Bestand

D Rep. 762 Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (Bestand)

Vorwort

D Rep. 762 - Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen/ Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung - Fachbereich LSBTI

I. Behördengeschichte
1. Administrative Entwicklung

Der Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (GGLW) wurde am 16. November 1989 zunächst als Referat innerhalb der Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie, unter der Leitung der damaligen Senatorin Anne Klein (Alternative Liste) eingerichtet. Der Bereich stellte die erste staatliche Stelle in der Bundesrepublik Deutschland dar, die mit den Belangen von Lesben und Schwulen befasst war. Berlin übernahm somit eine Vorreiterrolle im Bereich der LSBTI*-Politik im deutschsprachigen Raum.
Die Schaffung einer solchen Zuständigkeit war zuvor im Koalitionsvertrag zwischen SPD und der Alternativen Liste unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper vereinbart worden.

Die erste Personalbesetzung erfolgte mit Stefan Reiß und Dr. Ilse Kokula, die sich beide bereits seit den 1970er Jahren in der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) bzw. im Lesbischen Aktionszentrum Westberlin (LAZ) engagiert hatten. Im Juli 1990 konnten zwei befristete Beschäftigungspositionen mit Lela Lähnemann und Claus Nachtwey besetzt werden. Lela Lähnemann leitete den Fachbereich bis zur ihrer Pensionierung im Jahr 2019.
Nach dem Scheitern der rot-grünen Regierungskoalition 1991 blieb das Referat - auch aufgrund des Drucks von Seiten engagierter Lesben- und Schwulengruppen - unter der Landesregierung einer großen Koalition (CDU-SPD) in gleichem Umfang erhalten.
Aufgrund von Neustrukturierungen der Ressorts wurde es zu einem Sachgebiet innerhalb des Referats Familienpolitik in der Senatsverwaltung für Jugend und Familie. Es erhielt die Bezeichnung "Fachbereich" und die vier Stellen wurden entfristet. Zusätzlich konnte eine halbe Personalstelle vom Ostberliner Magistrat übernommen werden. Ergänzt wurde das Personal von Mitarbeitenden auf befristeten, arbeitsamtsgeförderten Stellen und Referendaren/innen. In den Folgejahren musste der Fachbereich allerdings bis zum Jahr 2007 Personalreduzierungen hinnehmen.

Für die Arbeit des Fachbereiches standen von Anfang an Mittel im Landeshaushalt zur Finanzierung von Projekten sowie für eigene Veröffentlichungen, Veranstaltungen und freie Mitarbeitende zur Verfügung.
Im Jahr 2006 erfolgte mit Beginn der 16. Legislaturperiode eine gravierende Änderung der Anbindung des Fachbereichs GGLW innerhalb der Berliner Verwaltung: Mit der Einrichtung der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (Landesantidiskriminierungsstelle/LADS) als Stabsstelle in der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales wurde der Fachbereich GGLW mit seinerzeit 2,5 Personalstellen und den dazugehörigen Haushaltsmitteln in die LADS übernommen.
Die weitere Entwicklung war durch den Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses "Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt- ISV" (2009) und das darauf basierende ressortübergreifende Maßnahmenpaket (2010) geprägt. Damit war auch eine Verstärkung des Fachbereichs um eine Personalstelle und die Aufstockung der Haushaltsmittel sowohl für Zuwendungsförderungen als auch für die Öffentlichkeitsarbeit verbunden.

Im Jahr 2014 wurde der Fachbereich umbenannt in Fachbereich für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (Fachbereich LSBTI). Damit spiegelt sich auch im Namen wider, dass der Fachbereich für die Interessen aller dieser Personengruppen arbeitet, die sich in unterschiedlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Situationen befinden.

