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Zusammen, aber doch getrennt? Vorstellungen von Russlands Platz in Europa an einer russischen Elitehochschule

Ist Russland ein Teil Europas? Die Antworten auf diese Frage fallen höchst unterschiedlich aus und markieren die Gräben zwischen geopolitischen Überzeugungen. In konstruktivistischer Forschung wird dieser Frage traditionell entweder anhand der Analyse von privilegierten Repräsentationen – Reden, politischen Pamphleten und Essays, massenmedialen Darstellungen – oder anhand von Meinungsumfragen in der Bevölkerung nachgegangen, um ein möglichst umfassendes, gesamtgesellschaftliches Bild zu erhalten. Im Gegensatz dazu nimmt der vorliegende Beitrag eine Mikroperspektive ein. Mit Material aus neunmonatiger ethnographischer Feldforschung versucht er unterschiedliche Artikulationen des Verhältnisses zwischen Europa und Russland am Beispiel des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO) nachzuzeichnen. Das MGIMO nimmt eine exponierte Stellung in der russischen Gesellschaft ein: Als mit dem russischen Außenministerium verbundene Eliteuniversität gilt es als das akademische Zentrum für den Bereich Internationale Beziehungen im postsowjetischen Raum und bildet den Nachwuchs für den russischen Staatsdienst aus. Die Positionierung Russlands vis-à-vis Europa findet am MGIMO in ganz unterschiedlicher Weise statt: Grundsätzlich werden die Affinität Russlands zu Europa sowie die gemeinsamen Interessen, gerade im wirtschaftlichen Bereich, betont. Jedoch ist auch ein Gefühl der Ausgeschlossenheit von Europa festzustellen, das sich unter anderem aus der Enttäuschung über die Erweiterung von EU und NATO unter Missachtung russischer Interessen speist. Europa, so der Eindruck, sei an Russland als starkem und vollwertigem Partner nicht interessiert und nehme eine überhebliche Haltung ein: es wolle Russland das Attribut „europäisch“ nur dann zusprechen, wenn Russland seine Souveränität aufgebe und sich dem europäischen Ordnungsmodell beuge. Demgegenüber wird die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit Russlands von Europa herausgestellt. Russland benötige Europa nicht unbedingt, sondern könne sehr wohl für sich alleine stehen. Wenn Russland sich entschließe, engere Bindungen mit Europa einzugehen, dann von sich aus und nur unter Wahrung der russischen Interessen, nicht jedoch als Bittsteller oder weil man sich davon die Anerkennung als europäischer Staat erhoffe. Am MGIMO sind die Vorstellungen von Russlands Platz in Europa also eher Vorstellungen von Russlands Platz neben Europa, bei dem Russland sich unabhängig und selbstbewusst entscheidet, bis zu welchem Grad es als europäisch gelten will.

Zusammen, aber doch getrennt? Vorstellungen von Russlands Platz in Europa an einer russischen Elitehochschule

Urheber*in: Müller, Martin

Rechte vorbehalten - Freier Zugang

Weitere Titel
Together but separate? Imaginations of Russia’s place in Europe at a Russian elite university
ISSN
0943-7142
Umfang
Seite(n): 199-208
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Status: Veröffentlichungsversion; begutachtet

Erschienen in
Europa Regional, 15(4)

Thema
Internationale Beziehungen
internationale Beziehungen, Entwicklungspolitik
Russland
Europa
EU
Identität
Geopolitik
Student
Wahrnehmung
Ethnographie
politische Beziehungen
EU-Politik
Außenpolitik
Interessenpolitik
Interessensphäre
internationale Führungsmacht
internationale Interdependenz
Nichteinmischung
internationale Zusammenarbeit
Leitbild
Osterweiterung
NATO
europäische Identität

Ereignis
Geistige Schöpfung
(wer)
Müller, Martin
Ereignis
Veröffentlichung
(wo)
Deutschland
(wann)
2007

URN
urn:nbn:de:0168-ssoar-48061-8
Rechteinformation
GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Bibliothek Köln
Letzte Aktualisierung
21.06.2024, 16:27 MESZ

Datenpartner

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Objekttyp

  • Zeitschriftenartikel

Beteiligte

  • Müller, Martin

Entstanden

  • 2007

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