- Standort
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Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen
- Umfang
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156
- Anmerkungen
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Musikalisches Wochenblatt (17.6.1870), S. 393-394: "In dem am Abend desselben Tages im Hoftheater stattfindenden Concert für Chor, Soli und Orchester waren wiederum fast ausschliesslich Mitglieder des Allg. deutsch. Musikvereins mit Compositionen vertreten. Eröffnet wurde dasselbe mit einem »Orchesterwerk: zur Iliade« von Gustav Weber aus Bern (unter Leitung des Componisten). Die Uebertragung der antiken Empfindungsweise in die unsere vorausgesetzt, war der allgemeine Charakter dieser Tondichtung dem Vorwurf wohl entsprechend. Vorherrschend ist ein heroisch männlicher Zug, der sich schon in dem Hauptthema entschieden ausprägt und dann in der energisch bewegten Durchführung breiter entfaltet. Damit contrastiren weichere, mehr gesangsmässige Partien. Die eigenthümliche Anlage des Ganzen schien auf einen concreten Zusammenhang mit dem Stoff hinzuweisen, dessen programmmässige Angabe erwünscht gewesen wäre. Die musikalische Haltung zeugt übrigens von entschiedenem Talent und Eigenartigkeit des künstlerischen Empfindens, wie von bedeutendem technischen Können; die thematische Entwickelung ist reich und polyphon; die Instrumentation könnte nur mitunter geklärter und etwas weniger stetig gefärbt sein — ein bei einem Erstlingswerk kaum befremdender Mangel. Ein »Lacrymosa« für Chor, Soloquartett und Orchester (der Chor ausgeführt von dem akademischen Gesangverein und der Singakademie zu Jena, dem Kirchenchor, dem Theaterchor und der Singakademie zu Weimar) von Felix Dräseke (unter Leitung des Hofcapelhneister Lassen) mochte diejenigen Zuhörer, welche sich von dem Componisten abenteuerliche Vorstellungen gemacht hatten, durch seine verhältnissmässige Einfachheit überrascht haben. Es ist bedeutend concipirt und steigert sich wirkungsvoll gegen den Schluss, leidet aber etwas an monotoner Färbung. Vielleicht würde dieser Mangel in dem Rahmen des ganzen Requiems, wo sich der Satz von seiner Umgebung abhebt, sich weniger fühlbar machen. Herr G r ü t z m a c h e r trug hierauf das im Verhältniss zu seinem Werthe viel zu wenig gehörte, freilich auch in technischer Beziehung ganz ungewöhnliche Aufgaben bietende Violoncellconcert von Schumann vor und gab damit eine Leistung, deren künstlerischer Vollendung und Abgeschlossenheit gegenüber dem Referenten nichts übrig bleibt, als einfach das Facturn zu constatiren. Als eines der bedeutendsten neueren Werke, welche überhaupt bei diesem Feste zur Vorführung gelangten, muss der 42. und 43. Psalm für Bariton-Solo (Hr. v. Milde), Chor und Orchester von Heinrich Schulz-Beuthen in Zürich (unter Leitung des Hofcapellm. Prof. Müller-H a r tu n g) bezeichnet werden. Der Autor hat sich bereits bei der Tonkünstlerversammlung in Dessau in einem anderen Psalm als ein ungewöhnliches Talent documentirt, für dessen Schaffen die modernen religiösen Anschauungen den Hintergrund bilden. Wir haben auch hier keine Kirchenmusik im herkömmlichen Sinne; auf der Basis des rein Menschlichen in seinem vollsten Umfange findet der Verkehr mit der Gottheit statt; aber eben durch die unmittelbare Berührung mit dem Göttlichen erscheint dieses rein Menschliche potenzirt, machtvoll über sich hinausgesteigert. Den herben, schmerzlichen Accenten, dem Ausdruck tiefen menschlichen Wehes in der ersten Hälfte des Werkes entspricht ein um so gewaltigerer Aufschwung der Begeisterung nach der inneren Katastrophe. Im Zusammenhang mit dieser religiösen Richtung steht die dramatische Haltung des Ganzen, die umfassende Benutzung aller durch die weltliche Kunst gewonnenen Ausdrucksmittel, namentlich der harmonischen, wobei der Autor eben so kühn und originell wie charakteristisch angemessen verfährt. Die Textbehandlung sucht überall den Sinn treu zu erschöpfen; manche Züge sind von überraschender Schönheit und Wahrheit, wie gleich zu Anfang die Steigerung: »Es lechzet, meine Seele, o Herr, nach dir — es dürstet meine Seele nach Gott — nach dem lebendigen Gott« — wo die emphatische