Das Referat/ der Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen waren in den Legislaturperioden von 1989-2016 folgendermaßen zugeordnet:

11. Legislaturperiode (02.03.1989 - 11.01.1991) Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie - Abteilung/ Referat Familie
12. Legislaturperiode (11.01.1991 - 30.11.1995) Senatsverwaltung für Jugend und Familie - Abteilung/ Referat Familie
13. Legislaturperiode (30.11.1995 - 18.11.1999) Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport - Abteilung/ Referat Jugend/ Familie und Kindertagesbetreuung
14. Legislaturperiode (18.11.1999 - 29.11.2001) Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport - Abteilung/ Referat Jugend/ Familie und Kindertagesbetreuung
15. Legislaturperiode (29.11.2001 - 25.10.2006) Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung - Abteilung/ Referat Jugend/ Familie und Kindertagesbetreuung
16. Legislaturperiode (26.10.2006 - 06.10.2011) Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales - Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung
17. Legislaturperiode (27.10.2011 - 27.10.2016) Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen - Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung
18. Legislaturperiode (27.10.2016 - 2021) Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung - Abteilung VI (Antidiskriminierung), Referat LSBTI.

2. Tätigkeitsfelder

Der Fachbereich sah und sieht seine Aufgabe in erster Linie in einer Anschubfunktion für die öffentliche Diskussion und die Politik. Er hat die Möglichkeit der Mitsprache und der Mitzeichnung im Verwaltungsverfahren. Ziel ist es, die Akzeptanz und Emanzipation gleichgeschlechtlicher Lebensweisen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern, sowie Vorurteile und Diskriminierung abzubauen und die öffentliche Auseinandersetzung mit Homosexualität anzuregen. Dadurch soll die ganze Bandbreite lesbischer, schwuler, aber ebenso bi-, trans- und intersexueller Lebensentwürfe sichtbar gemacht werden.
Des Weiteren werden Initiativen, Gruppen und Einzelne darin unterstützt, offen als Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transgender-Personen aufzutreten und ihre Rechte in Anspruch zu nehmen.

Im Einzelnen gliedern sich die Tätigkeitsfelder des Referats in:
- Ministerielle und gesamtstädtische Aufgaben: Mitwirkung an Gesetzen und Verordnungen, an Richtlinien zur Sexualerziehung. Zu verschiedenen Themen werden Informationen gesammelt und ausgewertet, um Grundsatzfragen der gesellschaftlichen Emanzipation von lsbti* Menschen für die Regierung und die Verwaltung des Landes Berlin zu klären.
- Veranstaltungen: Zu innovativen Themen ("Schwule Altern", "Lesbische Mütter") mit dem Ziel der Akzeptanzförderung, Fachtagungen, Kongresse mit einer Mischung aus Experten, Politikern/innen, Presse und "Betroffenen", oftmals mit anschließender Veröffentlichung einer Dokumentation.
- Projektförderung: Seit 1990 werden freie Träger gefördert. Wichtiges Förderkriterium hierbei sind der Emanzipationscharakter für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, eine berlinweite Tätigkeit und die Einzigartigkeit der Initiative in Berlin.
- Vermittelnde Beratung bei Eingaben: Beschwerden und Bitten um Unterstützung von Bürgern/innen, die aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Lebensweise benachteiligt oder diskriminiert werden.
- Parlamentarische Angelegenheiten: Zentrale Aufgabe des Senats sind die Zuarbeiten für das Abgeordnetenhaus und die Durchführung von Regierungsbeschlüssen. Hier vertritt der Fachbereich in vielen Vorgängen die Interessen von Lesben und Schwulen. Zum Beispiel: Zuarbeit bei Anfragen von Politikern, Anträgen der Fraktionen, bei der Erstellung von Berichten des Senats, Petitionen.
- Öffentlichkeitsarbeit: Es wird eine Vielzahl von Schriften zu unterschiedlichen Themen aus dem Bereich der gleichgeschlechtlichen Lebensweisen publiziert. Die Reihe "Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation" kann als das Markenzeichen des Fachbereichs betrachtet werden. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wird in enger Zusammenarbeit zwischen dem Fachbereich, der Pressestelle und der Leitung der Senatsverwaltung (Senator und Staatssekretär) realisiert. Dies geschieht in Form von Tagungen, Konferenzen oder Interviews. Auch bietet der Fachbereich immer wieder Fortbildungen und Workshops an.

