Bestand

Wissenschaftliches Institut des Diakonischen Werkes (Bestand)

Die Aufgaben des Instituts bestanden darin, Stellungnahmen zur Standortbestimmung der Diakonie in der Gesellschaft und zu Gesetzesvorlagen zu erarbeiten.

Vorwort: Das Wissenschaftliche Institut des Diakonischen Werkes verdankt seine Entstehung dem Wunsch des Leiters der damaligen Sozialpolitischen Abteilung der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes, Paul Collmer (1907-1979), daß zu der vom Diakoniewissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg zu leistenden theologischen Fundierung diakonischer Arbeit auch "eine grundsätzliche Besinnung über deren sozialpolitischen und soziologischen Voraussetzungen und ihren gesellschaftlichen Zusammenhang" hinzukomme.

In seiner 7. Sitzung am 28.5.1959 in Berlin, zu der ihm ein Memorandum "Sozialpolitische und soziologische Betrachtungen der diakonischen Arbeit" vorlag, beauftragte der Diakonische Rat die Hauptgeschäftsstelle zu prüfen, "wie die Arbeit der Sozialpolitischen Abteilung gefördert werden könne". Daraufhin wurde dem Diakonischen Rat zu seiner 9. Sitzung am 16.2.1960 ein Memorandum Collmers über den "Ausbau der Sozialpolitischen Abteilung der Hauptgeschäftsstelle" vorgelegt, in dem er die Gründung eines Wissenschaftlichen Instituts vorschlägt. Das Ziel dieser Gründung kennzeichnete er hier folgendermaßen:

"Es geht darum, den sozialpolitischen und soziologischen Zusammenhang unserer diakonischen Tätigkeit neu zu erarbeiten... Die Verzahnung, in der unsere Arbeit zu der politischen und gesellschaftlichen Situation steht, ist vielfach nicht bewußt... Vor allem geht es um die Klärung des heutigen Standorts der diakonischen Arbeit in und gegenüber dem modernen Wohlfahrts- und Sozialstaat und um eine Stellungnahme zu den uns vordringlich angehenden Gesetzen und deren Zielsetzungen..."

Aus dieser allgemeinen Aufgabenstellung entwickelte Collmer vier Arbeitsbereiche:

1. Standortbestimmung der Diakonie in der gegenwärtigen Gesellschaft und "Stellungnahme zu den allgemeinen gesellschaftlichen Grundfragen"

2. "Stellungnahme zu den uns vordringlich angehenden Gesetzen" in ihrem Gesamtzusammenhang: "Wegen der Interdependenz aller sozialpolitischen Vorgänge kann man sich nicht auf die einzelnen Gesetze beschränken, sondern muß den gesamten Umfang der Maßnahmen einschließlich ihrer finanz- und wirtschaftspolitischen Auswirkungen in Sicht nehmen."
Im einzelnen:

- "Sozialhilfe (Fürsorge) u. Jugendhilfegesetz"
- "Sozialpolit. Gesetzgebung"
- "Familie"
- "Vertriebenen- und Sowjetzonenflüchtlingsrecht"
- "Gesundheitspolitik und Krankenhauswesen"
- "Dienst- und Arbeitsrecht"

3. Untersuchung einzelner Arbeitszweige

4. Regionale Strukturuntersuchungen über die tatsächlich geleistete diakonische Arbeit und ihre Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext

Wegen des auf die Bewältigung der Tagesaufgaben ausgerichteten Arbeitsstils der Hauptgeschäftsstelle, aus haushaltsrechtlichen Gründen, um anderen kirchlichen Stellen die Mitarbeit zu ermöglichen und des leichteren Zugangs zu zusätzlichen Mitteln wegen schlug Collmer die Gründung eines Instituts in der Trägerschaft eines eingetragenen Vereins mit Sitz in Bonn vor.

