Bestand
Nachlass Wilhelm Engler (1873-1938), badischer Landtagsabgeordneter und Arbeitsminister des Landes Baden (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Geschenk von Prof. Dr. Hans M. Lipp, Karlsruhe,
1983
Inhalt und Bewertung
Unveröffentlichte Lebenserinnerungen, Fotos,
Zeitungsausschnitte zum Tode Englers. - Schriftgut aus seiner
Tätigkeit als Präsident des Gewerbeaufsichtsamts Baden und des
Landesarbeitsamts Hessen v.a. zur Arbeitslosenfrage.
Biographie: Den Lebenslauf
Wilhelm Englers kann man mit Fug und Recht eine für die erste
Hälfte des 20. Jahrhunderts exemplarische, sozialdemokratische
Karriere nennen: vom Zimmerergesellen zum Minister - und dies auf
dem ureigensten Gebiet der SPD: der Arbeitspolitik. Wilhelm Engler
stieg vom Gewerkschafter und zu einem führenden Arbeitspolitiker
der Weimarer Republik auf, ehe er der nationalsozialistischen
Verfolgung zum Opfer fiel. Wilhelm Friedrich Engler kam am 3. Mai
1873 als eines von sieben Kindern des Landwirts und Webermeisters
Martin und Maria Katharine Engler, geborene Bühler, in Weisweil im
Bezirksamt Emmendingen zur Welt. Dort, zwischen nördlichem
Kaiserstuhl und Rhein, verbrachte er seine Kinder- und Jugendjahre.
Von 1879 an besuchte er die Volksschule, die er 1887 verließ, um
nach einem Intermezzo als Knecht eines ortsansässigen Schmieds im
benachbarten Kenzingen eine Zimmererlehre anzutreten. Nach der
dreijährigen Lehrzeit ging der Zimmermanngeselle auf Wanderschaft,
die ihn zunächst von 1890 bis 1892 in die Schweiz und weitere zwei
Jahre wieder in das Deutsche Reich führte. Während der Vater die
berufliche und soziale Doppelexistenz eines typischen
Arbeiterbauern beibehielt, die auch schon dessen Vater, Simon
Engler, betrieben hatte, wandte sich Wilhelm Engler konsequent dem
produzierenden Gewerbe zu und konzentrierte sich beruflich auf sein
erlerntes Handwerk, die Zimmerei. Er verbrachte von 1896 an drei
Gesellenjahre in Würzburg, wo er von 1897 bis 1899 erste Kontakte
zur Arbeiterbewegung knüpfte und dem dortigen Gewerkschaftskartell
vorsaß, was seine berufliche Entlassung nach sich zog. In Würzburg
hatte Engler bereits zwischen 1894 und 1896 seinen zweijährigen
Militärdienst beim Königlich Bayerischen 9. Infanterie-Regiment
"Wrede" geleistet. Nach der Rückkehr in das Zivilleben arbeitete er
weitere drei Jahre bis 1902 in seinem erlenten Beruf in Freiburg.
Dort lernte er seine Frau, Elise Lina Abegg, kennen, die nahezu auf
den Tag genau ein Jahr jünger war als Engler und aus Ettlingen
stammte. Am 9. Dezember 1900 verlobte sich das Paar und vermählte
sich am 20. April 1901. Aus der Ehe gingen zwei Kinder, eine
Tochter und ein Sohn, Liesel und Rudolf, hervor. Im Folgejahr
machte sich Engler als Handwerker selbständig und betrieb bis 1905
eine eigene Werkstatt, bevor ihn sein Einsatz für die
Arbeiterbewegung immer stärker ausfüllte. Schon 1903 kandidierte
Engler als SPD-Kandidat für den badischen Reichstagswahlkries 6,
der die Ämter Ettenheim, Lahr und Wolfach umfasste, wenngleich es
ihm nicht gelang, das Reichstagsmandat zu erringen. Im selben Jahr
gelangte Engler in den Aufsichtsrat des Freiburger Konsumvereins,
dem er bis 1921 angehörte . Engler wuchs immer stärker in die
Gewerkschafts- und Parteiarbeit hinein. Zwischen 1905 und 1907
fungierte er als Arbeiter- und Gewerkschaftssekretär für Freiburg
und stieg im Folgejahr in der Arbeiterbewegung weiter auf, Von 1908
bis 1912 setzte er sich als SPD-Parteisekretär für Oberbaden ein.
