Bestand
Sonderstab LIVE OAK (Bestand)
Geschichte des
Bestandsbildners: LIVE OAK (engl. Lebenseiche) war ein Planungs-
und Führungsstab der drei westlichen Berliner Besatzungs- bzw.
Schutzmächte mit späterer deutscher Beteiligung.
Nach den Erfahrungen der sowjetischen Blockade
West-Berlins 1948/49 stellte sich die Notwendigkeit ständiger
und koordinierter politischer und militärischer Planungen für
den Fall einer erneuten sowjetischen Blockade der Stadt sowie
die Zweckmäßigkeit einer gemeinsamen militärischen Führung im
Konfliktfalle.
Bereits 1956 hatten die
Alliierten die sogenannte Washingtoner Botschafter Gruppe
(Washington Ambassadorial Group, WAG) als politisches Gremium
zur sicherheitspolitischen Abstimmung über Berlin gegründet. Auf
Vorschlag der WAG wurde 1959 der Oberbefehlshaber der
US-Streitkräfte in Europa (CinCUSEUCOM) als gemeinsamer
tri-nationaler Befehlshaber für alliierte Berlin-Planungen mit
dem ausschließlich dafür gebildeten Sonderstab LIVE OAK. Als
Commander LIVE OAK (CLO) erhielt der CinCUSEUCOM seine Weisungen
und Aufträge von der WAG. Da der CinC USEUCOM seit Beginn der
1950er Jahre auch Oberbefehlshaber des NATO-Kommandos für Europa
(Supreme Allied Commander Europe, SACEUR) war, wurde der LIVE
OAK-Stab in der Nähe seines Hauptquartiers SHAPE (Supreme
Headquarters Allied Powers Europe) untergebracht. Die
Personalunion der verschiedenen Führungsspitzen sollte Gewähr
für eine enge Abstimmung der ansonsten strikt getrennten
Strukturen der tri-nationalen LIVE OAK-Organisation und des
NATO-Bündnisses gewährleisten.
Der Stab
LIVE OAK setzte sich zusammen aus Angehörigen der
US-amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte.
Der Chef des Stabes im Range eines Generalmajors wurde von
Großbritannien gestellt. Einem Stellvertretenden Chef des Stabes
im Range eines Brigadegenerals, gestellt von Frankreich,
unterstanden die Dezernate „Ground Planning" und „Naval
Coordination Centre", einem weiteren Stellvertretenden Chef des
Stabes im Range eines Brigadegenerals, gestellt von den USA,
unterstanden die Dezernate „Air Planning" sowie die für den
Konfliktfall vorgesehene Operationszentrale. Eine
Stabs-Fernmeldezentrale unterhielt offene und geschützten
Kommunikationsverbindungen (ELCROVOX) Hinzu kam ein
Stabs-Sekretariat, zuständig für Stabsunterstützung, Haushalt
etc. Die Verbindungsorganisation stellte die Verbindung zu den
nationalen Kommandobehörden sicher. Ab 1961 wurde ein ständiges
deutsches Verbindungskommando eingerichtet; die deutschen
Offiziere dieses Organisationselementes verrichtete zudem Dienst
in den verschiedenen Dezernaten des Stabes.
Die Zahl der Stabsangehörigen betrug anfangs etwa 40
Personen und wuchs später bis zu 100 Dienstposten an. Der Stab
wurde zunächst in St. Germain en Laye bei Paris eingerichtet und
1961 zum damaligen SHAPE bei Roquencourt bei Paris verlegt. Im
Jahre 1967 wechselte LIVE OAK zusammen mit SHAPE in belgische
Mons.
Die Planungsarbeit von LIVE OAK
antizipierte Maßnahmen für folgende Szenarien:
- Unterstützungsmaßnahmen zum Offenhalten der Zugänge sowie
zur Verteidigung Berlins,
-
Gegenmaßnahmen in anderen Teilen der Welt im Falle einer
erneuten Berlin-Krise,
- Planungen zur
Luftversorgung der Stadt bei einer erneuten sowjetischen
Blockade.
Im Krisen oder Kriegsfall
sollten dem Commander LIVE OAK (CLO) der Alliierte Befehlshaber
Berlin (Commander Berlin, COB) einschließlich der in der Stadt
befindlichen alliierten Streitkräfte sowie die alliierten
Bodentruppe und Luftkräfte, die zur Öffnung der Zugangswege oder
für die Luftversorgung vorgesehen waren, benötigt gewesen,
unterstellt werden.