Betonung von »nach dem lebendigen Gott« von ergreifender Wirkung ist. Wir zählen dieses Werk zu den lebenskräftigsten, weil in sich wahrhaft berechtigten Producten der Neuzeit auf dem Gebiete der religiösen Musik. — Den zweiten Theil des Concertes leitete eine Festouverture von Damrosch ein (unter Leitung des Componisten), welche sich durch Schwung und glänzende Instrumentation auszeichnet, wenn auch einige auffällige Reminiscenzen aus dem »Meistersinger«-Vorspiel störend waren. Es folgte Liszt's Es dur-Concert, vorgetragen von Frl. Mary Krebs (unter Leitung des Holcapellmeister Lassen). Liszt hat sich auch in diesem Werke von der herkömmlichen Form emancipirt. Im Grunde ist es zwar auch dreisätzig; doch sind die einzelnen Sätze nicht von einander geschieden, sondern gehen in einander über und sind inhaltlich durch wiederkehrende Themen zu geschlossener Einheit verbunden. Eine reife, gesättigte Frucht des modernen Geistes, poesie- und schwungvoll, originell, effectvoll instrumentirt und dankbar wie es ist, wird dieses Concert bald in dem Repertoir keines Virtuosen mehr fehlen. Frl. Krebs erzielte mit dem correcten, klaren und eleganten Vortrag des Werkes sich, sowie dem Componisten rauschenden Beifall und lebhafte Acclamationen. Das, was nun folgte, mochte man allerdings nicht erwartet haben, in dem Rahmen dieses Festes geboten zu sehen. Bei dem Auftreten von Frau Viardot Garcia, welche sich mit vier Liedern eigener Composition producirte, mögen persönliche, nicht gut abzuweisende Rücksichten mit im Spiele gewesen sein; jedenfalls hätte die Künstlerin selbst, deren ehemalige hohe Bedeutung unbestritten ist, soviel Einsicht haben sollen, dass doch die eigentliche Blüthezeit ihrer Künstlerschaft vorüber, dass ferner Erzeugnisse der Art, wie ihre Lieder, mit ihrer Richtung auf äusserlichen, dabei nicht einmal wenigstens geschmackvollen Effect, ganz ausserhalb der künstlerischen Sphäre fallen, welche einzuhalten die Tendenz dieses Festes war. Zwar interessirte ihre Vortragsweise immer noch in gewissem Grade durch Feuer des Ausdrucks und dramatische Belebtheit, auf der anderen Seite wirkten aber echt französische äusserliehe Zuthaten wieder erkaltend und zurückstossend. Auch die Schlussnummer, die Cantate »die Hochzeit des Prometheus« von St. Saens (die Gesangsoli vorgetragen von Frl. Radeke, Hofopernsängerin in Weimar, und den Herren Schild und Hofopernsänger Hasselbeck in Weimar — unter Leitung des Componisten) wollte nicht recht zum Gesammtcharakter des Concertes stimmen. Einzelne Stellen ausgenommen, wie die malerisch charakteristische Einleitung (Prometheus' Situation schildernd), erschien das Ganze doch zu sehr auf äusserliches Blenden angelegt, um tiefer und sympathisch zu berühren. Der Componist zeigt sich zwar berührt von den neueren deutschen Bestrebungen, aber über ein Aneignen der Aussenseite, der äusseren Mittel ist er im Wesentlichen nicht hinausgekommen. Die Erfindung ist nicht sonderlich hervorragend und inmitten innerlich bedeutungsloser Eflectpartien nahmen sich ein paar magere Fugensätze nur um so widerspruchsvoller aus. Mag man auch die Nationalität mit in Anschlag bringen, jedenfalls hätte man bei derausserordentlichen Begabung und der umfassenden Vertrautheit mit der deutschen Literatur, die dem Componisten nachgerühmt wird, ein Werk von gewichtigerer, nachdrücklicherer Bedeutung erwartet."
- Beteiligte Personen und Organisationen
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Viardot-Garcia, Pauline
Damrosch, Leopold
Liszt, Franz
Schumann, Robert
Weber, Gustav
Draeseke, Felix August Bernhard
Schulz-Beuthen, Heinrich
Saint-Saëns, Camille
- Erschienen
-
1870-05-27
- Weitere Objektseiten
- URN
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urn:nbn:de:urmel-6f9527c5-4c5a-4ae5-af47-646074eca0077-00028779-14
- Letzte Aktualisierung
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01.09.2025, 12:12 MESZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Theaterzettel ; Text
Beteiligte
- Viardot-Garcia, Pauline
- Damrosch, Leopold
- Liszt, Franz
- Schumann, Robert
- Weber, Gustav
- Draeseke, Felix August Bernhard
- Schulz-Beuthen, Heinrich
- Saint-Saëns, Camille
Entstanden
- 1870-05-27