1907 bewarb er sich erneut für einen Sitz im Reichstag, wiederum im
selben Wahlkreis, doch auch diese Kandidatur endete ebenso
erfolglos. Wie schon vier Jahre zuvor musste Engler dem
Zentrumskandidaten, dem späteren Reichstagspräsidenten und
Reichskanzler Constantin Fehrenbach, den Vortritt lassen. Von 1908
bis 1911 trat Engler verstärkt in der Freiburger Lokalpolitik auf
und wurde zum Stadtverordneten gewählt. Engler bekleidete daraufhin
in rascher Folge weitere kommunalpolitische Funktionen und Ämter,
die er teils lange Zeit gleichzeitig ausübte: Engler wurde
Stadtrat, Stiftungsrat für weltliche Stiftungen sowie
Verwaltungsrat der Klinischen Krankenhäuser in der
Breisgaumetropole (1911-1921). Bereits hier zeigte sich seine
Affinität zur Arbeits(losen)fürsorge, die seine weitere
sozialpolitische Tätigkeit bestimmen sollte, trug er doch seinen
Anteil dazu bei, dass die Stadt Freiburg 1909 eine kommunale
Arbeitslosenversicherung einführte. Ebenso rückte er von 1911 an
zunächst in den Vorstand, dann in den Aufsichtsrat der
Genossenschaftsdruckerei Freiburg auf, dem er gleichfalls bis 1921
angehörte. 1912 stieg er zum Geschäftsführer der Freiburger
Milchversorgung auf, die er auch bis 1912 leitete. Im Jahr darauf
avancierte er zum Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft
"Gartenvorstadt Freiburg", die während des Ersten Weltkriegs im
Freiburger Stadtteil Haslach eine Gartenstadt nach englischem
Vorbild errichtete, wie sie auch in Mannheim und Karlsruhe gebaut
wurde. Bis 1920 saß Engler im Aufsichtsrat der Genossenschaft, 1923
benannte die Stadt Freiburg einen Platz in Haslach nach ihm. 1912
nahm Engler abermals einen Anlauf, Reichstagsabgeordneter zu
werden. Obwohl er den Wahlbezirk gewechselte hatte und diesmal für
die Sozialdemokratie im Wahlkreis Baden 5 antrat, der die Ämter
Freiburg und Emmendingen umschloss, musste er das Mandat dem
Bewerber der Fortschrittlichen Volkspartei, Gerhart von
Schulze-Gaevernitz, überlassen, obwohl die SPD bei der letzten Wahl
im Kaiserreich auf Reichsebene erstmalig zur stärksten
Reichstagsfraktion aufgestiegen war. Nachdem er selbst jeglichem
Alkoholgenuss entsagt hatte, engagierte sich Engler in der
Abstinenzbewegung, die um die Jahrhundertwende Anhänger in der
organisierten Arbeiterschaft gewann. Zusammen mit seiner Frau
betrieb Engler in den Jahren von 1909 bis 1920 das Gasthaus "Zum
Goldenen Apfel" in Freiburg, in dem er ausschließlich alkoholfreie
Getränke ausschenkte. Engler schloss sich dem revisionistischen
Flügel der Sozialdemokratie an, der in Baden in besonderer Weise
ausgeprägt war, und spätestens seit der badischen Landtagswahl 1905
und der Bildung des Großblocks reichsweit Aufmerksamkeit sowie
parteiinterne Kritik erfuhr. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stand
er hinter der Burgfriedenspolitik und der Bewilligung der
Kriegskredite durch die SPD. Den Weltkrieg erlebte Engler als
Soldat von April 1915 bis Dezember 1916 und wurde an der Ostfront
eingesetzt . So wie Engler sich vor dem Ersten Weltkrieg für die
gemäßigte Sozialdemokratie eingesetzt hatte, stand er während der
"Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" fest auf dem Boden der
Mehrheitssozialdemokraten und kämpfte gegen die radikalere USPD,
später gegen den Spartakusbund und die KPD. Nachdem im November
1918 das Kaiserreich zusammengebrochen war und die Revolution sich
durchgesetzt hatte, saß Engler als Vorsitzender des Freiburger
Arbeiterrats im Elferausschuss der Landeszentrale der Arbeiter- und
Soldatenräte und stand hinter der Politik der Vorläufigen
Volksregierung, mit der er sich gegen die Bildung einer
Räterepublik nach sowjetischem Vorbild und für die Schaffung einer
parlamentarischen Republik einsetzte. Im Freistaat Baden wurde
Engler am 2. April 1919 als Staatsrat, d.h. als Minister ohne
Geschäftsbereich, in das zweite Kabinett seines Parteigenossen
Anton Geiß berufen, in dem er in dieser Funktion bis 4. August 1920
wirkte. Durch seinen Kontakt zum Sozialwissenschaftlichen
Studentenverein und sein Engagement in der Sozialen Vereinigung,
einem Zusammenschluss von Hochschullehrern verschiedener Fakultäten
und Parteizugehörigkeiten, die sich der Lösung sozialer Fragen
verschreiben hatten, fand Engler Anschluss an die universitäre
Fachwelt und Gesellschaft Freiburgs. In der sozialen Vereinigung
lernte er den katholischen Sozialpolitiker Heinrich Brauns kennen,
der in der Weimarer Republik durchgehend von 1920 bis 1928 das
Reichsarbeitsministerium leitete und mit dem Engler in der nach
Brauns benannten Kommission, der Gutachterkommission zur
Arbeitslosenfrage, in den frühen 1930er Jahren die
arbeitsmarktpolitischen Folgen der Weltwirtschaftskrise bekämpfen
sollte. 1920 verlieh ihm die rechts- und staatswissenschaftliche
Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität die Ehrendoktorwürde.
Englers Expertise in Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik führten
zu seiner Berufung als badischer Arbeitsminister in vier Kabinetten
der Staatspräsidenten Gustav Trunk, Hermann Hummel, Adam Remmele
und Heinrich Köhler. Diese Spitzenposition im demokratischen
Gemeinwesen füllte Engler dreieinhalb Jahre vom 4. Februar 1921 bis
30. September 1924 aus. Die Existenz eines Arbeitsministeriums im
Jahre 1919 dauerte so nur bis 1924 an, als dessen Ressorts wieder
in das Ministerium des Innern ein- oder dem Finanzministerium
angegliedert wurden. In der Weimarer Republik waren Engler auch
Wahlerfolge auf der Ebene der Landtagswahlen beschieden. Durch
erfolgreiche Kandidaturen gehörte Engler dem Landtag vom 30.
Oktober 1921 bis 27. März 1928 an und vertrat im Karlsruher
Ständehaus den Wahlkreis 3 Freiburg. Gleichzeitig bekleidete er
wichtige Funktionen: Nachdem er sein Ministeramt niedergelegt
hatte, arbeitete Engler infolge der Rückgliederung des
Arbeitsministeriums von 1924 bis 1928 als Ministerialrat im
badischen Innenministerium. Im selben Zeitraum war er Präsident des
Gewerbeaufsichtsamts in Baden und saß im Aufsichtsrat der Badischen
Landes-Elektrizitäts-Versorgungs AG, des späteren Badenwerks. Von
1925 bis 1928 gehörte Engler der Stadtverordnetenversammlung in
Karlsruhe an und fungierte als Vorstandsmitglied der
Verlagsgesellschaft Volksfreund, in deren Aufsichtsrat er von 1928
bis 1935 saß . Durch die Einführung der reichsweiten
Arbeitslosenversicherung 1927, die den Aufbau einer
Reichsarbeitsverwaltung nach sich zog, verließ Engler zu Beginn des
Jahres 1928 Baden, als er auf Vermittlung von Reichsarbeitsminister
Brauns zum Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hessen in Frankfurt
am Main berufen wurde. In dieser Funktion erlebte Engler den
Niedergang der Weimarer Republik, den die Weltwirtschaftskrise vom
Oktober 1929 mit verursachte. Deren Auswirkungen in Gestalt
ungekannter Arbeitslosenzahlen versuchte Engler in den frühen
1930er Jahre als Mitglied der Gutachterkommission zur
Arbeitslosenfrage entgegenzuwirken, in die er durch Reichskanzler
Heinrich Brüning berufen wurde. Am 26. Juli 1933 entließen die
Nationalsozialisten Engler als sogenannten Parteibeamten auf der
Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
vom 7. April desselben Jahres. Engler starb - politisch vereinzelt
und beruflich ausgebootet - am 20. Februar 1938 im hessischen
Lorsbach im Taunus und wurde am 24. Februar 1938
begraben.
Schriften und Literatur:
Schriften: Wilhelm Engler, Die Ursachen der Arbeitslosigkeit und
ihre Bekämpfung, Frankfurt a. M. 1930. Literatur: Wilhelm Engler,
Reinhold Zumtobel (Bearbeiter), Wolfgang Hug (Hrsg.), Wilhelm
Engler (1837-1938) Freiburg, Baden und das Reich, Stuttgart 1991;
Michael Kitzing, Wilhelm Engler (1873-1938). Porträt eines
Freiburger Sozialpolitikers im Zeitalter des Wilhelmismus und der
Weimarer Republik, in: Vierteljahreshefte für Sozial- und
Zeitgeschichte 97/2010, S. 437-458; Michael Kitzing, Engler,
Friedrich Wilhelm, Arbeitersekretär, MdL-SPD, Arbeitsminister, in:
Badische Biographien N.F. 6/2011, S. 95-99.
2. Überlieferung, Inhalt und
Bearbeitung: Den Nachlass Wilhelm Englers übergab im Mai 1983 Prof.
Dr. Hans M. Lipp, Karlsruhe, dem Generallandesarchiv.1986 wurde der
Nachlass von Dr. Marie Salaba erschlossen und verzeichnet. Sie
ordnete die Unterlagen in die beiden Hauptrubriken A. Persönliches
(Lebenserinnerungen) und B. Berufliches. Die bereits von Engler
vorsortierten Lebenserinnerungen wurden in ihrer Gliederung
belassen, da sie vermutlich zum Druck vorbereitet waren. Die ohne
erkennbare Ordnung übergebenen, beruflichen Unterlagen, die im Kern
Material zur Arbeitslosenfrage in der Weimarer Republik aus Englers
Zeit als Präsident des Gewerbeaufsichtsamts in Baden und Präsident
des Landesarbeitsamts Hessen umfassen, wurden chronologisch
geordnet. Einzig die Anlagen der Gutachterkommission zur
Arbeitslosenfrage wurden den betreffenden Sitzungen der Kommission
zugeordnet. In einem Nachtrag wurde der Nachlass um Fotografien und
Zeitungsausschnitten erweitert, Der gesamte Nachlass wurde 2023 von
Dr. Peter Exner tiefenerschlossen, mit Deskriptoren versehen und
zur Online-Stellung gebracht. Im Generallandesarchiv findet sich im
Bestand 231 (Badischer Landtag, II. Kammer) unter den
Personalblättern der Abgeordneten des Badischen Landtags und der
Badischen Nationalversammlung ein Porträt Wilhelm Englers
(231/10956 fol. 101-102). Karlsruhe, im Februar 2024 Dr. Peter
Exner
- Reference number of holding
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, N Engler
- Extent
-
102 Archivalieneinheiten (Nr. 1-102)
- Context
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Nichtstaatliches Archivgut >> Nachlässe >> Andere Nachlässe >> Engler
- Other object pages
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- Last update
-
03.04.2025, 11:03 AM CEST
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Object type
- Bestand