Die Erarbeitung von
Eventualplanungen (contingency plans) erfolgte im Wesentlichen
in den Jahren 1959 bis 1963 mit anschließender Aktualisierung
und Fortschreibung. Die von LIVE OAK und NATO sowohl parallel
als auch aufeinander abgestimmten Eventualplanungen lassen sich
wie folgt zusammenfassen:
LIVE OAK -
Contingency Plans:
QBAL (Luftversorgung
Berlins, ähnlich 1948/49); Jack Pine I + II (Luftbrücke mit
militärischem Schutz); Tripple Play (Evakuierung alliierter
Nichtkombattanten aus Berlin im Lufttransport); Garrison Airlift
(Versorgung der Berliner Garnison); Civil Airlift (Einsatz
ziviler Versorgungsflüge); Free Style A-D (Einsatz einer
multinational zusammengesetzten Einheit in Kompaniestärke zur
Erprobung der Ernsthaftigkeit einer Blockade mit Ansatz von
Helmstedt); Back Stroke (wie Free Style, Ansatz von Berlin aus);
Trade Wind (Einsatz eines verstärkten Verbandes zur Öffnung
einer Autobahn-Blockade); Lucky Strike (wie Trade Wind, mit
Ansatz von Berlin aus); June Ball (Einsatz eines trinationalen
Großverbandes auf Divisions-, später auf Korpsebene, von Westen
nach Berlin); Epic Eagle (konsolidierte Verteidigung Berlins).
Die in den Plänen für den Einsatz geplanten tri-nationalen
Zugangs-Erzwingungs-Einheiten wurden als „probe formations"
bezeichnet.
Die Vielfalt der Pläne trug
der Vielfalt der möglichen Krisen- bzw. Konfliktszenarien und
ihren unterschiedlichen politischen, logistischen und
militärischen Anforderungen Rechnung. Die für die Umsetzung der
Pläne erforderlichen militärischen Kräfte sollten von den USA,
Großbritannien und Frankreich bereitgehalten oder mobilisiert
werden, wohingegen sich die Bundesrepublik an der Bereitstellung
von Kräften zur logistischen Unterstützung und Sicherung auf
westdeutschem Territorium beteiligte. Die Einsatzvorbereitung
erfolgte in der Verantwortung der nationalen Befehlshaber
(USEUCOM, BAOR und FFA), die Führung wäre nach
Unterstellungswechsel durch LIVE OAK bzw. CLO erfolgt; erst nach
Feststellung des Bündnisfalls wären die LIVE OAL-Truppen unter
NATO-Kommando geführt worden. Zur Koordination der QBAL-Pläne
wären im Eintrittsfall zudem Aufträge und Weisungen der Bonn
Group, einer Untergruppe der Washington Ambassadorial Group
(WAG) an den Stab LIVE OAK ergangen.
Seit
Ende der 1960er Jahre wurde ein Teil der Eventualfall-Planungen
in Stabsrahmenübungen geübt (z.B. EXERCISE TREATY, STEADFAST,
BOLD GAUNTLET).
NATO - Berlin-Contingency
Plans:
Für den Fall, dass die NATO in
einer Krise die Führung über Operationen zur Sicherung der
Zugänge nach Berlin übernommen hätte übernehmen müssen, wurden,
abgestimmt mit der LIVE OAK-Planungsarbeit, eigene
Eventualplanungen für den Einsatz von NATO-Kräften erarbeitet.
Diese sog. Bercon-Pläne sollten lagebedingt und ggf. einander
ergänzend ausgelöst werden:
Bercon Alpha
(Luftoperationen zum Schutz von Lufttransporten sowie zur
Erringung der Luftüberlegenheit mit konventionellen Waffen);
Bercon Bravo (selektiver Einsatz von Nuklearwaffen außerhalb von
Siedlungsgebieten zur Demonstration der Entschlossenheit der
NATO im Falle einer Aggression gegen Berlin); Bercon Charlie
(Angriff durch eine bzw. zwei Divisionen zur Gebietsnahme auf
dem Territorium der DDR als Zwischenziel für weitere Operationen
oder als Faustpfand für politische Verhandlungen); Bercon Delta
/ Marcon (Einsatz von NATO-Seestreitkräften für Repressalien
oder Blockaden).
Die Vorbereitung und
Durchführung der Bercon-Pläne lagen unterhalb der Ebene des
Alliierten Oberbefehlshabers in Europa (SACEUR / SHAPE) in der
Verantwortung des Kommandos Allied Forces Central Europe
(AFCENT) sowie des Kommandos Allied Air Forces Central Europe
(AAFCE). Die Bercon-Pläne erhielten nur den Status
unverbindlicher Überlegungen zur Krisen-Vorsorge und hätten im
Eintrittsfall der Überprüfung, Anpassung und vor allem der
Entscheidung über die Anwendung bedurft. Historische
Bedeutsamkeit haben die Bercon-Pläne erlangt, weil durch die
Planungen die Grenzen der Strategie der „Massiven Vergeltung"
sichtbar wurden und die Entwicklung hin zur Strategie der
„Flexiblen Reaktion" einleiteten.
MARCON:
Maritime Contingency Plans ab 1962; quadripartite organization
DEEP SEA at Washington als Beratungsgremium für WAG und drei
Koordinierungszentren, u.a. SEA SPRAY (Pedlow, S. 68 f.)