Nachdem der Diakonische Rat seine prinzipielle Zustimmung erteilt hatte, wurde unverzüglich mit der Einrichtung des Instituts begonnen. Zu diesem Zweck wurde ein Stockwerk eines der Kirchengemeinde Bonn gehörigen Gebäudes gemietet, umgebaut und ausgestattet. Vorgesehen waren acht Mitarbeiter, darunter ein Soziologe, ein Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, ein Fürsorgewissenschaftler, ein Jurist und bei einem späteren Ausbau zusätzlich auch ein Mediziner. Als wissenschaftliche Mitarbeiter nahmen zunächst der Soziologe Dr. Joachim Matthes und der Diplom-Volkswirt Konrad Stopp am 1. Okt. 1960 ihre Tätigkeit in Bonn auf. Als weiterer wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde aus der Hauptgeschäftsstelle Diplom-Volkswirt Gerhard Heun dem Wissenschaftlichen Institut zugeteilt, doch wurde von einer Übersiedlung nach Bonn abgesehen. Zum nebenamtlichen Direktor wurde Collmer, zum nebenamtlichen Geschäftsführer der Leiter der Verbindungsstelle Bonn bestimmt. Der Trägerverein "Wissenschaftliches Institut des Diakonischen Werkes e.V." wurde am 3.10.1960 gegründet und am 3.2.1961 in das Vereinsregister in Stuttgart eingetragen. Seine Mitglieder waren die Direktoren der Hauptgeschäftsstelle, der Leiter des Diakoniewissenschaftlichen Instituts, Prof. Dr. Herbert Krimm, sowie Oberkirchenrat Riedel und D. Otto Ohl als Vertreter des Diakonischen Rates. Vorsitzender war der Präsident des Diakonischen Werkes, D. Friedrich Münchmeyer, sein Stellvertreter Prälat Kunst.

Die Bearbeitung des Fragenkreises "Standortbestimmung der Diakonie" (vgl. Arbeitsbereich 1) wurde Matthes übertragen. In Anknüpfung an die im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes und der anstehenden Novellierung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes entstandene Diskussion verfaßte er bis zum April 1961 ein Manuskript zum Subsidiaritätsprinzip "in seinem geistes- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang" (Teilveröffentlichung: "Zur Kritik am Wohlfahrtsstaat" in: Die Mitarbeit 1961). Zur soziologischen Standortbestimmung der Diakonie wurde bis Ende 1962 ein Manuskript "Zur Standortbestimmung der Diakonie in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang" erarbeitet (Teilveröffentlichung in: Die Mitarbeit 1962). Daneben entstanden verschiedene kleinere Aufsätze - u.a. in "Die Innere Mission" und "Zeitschrift für evangelische Ethik" 1961 - und Vorträge (siehe ADW, WI 33). Ende Januar 1963 ist Matthes ausgeschieden.

Mit einer Stellungnahme zur geplanten Reform des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes wurde Heun beauftragt (Arbeitsbereich 2). Stopp begann auf der Grundlage eines Memorandums von Collmer vom Sommer 1960 mit einer Untersuchung über das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht, deren aktueller Anlaß die Verhandlungen über die Einführung des Bundesangestelltentarifes waren (Arbeitsbereich 3). Die Arbeitsberichte 1961 und 1962 geben über die Methode dieser Untersuchung, die mit einer umfangreichen statistischen Erhebung bei den Landesverbänden und mit einer Sammlung des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts verknüpft war, Auskunft. Als Ergebnis legte er im Sommer 1963 einen umfangreichen Arbeitsbericht zum "Dienst- und Arbeitsrecht in der Kirche" im Umfang von ca. 700 Seiten vor. Ende Juli 1963 schied Stopp aus. Zu der vorgesehenen Neubearbeitung des Berichts scheint es nicht mehr gekommen zu sein.

Heun, Stopp und Matthes gemeinsam widmeten sich der Vorbereitung einer ersten empirischen Untersuchung der Struktur diakonischer Arbeit (Arbeitsbereich 4); der Überschaubarkeit wegen wurde der Stadtstaat Hamburg gewählt. Zur Finanzierung dieser großangelegten Untersuchung konnte die Thyssen-Stiftung gewonnen werden (ADW, WI 9). Die wissenschaftliche Leitung übernahm Krimm.

Zur Durchführung der Untersuchung wurde in Hamburg eine Außenstelle des Wissenschaftlichen Instituts eingerichtet. Zwei Diplom-Volkswirte nahmen hier die Arbeit bereits Anfang 1962 auf. Zeitweise waren bis zu sechs Mitarbeiter in Hamburg tätig. Über das Ergebnis der sog. "Hamburger Untersuchung" geben die Akten des Wissenschaftlichen Instituts keine Auskunft. Die Beschlußvorlage für die Sitzung des Diakonischen Rates am 4.3.1977, in der die Auflösung des Trägervereins beschlossen wurde, legt die Vermutung nahe, die "Hamburger Untersuchung" sei ergebnislos abgebrochen worden. Dort heißt es:

"Nach dem Ausscheiden der wissenschaftlichen Mitarbeiter (Matthes und Stopp) wurde die Hamburger Untersuchung zwar weitergeführt, jedoch nur mit in Hamburg vorübergehend angestelten Hilfskräften. Die Arbeiten in Hamburg wurden 1966 eingestellt".

