte sein kurzes Schwanken zugunsten der königlichen Kritik als einen Verrat an seiner künstlerischen Autonomie. | Claude Keisch

Vorderseite | Fotograf*in: Klaus Göken

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technik
Öl auf Leinwand, Spuren weißer Kreidelinien auf der Leinwand
Maße
Höhe x Breite: 318 x 424 cm
Rahmenmaß: 334 x 460 x 9,5 cm
Standort
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
A II 839

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
1907 überwiesen aus dem Besitz Wilhelms II.
Ereignis
Herstellung
(wer)
(wann)
1859-1861

Letzte Aktualisierung
08.08.2023, 11:02 MESZ

Objekttyp


  • Bild

Beteiligte


Entstanden


  • 1859-1861

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