Der Planungs- und Führungsstab LIVE OAK hatte
ein eigenes, von den vier beteiligten Nationen festgelegtes
Budget. Die Existenz des Sonderstabes sowie seine Planungsarbeit
unterlag einer als ostentativ zu bezeichnenden Geheimhaltung, so
dass die Sowjetunion über Aufgabe und Zweck von LIVE OAK
informiert war.
Infolge des
weltpolitischen Umbruchs 1989/90 wurden die de Eventualfallpläne
des Sonderstabes als auch die Bercon-Pläne der NATO wurden 1990
außer Kraft gesetzt. Der Sonderstab LIVE OAK wurde im Januar
1991 aufgelöst.
Bestandsbeschreibung: Der
Bestand wurde im Jahre 1991 mit einem Gesamtumfang von 7 lfm.
durch das Bundesarchiv übernommen. Begünstigt durch die
außerordentliche Geheimhaltung des Stabes sowie wegen des
Fehlens entsprechender Rechtsbestimmungen wurden das
Registraturgut während der ersten drei Jahrzehnte regelmäßig und
umfänglich vernichtet. Ausgenommen von dieser Praxis blieben
Grundsatzdokumente, Schriftstücke von bereits damals erkennbarer
historischer Bedeutung sowie solche Unterlage, die für die
Aufgabenwahrnehmung weiter benötigt wurden.
Der Bestand setzt sich aus zwei Überlieferungsschichten
zusammen: den Unterlagen der multinationalen
Stabs-Registraturgut sowie dem Registraturgut des militärischen
Vertreters der Bundesreplik Deutschland bei LIVE OAK.
Der Bestand wurde vollständig als archivwürdig
bewertet, Kassationen wurde nicht vorgenommen. Die Komposition
der übernommenen Folder wurde nicht verändert. Bei diesen
handelt es sich nicht um Vorgänge oder Sachakten, die zu
bestimmten Sachbetreffen angelegt wurden. Sie enthalten vielmehr
Einzelschriftstücke mit heterogenem Inhalt, die weitgehend
chronologisch abgelegt wurden. Die in den Enthält-Vermerken
näher aufgeführten Einzeldokumente werden durch eine
Ordnungsnummer in eckigen Klammern ergänzt, die als Konkordanz
zu den vorgehefteten Inhaltsverzeichnissen der Folder
dient.
Zitierweise: BArch BW
71/...
- Reference number of holding
-
Bundesarchiv, BArch BW 71
- Extent
-
212 Aufbewahrungseinheiten; 17,6 laufende Meter
- Language of the material
-
deutsch
- Context
-
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Bundesrepublik Deutschland mit westalliierten Besatzungszonen (1945 ff) >> Bundesrepublik Deutschland (1949 ff) >> Verteidigung >> Bundesministerium der Verteidigung und Bundeswehr >> Deutsche militärische Anteile an multinationalen Einrichtungen und bei Auslandseinsätzen
- Related materials
-
Verwandtes Archivgut im Bundesarchiv: Washington Ambassadorial Group (WAG)
Registraturgut der US-amerikanischen, britischen und französische LIVE OAK-Delegationen in den Nationalarchiven
Sowie Außen- und Verteidigungsressorts nebst Wirtschaft, Verkehr und Finanz
LIVE OAK Situation Reports im Bestand BW 3: GENMR SHAPE ?
BW 2: Fü B/Fü S III LO
NATO-Überlieferung
Literatur: Robert S. Jordan: Norstad, Cold War NATO Supreme Commander, Basingstroke u.a. 2000;
Sean M. Mallony: Notfallplanung für Berlin. Vorläufer der Flexible Resonse 1958-1963, in: Militärgeschichte 1/1997, S. 1-16;
Friedrich Jeschonnek / Dieter Riedel / William Durie: Alliierte in Berlin 1945-1994. Ein Handbuch zur Geschichte der militärischen Präsenz der Westmächte, Berlin 2000;
Christian Bremen: Das Contingency Planning der Eisenhower-Administration während der zweiten Berlinkrise, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 57 (1998), S. 117-147.
Winfried Heinemann: Planungen für den Krieg um Berlin, in: Der Mauerbau 1961. Kalter Krieg, Deutsche Teilung, Berlin. Tagung vom 16. bis 18. Juni 2011 (Online-Veröffentlichung).
Harald von Nes: Crisis management during the Cold War illustrated by "Live Oak", in: Periphery or Contact Zone? The NATO Flanks 1961 to 2013. On behalf of Bundeswehr Centre of Military History and Social Siences edited by Bernd Lemke (Neueste Militärgeschichte. Analysen und Studien; 4), Freiburg u.a. 2015, S. 185-196.
- Provenance
-
Sonderstab LIVE OAK (LO), 1958-1990
- Date of creation of holding
-
1958 - 1990
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
16.01.2024, 8:43 AM CET
Data provider
Bundesarchiv. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Associated
- Sonderstab LIVE OAK (LO), 1958-1990
Time of origin
- 1958 - 1990