Neben fest angestellten Mitarbeitern wurden auch verschiedene Personen mit Honoraraufträgen für das Wissenschaftliche Institut tätig. So erarbeitete der ehemalige Justitiar des Zentralbüros des Hilfswerks, Bernhard Röntsch, eine Stellungnahme zum Bundessozialhilfegesetz. Der Mitarbeiter des Diakoniewissenschaftlichen Instituts, Paul Philippi, erhielt den Auftrag, einen Beitrag zur "Geschichte der Diakonie im Raume der Hansestadt Hamburg" im Rahmen der Hamburger Untersuchung zu liefern.

Nachdem die in Bonn tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter keine Nachfolger gefunden hatten, verblieb dem Institut als einzige Aufgabe die "Hamburger Untersuchung", nach deren für Ende 1965 vorgesehenen Abchluß es nach Stuttgart zur Hauptgeschäftsstelle verlegt werden sollte. In Bonn wurde lediglich noch die Buchhaltung erledigt. Die Institutsräume wurden bereits seit 1963 durch die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe benutzt; diese trat zum 1.1.1965 in den Mietvertrag ein und übernahm die Ausstattung samt der letzten Mitarbeiterin. Ende 1965 ging die Geschäftsführung vom Leiter der Verbindungsstelle Bonn auf Heun über, doch scheint das Institut nicht mehr tätig geworden zu sein. Die letzte Mitgliederversammlung des Trägervereins fand im Dezember 1965 statt, am 4.3.1977 beschloß der Diakonische Rat die Auflösung.

Die Akten des Instituts gelangten zunächst in die Altregistratur der Hauptgeschäftsstelle und wurden Januar 1978 im Zuge einer größeren Aktenübernahme in das Archiv des Diakonischen Werkes übernommen. Dabei handelte es sich um in Bonn beim Institut selbst entstandenes Schriftgut, das vorwiegend Aufschluß über die Arbeit von Stopp und Matthes gibt. Unterlagen, die den Trägerverein, die "Hamburger Untersuchung", die Tätigkeit Heuns und die an Philippi und andere vergebenen Arbeitaufträge betreffen, kamen nach 1980 hinzu.

Kassiert wurden die Buchungsbelege, ein Teil des Materials, das bei der statistischen Erhebung im Rahmen der arbeitsrechtlichen Untersuchung Stopps und seiner Auswertung angefallen ist, sowie die überzähligen Exemplare des Arbeitsberichtes von Stopp. Da keine erkennbare Ordnung vorgefunden wurde, ist der Bestand zugleich mit der Verzeichnung im Juli 1979 auch neu geordnet worden. Ordnung und Verzeichnung wurden von Herrn Michael Wischnath durchgeführt.

Durch Ergänzungen nach 1980 erhöht sich die Zahl der Verzeichnungseinheiten von 71 auf 100. Um Signaturen in der systematischen Reihenfolge sicherzustellen, wurde der Bestand von Frau Hanna Kröger neu verzeichnet und geordnet. Die Eingabe in die elektronische Archivdatenbank und die Erstellung von Registern erfolgte im März 2000 durch Frau Ingeborg König.


Berlin, den 31. März 2000







Abkürzungen

Abt. Abteilung
AG Arbeitsgemeinschaft
betr. betreffend
Dt. Deutschland
DW Diakonisches Werk
EKD Evangelische Kirche Deutschlands
e.V. eingetragener Verein
ev. evangelisch
HGSt Hauptgeschäftsstelle
hg. herausgegeben
IMHW Innere Mission und Hilfswerk
Nr(n). Nummer(n)
Ns. Niederschrift
o.D. ohne Datum
S. Seite
Schrw. Schriftwechsel
u.a. unter anderem
v.a. vor allem
wiss. Wissenschaftlich

Bestandssignatur
WI

Kontext
Archiv für Diakonie und Entwicklung (Archivtektonik) >> Zentrale und übergeordnete Organisationen >> Diakonisches Werk der EKD

Bestandslaufzeit
1960-1966

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Letzte Aktualisierung
22.04.2025, 11:01 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1960-1966

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