II. Bestandsgeschichte

Das Schriftgut des Fachbereiches für gleichgeschlechtliche Lebensweisen gelangte in bisher fünf Abgaben durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, später durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in das Landesarchiv Berlin:
2013 (Acc. 7540 und 7547),
2016 (Acc. 8103),
2017 (Acc. 8402),
2018 (Acc. 8803).
Die Akten waren vermischt mit einer Vielzahl an Akten aus anderen Fachbereichen bzw. Referaten abgegeben worden. Rund 80% des angebotenen Schriftgutes wurden vom Landesarchiv übernommen, was einer außerordentlich hohen archivischen Auswahl-Quote entspricht.
Es handelt sich bei dem Bestand um eine behördliche Dokumentation; doch sind ebenso Werbemittel und Publikationen zahlreicher Initiativen aus dem Bereich LSBTI* enthalten. Neben Postern, Flyern und Broschüren, finden sich auch Disketten und CDs. Verschiedene Aktenpläne von 1989 - 2011 sind vorhanden.

Die Überlieferung erhielt die Repositur D Rep. 762 und umfasst 489 Akteneinheiten (17,4 lfm). Die Laufzeit erstreckt sich von (1978-) 1989 bis 2017.

Der Bestand wurde 2018/19 in einem von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung finanzierten Projekt von den Zeitkräften Filiz Gisa Cakir und Jan Freytag eingehend erschlossen. Die Angaben wurden mit der Verzeichnungs-Software Augias-Archiv erfasst. Die Klassifikation wurde 2021 erstellt und orientiert sich am behördlichen Aktenverzeichnis. Da zu Beginn der Behördentätigkeit kein Aktenplan existierte, erfolgte die Zuordnung der Datensätze nach dem regulierenden Registraturprinzip.

Zahlreiche Akten sind aufgrund der archivgesetzlichen Bestimmungen nach § 9 Archivgesetz Berlin (ArchGB) vom 14. März 2016 oder auf Grund von Personendatenschutz für die Benutzung gesperrt. Nach § 9 Abs. 4 ArchGB kann eine Verkürzung der Schutzfristen auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs Berlin.

Der Bestand wird wie folgt zitiert:
Landesarchiv Berlin, D Rep. 762 Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Nr….


III. Korrespondierende Bestände in anderen Archiven und Sammlungen

- Schwules Museum Berlin (Verein der Freundinnen und Freunde des Schwulen Museums in Berlin e.V.)
- Spinnboden Lesbenarchiv und Bibliothek e.V.
- Zentrum für Sexualforschung an der Humboldt Universität Berlin
- Archiv der Jugendkulturen Berlin e.V.
- Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
- Bundesarchiv
- Archiv des Deutschen Bundestages

IV. Literatur

- Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport - Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen: 10 Jahre Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen 1989-1999. Personen Ereignisse Ergebnisse, Berlin 1999.

- Lähnemann, Lela: LSBTI-Geschichte - ein Handlungsfeld des Berliner Senats, in: Initiative Queer Nations u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten 2018, Göttingen 2018.

- Kokula, Ilse: Business as usual, in: Zeitschrift für Sexualforschung, Jg. 3, Heft 4, 1990, S. 364-367.




Berlin, im Januar 2019 und Mai 2021 Filiz Gisa Cakir, Dr. Regina Rousavy, Bianca Welzing-Bräutigam

Bestandssignatur
D Rep. 762

Kontext
Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> D Bestände ab 1990 >> D 2 Senat von Berlin >> D 2.2 Nachgeordnete Einrichtungen

Bestandslaufzeit
1978 - 2017

Weitere Objektseiten
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Letzte Aktualisierung
28.02.2025, 14:13 MEZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1978 - 2017

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