#DDBwerkbank: Willi geigt oder ein unverhofftes Ständchen zum 170. Geburtstag

07.02.2022 Julia Fernow (wissenschaftliche Mitarbeiterin)

Ein Knabe betritt schwungvoll die Bühne, verneigt sich und beginnt auf seiner Geige zu spielen. Zu hören ist leider nichts, denn es handelt sich um einen Stummfilm aus dem Jahr 1906. Der Name des jungen Virtuosen ist Willi und dass diese eher unaufgeregte, kleine Szene noch heute zu bestaunen ist, verdankt sich Willis Vater, dem Apotheker und passionierten Hobbyfilmer Julius Neubronner. Am 8. Februar 2022 wäre Julius Neubronner 170 Jahre alt geworden.

Wie der Film „Willi geigt“ wohl vertont klingen würde, welches Potential des Zufalls in der DDB steckt und welche Rolle dabei ein Willi aus unserer Zeit spielt, erfahren Sie in diesem Beitrag. Und zu Beginn ein paar Worte zum genialen Geburtstagskind:

Julius Neubronner – Erfindergeist und Hobbyfilmer

Über Julius Neubronner (1852-1932) gibt es die erstaunlichsten Sachen zu berichten: Er erfand die Drohnenaufnahme avant la lettre, indem er seine wohl gehegten Brieftauben mit einem Fotoapparat ausstattete und sie damit auf Erkundungstour schickte. Auch pflegte er dank der Tauben einen besonderen Service in seiner Apotheke im Taunus: Rezepte konnten per Brieftaube zugestellt werden, so dass das Medikament fertig angerührt zur Abholung bereitstand, wenn der Bote eintraf.

Bekannter ist der experimentierlustige Julius Neubronner heutzutage jedoch für seine Amateurfilme aus der Anfangszeit des Films. Mit seiner 1903 erworbenen Kamera filmte er alltägliche Momente seines Umfelds. Darunter vor allem seine Familie, mit der er auch künstlerische Einlagen probte, die auf der im eigenen Garten installierten Bühne aufgeführt wurden – wie auch das Geigenspiel seines Sohnes Willi in der gezeigten Filmsequenz. Als Filmender suchte Neubronner nicht die große Erzählung, sondern das wahre, unmittelbare Leben – ob banal oder besonders. Dabei fing er Seifenkistenrennen, Eislaufen oder das Balgen seiner Söhne ein. Weitere spannende Geschichten über den Erfindergeist und Tüftler finden Sie im Beitrag „Neue Sammlungen: Julius Neubronner und der frühe Amateurfilm“.

Wieder erweckte Klänge

Von Kronberg im Taunus der 1910er Jahre geht es in die Gegenwart: In Hamburg sitzt die Kunsthistorikerin Louisa am Laptop und durchstöbert die Deutsche Digitale Bibliothek. Eigentlich auf der Suche nach Architekturfotografien klickt sie sich inspiriert von Objekt zu Objekt und entdeckt dabei auf assoziativen Abwegen den Kurzfilm „Willi geigt“. Wie lustig und süß, denkt sie beim Anblick des kurzen Films, vor über 100 Jahren spielte ein Junge namens Willi Geige, wie ihr jüngerer Bruder, ebenfalls ein Willi. Sofort leitet sie den famosen Fund an ihn weiter.

In Berlin öffnet Willi den Link zu „Willi geigt“ auf seinem Smartphone und folgt dem stummen Gleiten des Violinbogens über die Saiten. Beim bloßen Betrachten erklingen in seinem Kopf die gespielten Melodien und eine „Flitzpiepen-Idee“, wie er es später nennt, lässt ihn nicht mehr los. Willi kennt das Stück, das der junge Neubronner vor weit über 100 Jahren spielte, er hat es noch in den Fingern: „Kavatine“ von Joachim Raff (1822-1882). Die Noten sind schnell parat, die Geige sowieso. Zwar lernte Willi aus Berlin „Kavatine“ mit einem anderen Fingersatz als Willi Neubronner, doch beim 5. Versuch gelingt es ihm das Stück nahezu synchron zu der Aufführung von 1906 zu spielen. Ein Werk von keiner halben Stunde, wie er berichtet, und eine unverhoffte Freude zum 170. Geburtstag von Julius Neubronner! Einfach machen und ausprobieren, das war auch typisch für das Geburtstagskind.

Wir danken Louisa und Willi für die wunderbare Wiederbelebung dieses Stücks! Und nun Bühne frei für Willi und Willi:

Für die musikbeflissenen Leser*innen sei noch vermerkt: Willi Neubronner spielte „Kavatine“ nicht bis zum Ende.

Hier finden Sie alle Filme von Julius Neubronner in der Deutschen Digitalen Bibliothek.

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Neubronner

https://www.dff.film/julius-neubronner/

https://www.filmportal.de/person/julius-neubronner_1acdcd44ccae41ca9d8fda5f890dc8c0

Neue Sammlungen: Julius Neubronner und der frühe Amateurfilm

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