Bekannter ist der experimentierlustige Julius Neubronner heutzutage jedoch für seine Amateurfilme aus der Anfangszeit des Films. Mit seiner 1903 erworbenen Kamera filmte er alltägliche Momente seines Umfelds. Darunter vor allem seine Familie, mit der er auch künstlerische Einlagen probte, die auf der im eigenen Garten installierten Bühne aufgeführt wurden – wie auch das Geigenspiel seines Sohnes Willi in der gezeigten Filmsequenz. Als Filmender suchte Neubronner nicht die große Erzählung, sondern das wahre, unmittelbare Leben – ob banal oder besonders. Dabei fing er Seifenkistenrennen, Eislaufen oder das Balgen seiner Söhne ein. Weitere spannende Geschichten über den Erfindergeist und Tüftler finden Sie im Beitrag „Neue Sammlungen: Julius Neubronner und der frühe Amateurfilm“.
Wieder erweckte Klänge
Von Kronberg im Taunus der 1910er Jahre geht es in die Gegenwart: In Hamburg sitzt die Kunsthistorikerin Louisa am Laptop und durchstöbert die Deutsche Digitale Bibliothek. Eigentlich auf der Suche nach Architekturfotografien klickt sie sich inspiriert von Objekt zu Objekt und entdeckt dabei auf assoziativen Abwegen den Kurzfilm „Willi geigt“. Wie lustig und süß, denkt sie beim Anblick des kurzen Films, vor über 100 Jahren spielte ein Junge namens Willi Geige, wie ihr jüngerer Bruder, ebenfalls ein Willi. Sofort leitet sie den famosen Fund an ihn weiter.
In Berlin öffnet Willi den Link zu „Willi geigt“ auf seinem Smartphone und folgt dem stummen Gleiten des Violinbogens über die Saiten. Beim bloßen Betrachten erklingen in seinem Kopf die gespielten Melodien und eine „Flitzpiepen-Idee“, wie er es später nennt, lässt ihn nicht mehr los. Willi kennt das Stück, das der junge Neubronner vor weit über 100 Jahren spielte, er hat es noch in den Fingern: „Kavatine“ von Joachim Raff (1822-1882). Die Noten sind schnell parat, die Geige sowieso. Zwar lernte Willi aus Berlin „Kavatine“ mit einem anderen Fingersatz als Willi Neubronner, doch beim 5. Versuch gelingt es ihm das Stück nahezu synchron zu der Aufführung von 1906 zu spielen. Ein Werk von keiner halben Stunde, wie er berichtet, und eine unverhoffte Freude zum 170. Geburtstag von Julius Neubronner! Einfach machen und ausprobieren, das war auch typisch für das Geburtstagskind.
Wir danken Louisa und Willi für die wunderbare Wiederbelebung dieses Stücks! Und nun Bühne frei für Willi und Willi: